Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4.

Und Og, der König zu Bajan, zog
aus, uns entgegen, mit seinem ganzen
Volke zu Edrei zu streiten.
Deuteronomion, 3, 1.

Die Streifpartei, welche der tapfere Kapitän in die umliegenden Wälder geführt hatte, kehrte nach Einbruch der Nacht zurück, ohne daß ihre Nachforschungen irgend welches Resultat von Bedeutung gehabt hätten. Zwar die Spur Annawons war in südlicher Richtung weithin auf beiden Ufern des Baches verfolgt worden, allein der Wilde hatte einen zu großen Vorsprung, als daß von einem Einholen desselben hätte die Rede sein können. Außerdem wurde von den ihrem Geschäfte durchaus gewachsenen Männern keins jener verdächtigen Zeichen bemerkt, aus welchen die Anwesenheit eines Feindes in den Wäldern gefolgert werden konnte. Standish erklärte daher bei seiner Rückkehr seinem Wirte mit vollkommener Überzeugung, daß die Erscheinung Annawons vorerst wohl weiter nichts zu bedeuten hätte als die trotzige Absicht eines ehrsüchtigen Kriegers, den Aberglauben seiner Landsleute zu seinen Gunsten auszubeuten.

Diese Ansicht eines im Waldkriege so erfahrenen Mannes beruhigte den Richter nicht wenig und es gereichte ihm zu stiller Freude, nun mit seinem ganzen Sinnen und Denken den feierlich ernsten Betrachtungen des morgigen Sabbats sich überlassen zu können, um so mehr, da er vor der Zurückkunft des Kapitäns eine ungestörte Sabbatsfeier kaum zu hoffen gewagt hatte. Seine Besorgnisse waren nämlich durch Lovely, deren Heimkunft kurz nach Standish' Weggang in den Wald erfolgte, um ein Bedeutendes vermehrt worden. Das Mädchen hatte ihm mit der ganzen Offenherzigkeit ihres Wesens ihr Abenteuer mit der Indianerin erzählt und in ihrem Berichte nur einen Punkt ausgelassen, den schmerzlichen Moment, wo ihr die Eifersucht der jungen Wilden die Beschaffenheit ihrer Gefühle für Thorkil Wikingson geoffenbart. Ihre Verschämtheit konnte es nicht über sich bringen, auch nur den Namen des so eifrig um sie und die Ihrigen besorgten Warners auszusprechen, und sie begnügte sich, denselben dem Richter gegenüber mit dem indianischen Namen »das Goldhaar« zu bezeichnen. Auch des alten Trappers erwähnte sie, wie Hih-lah-dih getan, nur als des »grauen Bären«, allein gerade diese Benamsung, deren Bedeutung er aus Blackstones Mitteilungen kannte, machte den Richter stutzig. Er wußte nicht, in welchen Beziehungen der graue Bär und das Goldhaar zu Lovely und den Ihrigen standen, denn Groot Willem und sein junger Begleiter hatten wie zur Belohnung der Dienste, welche sie den Flüchtlingen geleistet, das Versprechen gefordert, dem Richter das Zusammentreffen mit ihnen zu verschweigen, und dieses Versprechen war gegeben und streng gehalten worden. Da aber nichts Inquisitorisches in seiner Natur lag, so beschränkte er sich darauf, anzunehmen, die verfolgten Wanderer müßten bei ihrer Flucht von Konnektikut her irgendwo mit Groot Willem zusammengetroffen sein, zu welchem er in einem entschieden feindlichen Verhältnisse stand, das später von unserer Seite eine nähere Beleuchtung erfahren soll.

Der Richter teilte das von Lovely Gehörte dem Kapitän mit, und dieser nahm sich vor, am nächsten Morgen selber mit dem Mädchen zu sprechen, um eine Sache, welche für das Gemeinwohl der Kolonien von vielleicht nicht geringer Bedeutung sein konnte, womöglich mehr aufzuklären.

Die Nacht vom Sonnabend auf den Sabbat verfloß für das Haus des Richters sowohl als für das ganze Dorf in vollkommener Ruhe. Der Sonntagsmorgen stieg klar und schön über die Wälder herauf. Eine feierliche Stille herrschte in der ganzen Ansiedlung, denn nicht nur ruhten alle Geschäfte, sondern die Bewohner enthielten sich sogar jeder lauten Äußerung, und hielten sich auch die Kinder gleich den Erwachsenen still in den Häusern, bis die Stunde zum Kirchgange gekommen wäre. Einige Bewegung, um nicht zu sagen Geschäftigkeit, war jedoch auf dem Hof von Eatons Hause wahrzunehmen. Standish hatte nämlich bei dem Hausherrn zweierlei durchgesetzt, erstlich, daß das wohlgelegene und verpalisadierte Haus, welches der Ansiedlung gleichsam als Zitadelle diente, auf alle Fälle hin einigermaßen in Verteidigungszustand gesetzt würde, und zweitens, daß Blackstone von der Strenge der Sabbatsfeier im puritanischen Sinne freigesprochen und beauftragt werden sollte, seinen Botenritt weiter nach den ostwärts gelegenen Ansiedlungen hin fortzusetzen. Der Richter hatte zwar gegen beide Wünsche eifrige Einwendungen erhoben, denn die Zucht der kirchlichen Gemeinschaft, deren Mitglied er war, rechnete das Reisen in weltlichen Geschäften am Sabbat durchaus zu den unerlaubten Dingen und schrieb überhaupt eine Enthaltsamkeit von körperlicher Tätigkeit vor, wie sie nur von den strengsten Befolgern der mosaischen Gesetze beobachtet werden konnte und kann. Indessen war die Notwendigkeit, die Ansiedlungen gegen die Meeresküste hin zur Wachsamkeit aufzufordern und einstweilen auch an Ort und Stelle selbst gegen alle Möglichkeiten einiges vorzukehren, denn doch zu gebieterisch, als daß nicht eine Abweichung von dem Buchstaben der kirchlichen Satzungen statthaft befunden worden wäre.

So sattelte denn der alte Blackstone bei Sonnenaufgang seinen Bukephalos, und Standish stand ihm bei diesem Geschäfte bei, indem er ihm zugleich Aufträge für diese oder jene Ansiedlung erteilte, welche der Einsiedler im Laufe des Tages zu berühren hoffen konnte.

»Tätet Ihr nicht besser, Vater Blackstone,« fragte der Kapitän, »statt des langsamen wunderlichen Tieres da eins von des Richters Pferden zu nehmen?«

»Nein, Sir, nein. Erstlich sind Bukephalos und ich zu vertraut miteinander, als daß wir uns ohne Not trennen sollten; zweitens ist Bukephalos keineswegs so langsam, als Ihr zu glauben scheint, und kommt in den Wäldern, wo man ohnehin selten galoppieren kann, wohl so schnell vorwärts wie ein Gaul; drittens könnte es einer herumlungernden Rothaut, falls sie den alten Blackstone auf einem der hübschen Pferde des Richters einherstolzieren sähe, trotz aller Freundschaft der Heiden gegen mich einfallen, mich vom Kavalleristen zum Infanteristen zu degradieren, das heißt, mir das Roß zu stehlen, während der gute Bukephalos bei Leuten, die seine Tugenden nicht kennen, schwerlich derartige Raubgedanken erregen wird.«

»Gut, gut, aber ist Eure Büchse in Ordnung, und seid Ihr mit Munition versehen?«

»Laßt Euch sagen, Kapitän, daß ich, obgleich ein ordinierter Geistlicher, niemals zur streitenden Kirche gehört habe und all mein Lebtag mit Kampf und dergleichen Teufeleien nichts zu tun haben mochte. Meine alte rostige Donnerbüchse wurde noch nie auf ein menschliches Wesen angelegt und soll es auch nie werden. Sollte mir ein unhöflicher Bär oder Wolf in die Quere kommen, so hab' ich für den eine Kugel im Rohre und mehr braucht's nicht. Sollte ich aber auf feindlich gesinnte Indianer stoßen, so wird mir, hoff' ich, mein Ruf als Mann des Friedens nützlicher sein, als mir ein Dutzend der besten Büchsen und ein wohlgefüllter Munitionswagen sein könnten.«

Der Fortgang des Gesprächs wurde hier durch Lovely unterbrochen, welche aus der Tür des Hauses trat und die beiden Männer, nachdem sie ihnen den Morgengruß geboten, mit den Worten ansprach:

»Der Richter läßt Master Standish und Master Blackstone einladen, an der Morgenandacht teilzunehmen, zu welcher die Bewohner des Hauses soeben sich versammelt haben.«

Blackstone hatte das schöne Mädchen, welches zu sehen er gestern zufällig keine Gelegenheit gehabt, mit Erstaunen herankommen sehen und sah jetzt der sich wieder Entfernenden verwundert nach.

»Wie ist mir denn?« sagte er lebhaft. »Welche wunderbare Ähnlichkeit! Wer ist dieses Mädchen, Kapitän?«

»Die Tochter eines alten Freundes von Eaton, welcher sie in sein Haus aufgenommen hat und adoptieren will. Aber von welcher Ähnlichkeit sprecht Ihr?«

»Von welcher Ähnlichkeit ich spreche? Ei nun, von der, welche dieses Mädchen mit der fremden Lady hat, die neulich meine Siedelei besuchte.«

»Sprecht Ihr im Ernst?« fragte der Kapitän, ungewöhnlich bewegt.

»Warum sollt ich nicht? Es ist zwischen den beiden eine wunderbare Ähnlichkeit in Haltung, Gang und Zügen. Nur die Farbe der Augen und der Haare ist verschieden.«

»Wir müssen nachher noch ein Wort darüber sprechen,« sagte der Kapitän, nach dem Hause vorangehend. »Jetzt kommt, unser Freund liebt es nicht, bei solchen Gelegenheiten zu warten.«

Eine nähere Schilderung der Morgenandacht, zu welcher der Kapitän und Blackstone die ganze Hausbewohnerschaft in einem umfangreichen niedrigen Gemache des Erdgeschosses versammelt fanden, dürfte kaum von Interesse sein. Eaton hielt dergleichen fromme Übungen Tag für Tag beim Aufgang und Untergang der Sonne ab. Er las dabei ein Stück aus der Bibel und wählte, seinem grüblerischen Sinne gemäß, meistens die dunkeln orakelhaften Visionen und Reden der Propheten des alten Testamentes, welche er mit Kommentaren begleitete, wie sie der finstern calvinistischen Theologie jener Zeit eigentümlich waren, und wie sie von den Puritanern mit größter Begierde und Andacht gefordert und angehört wurden. Heute schloß er seine Exegese mit einem langen Gebet, einem unmittelbaren Ergusse seines Gemütes, in welchem viele mehr oder weniger dunkle Winke über eine bevorstehende Heimsuchung und Trübsal der Kinder Israel vorkamen und welchem das versammelte Gesinde mit großer Zerknirschung lauschte. Eigentümlich war bei dieser Szene auch die äußerliche Haltung der Anwesenden. Alle standen aufrecht, die Frauen mit leicht unter der Brust gefalteten Händen, die Männer dagegen meist ohne diese Gebärde der Andacht, denn der Puritanismus ging in seiner Verwerfung alles dessen, was er götzendienerische Werke nannte, so weit, daß er das Kniebeugen beim Gebete entschieden verwarf und das Händefalten beim weiblichen Geschlechte mehr duldete als forderte.

Ernst und stumm verließen die Knechte und Mägde nach Beendigung der Erbauungsstunde das Gemach. Erstere schritten voran unter Vortritt eines alten Dieners des Hauses, welcher mit dem Richter schon die Mühsale der ersten Ansiedlung in Swanzey geteilt hatte; letztere ließen mit der fast peinlichen Förmlichkeit, welche die Bewohner der Kolonien von Neuengland von jeher ausgezeichnet hat, Lovely den Vortritt; denn Eaton hatte vor wenigen Tagen erklärt, daß das schöne und sanfte Mädchen in allen Stücken als seine Tochter anzusehen sei.

Der Richter verabschiedete sich darauf von Blackstone und begleitete denselben zum Bukephalos, welcher sich sofort mit seinem Reiter in Bewegung setzte. Standish schien noch etwas auf dem Herzen zu haben, was er gern dem Alten mitgeteilt hätte. Er schloß sich daher dem Abreisenden an, um demselben, wie er sagte, einen Büchsenschuß weit das Geleite zu geben. Allein er wurde an diesem Vorhaben verhindert durch den greisen Obededom, welcher herbeikam mit der Bitte, der Kapitän möchte die Anordnungen übernehmen, welche die Aufstellung des Geschützes erheischte.

Das Wort Geschütz klang dem »kleinen Feuerspeier« zu lockend in die Ohren, als daß er darob für den Augenblick nicht alles andere hätte vergessen sollen, und so sagte er dem wegreitenden Einsiedler ein rasches Lebewohl und folgte dem alten Knechte quer über den Hofraum zu dem Schuppen, wo das Geschütz aufbewahrt wurde. Unter diesem vielsagenden Wort hat man sich jedoch nicht etwa eine ganze Batterie von Kanonen vorzustellen, sondern der Geschützvorrat von Swanzey beschränkte sich auf ein einziges Stück, auf eine plumpe Feldschlange von mäßigem Kaliber, auf einer ungeschlachten Laffette befestigt und nach Art einer sogenannten Drehbasse so eingerichtet, daß die Mündung mit nicht allzu vieler Mühe nach verschiedenen Seiten gewendet werden konnte.

Der Kapitän betrachtete die Maschine mit kundigem Auge und faßte das Resultat seiner Untersuchung in die Äußerung zusammen:

»In einem wohlgeordneten regelrechten Treffen oder bei Abwehr einer Bestürmung des Hauses durch disziplinierte Truppen würde das alte Ding da eine schlechte Rolle spielen; auf einen Trupp nackter Wilden mit der gehörigen Umsicht abgebrannt, kann es aber noch erkleckliche Dienste leisten.«

Dann befahl er den stämmigen Leuten des Richters, das Geschütz auf den Hofraum zu fahren, und ging an die Palisaden, welche denselben einschlossen, um eine passende Stelle zur Aufpflanzung des »alten Dinges« auszusuchen. Es war bei Anlage der einfachen Befestigung für eine solche Stelle gesorgt worden, und der Kapitän fand sie auch alsbald heraus. Die Terrasse, auf welcher das Haus stand, war gegen das Dorf hinunter mit einer Art von Bastei versehen worden, von welcher aus die Drehbasse den Weg, der vom Dorfe zum Hügel herausführte, seiner ganzen Länge nach bestreichen, sowie den Haupteingang der Palisadenreihe beherrschen konnte. Hierher wurde nun die Feldschlange samt ihrem Munitionskasten gebracht, abgeprotzt und zu augenblicklichem Gebrauche fertig gemacht.

Über diesem Geschäfte war der Morgen vorgerückt, ohne daß Standish Zeit gefunden hätte, seinem Vorsatze gemäß mit Lovely über ihr gestriges Abenteuer zu reden. Auch jetzt fand er hierzu keine Gelegenheit, denn die kleine Glocke des Versammlungshauses gab das Zeichen zum Beginn des vormittäglichen Gottesdienstes. Diesem Rufe durfte sich niemand entziehen, es sei denn, daß schwere Krankheit oder eine dringende Verrichtung im Dienste der Gemeinde eine Ausnahme gestattete. Der Kapitän wußte sehr wohl, daß er in Swanzey um allen Kredit gekommen wäre, wenn er sich hätte von der andächtigen Versammlung ausschließen wollen. Indessen brachte er es mit einiger Mühe zuwege, daß Eaton dem alten Obededom aufgab oder vielmehr gestattete, als Wächter in dem Hause zurückzubleiben, dessen übrige Bewohner sämtlich im Hofe sich sammelten, um dem Hausherrn zur Kirche zu folgen.

»Ich gestehe Euch, Freund,« sagte der Kapitän zu dem Richter, welcher in seinem feiertäglichen schwarzen Gewande aus der Tür des Hauses trat, »ja, ich gestehe Euch, daß die Erscheinung der Indianerin im Walde und mehr noch die des höllischen Annawon mir bleischwer in den Gliedern liegt. Mir ist, als wittere ich Unheil. Gestattet mir, daß ich mit Miß Kordelia, bevor wir ins Dorf hinabgehen, hinsichtlich des ersterwähnten Umstandes ein Wort rede.«

»Kapitän,« lautete die Antwort des starren Puritaners, »Ihr wißt, daß dem heutigen Tage schon allzu viele Stunden durch weltliche Geschäfte entzogen worden sind. Es geziemt mir aber, mit meinen Leuten der erste und nicht der letzte zu erscheinen an dem Orte, wo wir uns mit ganzer Seele vor dem Herrn demütigen sollen, daß er die Wucht seines zur Züchtigung über uns ausgestreckten Armes mäßigen möge. Es wäre unrecht, durch Zögern ein übles Beispiel zu geben. Daher kommt jetzt mit mir, und nach Beendigung unserer sabbatlichen Andacht wird Lovely bereit sein, Eure Fragen zu beantworten.«

Der Richter winkte seinen Knechten, ihm zu folgen, und schritt mit Standish voran. Lovely folgte mit dem weiblichen Gesinde, und Obededom schloß die Palisadenpforte hinter dem kleinen Zuge, auf welchen zurückblickend der Kapitän, wie zu seiner Beruhigung, zu sich sagte: »Wenigstens haben die Männer ihre Waffen bei sich.«

Dies war jedoch nichts Ungewöhnliches, sondern etwas in den der indianischen Grenze naheliegenden Kolonien allgemein Bräuchliches. Wer in einer dieser Ansiedlungen während des sonntäglichen Gottesdienstes an einem der Versammlungshäuser vorbeiging, konnte in der Vorhalle die Feuergewehre der männlichen Bevölkerung an der Wand lehnen sehen, denn die Pilger der Wildnis mußten, während sie den Worten ihrer Prediger lauschten oder einen Psalm zum Lobe des Ewigen anstimmten, stets darauf gefaßt sein, das Kriegsgeschrei ihrer roten Nachbarn zu vernehmen.

Eaton bemerkte beim Eintritt in das Versammlungshaus nicht ohne Mißbehagen, daß die Gemeinde schon ziemlich vollständig versammelt und er demnach mit den Seinigen einer der letzten war, welche kamen, »den Durst der Seele an der Quelle des Heils« zu löschen. Er nahm aber sofort seinen Platz mit der Miene eines Mannes ein, welcher entschlossen ist, jetzt ganz und gar seine Gedanken vom Irdischen ab und höheren Regionen zuzuwenden.

Der monotonen Einfachheit und hölzernen Schmucklosigkeit der puritanischen Andachtshäuser entsprach völlig der Kultus, welcher innerhalb ihrer Wände geübt wurde, jener allem Schönen, Phantasievollen, Gemütlichen feindselige calvinistische Kultus, welcher das Herz anfröstelt. Allein diese finsteren Sektierer verwarfen alles Äußerliche mit einer Konsequenz, welcher man unbedenklich den Namen Barbarei geben darf. Sie wußten mit raffiniertem Ungeschmacke sogar ihrem Psalmengesang etwas Widerwärtiges zu geben, denn es war puritanischer Brauch, die Töne der Melodie auf garstige Weise durch die Nase hervorzuzwingen, zu dehnen und zu quetschen.

Standish, welcher diese Torheit schon oft im stillen verwünscht hatte, wurde angenehm berührt, als inmitten der schnarrenden Nasallaute, welche sein Ohr beleidigten, die rein und sonor aus der Brust kommende Altstimme Lovelys siegreich sich geltend machte, und er konnte sich nicht enthalten, einen Blick des Dankes und der Billigung nach der andern Seite der kleinen Kirche zu werfen, wo die fromme Sängerin in der Mitte einer Schar von Mädchen und Frauen stand, welche die ungeziert schöne Weise ihres Gesangs keineswegs nachahmten.

Als der einleitende Psalm verklungen, erschien Jeremia Makpherson, der Prediger von Swanzey, auf der Kanzel. Es war eine lange, dünne Gestalt mit kränklich blassem Gesicht, aus welchem zwei große feurige Augen wie Fackeln der Schwärmerei hervorleuchteten. Ein Schotte von Geburt, huldigte er der grüblerischen Theologie seiner Glaubensgenossen mit einem bis zur Extravaganz fortschreitenden Eifer, der aber ein achtungswerter, insofern er von allem Eigennutz frei war und aus der innigsten Überzeugung entsprang. Obgleich noch in jungen Jahren stehend, war er durchaus Asket und Verächter der »Eitelkeiten dieser Welt.« Er war bei seiner Gemeinde sehr beliebt, sowohl seines redlichen, wenn auch strengen Charakters als auch der Manier wegen, in welcher er das Wort Gottes verkündigte. Als echter Puritaner schöpfte er die Anregungen zu seinen seelsorgerischen Worten und Werken mit Vorliebe aus dem alten Testament, und seine Redeweise hatte sich durch fortwährendes Studium des großen Propheten, dessen Namen er trug, der Sprache desselben auffallend angenähert. Für heute glaubte er, angeregt durch ein Gespräch, welches er gestern mit Eaton gehabt, den passendsten Text für eine Predigt gefunden zu haben in jenem Kapitel des fünften Buches Mosis, dessen Anfangsworte wir diesem Abschnitt unserer Erzählung voranstellten. Er ging mit Wendungen, welche von nicht gemeiner Begabung zeugten, darauf aus, den in seinem Text berichteten Kampf der Israeliten gegen den König von Basan auf die schwierigen Verhältnisse seiner Gemeinde zu den roten Eingeborenen zu beziehen, und die regungslose Aufmerksamkeit, womit ihm seine Zuhörer lauschten, verriet deutlich, wie sehr sie trotz der orakelhaften Sprache ihres Predigers seine des längeren durchgeführte Vergleichung zwischen den Kolonien von Neuengland und Kanaan, zwischen den Kolonisten und den Kindern Israel, zwischen dem König Og und dem Sachem der Wampanogen verstanden und billigten. Das Gefühl der Wirkung seiner Worte teilte sich sympathisch dem Redner mit und befeuerte seinen Eifer noch mehr. Seine hagere, schmale Gestalt richtete sich auf, seine bleichen Wangen erglühten, als er in stundenlangem Vortrage sein gutgewähltes Thema nach allen Seiten hin variierte, um endlich zum Kulminationspunkte seiner Predigt zu gelangen, wo er mit prophetischem Aufschwunge den Sieg der Pilger der Wildnis über die abgöttischen Eingeborenen derselben verkündigte.

»Ja,« rief er aus, »der Herr, unser Gott, wird den König Og zu Basan in unsere Hände geben, samt seinem ganzen Volke, daß wir ihn schlagen und vernichten, daß nichts von ihm übrig bleibe. Sein Land werden wir gewinnen und alle seine Dörfer und all sein Vieh und all seine Habe, und schlagen werden wir mit des Schwertes Schärfe seine Männer, Weiber und Kinder.«

Er konnte diesen Ausbruch alttestamentlichen Ingrimms kaum vollenden, denn eine mächtigere Stimme unterbrach ihn vom Eingänge des Hauses her und rief mit Donnertönen in die Versammlung hinein:

»Zu deinen Gezelten, Israel! Der rote Heide kommt über dich!«


 << zurück weiter >>