Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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4.

O Namen gibt's, die mit Magie
Das Ohr berühren, die Erinnrung weckend.
Allston.
Wer sind die fremden Gäste wohl, so ungleich sich
An Farbe, Tracht, an Sprache und Gebärden?
Pierpont.

Wir haben oben erwähnt, daß um die innere Halle des uralten Bauwerks, in welchem unsre Wandrer zur Nachtherberge eingekehrt, ein niedrigerer Umgang herlief, welcher durch mehrere Türöffnungen mit jener in Verbindung stand. Diese Türen führten zu kleinen Gelassen, welche zur Zeit der Erbauung des tempelartigen Ganzen zur Aufbewahrung priesterlicher Gerätschaften oder auch zur Behausung der Geistlichen selbst gedient haben mochten. In diesen Räumen war den Gästen von ihren Wirten die Nachtruhe gerüstet worden, welche sie auf dem weichen Lager von Moos, Büffel- und Bärenfellen nicht lange zu erwarten brauchten.

Auch das junge Mädchen genoß mehrere Stunden der Nacht hindurch eines ununterbrochenen Schlafes, bis der Traum jenes rätselhafte Spiel mit ihrer Seele begann, das den Menschen auf so wunderbare, ja fast unheimliche Weise an die Zweiseitigkeit und Zerspaltenheit seines Wesens mahnt.

Leider vermögen wir den Erwartungen unsrer Leserinnen, welche sicherlich meinen, den Gegenstand von Lovelys Träumen zum voraus erraten zu können, nicht zu entsprechen. Nicht Jüngstgesehenes und Jüngsterlebtes warf seinen Reflex in die träumende Seele des Mädchens; in seiner launenhaften Willkür führte der Traum sie weit hinweg aus der Gegenwart und zurück in die Vergangenheit, weit hinweg aus der neuen Welt und zurück in die alte Heimat.

Sie tummelte sich wieder, ein fröhlich Kind, auf dem Rasen des Parkes, welcher sich still und grün um ihr großväterliches Haus im lieben Altengland herzog, bespült von den murmelnden Wellen der jungen Themse. Dort auf der Rampe des alten Herrenhauses stand der Großvater und wies einer schönen bleichen Matrone, seiner Tochter, die sich auf seinen Arm lehnte, die muntern Sprünge der Kleinen, welche jubelnd einem Schmetterling nachjagte. Der farbenprächtige Falter umgaukelte wie neckend seine Verfolgerin, setzte sich auf Blumen nieder, mit den Flügeln schlagend und schimmernd, ließ das Kind nahekommen, und wenn es ihn dann zu haschen wähnte, husch, war er wieder auf und davon und weit weg. Indem Lovely dem Flüchtlinge folgte, kam sie an einem uralten Baume vorbei, in dessen Schatten ein Mädchen saß, dessen strahlende Schönheit sich kaum der Knospe entrungen hatte. Im Grase sitzend und das edelgeformte Haupt mit der einen Hand stützend, hielt das Mädchen einen der schwerfälligen Foliobände jener Zeit auf ihren Knien aufgeschlagen und hing mit ihren großen, schwarzen, glutvollen Augen an den Lettern. »Hilf mir ihn fangen, Schwester!« rief die Kleine der Leserin zu, »hilf mir –«

Sie wollte den Namen der Angerufenen aussprechen, allein die Träumende vermochte es nicht. Eine jener wunderlichen Launen des Traumgottes fesselte ihre Zunge. Vergebens mühte sie sich ab, den geliebten, vertrauten Namen hervorzubringen; er klebte ihr am Gaumen, er lag ihr wie Blei auf der Zunge. Während sie sich aber in der Beängstigung dieser vergeblichen Bemühung unruhig auf dem Lager hin und her warf, schlug der gesuchte Name plötzlich von außen her deutlich an ihr Ohr: »Desdemona!«

Ja, war das noch träumen? War es wachen? Sie wußte es selbst nicht, aber sie erhob lauschend den Kopf, sie setzte sich aufrecht und wandte das Ohr nach der Richtung, von woher der schwesterliche Name, wie ihr vorkam, erklungen war.

Er erklang nicht wieder.

Und doch, horch – der Name wurde abermals genannt, draußen in der Halle, von welcher Lovely nur durch eine Tür von schlecht gefügtem Flechtwerke getrennt war.

Eine tiefe, klangvolle Männerstimme sprach die Worte:

»Ich wiederhole es, Desdemona will nicht, daß ich meine Flagge in dieser Sache wehen lasse, bevor Metakom gelobt und Ihr, Sachem, sein Gelöbnis verbürgt.« Eine andre Männerstimme, deren scharfe Gutturallaute nur aus einer indianischen Kehle kommen konnten, versetzte in gebrochenem Englisch:

»Blaßgesichtertorheit! Hat man je gehört, daß die Stimme einer Squaw laut werden durfte am Ratfeuer von Häuptlingen?«

»Bah, Sachem,« erwiderte die vorige Stimme, »es ist hier nicht die Rede von Euren Squaws, obgleich ich den guten Eigenschaften derselben alle Anerkennung zolle; es ist die Rede von der Königin meines Schiffs, und das macht denn doch einen Unterschied, sollt' ich meinen.«

»Der Häuptling des Donnerschiffs hat also eine Squaw zum Häuptling?«

»Sachem,« entgegnete der andre, ohne die Stimme zu erheben, aber mit einem Nachdruck der Betonung, welcher nicht mißverstanden werden konnte, »genug davon. Ihr versteht das nicht.«

»Was will mein Bruder damit sagen?«

»Daß mein Bruder nicht wisse, welche Stellung die Frauen in der Gesellschaft der Weißen einnehmen. Das lernt man nicht in dem Wäldern dieses Landes, sondern nur drüben in der alten Welt und am besten im schönen Frankreich.«

Lovely, welcher kein Wort dieses seltsamen Gesprächs entgangen, konnte nicht daran zweifeln, daß sie wach sei.

Mit einer Neugier, die, nicht nur einem jungen Mädchen, sondern überhaupt verzeihlich war, näherte sie ihre Augen der weiten Ritze in der Tür ihres Schlafkämmerchens, durch welche ein starker Lichtstrahl aus der Rotunde hereindrang. Ihr Herz pochte laut, denn der Name Desdemona, welcher vorhin genannt worden war, machte eine Flut von Erinnerungen in ihrer Seele aufwogen, von Erinnerungen, welche, ihr die freudehellsten Stunden der Kindheit wie die trübsten Augenblicke spätrer Zeit wiederkehren ließen und unter den letztern besonders einen Moment voll bitterster Qual, eine herzzerreißende Szene, in welcher ein von Schmerz und Zorn bis zur Raserei getriebener Vater die eine seiner Töchter in Gegenwart der andern verflucht hatte – verflucht hatte am Lager der kaum entseelten Mutter, deren Mörderin der Rasende die mit seinem Fluche Beladne nannte.

Oft schon hatte Lovely seitdem in schweren Träumen und schmerzlicher Rückerinnerung diese unglückselige Stunde wieder durchlebt, aber nie noch war die schreckliche Szene so belebt und furchtbar vor ihr Auge getreten als jetzt, wo zwischen Traum und Erwachen der mit Verwünschung belastete und doch so teure Name der Schwester ihr Ohr mit allem Zauber des Unvermuteten und Plötzlichen getroffen hatte. Lovely fuhr sich leise mit der Hand über das Gesicht, als wollte sie mittels dieser Bewegung die peinliche Vision verscheuchen. Dann richtete sie ihre Blicke auf das nächtliche Gemälde, welches das Innere der alten Kapelle darbot.

Das Feuer war auf dem zerstörten Altar wieder angefacht worden und übergoß die nächste Umgebung desselben mit einer grellen Helle. Auf den Altarstufen saßen vier Männer, wovon zwei unsrer Lauscherin wohlbekannt waren, denn sie konnte in denselben ihre Führer und Beschützer, den alten Trapper und den jungen Thorkil, nicht verkennen. Anders verhielt es sich mit den zwei weiteren, welche ihr völlig unbekannt waren.

Der eine derselben schien vermöge seines ganzen Wesens und Gebarens auf eine höhere Stellung in der gesellschaftlichen Hierarchie Anspruch machen zu können, obgleich sein Anzug nur auf eine untergeordnete deutete. Denn er trug das Kleid eines gewöhnlichen Matrosen, die weiten Pluderhosen von Segelleinwand, welche in weit hinaufreichenden, unzierlichen Stulpstiefeln verschwanden, und die schlichte langschößige Jacke von dunkelfarbigem Tuch. Mit der Einfachheit dieser Tracht stand freilich der schneeweiße, spitzenbesetzte Hemdkragen in Widerspruch, ferner ein breiter golddurchwirkter Seidengurt, in welchem zwei Pistolen und ein breiter Dolch mit gebogener Klinge und goldenem Griff steckten, Waffen, die äußerst kunstvoll gearbeitet und verschwenderisch verziert waren; ferner ein Ring, welchen der Fremde am Mittelfinger der linken Hand trug und dessen Stein blendende Funken umhersprühte, so oft ihn ein Strahl des Feuers traf. Die Gesichtsbildung des Mannes war fein und edel. Ein Wald von sorgfältig gepflegten Locken von dunkelbrauner Farbe fiel von seinem Scheitel lang und voll auf die breiten Schultern nieder, deren Bau, zusammengehalten mit dem der gewölbten Brust, eine ungewöhnliche Körperkraft verriet, obgleich die ganze Gestalt nur von mittelgroßem Wüchse war und eher weich und zierlich als sehnig und kraftvoll erschien. Unter einer Stirn von mächtigem Umfang, auf welcher nicht die kleinste Furche zu entdecken war, sprang eine lange, vielleicht zu lange Nase hervor, deren Rücken schmal wie ein Messerrücken. Große dunkle Augen voll Feuer und Ungeduld verliehen je nach ihrem Ausdruck dem Gesichte bald eine schelmisch ironische, bald eine energisch gebieterische, bald eine hinreißend schmeichlerische, bald eine imponierend würdevolle Miene. Der kleine Mund mit den sinnlich aufgeworfenen Lippen hätte vielleicht mit seinem halb wollüstigen, halb grausamen Ausdruck den Zauber dieser Physiognomie beeinträchtigt, wäre er nicht fast ganz unter einem Schnurrbart von außerordentlicher Üppigkeit verschwunden, dessen Enden bis zur Brust herabreichten und der seinem Träger ein um so eigentümlicheres Ansehen verlieh, als Wange und Kinn aufs sorgfältigste rasiert waren.

Diesem Manne, welchen man mit gutem Grunde einen Mustertypus der weißen Rasse hätte nennen können, saß ein andrer gegenüber, welcher noch unbestreitbareren Anspruch darauf hatte, ein Mustertypus der roten Rasse genannt zu werden. In der Tat, nie hatte die Natur in den Urwäldern Amerikas eine schönere Mannesgestalt geschaffen, als der edle Krieger besaß, welcher hier mit drei Weißen gemeinschaftlich die Beratungspfeife rauchte. In der ersten Blüte des männlichen Alters stehend, war er hoch und schlank gewachsen, und sein Gliederbau zeigte durchgehends ein bewundernswertes Ebenmaß. Seine Stirn bog sich weniger jäh zurück, seine Backenknochen standen weniger schroff hervor, als dies bei seiner Rasse gewöhnlich der Fall zu sein pflegt, dagegen besaß er in hohem Grade die charakteristischen Schönheiten derselben, das wildfeurig und doch klug blickende Auge, die stolze Römernase und das feste, Energie verratende Kinn. In seiner Haltung lag die natürlichste, ungezwungenste Würde, in seinem Blicke stolzes Selbstgefühl, in seinem Lächeln, das freilich ein nicht häufiges war, herzgewinnende Anmut. Seine Züge waren nicht durch die grelle Malerei verunstaltet, womit sich indianische Krieger ihren Feinden gegenüber ein schreckhaftes Aussehen zu geben lieben, und sein reiches schwarzes Haar, welches, auch wenn er stand, fast den Boden berühren mochte, floß ihm in einer glänzenden Welle über den Rücken hinab. Sein Anzug war prachtvoll, wenigstens nach den Begriffen seines Volks. Sein Kopfschmuck, der mit einer Art wilder Eleganz geordnet war, bestand ans Hermelinfell und den Federn des Kriegsadlers. Sein Unterkleid war eine Tunika, bestehend aus zwei Hirschhäuten, mit dem Halsteile abwärts und so aneinander gefügt, daß die Hinterläufe zusammengenäht waren, und die Nähte längs des Arms von den Schultern bis zu den Handknöcheln hinliefen. Jede Naht war mit einer schönen Stickerei von Stacheln des Stachelschweins bedeckt, und von dem untern Rand derselben, von der Schulter bis zur Hand, hingen Fransen von schwarzem Haar, gewonnen aus den Kopfhäuten (Skalpen), welche er erschlagenen Feinden abgezogen. Seine Beinkleider bestanden aus demselben Stoffe, und von der Hüfte bis zum Fuße hinab lief an denselben ein auf gleiche Weise mit Stacheln und Haarlocken verzierter Streifen. Aus gleichem Stoffe und mit gleicher Zierat versehen waren endlich die Mokassins des Häuptlings. Einen aus der Haut eines jungen Büffelstiers verfertigten und auf der Außenseite abermals mit Stickerei der erwähnten Art versehenen Mantel trug er lose um die Schultern geschlagen, so daß der rechte Arm frei blieb. Also bekleidet, führte er im Gürtel Tomahawk und Skalpiermesser, auf dem Rücken hing ihm ein Köcher aus Pantherfell nebst einem etwa drei Fuß langen Bogen von Eschenholz, der in ein Futteral von Otternhaut gesteckt war, und in der Hand hielt er eine indianische Pfeife, deren Rohr eine Länge von drei bis vier Fuß erreichte.

Als ihm der Weiße die von uns zuletzt erwähnte Antwort gegeben, setzte er die Pfeife an den Mund und hüllte sich in eine dichte Rauchwolke.

Ein mehrere Minuten langes Schweigen trat ein und wurde nur dadurch gestört, daß der Seemann leise die Melodie eines französischen Liedchens vor sich hinsummte. Je länger das Schweigen dauerte, desto lauter wurde dieses Gesumm und bald hätte ein kundiges Ohr Worte und Weise des berühmten Liedes »Charmante Gabrielle« unterscheiden können, welches König Heinrich IV. auf die geliebteste seiner Geliebten gedichtet hatte und das bis auf den heutigen Tag eines der gesungensten in Frankreich geblieben ist.

Der alte Trapper warf dem Sänger einen mißbilligenden Blick zu, welchen dieser auch sogleich verstand, denn er hielt inne und sagte:

»Verzeiht, meine Freunde, aber, sacré nom de Dieu, ich kann mich an die steife Feierlichkeit eurer Beratungen nach indianischem Zuschnitte nicht gewöhnen.«

»Hm,« versetzte der alte Jäger achselzuckend, »darüber verwundre ich mich nicht, denn es ist bekannt, daß die Franzosen nichts ohne unnützen Lärm zu tun vermögen.«

»Nicht unrichtig bemerkt, wenn auch nicht sehr höflich, alter Brummbär,« entgegnete der Seemann lachend. »Übrigens müssen wir zum Schlusse kommen, weil ich eine gute Strecke Seepfad zwischen dieser Insel und meinem Boote haben will, bevor der Tag anbricht.«

Der Indianer hatte von dieser Episode so wenig Notiz genommen, als ob er sie gar nicht gehört hätte. Seinen Arm aus der schwindenden Rauchwolke hervorstreckend, bot er die Pfeife dem alten Trapper hin und sagte kurz, aber mit einer höflichen Beugung des Kopfes:

»Was meint mein Vater?«

Groot Willem hatte sich in seinem vielfachen und langjährigen Verkehr mit den Eingebornen manche der Eigentümlichkeiten ihres Wesens und Benehmens angeeignet. Anstatt daher nach Art der Weißen schnell mit einer Antwort zur Hand zu sein, nahm er die dargereichte Pfeife mit würdevoller Ruhe entgegen, tat einige Züge daraus und sagte dann mit Nachdruck:

»Mein Sohn, der Sachem, weiß, daß der Häuptling des Donnerschiffs ein großer Krieger?« »Ja.«

»Ein großer Krieger faßt seine Entschlüsse mit Bedacht.«

»So tut er, mein Vater. Aber er achtet dessen nicht, was eine Squaw ihm ins Ohr lispelt.«

»Hat mein Sohn nie vernommen, daß auch der große Sachem der Wampanogs auf die Stimme der Wetamoe hört?«

Der Indianer neigte bejahend das Haupt.

Der Trapper fuhr nach einer kleinen Pause bedeutsam fort:

»Metakom achtet der Worte Wetamoes, und doch ist Wetamoe ein Weib.«

»Wetamoe ist sehr klug,« warf der Indianer ein, aber in einem Tone, welcher bemerken ließ, daß der Sprecher das Gewicht der Argumentation des alten Waldmanns wohl fühlte.

»Ja, Wetamoe ist klug,« entgegnete Groot Willem, »Aber ich kenne ein Weib, welches noch klüger als Wetamoe.«

»Mein Vater meint Ih-nis-kin, deren Auge leuchtet wie die aufgehende Sonne, und deren Stimme süß tönt wie der Frühlingswind im jungen Laube.«

»Ja, Sachem, ich meine Ih-nis-kin, wie Ihr sie nennt, ich meine das Weib des Häuptlings des Donnerschiffs.«

Der Indianer legte mit einer Gebärde voll natürlicher Anmut seine Rechte auf die Brust, um der Genannten seine Achtung zu beweisen.

»Dank Euch, Sachem,« sagte der Seemann, seine feine Hand in die des roten Kriegers legend. »Ih-nis-kin nennt Ihr meine Gebieterin? Darf ich fragen, was dies auf englisch heißt?«

»Kristall.« »Kristall? Verteufelt hübscher Name das, foi de gentilhomme! Desdemona wird sich freuen, von dieser indianischen Galanterie zu hören. Hätte kaum geglaubt, daß in den Urwäldern so allerliebste poetische Einfälle ausgeheckt würden. Ich will ein Madrigal daraus machen, meiner Treu, das will ich.«

Der alte Trapper ließ diesen Ausbruch französischer Lebhaftigkeit ruhig vorübergehen. Dann sagte er, immer zu dem roten Krieger gewandt:

»Mein Sohn, der Sachem, hat die Meinung des Häuptlings des Donnerschiffes vernommen. Ich teile sie. Wenn der Tomahawk erhoben wird, darf er nicht Schuldlose und Wehrlose treffen. Das ist gegen die Natur und gegen die Gaben unsrer Farbe.«

Der Indianer schwieg und senkte die Blicke zu Boden. Als er sie wieder erhob, entfunkelte ihnen ein Strahl wilden Spottes, und im Tone grimmiger, aber sich selbst beherrschender Ironie versetzte er:

»Die Gaben der Blaßgesichter sind veränderlicher als das Frühlingswetter. Wo war ihre Abneigung gegen das Vergießen von unschuldigem Blut, als sie den großen Miantonomo seinem Todfeind Unkas überlieferten, um ihn meuchlerisch zu erschlagen?«

»Ja, das war ein schandbarer Mord, eine grausame, niederträchtige Tat. Der Sachem mag sie rächen, aber nicht an Wehrlosen. So wahr ich Groot Willem heiße, mein gutes Roer soll nicht auf seiten derer knallen, auf deren Schlachtruf das Wehgeschrei von Weibern und Kindern Antwort gibt.«

»Wenn der Tomahawk der roten Krieger einmal Blut getrunken, ist er berauscht wie die Blaßgesichter von ihrem Feuerwasser. Er schlägt zu, ohne zu achten, wohin oder wen er treffe.« »Er soll aber darauf achten, Sachem, ja, er soll. Groot Willem will so wenig mit berauschten Tomahawks zu tun haben als mit berauschten Kolonisten, wie deren auf Mount Wallaston ihr törichtes Wesen treiben.«

Nach einer abermaligen Pause von wenigen Sekunden stand der Indianer auf, näherte sich dem Alten und sagte, indem er mit dem Zeigefinger seiner linken Hand leicht über die Narbe fuhr, welche das abgeschnittne Ohr unterhalb der rechten Schläfe des Trappers zurückgelassen:

»Mein Vater ist sehr alt geworden. Ochkih-Häddäh hat sein Gedächtnis geschwächt. Er erinnert sich nicht mehr der Hand, welche diese Wunde schlug.«

Der Alte fuhr bei der leisen Berührung zusammen, als fühlte er den Biß einer Schlange. Sein Gesicht färbte sich dunkelbraun, und seinen bebenden Lippen entfloh ein halbunterdrückter Zornschrei. Aber geübt in dem Stoizismus, welcher bei der roten Rasse so große Geltung verschafft, überwand er rasch seine Aufwallung und erwiderte in dem ruhigen Ton, welchen er bisher behauptet hatte:

»Nein, Naragansett, das ist nicht vergessen und soll heimbezahlt werden mit Wucherzinsen, sobald die rechte Stunde gekommen.«

»Es ist gut,« versetzte der Sachem, an seinen Platz zurückkehrend. »Laßt meinen Bruder, das Goldhaar, sprechen.«

Groot Willem übergab mit der gleichen Förmlichkeit, womit er sie empfangen, die Ratspfeife seinem Gefährten Thorkil, welcher bis jetzt ein bescheidnes Schweigen beobachtet hatte. Vielleicht war er auch mit seinen Gedanken nicht vollständig bei der obschwebenden Verhandlung gewesen, denn erst der durchdringende, erwartungsvolle Blick, welchen der Sachem auf ihn heftete, führte ihn zu derselben zurück.

Nachdem der junge Mann einige Züge aus der Pfeife getan, richtete er, wohlbekannt mit der Redeweise der Indianer, welche selten gerade auf das Ziel losgeht, an den Häuptling die Frage:

»Mein Bruder liebt den Roger Williams gewiß noch immer als seinen väterlichen Freund?«

»Hahdoh-Manitu ist allen Kindern der roten Rasse teuer. Er lebt in meinem Herzen.«

»Und hat mein Bruder die Lehren vergessen, welche die Zunge des guten Geistes ihm gab?«

Der Indianer schwieg einen Augenblick wie verlegen. Dann sagte er:

»Der Manitu der Blaßgesichter ist nicht der Manitu der roten Männer.«

»Darüber kann ich nicht mit Euch streiten, Sachem. Aber das Klaggeschrei erwürgter Weiber und Kinder ist nur dem bösen Geiste angenehm.«

»Und ist das Stöhnen eines Vaters, den ein böses Blaßgesicht neben seinem schlafenden Kinde tückisch erwürgt, dem Manitu der Blaßgesichter angenehm?« fragte der Sachem. Dann wandte er sich, ohne eine Antwort abzuwarten, von dem jungen Jäger ab und heftete seine Augen starr und regungslos auf die lose Steinplatte neben dem Taufstein.

Thorkil folgte der Richtung der Blicke des Indianers, und sein Gesicht wurde blaß.

»Die Augen der Weißen sind sehr schwach, aber die der roten Männer sind scharf,« sagte der Sachem eintönig. »Ich sehe einen Toten, dessen Sohn zögert, den Tomahawk der Rache zu erheben.«

Eine heftige Bewegung schüttelte den Körper Thorkils. Er stieß einen halberstickten Seufzer aus und murmelte mit wutbebender Stimme:

»Die Rache wird den Schuldigen finden und treffen, so wahr ich Thorkil Wikingson heiße! Aber sprecht nicht zum zweitenmal so zu mir, Sachem, oder –«

Und er legte mit einer drohenden Gebärde die Hand an den Griff seines Messers.

Der Sachem winkte ihm abwehrend zu und sagte begütigend:

»Mein Bruder weiß, daß ein Freund zu ihm sprach. Freundesworte schlagen keine Wunden.«

Hierauf schwieg er nachdenklich eine Weile und sagte dann:

»Meine weißen Brüder müssen wissen, was sie zu tun haben. Aber was soll ich dem großen Sachem der Wampanogen sagen?«

»Sagt ihm,« erwiderte der Seemann, »daß wir zu der Zusammenkunft, welche er vorgeschlagen hat, bereit sind. Sagt ihm ferner, daß wir bereit sind, gemeinschaftlich mit ihm und Euch unsre gemeinschaftlichen Feinde zu bekämpfen, aber unter Bedingungen, welche festzusetzen uns geziemt, und welche nicht gebrochen werden dürfen.«

»Ja, das sagt ihm,« nahm Groot Willem das Wort, »und weiter –«

Ein Geknurr Prinslos, welcher zu den Füßen seines Herrn lag, unterbrach diesen in seiner Rede.

Das scharfhörende Tier mochte Kenntnis von den leisen Bewegungen der lauschenden Lovely erhalten, oder auch das Erwachen eines der beiden Flüchtlinge vermerkt haben, welche in einem Gelasse neben dem des Mädchens schliefen.

»Hst!« zischelte der alte Trapper, stand auf, trat von den Stufen des Altars herunter, winkte seinen Gefährten, ihm zu folgen, und mit leisen Tritten verließen sofort alle vier die Rotunde.

Von den verschiedenartigsten Empfindungen bewegt, legte sich die Lauscherin auf ihr Lager zurück. Eine düstre Ahnung sagte ihr, daß soeben ein verhängnisvolles Geheimnis halb und halb vor ihr entschleiert worden sei. Sie bemühte sich, die dunkeln Anspielungen und Drohungen, welche sie vernommen, zu enträtseln und zu deuten, und ein heftiger Schmerz schnürte ihre Brust zusammen bei dem Gedanken, daß Thorkil in einen unheilvollen, vielleicht verbrecherischen Anschlag verwickelt sei. Doch ihr Herz beschuldigte ihren Verstand sogleich der Voreiligkeit. Thorkil kann nichts Böses tun oder wollen, flüsterte sie in sich hinein, und während sie die Möglichkeit und Unmöglichkeit des Schlimmen, welches sie instinktmäßig befürchtete, gegeneinander abwog, überwältigte sie der Schlaf wieder. Als nach tiefem, nicht mehr unterbrochenem Schlummer bei Tagesgrauen die Stimme ihres Vaters sie weckte, als ihre beiden Wirte beim Eintritt in die Rotunde ihr mit unbefangenem Morgengruße entgegentraten, wußte sie in Wahrheit nicht zu sagen, ob das, was sie gesehen und gehört, Traum oder Wirklichkeit gewesen.

Hier verlassen wir einstweilen die Flüchtlinge und ihre Führer, und erbitten uns von dem Leser die Erlaubnis, ihn auf die geschichtlichen Verhältnisse aufmerksam zu machen, auf welchen unsre Erzählung als auf ihrem Fundamente sich aufbaut.


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