Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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17.

Getrost! Es wird zu Ende gehn:
Ich werde von so blut'gen Wunden,
Von so unendlich bittern Wehn
Doch endlich in der Gruft gesunden.

Die Gruft, die ist das Paradies,
Das dunkle, das mich lockt alleine;
O, welch ein Friede sanft und süß,
Der Frieden unterm Leichensteine!

O, Trost des Elends, stille Gruft!
Ich kann nicht mehr hier oben hausen;
Ich hasse Liebe, Licht und Luft –
Bedecke mich mit deinem Grausen.

Daumer.

Am folgenden Morgen beschien die Sonne eine Szene der Verödung und Trauer.

Die Hütten und Zelte des Lagers der Wampanogen lagen in Asche und der Platz, wo sie gestanden, zeigte überall die Spuren des schrecklichen Kampfes auf, welcher tags zuvor hier gewütet hatte. So war er ein düsteres Bild von dem Schicksale des unglücklichen Stammes, welcher da seine Existenz eingebüßt hatte.

Der Name der Wampanogen war jetzt weiter nichts mehr als eine Erinnerung, ein schwacher Hauch, der sich unbeachtet in dem Sturmgetose der Weltgeschichte verlor, welches überall Ruinen hinter sich zurückläßt und keineswegs überall Keime eines neuen Lebens, wie an dieser Küste, die fortan in ihrer unermeßlichen Ausdehnung nach Süden und Norden das unbestrittene Erbteil der Pilger der Wildnis sein sollte.

»Laßt die Toten ihre Toten begraben!« hatte Groot Willem beim Sonnenaufgang gesagt, indem er trüben Blickes auf das Halbdutzend Gefangener und dann auf die zwischen dem Schutte der Brandstätte zerstreut umherliegenden Leichen ihrer Landsleute deutete. »Laßt die Toten ihre Toten begraben, und dann mögen die armen Leute gehen, wohin, sie wollen. Sie werden sich, denk' ich, bald genug spurlos in den Wäldern verlieren. Die rechtmäßigen Besitzer des Bodens von Neuengland sind vernichtet, und ich fürchte, es wird eine Zeit kommen, wo man den roten Mann überall vergebens suchen wird, außer in den Geschriften der Bücherschreiber.«

Der alte Trapper ahnte nicht, wie bald seine prophetischen Trauerworte der Erfüllung sich nähern sollten und daß es schon um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts auf dem Kontinent von Nordamerika nur noch wenige Landstriche geben würde, wo es der roten Rasse vergönnt wäre, eine Existenz zu führen, wie sie ihrer Natur und ihren Gaben angemessen ist.

»Der Herr will die Heiden austilgen mit dem fressenden Feuer seines Zornes,« bemerkte der jüngere der beiden Obersten auf die Äußerung des Trappers. »Das Geschlecht der verstockten Götzendiener will er wegfegen vom Boden dieses Landes, damit Platz werde für die Gemeinde Israel.«

Groot Willem warf mit jenem eigentümlichen Ruck, welcher in seinem Gebärdenspiel immer eine Verneinung bedeutete, den Kopf zurück, allein ein bittender Blick von Thorkil ließ ihn das Wort, welches er auf der Zunge hatte, verschlucken. So begnügte er sich denn zu sagen:

»Ich vermute, Sir, Rote und Weiße hätten in diesen unermeßlichen Länderstrichen ganz gut nebeneinander Platz gehabt, wenn sie sich ehrlich und gerecht miteinander hätten vertragen wollen.«

»Ihr sprecht von Verträglichkeit, Freund,« versetzte der Oberst, welcher wie alle Puritaner das Disputieren ungemein liebte, »aber bedenkt, ob zwischen Heiden und Bekennern des wahren Glaubens von Verträglichkeit auch nur die Rede sein darf. Erinnert Euch, daß das Heilige Buch sagt, Jehova habe dem Josua befohlen, die götzendienerischen Kanaaniter auszutilgen aus dem Lande, welches er seinem auserwählten Volke zur Wohnstätte bestimmt hatte.«

»Sir,« entgegnete der alte Jäger, »mein Beruf erlaubte mir nicht, meine Gaben nach der Seite der Bücher hin auszubilden, aber ich ließ mir sagen, daß in dem Buche, von welchem Ihr sprecht, Geschichten und Vorschriften stehen, die, vermut' ich, der Beherzigung eines Christen näher liegen sollten als grausame Vertilgungen und Verheerungen.«

»Da habt Ihr nicht unrecht, Freund,« sagte der ältere Oberst, mit dem Gewichte seines Ansehens den Streit abschneidend. »Wir haben Ursache, mildgesinnt zu sein, um dem Herrn uns dankbar zu erweisen für die unverdiente Gnade, die er in diesen Tagen uns erwiesen. Doch komm, mein Sohn und du, Lovely, wir wollen hier am Saume des Waldes unsere Morgenandacht verrichten, während die unglücklichen Eingeborenen dort, denen der Herr sein Licht noch nicht hat aufgehen lassen, nach ihrer Weise ihre Toten zur Ruhe bringen.«

»Aber,« warf der jüngere Oberst ein, »machen wir uns nicht einer Sünde schuldig, wenn wir den verblendeten Kreaturen gestatten, vor unsern Augen ihre heidnischen Greuel zu begehen?«

»Erlaubt, Sir,« entgegnete Groot Willem mit Bestimmtheit, »erlaubt mir, zu bemerken, daß ich den Gefangenen zugesagt habe, es solle ihnen gestattet sein, den Ihrigen nach ihrer Sitte die letzte Ehre zu erweisen. Mein Wort muß erfüllt werden, und außerdem wäre es, vermut' ich, grausam, die Armen in diesem Werke der Liebe und Treue zu stören.«

So sprechend schritt er, ohne eine Antwort abzuwarten, mit Thorkil dem Orte zu, welchen die Indianer zur Begräbnisstätte der Überreste ihres vernichteten Stammes ausersehen hatten.

Der größere Teil der traurigen Arbeit war schon getan. Die Überlebenden hatten für die Toten am östlichen Saume des halbverkohlten Waldgürtels mehrere Gruben gegraben, in welchen die Leichen beigesetzt und mit Erde bedeckt wurden. Mit mehr Zeremonie als hierbei gingen die Indianer daran, ihren Sachem zu bestatten.

Es war ein eigenes Grab für Metakom gehöhlt worden und zwar am Fuße einer gewaltigen Eiche, etwas abseits von andern Gräbern. Soweit es möglich, hatte man die Leiche des Mannes, dessen kühnes Herz nun schon in der durchbohrten Brust erstarrt war, mit all den Rücksichten behandelt, welche ein so großer Krieger ansprechen konnte. Hih-lah-dih hatte es sich nicht nehmen lassen, dem Bruder die letzten Liebesdienste zu erweisen. Sie hatte den verhängnisvollen dreischneidigen Dolch, womit Thorkils rächende Hand den Mörder seines Vaters getroffen, aus der Brust des Toten gezogen, sie hatte ihn zum Begräbnisse geschmückt.

Vom Blute reingewaschen lag der Häuptling auf dem Moose ausgestreckt, dem offenen Grabe zur Seite. Er war mit seiner roten Tunika bekleidet, und seine Stirn umgab turbanartig das Scharlachtuch, welches die Sachems der Wampanogen als Kopfschmuck zu tragen pflegten. In seinem Gürtel steckte der Tomahawk, in der linken Hand hielt er das mit Federschmuck und Klapperschlangenhaut verzierte Kalumet, in der Rechten den Bogen. Ihm zu Häupten lagen Lanze und Büchse, ihm zu Füßen der mit Pfeilen gefüllte Köcher, samt einem Beutel von Bast, welcher gerösteten Mais und gedörrtes Fleisch enthielt.

So war er zu seiner langen Reise nach den glücklichen Jagdgründen gerüstet und verproviantiert.

An seiner Seite saß Hih-lah-dih, Antlitz und Arme mit ihrem Gewande verhüllend, unbeweglich und wortlos und tränenlos, wie sie seit der schrecklichen Katastrophe von gestern Abend stets gewesen.

Nur von Zeit zu Zeit konnte man sie unter ihrer Verhüllung mit der rechten Hand an ihren Busen fassen sehen, als wollte sie sich vergewissern, daß ein Gegenstand, welchen sie dort geborgen, noch vorhanden sei.

Jetzt nahte das kleine Häuflein ihrer Stammgenossen, welche mit dem Stoizismus ihrer Rasse das Totengräbergeschäft verrichtet hatten, und stellte sich zu Füßen des Leichnams in eine Reihe.

Ein vom Alter gebeugter Greis trat vor und sagte, das Wort an Hih-lah-dih richtend: »Meine Tochter, der Sachem muß nun gehen. Der Weg in die glücklichen Jagdgründe ist weit und voll von Dornen: der Sachem muß sich einen Pfad bahnen und darf nicht länger zögern.«

Ohne aufzusehen, machte das Mädchen mit der Hand eine beistimmende Gebärde.

Groot Willem und Thorkil waren in ehrerbietiger Entfernung von der Gruppe stehen geblieben und begnügten sich, stumme Zuschauer abzugeben.

Der alte Indianer begann, gefolgt von den übrigen, den Leichnam im Kreise zu umschreiten, und intonierte den Totengesang:

»Mit Wolken hatte sein Antlitz bedeckt der Manitu:
Da dunkelt es tief auf dem Pfad seiner Kinder,
Und im Finstern strauchelt' des Sachems Fuß,
Und er fiel.

Schatteten schwer die Wolken, die scharzen Wolken,
Die Wolken vor dem Antlitz des großen Geistes,
Und der Sachem fehlte des richtigen Wegs,
Und er fiel.

Stets voran, wenn der Kriegsschrei ertönte,
Ob auch Dunkel den Pfad ihm verhüllte,
Glitt sein Fuß aus, sein Auge ging fehl,
Und er fiel.«

Als der Gesang, dessen Refrain die im Kreise Wandelnden in klagenden Gutturaltönen wiederholten, verklungen war, wurde auf einen Wink des Alten der Leichnam von vier Männern aufgehoben und in das Grab gebracht, Lanze, Kocher, Büchse und Maisbeutel wurden ihm sorgsam zur Seite gelegt, und dann bedeckte in wenigen Minuten die heimatliche Erde den, welcher dieselbe von den weißen Fremdlingen hatte säubern wollen. Den indianischen Leichengebräuchen gemäß hätten nun in einer Rede die Eigenschaften und Verdienste des Toten gepriesen werden sollen, allein dies unterblieb, weil keiner der wenigen Männer, welche den Untergang ihres Stammes überlebt hatten, sich für würdig hielt, einem so großen Häuptling die Grabrede zu halten. Dagegen ließen es sich die Indianer angelegen sein, den rundlichen Hügel über dem Grabe hoch aufzuwölben und denselben sorgfältig mit Rasen zu bekleiden.

Nachdem dies geschehen, standen sie noch einige Minuten lang in stummer Trauer um den Hügel her. Dann trat der Alte zu Hih-lah-dih und sagte zu ihr:

»Meine Tochter, es ist Zeit, zu gehen.«

Die reine Quelle erhob sich mit ruhiger Fassung und sagte dem Greise leise einige Worte, worauf der Alte seinen Gefährten winkte und mit denselben der Stelle zuging, wo Groot Willem und Thorkil standen.

»Bruder Mato,« redete der Alte den Trapper an, »unser Geschäft ist getan. Der Sachem befindet sich auf dem Wege nach den glücklichen Jagdgründen. Was haben meine Blaßgesichtbrüder den Wampanogen zu sagen?«

»Nichts,« versetzte der alte Waldläufer, »den Wunsch ausgenommen, es möchte euch in den westlichen Wäldern eine sichere Zufluchtsstätte sich auftun. Geht hin in Frieden, und möge es euren Pfeilen nie an Wild und eurer Angel nie an Fischen fehlen.«

Der Alte winkte mit der Hand zum Abschied, und bald hatte sich der kleine Trupp in dem Dickicht verloren, aus welchem gestern während der Feier der Okippe der Ochkih-Häddäh hervorgekommen war.

»Da gehen sie hin,« bemerkte Groot Willem, den Verschwindenden teilnahmevoll nachsehend, »da gehen sie hin, um sich in der Wildnis zu verlieren, wie ein vertrocknendes Bächlein sich im Steppensand verliert.«

»Es ist eine traurige Sache,« versetzte Thorkil, »aber es scheint, eine höhere Macht wolle es, daß die rote Rasse überall, wo sie mit der weißen zusammentrifft, dieser weichen müsse.«

»Ah, Junge, du hast dir, vermut' ich, in letzter Zeit bereits die Ansichten der Pilger der Wildnis über diesen Punkt zu eigen gemacht. Ja, ja, es gibt kein Ding, und wär' es auch das ungerechteste, für welches die Menschen nicht wohlklingende Gründe beizubringen wüßten. Was mich betrifft, ich bin darin nicht sehr geschickt und kann zu dieser Stunde nur wiederholen, was ich schon oft gesagt: es wird höllisch unlustig und jammerselig sein in den Wäldern und auf den Prärien von Neuengland, wann die Rothäute und Büffel und Bären und Elentiere und Biber von dem unerquicklichen Zeug, was die Puritaner ihre Kultur oder ihre Religion nennen, verschwunden sein werden. Doch da kommt Hih-lah-dih. Was soll aus dem armen, guten, treuen Kinde werden?«

Bevor der junge Jäger diese Frage beantworten konnte, war das Mädchen zu ihnen getreten, und mit der gehaltenen Ruhe, welche ein Herz voll Verzweiflung verbarg, sagte sie zu Thorkil:

»Hih-lah-dih hat mit ihrem Blaßgesichtbruder zu sprechen, bevor sie geht. Komm!«

Thorkil folgte der Vorangehenden, welche ihre Schritte nach der Schuttstätte des Lagers richtete.

Dort angekommen, blieb sie bei dem Trümmerhaufen stehen, welcher von dem Wigwam des Sachems übrig geblieben war.

Der junge Jäger mühte sich, auf dem Grunde seines Herzens ein Wort des Trostes für die Verlassene zu finden. Aber die Haltung derselben atmete eine so feierliche Resignation, daß sich Thorkil ein Gefühl der Ehrfurcht vor einem Unglück aufdrang, welches mit solcher Würde getragen wurde, und dieses Gefühl machte ihn stumm, um so mehr, da sich demselben eine Last des Dankes gesellte, welche vielleicht nur in einer Weise hätte abgetragen werden können, in einer Weise, die eine Unmöglichkeit war.

Ihrerseits vermied auch Hih-lah-dih jede weitläufige Erörterung und beeilte sich, das zu tun, was sie an diesem Orte noch zu verrichten und bereits vorbereitet hatte.

Sie störte mit dem Fuße die Asche auseinander, so daß unter derselben eine Elentierhaut sichtbar wurde. Diese mit der Linken wegziehend, zeigte sie mit der Rechten auf eine Vertiefung im Boden und sagte:

»Mein Blaßgesichtbruder nehme, was sein ist.«

Thorkil folgte mit den Augen der Richtung ihrer deutenden Hand und stieß einen Ruf der Überraschung aus.

Der Schatz des Ahnherrn lag zu seinen Füßen.

Es hatte sich viel Unheil an dieses alte Gold gehängt. Sein Anblick erinnerte den jungen Jäger an den schrecklichen Tod seines Vaters, und er wandte den Blick mit einem leichten Schauder von dem Horte ab.

Der Indianerin entging diese Regung nicht.

»Mein Bruder,« sagte sie, »freut sich nicht groß über das gelbe Metall, welches doch die Wonne der Blaßgesichter ist.«

»Nein, Hih-lah-dih,« versetzte Thorkil, »ich kann mich nicht darüber freuen und wollte, meine Augen hätten dieses Gold nie gesehen. – Doch wir wollen von dir sprechen, armes Kind. Maw und ich und wir alle haben die heilige Verpflichtung, für deine Zukunft Sorge zu tragen.«

»Hih-lah-dih,« entgegnete die Indianerin ruhig, »hat nichts mehr mit den Blaßgesichtern zu tun. Sie kennt den Pfad, welchen sie zu wandeln hat: er führt sie zu ihrem Volke.«

»Zu deinem Volke, Kind? Du kannst ebensogut von dem Laub des vorjährigen Sommers reden. Wo ist es?«

»Der Manitu wollte, daß die Söhne Wampanogs hinweggetilgt würden von diesem Boden. Wer darf mit ihm hadern?«

Und nach einer Pause setzte sie hinzu:

»Hih-lah-dih geht zu ihrem Volke.«

Thorkil überhörte den doppelsinnigen Ausdruck, womit sie diese Worte sprach.

Das Mädchen bot ihm jetzt die Hand und sagte mit einer Stimme, die ein leises Beben nicht verbarg:

»Mein Bruder Goldhaar lebe wohl und lange, und glücklich lebe er! Der Manitu schaue mit gnädigem Auge auf ihn, und sein Pfad sei stets rein von Disteln und Dornen.«

»Nein,« entgegnete Thorkil, die dargebotene Hand festhaltend, »nein, du darfst nicht gehen, darfst uns nicht verlassen. Du hast Furchtbares erlebt, und dein Gemüt ist sehr erschüttert. Aber die Hand der Freundschaft weiß tiefe Wunden zu heilen. Bleibe bei uns, Hih-lah-dih. Mato wird dir ein treuer Vater sein. Mich selbst hast du Bruder genannt, ich will es sein und mich bemühen, so brüderlich an dir zu handeln, wie du an mir schwesterlich gehandelt hast. Lovely glaubt nicht anders, als daß du bei uns bleiben werdest. Sie wird dich mit den Augen einer Schwester ansehen und dir durch innige Liebe zu vergelten trachten, was du an uns getan. O nein, du darfst nicht gehen, darfst nicht verlassen in den Wäldern irren. O, bleibe bei uns, um zu erfahren, daß auch die Leute von meiner Farbe Freunde sein können bis in den Tod.« Diese mit unverkennbar echter Herzenswärme gesprochenen Worte taten der Indianerin augenscheinlich sehr wohl. Sie blickte auf und dem jungen Jäger in die treuen Augen, deren Ausdruck dem herzlichen Ton seiner Stimme zur Hilfe kam. Ein mildes Gefühl, fast das der Freude, sänftigte die Starrheit der Züge des Mädchens.

»Mein Bruder spricht gut,« sagte sie, »und Hih-lah-dih weiß, daß seine Stimme aus dem Herzen kommt. Allein Hih-lah-dih hat erfahren, daß der Manitu nicht will, weiße und rote Leute sollen zusammenwohnen. Das Goldhaar wird meine Blaßgesichtschwester, die Wasserlilie, in sein Wigwam führen. Die braune Waldbeere nicht passen zu der weißen Blume – Hih-lah-dih muß gehen. Mein Bruder lebe wohl, und wenn er durch die Wälder streift, aus denen mein Volk verschwunden, mag er zuweilen seiner Rothautschwester gedenken.«

So sprechend, zog sie sanft ihre Hand aus der des Jünglings und wandte sich, der bittenden Gebärde, welche er machte, nicht achtend, zum Fortgehen.

Doch die glühende, so innig gepflegte und doch so heldenmütig beherrschte Leidenschaft, welche die Tochter des Waldes vermehrte, forderte gebieterisch ihren Tribut.

Hih-lah-dih kehrte um, nachdem sie einige Schritte gemacht, sah den jungen Jäger mit unendlicher Liebe und Zärtlichkeit an, sprang auf ihn zu, schlang ihre Arme um seinen Hals und bedeckte sein Gesicht mit Küssen und Tränen.

So ruhte sie eine Sekunde an seiner Brust.

Dann raffte sie sich, in allen Gliedern erzitternd, gewaltsam auf, ließ sich los und glitt mit der Schnelligkeit eines Sonnenstrahls über den Platz.

Am Saume des Waldes angekommen, sah sie noch einmal zurück, warf auf Thorkil einen Blick, streifte mit einem zweiten den Grabhügel ihres Bruders und stürzte sich in das hinter ihr zusammenschlagende Dickicht.

Sie durchschnitt in gerader Richtung rasch den Forst. Dornen verwundeten ihre Arme und Beine: sie achtete dessen nicht, sondern eilte immer gerade aus.

Nachdem sie so eine Strecke zurückgelegt, machte sie eine Wendung rechtshin und gelangte an das Ufer des Flusses, an welchem Groot Willem sie getroffen hatte.

Hier stand sie unter einer Rotbuche still, lehnte sich an den Stamm und atmete von der Eilfertigkeit ihres Laufes auf. Nachdem ihre Pulse wieder einen ruhigeren Schlag angenommen, trat sie näher an das Ufer und drang in ein dichtes Weidengestrüpp hinein.

Inmitten dieses grünen Verstecks ließ sie sich nieder und versank, den Kopf auf die Brust neigend, in tiefes Sinnen.

Nach einer Weile erhob sie das Haupt und bewegte murmelnd die Lippen.

»Das Goldhaar,« flüsterte sie in sich hinein, »wird die Wasserlilie in sein Wigwam führen – er wird glücklich sein. Der Manitu der Roten und der Manitu der Weißen sei ihm hold – Hih-lah-dih kann nichts mehr für ihn tun – sie geht zu ihrem Volke.«

Nun setzte sie sich in einer keuschen Stellung mit untergeschlagenen Beinen zurecht und zog aus den ihren Busen verhüllenden Falten ihrer Tunika den verhängnisvollen Dolch hervor, welcher die Brust von Thorkils Vater durchbohrt und womit der junge Jäger das Rachewerk an Metakom vollbracht hatte. Hih-lah-dih hatte die Waffe an dem Abend, dessen untergehende Sonne die Vernichtung ihres Stammes beschienen, aus der Brust des Bruders gezogen.

Sie betrachtete die Schneide und befühlte die Spitze des Dolches. Dann faßte sie den Griff fest mit der Rechten, schob mit der Linken das Gewand von ihrer linken Brust zurück, fühlte nach dem Schlag ihres gepeinigten Herzens und versenkte in dasselbe langsam, mit tötlicher Sicherheit, die dreischneidige Klinge bis ans Heft.

Das Benehmen Hih-lah-dihs an diesem Morgen und ihr plötzliches Verschwinden hatten Thorkil und Groot Willem mit banger Besorgnis erfüllt. Es bedurfte nicht erst der dringenden Aufforderung von seiten Lovelys, um die Männer zu vermögen, ohne Zögern dem Mädchen nachzugehen, um alles aufzubieten, dasselbe zurückzubringen. Mit Hilfe Prinslos gelangten sie bald auf die richtige Spur, welche nach dem Weidengebüsch am Flusse führte.

Aber sie kamen zu spät und hatten nur noch die traurige Pflicht der Bestattung zu üben.

Am Fuße des Stammes der Rotbuche, unfern von welcher die edelmütige Tochter der Wildnis ihr Leben ausgehaucht hatte, wurde ihr Grab gegraben. In kummervollem Schweigen erhöhten Willem und Thorkil den Rasenhügel über demselben, und weinend bepflanzte ihn Lovely ringsher mit Immergrün und wilden Reben.

Ein amerikanischer Dichter unserer Zeit hat auf das Grab seiner Schwester seelenvolle Strophen gedichtet. Sie sind wie gemacht, um die Gefühle auszudrücken, welche die Bestattung und das Grab der hochherzigen, liebevollen, unglücklichen Hih-lah-dih ihren Freunden einstoßen mußten.

»Wir legten sie ins enge Bettchen,
Deckten die Brust mit Rasen zu,
Und Abschiedstränen strömend sanken
Aufs stille Plätzchen ihrer Ruh'.
Mögen dort Engel hütend sitzen,
Den Schlummer in der Wildnis schützen!

Es ist kein Denkmal dort von Marmor
Und keine Inschrift stellt sich dar,
Zu rühmen eines Wesens Tugend,
Das fast zu gut zum Sterben war.
Wir brauchen das nicht, um den Platz
Zu finden von so teurem Schatz.

Sie schläft allein, sie schläft so einsam,
Doch unter des Apriles Toben
Hat unversehns der Wildnis Geist
Sein segenschwangres Horn erhoben
Und wirft sein Blütenkleid voll Duft,
Ein treuer Wächter auf die Gruft.

Sie schläft allein, sie schläft so einsam,
Doch jährlich wird ihr Grab beschickt
Mit grünem Rasen und im Sommer
Mit schwerem Rebenkranz geschmückt;
Der Herbst, tiefer aufseufzend dort,
Bestreut mit Laub den heil'gen Ort.«


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