Maximilian Schmidt
Hančička das Chodenmädchen
Maximilian Schmidt

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XVI.

Der Abschied von Franz fiel der alten Ahnl und dem Waldbauern gleich schwer; er selbst machte sich weniger daraus. Was andere erleiden konnten, das durfte auch ihn nicht schrecken, meinte er. Nur eines machte ihm Sorge, nämlich daß während seiner Abwesenheit der Waldbauernhof nicht in gleich guter Weise bewirtschaftet werden könnte. Die Ahnl war alt und der Vater gar zu oft abwesend, dabei dem Bierkruge sehr ergeben. Deshalb gab der Sohn vor seinem Abgange dem Vater weise Lehren, mit dem Holzschlage haushälterisch zu sein, nicht mehr zu fällen, als der Wald vertragen könne und das dafür erlöste Geld jedesmal sofort in guten Papieren anzulegen. Dem Oberknecht Gregori aber versprach er eine gute Belohnung, wenn er sich um die Sache gewissenhaft annehme und den Bauer mit Rat und That unterstütze.

Bei seinem Regiment angekommen, fügte sich Franz sofort mit allem Eifer in die neuen Verhältnisse und ward der gute Wille und seine Anstelligkeit von seinen Vorgesetzten alsbald erkannt und gewürdigt. Da er von Jugend auf eine besondere Vorliebe für die Pferde hatte, verrichtete er auch im Stalle freudig seinen Dienst und pflegte das ihm zugeteilte Pferd, als ob es sein eigenes wäre.

Die anstrengende Zeit des Abexerzierens ging allmählich vorüber, und die neue Mannschaft wurde zum 140 Dienste zugelassen. So oft, wie es seiner Zeit bei dem alten Waldhofbauer der Fall, traf nun die Wache und das Postenstehen Franz nicht mehr, aber es nahm immerhin in der verschiedensten Art einen großen Teil des Dienstes in Anspruch. Da hatte er denn oft Zeit, stundenlang seine Gedanken in die Heimat zu schicken. Diese weilten dann besonders gern auf dem Chodenschlosse bei seiner mutigen Befreierin. Er konnte mit diesen Gedanken gar nicht fertig werden, bis sie die Erinnerung an Aloys trübte, der sich stets störend zwischen ihn und Hančička drängte.

Wie beneidete er in solchen Augenblicken diesen Burschen, dem es vergönnt war, stets in der Nähe dieses lieblichen Kindes zu sein! Und wenn Aloys auch nur ein Dienstbote im Hause war, so glaubte Franz in seiner Eifersucht in demselben doch einen gewissenlosen Streber erkennen zu müssen, der mit aller Gewalt aus seiner niedrigen Lage emporzukommen trachtete. Wenn er seine Stellung im Hause mißbrauchte? Wenn es ihm gelänge, Franz in der Gunst des Chodenmädchens zu schmälern oder sie ihm ganz zu entziehen?

Solche Gedanken quälten ihn oft, und er sehnte dann die Zeit herbei, wo er in die Heimat zurückkehren und zu Hančička ein freies Wort sprechen könne, denn bis dahin hatte sie ein Alter erreicht, das eine Erklärung wohl gestattete.

Von zu Hause erhielt er nur spärliche Nachrichten, wohl aber Geld, so viel er verlangte. Von der Familie Soukup erfuhr er gar nichts mehr, denn da sein Vater nicht schreiben konnte, mußte dieses Geschäft der etwas schreibkundige Oberknecht versehen, der sich in seinem 141 Berichte nur auf die Vorgänge im Hause beschränkte und wahrscheinlich von der anderen Angelegenheit nichts wußte.

In Trhanow ereignete sich indessen auch nichts besonderes. Aloys war in seiner dienenden Eigenschaft von der Schloßbauernfamilie streng fern gehalten, so sehr er sich auch bemühte, ihr näher zu kommen. Er kleidete sich, um die Zuneigung Soukups zu erringen, an den Feiertagen nach Chodenart. Der blaue, verzierte Janker, die gelbe Lederhose mit den Wadenstiefeln, das rote Halstuch und die grünsamtene, mit Otterpelz verbrämte Mütze standen ihm sehr fesch. Zugleich suchte er seine Kenntnisse in der böhmischen Sprache möglichst zu erweitern, namentlich verstand er es bald, die vielen czechischen Volkslieder in ihrer Originalsprache wiederzugeben und dazwischen auf der ihm von Hančička geschenkten Mundharmonika manch hübsches Stückchen zu blasen. Aloys wußte ganz genau, daß er sich auf diese Weise bei den ihn umgebenden Czechen einschmeichle. Nichts wirkt ja auf die böhmischen Dörfler so eindringend, als Musik und Gesang.

Wenn die Glockentöne des Ave Maria verhallt sind, dann beginnt hier ein eigentümliches Leben. An lauen Sommerabenden begeben sich alle Hausbewohner auf die Gredbank vor dem Hause. Junge Burschen ziehen durchs Dorf, um am Hause ihrer Erkorenen mittelst Mundharmonika und Röhrpfeiferl das Zeichen ihrer Anwesenheit zu geben. Dann setzen sie sich mit den »Herausgeblasenen« auf die Gredbank zu den andern und singen und musizieren einzeln oder zusammen. Da werden im Duett Lieder gesungen und dazu gejauchzt, daß es weithin hörbar ist. Aus allen Richtungen her klingen frohe 142 Töne durch die sternenhelle Nacht, die von alt und jung begrüßt und erwidert werden.

Auf der Gredbank vor des Schloßbauern Hause war es dem Doktorjirka und dem Quistorenhansl gestattet, neben der Familie Soukups »Feierabend« zu halten. Die Männer dampften aus ihren kurzen hölzernen Tabakspfeifen, Frau Soukup und ihre Tochter aber strickten gewöhnlich an roten Strümpfen und lauschten den Gesängen der Burschen und Mädchen, in welche sich der Schlag der Nachtigallen mischte, welche sich mit Vorliebe in den Akazienbäumen des nahen Schloßparkes aufhielten.

Hančička ließ an solchen Abenden oft ihre Gedanken über das Heimatdörfchen und das Chodengebiet hinausschweifen, München zu, nach dem jungen Soldaten. Wurde sie ja stets an diesen erinnert durch den Ring, den sie an ihrem Finger trug. Es war ihr zur lieben Gewohnheit geworden, an ihn zu denken, doch war es nur das Gefühl schwesterlicher Zuneigung, dessen sie sich bis jetzt bewußt war. Aber so oft eine Sternschnuppe niederfiel, hielt sie es für ein Zeichen, daß der ferne, vielleicht auf Wache Stehende eben jetzt gleich ihr hinaufblicke zum Himmelszelt und dabei ihrer gedenke. Und wenn dann von der Gredbank des Oekonomiegebäudes herüber zufällig die Melodie zu jenem Lied ertönte, das sie damals auf dem Waldbauernhofe mit Franz gesungen und das, allgemein bekannt, auch von Aloys öfters angestimmt wurde, dann sang sie leise die Worte für sich hin:

»Flog ein Täubchen ob dem Hofe
Herrenlos daher,
Und es weinte, und es klagte,
Daß ich dich verlör! 143

Ruhig, wein nicht, Aennchen mein,
Finde bald mich wieder ein,
Ja, will's Gott, freun' wir uns wieder
Im Beisammensein.«

Die Mutter ahnte in solchen Stunden wohl, was in der Seele des Mädchens sich allmählich entwickelte. Aloys aber fuhr ahnungslos fort:

Ackersmann, Ackersmann, komm doch heim!
Bin noch nicht fertig, fahr noch nicht heim,
Hab' noch zu ackern den Pfad, den ich flog,
Wenn es zu meinem Aennchen mich zog.

Daraufhin klang von einem der Nachbarhäuser im Duett gleichsam als Antwort die sanfte Weise:

»Gingst du so oft zu uns,
Als die Nacht kurz noch war,
Warum in der längren nicht
Stellst du dich ein?
War in der kurzen ich
Zärtlich stets gegen dich,
Möcht ich es noch weit mehr
In der längren sein.« –

Allmählich, wenn es Zeit zur Ruhe wird, ziehen sich die älteren Leute mit den Kindern und Dienstboten zurück. Die Burschen aber ziehen, einen Harmonikabläser an der Spitze, durchs Dorf und halten vor dem einen oder andern Hause, um ihren Schätzen noch ein Ständchen zu bringen, welches zunächst in scherzhaften Schnadahüpfln besteht.

Niemals arten in den friedlichen Chodendörfern diese sangreichen, schönen Abende in Unfug aus. Ueberläßt man sich auch abends oft ziemlich lange diesem harmlosen Vergnügen, so ist doch schon wieder am frühesten Morgen alles frisch und fröhlich bei der Arbeit.

144 Rasch fliegen die schönen Tage dahin, und der ungastliche Winter ist vor der Thüre, ehe man sich's versieht.

Schon der zweite Winter war herangekommen, seit Franz beim Militär stand. Hančička war zu einem hübschen und stattlichen Mädchen herangewachsen. Mit sichtlichem Stolze blickten Vater und Mutter auf sie, aber auch die Burschen von Trhanow und den benachbarten Chodendörfern.

Soukup galt als ein vermöglicher Mann, und die voraussichtlich reiche Mitgift machten das Chodenmädchen vielen nur um so begehrenswerter. Aber dieses schien für alle derartigen Annäherungen kein Verständnis zu haben.

Gegen das Frühjahr zu kam endlich eine längst erwartete Nachricht von Franz, die dessen Vater überbrachte und die dahin lautete, daß der Sohn zum Osterfeste auf sechs Tage in Urlaub heim dürfe. Darüber freute sich Hančička über alle Maßen, was dem Waldhofbauer ein ganz besonderes Vergnügen bereitete.

Es ward ausgemacht, daß er mit Franz am zweiten Osterfeiertage nach Trhanow »Emaus gehen«»Emaus gehen« heißt man im Walde die Ausflüge am Ostermontag in Erinnerung an die Wanderung der Jünger, welche an diesem Tage von Jerusalem nach dem Flecken Emaus gingen, wo ihnen bekanntlich der Auferstandene erschien. sollte. Der Waldhofbauer sagte unter fleißigem Schnupfen freudig zu, und nun begannen für Hančička die Tage froher Erwartung.

Franz traf am Gründonnerstag nachmittags mit dem Bahnzuge in Furth ein, woselbst ihn der Vater sehnlichst erwartete. Nachdem der Zug eingefahren, sah er sich vergebens nach dem vermeintlich in Bauerntracht 145 Ankommenden um, als Franzl plötzlich in der Uniform der schweren Reiter, den Mantel und ein kleines Kofferchen tragend, vor ihm stand und »Grüß di Gott, Vater!« rief.

»Ja – ja – ja – Franzl, bist es denn?« rief der Vater, ihn vom Kopfe bis zu den Füßen musternd. »Ja, grüß di Gott tausendmal, herzliaba Bua! Jesses, i hätt' di gar nöt kennt, rein gar nöt! Ja du hast ja an' martialischen Schnurrbart!«

»Gelt, der macht si?« lachte Franz. »Wie geht's der Ahnl?«

»Guat geht's ihr. Ihra oanzige Krankheit is, daß 's halt alleweil älter wird. Sunst is's gottlob frisch und g'sund.«

»Und am Hof is alles in Richtigkeit?«

»Alles! alles! Jetzt kimm nur, daß ma schnell a Maßl trinka. No', d' Leut wern weiter nöt schaugn!«

»Mir is's lieber, Vater, wenn ma glei hoamfahrn.«

»So fahrn ma halt hoam. Därf grad einspanna. Trink ma halt a Stehmaßl; kimm nur! Beim Prosl drin hab' i eing'stellt.«

Nachdem der Wagen angespannt und die Stehmaß richtig eingenommen war, machten sich beide auf den Weg.

Es war ein prächtiger Frühlingstag. Franz blickte in fröhlicher Stimmung rings umher; die alten, bekannten Berge schienen ihn freudig zu begrüßen. Der Ossa, der Hohenbogen, der Cherkow: auf jedem verweilte sein Auge wie auf dem Gesichte eines lieben Freundes.

Des Waldbauern Blicke waren aber stets nur auf den Sohn gerichtet, an dem er sich nicht satt sehen konnte. Ganz besonders flößte ihm die feine Uniform desselben Respekt ein.

146 »Frühers, zu meiner Zeit, san ma halt in Kommißspenser und Kommißschuah, a Packl in der oan und 'n Haselnußer in der andern Hand, hoamkömma. Koa' Katz hat uns nachi g'schaut und wir ham uns so schnell als mögli hoamzun druckt, indem daß wir uns g'schaamt ham. Hellseiten! jetzt is 's freili anders. Du siehgst ja fredi aus in deina fein Uniform, 'n Sabel an der Seiten, mit die weißen Handschuh und die flotten Reitstiefel, wie r an' Offenzier. Ja, jetzt will i nöt sag'n, jetzt schaugn enk alle Leut nach und freu'n si', daß 's so flott seids, und grad a Stolz is's jetzt, a Soldat z' sein.«

»Vater, dös is alles no' gar nix,« unterbrach ihn Franz. »Aber in Parad zu Pferd wenn's d' uns sehgest mit 'n weißen Roßhaarbuschen und 'n Kartousch, d' Lanzen mit 'n Fahnerl anhänga, da werest schaug'n!«

»Hätt'st es dennast alles mitbracht, da hätt' ma weiter koan Wind g'macht die ganz Graniz (Grenze) entlang! No', es muaß 's so aa scho' thoa'. I g'freu mi nur auf d' Ahnl, was die für Augen machen wird. Und no' wer! Spannst, wen i moan?«

»Hančička?« fragte Franz errötend.

»No', was denn! Da fahr'n ma ja eini auf Emaus. Da kriegst böhmische Kollatschn und Flöcken, daß 's a Freud is.«

»No', just z'wegn 'n Essen geh i nöt ins Chodenschloß,« meinte Franz.

»Du kriegst scho' was z' trinken aa,« fiel ihm der Vater schelmisch lächelnd ins Wort. »'s Kauther Bier is alleweil rechtschaffen guat und beim ung'rischen Wein 147 fehlt si' aa nix. Jetzt i halt's lieber mit 'n Bier, denn woaßt –«

»Ge, Vater, plag di nöt,« unterbrach ihn Franz. »Sag mir lieber, wie 's drent auf mi g'stimmt sein?«

»Guat sein 's g'stimmt! I hon mir hin und wieder drent z' schaffen g'macht, denn woaßt, i bin gar schlau. Moanst, grad oa'mal hätten's z' erst g'fragt, wie 's mir geht? Na' – wie geht's dem lieben Franzl, hat d' Frau Soukup g'fragt. Hobt's eine gute Nachricht? Wann kommt er in Urlaub? und halt a so furt nachananda.«

»No', und 's Deandl?«

»'s Deandl? dös hat um nix g'fragt, aber glust (gehorcht) hat's auf dös, was i sag, grad als wenn's an' Evangeli wär und rot is's anemal worn, grad wie r a Pfingstrosen. Woaßt, i bin koa' Heuriger, so a Rotwein hat sein' Grund. Spitzbua! Du woaßt eh, wie 's d' dran bist. Oder nöt?«

»Und der Chodenbauer?« fragte Franz statt einer Antwort, »wie stellt si' der?«

»Ja no', dös is halt a Stockböhm, der sagt nöt gick und nöt gack; aber d' Hauptsach san d' Weiber, und die hast auf deiner Seiten. Schnupf ma amal! – Was? alleweil no' nöt schnupfig? Ja, ja, hast recht, es is a Lasta, aber unser Herr Pfarrer schnupft aa und is a gweihta Mo'.«

Alsbald hatten sie den heimatlichen Hof erreicht. Die alte Ahnl weinte vor Freude, als sie Franz begrüßte. Mit Tannenguirlanden war die Thür geschmückt, durch welche der Ankommende eintrat, und nun kamen auch alle Ehehalten herbei, den künftigen Erben des Hofes freudigst willkommen zu heißen.

148 Franz durchging die Stallungen und war hocherfreut, alles in bestem Zustande zu finden. Dann machte man sich an die Mahlzeit – Forellen und Kücheln mit Kletzen wurden aufgetragen.

»Mei', solchene Fisch wern dir nix Seltsams sein in Mänka oben,« meinte die alte Frau, »aber wir hab'n halt heunt nix anders, weil Fasttag is.«

»O, da sei unbekümmert,« entgegnete der Soldat lachend, »in unserer Menage hat's die anderthalb Jahr koane Forellen geben. Woaßt, die wär'n z' kostspieli für die schweren Reiter.«

»Was? die Pfifferling?« rief die Alte verwundert. »No', da hon i glei gar koan Respekt aa mehr vor enkera Kocherei. So iß halt, und laß dir's schmecken!«

Das befolgte Franz getreulich.

Des Fragens und Erzählens war kein Ende. Es war Franz unendlich behaglich in dem so lang entbehrten Heim und mit den glücklichsten Gefühlen sah er den nächsten Tagen entgegen, die in seinem Leben eine entscheidende Wendung herbeiführen sollten. 149


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