Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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10.

Mit dem Saum des Kleides streif' ich
Immer an des Freundes Duft,
Aber mit den Blicken greif ich
Ach, vergebens durch die Luft.
Mir so nah! und nicht begreif' ich,
Wie er mir so fernher ruft!
Die Gedanken
Stehn und schwanken
An der ungeheuren Kluft.
Dschelaleddin Rumi.

Im Wildesten Dickicht, wo die Dämmerung schon in die Schatten der nahenden Nacht überging, hielt die Indianerin an, kehrte sich gegen ihren Begleiter und sah ihm schweigend ins Gesicht.

Es lag eine unbeschreibliche Mischung von Überraschung und Freude, Beklemmung und Schmerz in diesem Blicke. »Ich sehe,« sagte der Trapper in der Sprache ihres Volkes zu ihr, »ich sehe, meine Tochter hat noch nicht gelernt, ihre Ohren den Stimmen ihrer Freunde zu verschließen.«

»Hih-lah-dih,« lautete die Antwort des Mädchens, »weiß die Stimme Matos von der des Vogels der Nacht zu unterscheiden. Es war gut, daß die jungen Squaws nur auf ihr Spiel achteten; sie hätten sonst merken müssen, daß etwas Fremdes in den Wäldern. Der Whish-ton-wish singt nicht zu dieser Jahreszeit.«

Die reine Quelle bemühte sich, in ihrer Haltung und Sprache die ruhige Fassung darzulegen, welche ihr Volk in so hohem Grade auszeichnet. Allein die Natur, die allgewaltige, sprengte sogleich die Bande dieser erkünstelten Zurückhaltung.

Sie machte zwar noch eine Anstrengung, ihr Gefühl zu bemeistern, dann aber faßte sie leidenschaftlich die Hände des alten Jägers und sagte mit tränenden Augen, fliegendem Busen und halberstickter Stimme:

»Das Goldhaar – er ist gefangen im Lager des Sachems – der Tod schwebt über ihm!«

Dieser Ausbruch von Hih-lah-dihs Schmerz offenbarte dem Greis die Beschaffenheit der Gefühle, welche die Tochter der Wälder für seinen Adoptivsohn hegte. Es war ein so rein menschlicher Schmerzenslaut, die abgemagerten Wangen des Mädchens gaben eine so rührende Erläuterung zu demselben, daß der gute Willem vom innigsten Mitleid ergriffen wurde.

»Armes Kind,« murmelte er, die Hände des Mädchens in den seinigen drückend, »also auch du leidest unter dem allgemeinen Unglück dieser bösen Tage, leidest doppelt und dreifach, und ich weiß nicht, was ich dir zum Troste sagen könnte. Was sollen da überhaupt Worte? – Aber,« fuhr er lauter fort, »meine Tochter sagt, der Tod schwebe über Thorkil – er muß gerettet werden!«

»Gerettet werden? O, er muß gerettet werden, mein Vater spricht wahr – aber wie soll er gerettet werden? Hih-lah-dih ist unklug, sie weiß es nicht. – Der Sachem ist grimmig und sein Zorn ein fressendes Feuer, das nichts löscht. – Das Goldhaar beschuldigte Metakom, er hätte den Skalp seines Vaters genommen. Nun will der Sachem auch den Skalp des Goldhaars nehmen. – Der Manitu hat sein Angesicht verhüllt vor seinen roten Kindern, und die Powows sagen, er hätte dem Ochkih-Häddäh Macht gegeben über unser Volk, bis sein Zorn gesühnt werde durch ein großes Opfer.«

Diese rasch hervorgesprudelten Worte enthielten namentlich in ihrer letzten Wendung etwas, das die Bekümmernis des alten Jägers zu verschärfen sehr geeignet war. Denn er war mit der Denkungsart, den Sitten und Bräuchen der Eingeborenen zu bekannt, um nicht zu wissen, daß ihre Religion, so tolerant, ja indifferent sie in ihrer Unbestimmtheit gewöhnlich war, dennoch unter Umständen den fanatischen Charakter aller übrigen Religionen annehmen konnte. Daß aber religiöser Fanatismus das Erbarmungsloseste sei, was es auf der Welt geben könne, das hatte Groot Willem bitter genug erfahren, um nicht für Thorkil mehr als je zu fürchten. Sein Nervensystem war indessen das eines alten Grenzkriegers, das heißt, er wußte seine Empfindungen vollkommen zu beherrschen.

»Meine Tochter spricht von einem Opfer, einem großen Opfer,« sagte er, »ich verstehe sie nicht.«

»Mato ist ein weiser Krieger,« versetzte das Mädchen, »er wird Hih-lah-dih verstehen, wenn sie sagt, daß die Powows drei Tage und drei Nächte in der Medizinhütte gefastet und dann den Ausspruch getan haben, der Manitu heische ein Opfer und das Goldhaar solle dieses Opfer sein und der Mann, welchen die Blaßgesichter den brüllenden Tom nennen, solle das Opfer schlachten.«

»Vermaledeite Teufelei! Kind, das ist nicht der Wille des guten Geistes, sondern grausamer Menschen, die vom Ochkih-Häddäh, wie ihr ihn nennt, getrieben werden.«

»Hih-lah-dih glaubt das auch, und sie hat es ihrem Bruder, dem Sachem, in die Ohren geflüstert, aber Metakoms Herz ist zu Stein geworden, seit die Blaßgesichter seine Lieblingssquaw Mongschongschah und ihren Knaben gefangen genommen haben.«

»Wie, die sich beugende Weide und ihr Knabe, der einzige Sohn des Häuptlings, sind den Leuten meiner Farbe in die Hände gefallen?«

»Ja. Es war, als der Stamm von den Flüssen herab nach Montaup zog. Die Späher des Sachems sagen, die Blaßgesichter hätten die gefangene Mongschongschah getötet.«

»Schmach über sie, wenn das wahr ist. Ein gefangenes Weib töten? Niederträchtig! Ich hoffe um der Ehre meiner Farbe willen, daß es nicht geschehen sei.«

»Warum soll es nicht geschehen sein? Blaßgesichter alles töten, Krieger, Squaws, und Papuse, wollen armes rotes Volk vertilgen vom Boden unserer Väter. Naragansetterstamm verbrannt worden in seinen Wigwams in Squaw-Sonk, großer Sachem der Naragansetter ermordet worden von Pequodenhunden.«

»Rede mir nicht davon, Mädchen, rede mir nicht davon! Es war eine schmähliche Untat. – Sprich mir lieber von Thorkil. – Du hast ihn gesehen und mit ihm geredet, nicht? Ist er gesund und aufrecht?«

»Das Goldhaar ist in den Höhlen des großen Steins verwahrt, wo auch der Häuptling des Donnerkanoes und der silberhaarige Häuptling und sein Sohn und Lovely –«

»Was ist's mit Lovely? Was ist's mit dem armen Kind?«

Ein peinliches Gefühl schnürte die Brust der Indianerin zusammen, als sie ihrer Nebenbuhlerin gedachte, allein der Edelmut ihres Wesens gewann sogleich wieder die Oberhand.

»Hih-lah-dih,« sagte sie aufatmend, »hörte einmal den Hahdoh-Manitu sagen, der Manitu der Blaßgesichter habe um sich eine unzählbare Schar guter Geister, welche in der Sprache von meines Vaters Volk Engel genannt werden. Hih-lah-dih denkt, ihre Blaßgesichtschwester Lovely einer von diesen Engeln sein.«

»Du selber bist ein Engel des guten Gottes, Kind,« versetzte der Greis tief gerührt. »Aber wie ist's mit meinem Jungen? Wie ist's mit Thorkil?«

»Hih-lah-dih sah ihn, als Annawon ihn und den Häuptling des Donnerschiffes und Lovely ins Lager brachte; seither sah Hih-lah-dih das Goldhaar nicht mehr mit Augen, aber immer sehen den jungen Jäger mit Herzen, immer, immer!«

So sprechend barg sie errötend das Gesicht mit den Händen, und große Tränen quollen zwischen ihren Fingern hervor.

»Ja, immer ihn sehen mit Herzen,« fuhr sie leise weinend fort, »hören mit Herzen, fühlen mit Herzen und doch wieder glauben müssen, das Goldhaar sei weiter von Hih-lah-dih weg, als der große Salzsee breit ist,«

»Glaube das nicht, Kind. Ich weiß, Thorkil hat dich lieb wie eine Schwester.«

»Wie Schwester, ja, doch Lovely – aber sie ist weiß, weißer als die Blüte der Wasserlilie, und er ist auch weiß – Lovely wird ihm nähen sein Jagdhemd, ihm rösten sein Wildbret, Lovely wird sein bei ihm in Wigwam, Lovely wird ihm – doch Hih-lah-dih ist rot, ist armes Indianermädchen, ihm nur sein kann Schwester.«

Sie verstummte und fügte nach einer Pause mit gewaltsamer Fassung hinzu:

»Hih-lah-dih ihm sein will Schwester, treue Schwester; er Blaßgesichtbruder, sie Rothautschwester: so es wollen Manitu.«

»Das ist ein frommes Wort, wenn ich je ein solches vernommen habe, entgegnete der Trapper. »Ja, ein gutes und frommes Wort ist es, meine Tochter, und Gott segne dich dafür! – Aber meine Tochter höre mich und beachte meine Rede. Ich bin hierher gekommen, das Goldhaar zu befreien. Wird Hih-lah-dih mich verraten?«

»Verraten? Mein Vater kennt seine Tochter nicht.«

»Doch, er kennt sie und gesteht, daß seine Frage eine unstatthafte und einfältige war.«

»Hih-lah-dih wußte, daß Mato kommen würde, dem Goldhaar zu helfen. Als er so lange zögerte, fürchtete sie, er wäre in die glücklichen Jagdgründe gegangen.«

»Ei, was das betrifft, Mädchen, so lag es weder an mir noch an den Nipmuken, daß es nicht geschah. Ich war arg in der Klemme, Död und Duivel! höllisch arg – doch sage mir: wie steht dein Volk zu dem Häuptling des Donnerschiffes?«

»Rote Krieger lassen die Squaws nicht unter ihnen sitzen am Ratsfeuer.«

»Wohl, wohl, ich weiß das, Kind. Aber Hih-lah-dih ist klug, sie kann mir sagen, ob der Wampum der Freundschaft zwischen ihrem Volk und dem Häuptling des Donnerschiffes, welcher Wampum, vermut' ich, durch die Vorgänge beim Fort Tabor etwas gelockert oder gar zerrissen worden sein mag, wieder fest geknüpft wurde.«

»Hih-lah-dih hat eine Stimme raunen hören, Metakom hätte dem Sachem des Donnerkanoes angeboten, das Kalumet mit ihm zu rauchen und silberhaarigen Häuptling von jenseits des Salzsees und Lovely und Vater von Lovely freizugeben, wenn der Sachem des Donnerkanoes seine Krieger aus großem Schiff herbeirufen wollte, um vereint mit Wampanogen den Tomahawk gegen die Blaßgesichter zu erheben.«

»Ah, das ist ein Stück indianischer Klugheit. Aber wie nahm der Häuptling des Donnerbootes den Antrag auf?« »Nicht gut, er sagen Metakom harte Worte, viel harte. Die Squaws im Lager flüstern, der Sachem des Donnerkanoes sei voll Zornmut, und flüstern auch, das daher rühren, daß meiner Blaßgesichtschwester Vater dem Sachem des Donnerkanoes böse, zornige Worte ins Gesicht geworfen.«

»Ha, er hat den Kapitän erkannt ohne Zweifel, und weder die Jahre noch das Unglück scheinen den starren Sinn des Mannes gemildert zu haben. Ja, diese Puritaner tragen statt des Herzens die schwarze Bibel in der Brust. Doch lassen wir das. – Meine Tochter sprach von einem großen Opfer, welches stattfinden würde. Wann ist der Tag?«

»Morgen.«

»Morgen schon?«

»Morgen bei Sonnenaufgang wird die Medizinhütte geöffnet und werden die jungen Krieger der großen Blutprobe unterworfen werden, um die Wolke vom Angesicht des Manitu zu vertreiben. Wenn Wolke nicht weichen, dann –«

»Dann?«

»Das Goldhaar –«

»Ich verstehe dich, Mädchen, aber mein Roer soll ein Wort darein sprechen und müßte ich tausend Leben verlieren. – Aber halt – ha, gut, daß mir das einfällt! Warum dachte ich nicht früher daran? – Höre, Kind, liegt dir daran, daß Thorkil gerettet werde?«

»Warum so fragen armes Indianermädchen?«

»Wohl, aber würdest du etwas tun und wagen, um Thorkil zu retten?«

»Alles, was Hih-lah-dih können. Aber was können schwache Squaw? Sie nur ihr Leben haben.«

»Es bedarf dieses Opfers nicht. Es bedarf nur einer verstohlenen Kanoefahrt in die Salzsee hinaus, diese Nacht. Es ist keine Gefahr dabei, der Mond wird scheinen, und das Meer ist ruhig bei dieser Windstille.«

Bevor die Indianerin antworten konnte, hörte man durch das Walddüster die Stimmen der Mädchen vom Flusse herüber, welche nach Hih-lah-dih riefen und sich zu nähern schienen.

»Was will mein Vater sagen?« fragte die Gerufene. »Nicht gut, wenn junge Squaws uns hier finden.«

»Freilich nicht. Aber höre. Unserer Abrede mit Ih-nis-kin zufolge muß das Donnerschiff unfern von dieser Landzunge kreuzen. Meine Tochter versuche heimlich, es zu finden. Mehr brauche ich nicht zu sagen. – Du hast mich verstanden, Kind?«

Die Stimmen der rufenden Mädchen klangen näher und lauter.

»Hih-lah-dih versteht, was mein Vater will. Sie wird auf dem Salzwasser nach dem Donnerkanoe spähen und die Botschaft Matos an Ih-nis-kin bestellen.«

So sprechend winkte die Indianerin dem Trapper ein hastiges Lebewohl und eilte durch das dunkle Baumlabyrinth dem Flusse zu.

Der Greis sah ihr nach, bis ihre Elfengestalt zwischen den Stämmen verschwunden war, und schlug sich dann seitwärts ins Gebüsch.


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