Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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7.

Wenn es stürmet mit Macht, spann das Segel zuhöchst,
So ist's lustig auf brausendem Meer.
Laß es gehn, laß es gehn; wer da reffet, ist feig,
In den Strudel versinke du eh'r.

Stößt auf feindliche Schiff' du, gilt's Entern und Kampf,
Blutig heiß da drängt Schild gegen Schild;
Weichst zurück einen Schritt du, folgt Abschied von uns –
's ist die Satzung, nun tu, wie du willst.

Frithjofs-Saga.

Die Geschichte Amerikas hat einige Ähnlichkeit mit der von Rom. Wie bei der Gründung der ewigen Stadt aus allen Gegenden Italiens her ein buntes Gemisch von Menschen zusammenströmte, um am Ufer des Tiber Sicherheit, Wohnsitze, Beute zu suchen, so wurde der neue Weltteil bald nach seiner Entdeckung das Ziel und der Sammelplatz der verschiedenartigsten Wandrer.

Nur ein kleiner, sehr kleiner Teil durchschiffte in so lautrer, ich möchte sagen, in so ideeller Absicht, wie die englischen Nichtkonformisten, das Atlantische Meer. Zügellose Sitten, Lust an schrankenloser Freiheit und Habgier beseelten den weitaus größern Teil der Abenteurer, welche sich nach der westlichen Hemisphäre aufmachten, deren Reichtümer der Ruf ins Märchenhafte steigerte. Des Goldes »magnetische Kraft« war es vornehmlich, welche die große zweite Völkerwandrung in Bewegung setzte, die vom Ausgange des fünfzehnten Jahrhunderts an bis auf unsre Tage zu strömen nicht aufgehört hat, von Jahr zu Jahr zu riesenhafterem Umfange anschwillt und ganz danach aussieht, als sollte durch sie für die Zukunft der Schwerpunkt der Weltgeschichte von den gealterten Nationen Europas hinweg zu ihren jugendfrischen Sprößlingen einer neuen Welt versetzt werden.

Alle seefahrenden Völker Europas stellten ihr Kontingent zu der bunten Schar, welche sich, gelockt von Beutelust, Ehrgeiz und Lust an kühnem Wagen, auf die unermeßlichen Küsten des neuentdeckten Erdteils warf. Die fabelhaft klingenden und doch historisch verbürgten Erfolge, welche eine Handvoll spanischer Abenteurer unter Führern, wie Kortez und Pizarro, in Mexiko und Peru erlangt hatte, stachelten den Unternehmungsgeist auf eine bis dahin unerhörte Weise und trieben ihn zu Wagnissen, bei deren Erzählung die Geschichte die Farben der Dichtkunst entlehnen muß, um hinter der Wirklichkeit nicht allzusehr zurückzubleiben.

Es ist, als hätten sich die verschiednen Völker Europas bei ihren Unternehmungen auf Amerika instinktmäßig oder vorbedacht von ihren heimatlichen, durch das Klima bedingten Verhältnissen und Gewohnheiten leiten lassen. Die nördlicheren, wie Franzosen, Holländer und Engländer, wählten sich hauptsächlich Nordamerika zu ihren Niederlassungen, die südlicheren, wie Portugiesen und Spanier, Südamerika, Mexiko und die westindischen Inseln. Die Spanier hatten sich ihrem kirchlichen Sinne gemäß vom Papste Alexander VI. im Jahre 1493 eine Bulle erwirkt, welche ihnen die neu entdeckten Länder schenkte, Länder, von deren Ausdehnung weder der Schenker noch die Beschenkten die geringste Ahnung hatten und auf welche der Papst und Spanien gerade so viel Recht hatten als irgend ein andrer Staat, das heißt keins. Dessenungeachtet hielten sich die Spanier demzufolge für die einzigen rechtmäßigen Besitzer der transatlantischen Küsten und betrachteten und behandelten die Seefahrer andrer Nationen, welche sie zwischen den Wendekreisen trafen, als Piraten. Dies hielt indessen holländische, englische und französische Abenteurer und Handelsleute keineswegs ab, in der neuen Welt ihr Glück zu versuchen, und insbesondre machte der feindliche Zusammenstoß französischer Glücksritter mit den Spaniern die Meere und Gestade Westindiens zu einem Tummelplatze erbitterter Kämpfe, unter welchen ein Seeräuberstaat von ganz eigentümlicher, höchst romantischer Färbung großwuchs.

Wir meinen den Staat oder besser die Genossenschaft der Flibustier und Bukanier, deren Treiben eine der eigentümlichsten Episoden der Weltgeschichte bildet.

Der jüngere Sohn eines adligen Hauses der Normandie, d'Enambuc, ging 1625 mit einer Schar tapfrer Gesellen in einem kleinen Kriegsschiffe von Dieppe aus nach der neuen Welt unter Segel. Er landete nach einem blutigen Kampfe mit einer spanischen Galeone auf der Insel St. Christoph und setzte sich daselbst fest. Dies War der Anfang der Flibustiergesellschaft, die sich bald aus verzweifelten Männern verschiedner Nationen, vorwiegend jedoch aus der französischen rekrutierte, und einen unaufhörlichen Raubkrieg gegen die Spanier führte, welche ihrerseits in jedem einen Verbrecher sahen, der »außerhalb Spaniens das Licht der Welt erblickt und dennoch die Verwegenheit besaß, in die neue Welt einzudringen und die Gewässer zu befahren, die sie als zugehörig ansahen zu dem Erdstrich, welchen der Statthalter Christi ihnen geschenkt.« Eine Anzahl der verwegenen Abenteurer hatte sich der kleinen Insel La Tortue, unfern der Nordküste Haitis, bemächtigt und führte dort ein rohes Jägerleben, dessen Bedürfnisse besonders das nahegelegene, von wildgewordenen Schweinen und Rindern wimmelnde Gestade Haitis deckte. Sie erhielten den Namen Bukanier, denn das indianische Wort Bukan bezeichnete den Platz, wo die Jäger ihre Jagdbeute gemeinschaftlich dörrten und räucherten, oder auch den hölzernen Rost, der zu diesem Behufe aufgestellt wurde. In ihrer verhältnismäßig friedlichen und harmlosen Existenz von den Spaniern gestört, vergalten sie Feindschaft mit Feindschaft und nahmen das Piratenhandwerk mit neuer Lust und Energie wieder auf. Sie bedienten sich zur Ausübung desselben meistens offener, schnellsegelnder Boote, von deren Namen ( Fly-boat, Flybot) die Benennung Flibustier herzuleiten ist. In ein Fahrzeug dieser Art zusammengedrängt, trotzten sie Tag und Nacht auf hoher See und in den verworrenen Klippenlabyrinthen der Antillen dem Hunger und den Stürmen, und gingen jedem spanischen Fahrzeug, welches sie zu Gesicht bekamen, unbedenklich zu Leibe, gleichviel, ob es zu den größten und bestbewaffneten gehörte oder nicht. Mit tollkühnster Verwegenheit und zugleich mit ruhigster Berechnung ruderten sie auf den Feind heran, um ihn zu entern. Eine einzige, wohlgezielte Lage desselben mußte sie vernichten; allein sie kehrten dem Gegner immer nur den Schnabel ihrer Pirogue zu, und dann unterhielten ihre nie fehlenden Büchsenschützen auf die Stückpforten des angegriffenen Schiffs ein so wirksames Feuer, daß eine gehörige Bedienung der Kanonen desselben fast zur Unmöglichkeit wurde. Gelang ihnen vollends die Enterung, und hatten sie einmal auf dem feindlichen Verdeck festen Fuß gefaßt, so warfen sie mit unwiderstehlichem Anprall alles vor sich nieder. Gewöhnlich hatten die Überwundenen ihre Niederlage mit dem Leben zu bezahlen, denn die Flibustier gaben ebenso wenig Pardon, als sie solchen empfingen. Das Hauptziel ihrer Angriffe waren und blieben fortwährend die spanischen Silberflotten, welche, mit der Ausbeute der Minen Amerikas beladen, die Fahrt nach Europa antraten. Zur Bergung der gemachten Beute, zur Ausbesserung der Waffen und Schiffe, wie zu wildrauschendem Lebensgenuß nach Ertragung furchtbarer Strapazen boten die Schlupfwinkel der Bukanier geeignete Gelegenheit. Bukanier und eigentliche Flibustier bildeten daher eine Art Kompanie unter dem Namen der Küstenbrüder. Ihr unüberwindlicher Mut, ihr festes Zusammenhalten, ihre treffliche Übung in den Waffen und in allen Zweigen des Seelebens machten sie den Spaniern so furchtbar, daß sie von diesen für Leute, die mit Satan einen Pakt geschlossen hätten, ja geradezu für Teufel selbst gehalten wurden.

Ihr Haupttummelplatz war und blieb Westindien, doch dehnten sie ihre Unternehmungen auch weiter nach Süden und Norden aus. Ihr Hauptwaffenplatz war La Tortue, wo der Gefährte d'Enambucs, der Hugenott Levasseur, ein starkes Fort angelegt hatte. Von hier aus beherrschte er dreizehn Jahre lang die Küstenbrüderschaft mit unumschränkter Machtvollkommenheit, bis er von seinem Adoptivsohn, dessen Geliebte er verführt hatte, ermordet wurde. Die Kämpfe, welche nach seinem Tode zwischen den Spaniern und Flibustiern um den Besitz von La Tortue gefochten wurden, können sich an Reiz des Abenteuerlichen mit allem messen, was je die Phantasie romantischer Dichter derartiges ersonnen. In dieser Fehde, sowie vorher und nachher trat unter den Küstenbrüdern eine Reihe von Helden auf, deren Taten würdig wären, von einem großen Poeten besungen zu werden. War ja doch jene Periode recht eigentlich das Heroenzeitalter der neuen Welt. Das Unwahrscheinlichste, ja geradezu unmöglich Scheinendes ward vollbracht. Der Flibustierkapitän Michel Basque griff ein mit einer Million Piaster beladnes Schiff der spanischen Silberflotte unter den Kanonen von Porto Bello an und nahm es wirklich. Ein andrer Flibustierheld, Pierre le Grand, enterte mit nur achtundzwanzig Gefährten die Galeone des spanischen Admirals, nachdem er in das eigne Fahrzeug ein Loch gehauen, um seinen Leuten nur die Wahl zwischen Sieg oder Tod zu lassen. Den gefürchtetsten Namen aber machte sich ein Franzose aus Languedoc, Montbars geheißen, welchen ein edler Rachegedanke unter die Flibustier geführt. Er hatte als Knabe von den unerhörten Grausamkeiten gehört und gelesen, welche die Spanier an den Ureinwohnern von Westindien geübt hatten. Eine unauslöschliche Flamme des Hasses loderte in seinem jungen Herzen auf, und als er vernahm, daß die Flibustier die unerbittlichsten Bekämpfer der Spanier seien, beschloß er, in die Küstenbrüderschaft zu treten, um seiner Rachelust Genüge zu tun. Bald wurde er der Schrecken der westindischen Meere, und die Spanier gaben ihm den wohlverdienten Namen »der Vertilger« (el Exterminador).

Es hatte den Anschein, als sollte durch die Energie der Küstenbrüder in der neuen Welt ein mächtiges Neufrankreich gegründet werden, besonders dann, als durch sie die Kolonisation von Haiti (S.-Domingo), als deren eigentlicher Begründer Bertrand Dogeron anzusehen ist, einen glänzenden Aufschwung nahm. Allein die Zeit rechtfertigte diese Annahme nicht, und die Erfahrung hat gezeigt, daß die Franzosen einem so schwierigen Werke, wie die Kolonisation fremder Länder ist, auf die Dauer nicht gewachsen sind. Sie haben alle ihre Eroberungen und Kolonien in Amerika, geringfügige Ausnahmen abgerechnet, wieder eingebüßt, während die anglo-germanische Rasse dort einen Staat gründete, welcher den Willen und die Kraft hat, über den ganzen transatlantischen Kontinent sich auszudehnen, weil eine große Idee ihn beseelt. Dem Flibustiertum fehlte eine solche Beseelung. Meteorgleich, wild und Prächtig war es aufgeflackert; bevor das siebzehnte Jahrhundert zu Ende ging, hatte es seine Bedeutung verloren. Den Glanzpunkt seiner Geschichte aber bildet ein Unternehmen, auf das wir im Laufe unsrer Erzählung, deren Faden wir nach dieser langen historischen Abschweifung wieder aufnehmen, zurückkommen werden.


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