Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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6.

Wie, wann in schwüle Mitternacht Berg und Tal sich mummt,
In tiefen Odemzügen des Lebens Mund verstummt:
Dann plötzlich durch die Finsternis fähret der Wetterschein,
So brennt mit einem Schlage der ganze Tannenhain –
Also zerfleucht wie Höh'nrauch Zweifel, Angst und Wahn,
Und jede Menschenseele ist wieder aufgetan,
Und was da schlief im Herzen in wundertiefer Nacht,
Bricht aus in tausend Kerzen, ist Licht zum Licht erwacht.
Follenius.

Eine lange und bange Pause trat ein.

Endekott machte ihr ein Ende, indem er sprach:

»Angeklagter an der Schranke, Ihr habt den Wahrspruch der Jury vernommen. Steht auf, damit ich Euch die Sentenz verkündige, wie es Recht und Brauch in den Kolonien.«

Eaton verließ seinen Sitz und trat an die Schranke. Das Verdikt der Geschworenen hatte weiter keine Veränderung bei ihm hervorgebracht, und als das Todesurteil über ihn gesprochen worden, hatte er sich begnügt, vor sich hin zu murmeln: »Gott Zebaoth, gib Kraft deinem Knechte!«

Endekott schickte sich an, seiner Pflicht zu genügen, als ihm Roger Williams zuvorkam.

»Haltet ein,« rief der Patriarch aus, und es kam niemand zu Sinne, gegen eine solche Störung der gerichtlichen Formen Einwand zu erheben, »haltet ein! Eine Stimme in meiner Brust schreit mir zu: Ihr begeht einen Mord, ihr Männer, indem ihr einen Mord zu sühnen glaubt. Bedenkt, was ihr tut. Wer unter uns, wer unter allem Volk der Kolonien hätte es gestern noch für eine Möglichkeit gehalten, daß gegen Theophilus Eaton, auf welchen die Pilger der Wildnis als auf eine Säule ihres Glaubens und ihres Gemeinwesens schauten, eine Anklage auf Mord erhoben werden könnte? Nein, nein, es ist unmöglich, er kann das Verbrechen nicht begangen haben. Die furchtbare Heimsuchung, welche vor wenigen Tagen über ihn erging, hat seinen Geist mit den Banden der Trauer beladen und seine Zunge gelähmt, so daß er nicht imstande war, die schreckliche Anklage zu entkräften. Die vorgebrachten Beweise scheinen gegen ihn zu sprechen, aber wollt ihr auf solchen Schein hin ein Menschenleben nehmen? Gebt wenigstens Frist, holt den Rat unserer Brüder ein in dieser traurigen Sache. Bedenkt, ihr Männer, was werden unsere Brüder in Plymouth und Boston sagen, wenn sie hören, daß ihr Theuphilus Eaton getötet, getötet zu einer Zeit drohender Gefahren, wo die Kolonien von Neuengland den Verlust eines solchen Mannes doppelt und dreifach beklagen müßten! – Und du, mein Sohn,« fuhr der Greis fort, das Wort an den jungen Jäger richtend, »hüte dich, den Einflüsterungen des teuflischen Geistes der Rache ferner zu gehorchen. Ich sage dir, er wird deine Brust mit einer Bürde beladen, von welcher keine Reue, kein Gebet dich wird ledig machen können. Gedenke der Zeit, wo dein Herz weich und mild war. Sei eingedenk der Lehren unseres heiligen Erlösers, welcher am Kreuze für seine Mörder um Vergebung ihrer Schuld betete. Laß mich dir die Stunden ins Gedächtnis zurückrufen, wo du in deinen Knabenjahren Tränen der Rührung weintest, wenn ich die Leidensgeschichte unseres Herrn und Heilands mit dir las oder dir die Sage von jenem Weisen des Morgenlandes erzählte, welcher, in der Wüste von einem Räuber überfallen und tödlich getroffen, seine letzten Augenblicke noch benutzte, seinen Verderber vom Bösen zu bekehren, woher dann der schöne Spruch rührt: ›Nicht heischt die Pflicht vom Edlen, dem Mörder zu verzeihen nur, nein, wohlzutun, vermag er es, selbst im Moment des Mordes ihm! Um gleich zu sein dem Sandelbaum, der in des Sturzes Augenblick das seinen Stamm durchhauende Beil in seine süßen Düfte hüllt.‹ Wohlan, sei auch du gleich dem Sandelbaum, auch wenn du, wie ich annehme, vollständig überzeugt bist von der Schuld Eatons. Ja, sei auch du gleich dem Sandelbaum, oder vielmehr handle, wie es einem Menschen von Gesittung, wie es einem Christen zukommt.«

Als der Jüngling stumm blieb, wandte sich Williams an den alten Trapper und sagte:

»Willem, alter Freund, steht mir bei. Es lebt kein Mensch, dessen Stimme Thorkil mehr zu achten hätte als die Eurige. Laßt sie laut werden in dieser Sache, damit man nicht von Euch sage, Groot Willem habe seinen Pflegesohn vorgeschoben in einem Rachewerk, was eigentlich sein eigenes gewesen sei.«

Der alte Waldgänger richtete bei dieser Anrede seine herkulische Gestalt auf und ließ seinen Blick rings im Kreise umhergehen, als sei er begierig, einen herauszufinden, der versucht sein könnte, so etwas von ihm zu sagen. Dann entgegnete er dem Patriarchen:

»Meiner Treu, ehrwürdiger Freund, Euer Wort in Ehren, aber ich glaube nicht, daß sich in dieser oder in anderer Sache weder in den Ansiedelungen noch in den Wäldern jemand finden wird, welcher sagen möchte, Groot Willem handelte wie ein Schuft. Im gegenwärtigen Falle habe ich nur getan, was auch Ihr tatet, indem ich der Wahrheit gemäß mein Zeugnis ablegte. Was meinen eigenen Handel mit jenem Manne angeht, ja, da muß ich sagen, daß selbigen Handel mein Roer da wohl längst geschlichtet haben würde, hätt' ich nicht einer, die nicht mehr ist, versprochen – doch das gehört nicht hierher. Nun aber dem Jungen einreden, sein Recht fahren zu lassen und seinem Schwur untreu zu werden, hm, das kann und will ich nicht.«

»Ehrwürdiger Vater,« nahm jetzt Thorkil, zu Williams gewendet, das Wort, »Gott weiß, Ihr tut mir wehe. Ich darf behaupten, daß ich Eurer Lehren allezeit nach Kräften eingedenk gewesen bin, aber – das Blut meines Vaters schreit um Rache. Aug' um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut! so lautet das Gesetz der Wälder, und so sagt auch das heilige Buch dort auf dem Tische.«

Tiefbekümmerten Blickes schickte sich Williams zu einer neuen Anstrengung zugunsten des Verurteilten an, aber diesmal schnitt ihm Endekott das Wort ab.

»Ehrwürdiger Freund,« sagte der Vorsitzende der Richterbank mit ernstem Nachdruck, »wir alle achten, was Eure Herzensgüte Euch eingibt; allein die Gerechtigkeit muß ihren Lauf haben. Erinnert Euch, daß Ihr selbst mit tätig gewesen seid, dieses Gericht zusammenzuberufen, damit unsere Kolonie nicht durch einen Akt ungesetzlicher Selbsthilfe und Selbstrache befleckt würde. Ihr tatet so in der bestimmten Erwartung, daß die Unschuld des Angeklagten zutage kommen würde. Aber es war Gottes Wille, daß die Prozedur ein anderes Ergebnis lieferte. Diese Jury, bestehend aus freigeborenen Engländern und nach Brauch und Recht der Kolonie zusammengerufen, um einen freigeborenen Engländer zu richten, hat den Angeklagten schuldig gefunden und verurteilt. Ich muß meine Pflicht tun. – Schuldiggesprochener an der Schranke, vernehmt die Sentenz!«

So sprechend nahm Endekott die Bibel vom Tische auf, öffnete sie und las aus dem dritten Buch Mosis die Stelle:

»Moses aber sagte den Kindern Israel solches: Wenn jemand eine Seele des Menschen erschlägt, der soll des Todes sterben. Wer aber die Seele eines Viehes erschlägt, der soll es bezahlen; Seele für Seele. Und wer seinem Nächsten einen Schaden zufügt, dem soll man tun, wie er getan hat. Bruch um Bruch, Aug' um Aug', Zahn um Zahn; wie er einem Menschen Schaden zugefüget hat, so soll man ihm wieder tun. Also daß, wer ein Vieh erschlägt, der soll es bezahlen, wer aber einen Menschen erschlägt, der soll sterben. Und es soll einerlei Recht unter euch sein, dem Fremdling wie dem Einheimischen, denn ich bin der Herr, euer Gott. – Und also,« setzte Endekott, das Buch schließend, hinzu, »also, Theophilus Eaton von Swanzey, angeklagt, prozediert und schuldig gesprochen wegen Mordes und Raubes, sage ich Euch an, daß Ihr sollt –«

»Halt, Sir!« unterbrach hier plötzlich De Lussans Stimme den Obmann des Gerichts.

Diese Stimme klang nicht weniger gebieterisch, als hätte sie auf dem Deck der Gloria einen Befehl erteilt.

Endekott wandte sich unwillig gegen den Störer mit der Frage:

»Was wollt Ihr, Fremder, daß Ihr es wagt, in das Geschäft dieser freien und rechtmäßigen Gerichtsbank einzugreifen?« »Ich sage: Halt, Sir!« versetzte der Gefragte mit ruhiger Bestimmtheit. »Sprecht das Todesurteil noch nicht aus, sondern laßt zuvor das Indianermädchen da reden. Sie hat etwas zu sagen.«

Schon lange hatte Hih-lah-dih eine lebhafte Aufregung kundgegeben. Ihr Auge war unverwandt auf Thorkil gerichtet gewesen. Sie hatte leicht begriffen, daß es sich darum handle, den Mord von des Goldhaars Vater zu rächen, allein die Art und Weise, wie die Blaßgesichter diese Angelegenheit behandelten, widersprach doch so ganz ihren indianischen Vorstellungen, daß ihre Gedanken sich verwirrten. Als sie vollends sah, mit welcher Sorgfalt Thorkil das Goldstück auf seiner Brust verwahrt hatte, als sie bemerkte, welche Wichtigkeit diesem Stück »gelben Metalls« offenbar beigelegt wurde, da leiteten die ungestümen Gefühle ihres Herzens ihren Geist auf eine ganz falsche Fährte, welche aber dennoch wunderbarerweise einen Ausweg aus dem Labyrinth dieses dunkeln Prozesses andeuten sollte.

»Die Blaßgesichter lieben das gelbe Metall,« hatte Hih-lah-dih ihrer Nachbarin zugeraunt. »Wenn das Goldhaar gelbes Metall lieben, Hih-lah-dih ihm sagen kann, wo viel, viel solche Dinger verborgen sein, wie dort eins auf Tisch liegt.«

Desdemona, welche der Verhandlung mit größter Spannung gefolgt war und die Überzeugung des Patriarchen von der Unschuld des Angeklagten teilte, hatte sich beeilt, die Äußerung der Indianerin De Lussan mitzuteilen.

Daher die Unterbrechung Endekotts durch den Flibustier.

Roger Williams seinerseits, begierig, jeden, auch den schwächsten Hoffnungsstrahl aufzusaugen, hatte kaum den Zwischenruf De Lussans vernommen, als er Endekott zurief:

»Um des ewigen Heils Eurer Seele willen, Freund, laßt die Indianerin sprechen!«

Endekott gehorchte dieser feierlichen Beschwörung.

»Indianermädchen,« sagte er, »tritt vor und sage, was du zu sagen hast.«

Hih-lah-dih trat unbefangen an die Schranke.

»Wie heißt du, Mädchen, und wer und woher bist du?«

»Hih-lah-dih schon viel in den Wigwams der Blaßgesichter von Providence gewesen.«

»Wohl, wir wissen es, Mädchen, du bist die Schwester des Häuptlings der Wampanogen.«

»Ugh!« ertönte es von der Seite her, wo die Indianer saßen.

Als Hih-lah-dih diesen ausdrucksvollen Kehllaut vernahm, in welchen ihr Volk ebensowohl Erstaunen als Warnung zu legen weiß, schrak sie leicht zusammen.

Sie wandte sich um und begegnete den finstern Zügen und dem durchbohrenden Blicke Annawons, welcher sich aus der Gruppe der Naragansetter-Häuptlinge halben Leibes emporgerichtet hatte.

Verwirrt kehrte sie sich ab und schwieg.

»Wir harren deiner Rede, Mädchen,« sagte Endekott.

»Ja, sprich meine Tochter,« drängte Williams die Verschüchterte. »Mir ist, als wollte der allgütige Gott mittels deiner Zunge das Leben eines Gerechten retten.«

Hih-lah-dih blieb stumm. Der Warnungsruf Annawons hatte den Instinkt der Vorsicht und Zurückhaltung, welcher der indianischen Rasse in so hohem Grade eigentümlich ist, in seiner ganzen Stärke in der Brust der Tochter des Waldes wachgerufen.

»Meine Schwester öffne ihren Mund,« sagte Thorkil sanften Tones, »die Ohren meiner Brüder sind offen.«

Das Mädchen schien mit Entzücken den Klang dieser Stimme zu trinken. Ein Blick, strahlend wie ein diamantener Funke, zuckte unter ihren gesenkten Lidern hervor auf den jungen Jäger. Aber die indianische Erziehung behielt noch einen Augenblick die Oberhand über das natürliche Gefühl.

»Mein Bruder weiß,« entgegnete sie mit gesenkter Stirn, »die Stimme einer Squaw nicht darf werden laut im Rate der Krieger.«

»Ich weiß es, aber wenn meine Schwester sich scheut, zu meinen Brüdern zu reden, so mag sie zu mir reden.«

Die Stimme des jungen Jägers mußte eine unwiderstehliche Gewalt üben. Nur noch einen Moment besann sich Hih-lah-dih, dann sagte sie:

»Wenn mein Bruder, das Goldhaar, gelbes Metall lieben« – und sie zeigte dabei mit dem Finger auf die alte Goldmünze – »Hih-lah-dih ihm kann sagen, wo er viel, viel gelbes Metall finden.«

»Solches gelbes Metall, Mädchen?« fragte Thorkil halb atemlos, indem er das Goldstück vom Tische nahm und es der Indianerin hinhielt.

Sie betrachtete es genau und versetzte augenblicklich:

»Hih-lah-dih nie anderes gelbes Metall gesehen als solches.«

»Und wo? wo?«

»Zu Mountaup, im Wigwam des Sachems der Wampanogen.«

Thorkil fuhr zurück, als hätte ein Keulenschlag seine Stirn getroffen. »Im Wigwam deines Bruders?« fragte er, mühsam sich fassend.

»Hih-lah-dih sagte es, im Wigwam Metakoms.«

»Und seit welcher Zeit ist das gelbe Metall dort?«

»Hih-lah-dih noch klein, sehr klein, kaum größer als Papus, als sie sehen gelbes Metall zum erstenmal. Rote Krieger es nicht brauchen, in einer Ecke unter Erde liegen. Hih-lah-dih das Goldhaar hinführen, sagen dem Sachem, daß gelbes Metall meinem Blaßgesichtbruder gehören, Goldhaar es holen.«

Hih-lah-dih hatte leise gesprochen, und doch war keins ihrer Worte der atemlos lauschenden Versammlung entgangen. Die Wirkung ihrer einfachen Aussage war eine gewaltige.

Der rätselhaft verschwundene Schatz von Thorkils Ahnherrn befand sich in den Händen König Philipps! In wie ganz anderem Lichte erschien jetzt die Angabe Eatons, er habe das Goldstück, welches in der Anklage eine so wichtige Rolle gespielt, unfern Mount Hope, wie die Kolonisten Mountaup nannten, in einem Jagdlager Metakoms gefunden!

Das Licht der Wahrheit, so lange hinter den Wolken des Wahns und Hasses verborgen, brach jetzt mit der Raschheit und Kraft des Blitzes hervor.

»Durch den Mund eines Kindes tut Gott seine Gerechtigkeit kund – gepriesen sei sein Name!« rief Roger Williams frohlockend aus.

»Sprecht das Urteil nicht, Sir, sprecht das Urteil nicht! Ich ziehe meine Anklage zurück. – O Gott, wer konnte das ahnen?« rief Thorkil mit halberstickter Stimme dem Obmann der Gerichtsbank zu und stürzte aus dem Kreise.

»Wir richteten nach menschlicher Einsicht,« sprach Endekott erschüttert. »Schwäche und Irrtum ist das Erbteil der menschlichen Natur, wenn ihr nicht der Herr mit seiner Weisheit zur Hilfe kommt. Mitbürger, Geschworene, wo kein Ankläger, da kein Richter. Das Gericht ist aufgelöst. – Laßt uns den Höchsten preisen, ihr Männer, daß seine Gnade unsere Hände davor bewahrt hat, schuldloses Blut zu vergießen.«

»Amen,« erwiderten die Geschworenen und verließen ihre Sitze.

»Mein Freund, mein Bruder,« rief der Patriarch aus, auf Eaton zueilend, »Ihr seid gerettet, seid entlastet dieser gräßlichen Anklage!«

Alles drängte sich glückwünschend und händeschüttelnd um den Puritaner.

Die Natur regte sich auch in ihm und sprengte die Fesseln der starren Apathie, in welcher er während der ganzen Verhandlung befangen gewesen. Er erhob Augen und Hände gen Himmel und strömte seine Beklemmung, seine Freude in einem feurigen Dankgebet aus.

»Aus der Tiefe meines Elends,« betete er, »habe ich zu dir gerufen, o, mein Gott, und du hast meine Stimme gehört. Du bist barmherzig und gnädig, langsam im Zürnen und von großer Güte. Du hast Gericht und Recht für alle, die unrecht leiden. Deine Prüfung währet nicht immerdar, dein Zorn wandelt sich in Gnade. Du hast mein Leben vom Verderben erlöset und mich mit Rechtfertigung bekrönet. Lobe den Herrn, du meine Seele, und alles, was in mir ist, preise seinen heiligen Namen!«

Die Versammlung brach tumultuarisch auf, um den Freigegebenen im Triumphe nach der Ansiedelung zurückzuführen.

Hih-lah-dih blieb wie angewurzelt vor der Schranke stehen. Das Wegeilen Thorkils hatte sie erschreckt, und die Wendung, welche die ganze Sache infolge ihrer Aussage genommen, drängte ihr die dunkle Ahnung auf, daß es sich hier um anderes und größeres handle, als um Stücke gelben Metalls.

Plötzlich fuhr sie aus ihrem Sinnen auf. Die Stimme Annawons hatte ihr Ohr berührt, und der grimmige Krieger stand dicht vor ihr.

»Die Schwester des Sachems,« sagte er in der Sprache ihres Volkes und mit Nachdruck, »wird jetzt Annawon folgen.«

»Wohin?«

»Zu den Wigwams unseres Stammes.«

Das Mädchen bemühte sich vergeblich, in dem Gewirre der Weggehenden die Gestalt des jungen Jägers zu erspähen.

»Und wenn Hih-lah-dih nicht will?« sagte sie dann, zornig mit dem Fuße stampfend.

»Hih-lah-dih muß wollen. Dies ist kein Aufenthaltsort mehr für die Schwester Metakoms. Die Blaßgesichter sind Hunde allesamt. Sie bellen gegeneinander, aber sie beißen sich nicht. Annawon ist ein kluger Häuptling. Meine Tochter höre, was er ihr zu sagen hat. Sie hat dem Sachem heute großen Schaden zugefügt. Annawon will ihr vieles sagen. Komm!«

Er hatte ihren Arm gefaßt und sprach so ernst und eindringlich, daß sie sich mechanisch von ihm fortziehen ließ.

Inzwischen hatte sich Thorkil nach der Stelle gewandt, welche der Häuptling der Naragansetter zu Anfang der Szene innegehabt. Er traf ihn noch dort und wandte sich an ihn mit den Worten:

»Will der Sachem hören, was ihm sein weißer Bruder zu sagen hat?«

Kanonchet machte eine bejahende Gebärde, erhob sich und folgte dem jungen Jäger eine Strecke weit in die Prärie hinaus.

Als sie abseits von den übrigen waren, kehrte sich Thorkil ihm zu und sagte aufgeregt, wie er war:

»Sachem, manchen Tag und manches Jahr haben wir zusammen den Büffel gejagt, dem springenden Panther aufgelauert und die schleichenden Pequoden verfolgt. Mein Bruder weiß, daß, wie mein Leib öfter in den Wigwams der roten Männer war als in den Ansiedelungen, so auch mein Herz fast mehr den Roten zugewandt war als den Leuten meiner Farbe.«

»Das Goldhaar spricht wahr,« entgegnete Kanonchet. »Goldhaar großer Freund von rotem Manne, und roter Mann großer Freund von Goldhaar.«

»Wohl, Sachem, aber ich fürchte, das wird nun ein Ende haben, wenigstens teilweise.«

Der Indianerfürst blickte den Weißen an, als wollte er dessen innersten Gedanken erforschen, und sah dann nachdenklich zu Boden.

»Ihr wißt, Sachem, auf welche Bedingungen hin Mato, der Häuptling des Donnerschiffes und ich mit dem Sachem der Wampanogen gehandelt haben. Er hat sein uns gegebenes Versprechen schon bei seinem ersten Unternehmen gebrochen.«

»Metakom ist ein großer Krieger, ein sehr weiser Häuptling.«

»Darüber wollen wir jetzt nicht streiten, Sachem. Aber Ihr habt es gehört, der Schatz gelben Metalls, um deswillen mein Vater ermordet worden, befindet sich im Wigwam Metakoms.«

Kanonchet fühlte offenbar das ganze Gewicht dieser Worte und erwiderte nach einer kurzen Pause:

»Mein Bruder will den Tomahawk gegen den Sachem der Wampanogen erheben?«

»Ich will seine Spur aufsuchen, ja. Er soll mir Rechenschaft geben über seine Gefangenen und Rechenschaft über den Mord meines Vaters, und ist er schuldig, so will ich mein Leben daran setzen, das seinige zu nehmen.«

Kanonchet neigte das Haupt, als wollte er andeuten, er finde diesen Entschluß begreiflich. Hierauf sagte er:

»Wenn weise Krieger auf den Kriegspfad gehen wollen, zünden sie zuvor das Beratungsfeuer an, um mit ihren Freunden das Kalumet zu rauchen und ihren Rat zu hören,«

»Wohl, Sachem, aber das ist in diesem Falle nicht nötig. Da ich jedoch bei Euch und Eurem Stamme meinen guten Ruf als ehrlicher Mann bewahren möchte, so hielt ich es für passend, Euch zu sagen, was ich beabsichtige. Solltet Ihr hören, daß ich oder Mato den Wampanogen getötet, so seid versichert, daß wir in unserem Rechte waren und nicht unvorbedacht handelten.«

»So soll also die unkluge Zunge einer Squaw den Wampum der Freundschaft zwischen dem Goldhaar und seinen roten Brüdern zerschneiden?«

» Nicht die Freundschaft zwischen mir und Euch, hoff' ich. Nein, nein, wir wollen Freunde bleiben. Was aber den Wampanogen angeht – hört, Sachem, Ihr kennt die Pflichten eines Sohnes – soll ich Euch einen Namen nennen, der auch Euch das Blut sieden macht?« »Miantonomo!« rief Kanonchet aus, und seine Augen schossen Blitze.

»Seht Ihr, Sachem, Ihr versteht mich, und so gebt mir denn Eure Hand und sagt, daß Ihr mir zugetan bleiben wollt, wie ich Euch von Herzen zugetan bleiben werde.«

Der Indianer nahm mit ungeheuchelter Herzlichkeit die dargebotene Rechte Thorkils und drückte sie in der seinigen, indem er sagte:

»Mein weißer Bruder ist ein gerechter Mann, er wird nicht dem Antriebe blinden Zornes folgen. Aber die Seele eines gemordeten Vaters findet keine Ruhe in den seligen Jagdgründen, bevor sein Blut gesühnt ist. – Geh, Bruder, wohin die Stimme des Manitu dich ruft. – Kanonchets Wigwam, Kanonchets Herz wird stets dem Goldhaar offen stehen.«

»Ich wußte es, daß Ihr so sprechen würdet, Sachem. In Euch ist kein Falsch. Und so lebt denn wohl auf Wiedersehen!«

Während einerseits zwischen Thorkil und Kanonchet, andererseits zwischen Hih-lah-dih und Annawon die eben erwähnten kurzen Zwiegespräche stattfanden, ging Eaton an der Hand Williams' der Ansiedelung zu, begleitet von der ganzen männlichen Bewohnerschaft derselben. Innerhalb des Kreises der Wohnungen angekommen, entließ der Patriarch, welcher seinem Freunde Ruhe gönnen wollte, die Gefolgschaft mit einer passenden Ermahnung und schritt dann mit dem Puritaner seinem Hause zu.

Noch hatten sie aber dasselbe nicht erreicht, als Eaton seine Schulter berührt fühlte. Er wandte sich um und erblickte Groot Willem an seiner Seite.

»Theophil,« sagte der alte Trapper, und bemühte sich vergeblich, in sein Gebaren und in seine Stimme die gewöhnliche Ruhe seines Wesens zu bringen, »Theophil, Ihr habt mich vorzeiten Bruder genannt, kommt und gönnt mir einige Augenblicke Gehör.«

Es war in den Worten Willems etwas wie ein Klang aus ferner Jugendzeit, etwas, was Widerhall in der Brust des Puritaners erregte, etwas, was ihn, dessen heute in seinen Grundfesten erschüttertes Gemüt die unnatürlich straffe Spannung verloren hatte, gleichsam anheimelte.

Es lebt wohl kein Mensch, welcher nie in seinem Leben einen ähnlichen Zauber der Menschenstimme empfunden hätte.

Es hätte auch wirklich der Mahnung des Patriarchen: »Folgt ihm, Freund, folgt ihm, damit der Segen dieser Stunde ein vollständiger werde!« gar nicht bedurft, denn der Puritaner hatte schon unwillkürlich den Fuß gehoben, um dem alten Waldgänger zu folgen.

Willem führte den Richter von Swanzey linkshin und durch den Tann hinab an das Gestade der See. Dort blieb er vor einer mächtigen Weide stehen, welche ihr wehendes Gezweige auf einem über und über berasten, aber offenbar von Zeit zu Zeit mit Sorgfalt von Unkraut und Dorngesträuch gereinigten kleinen Hügel senkte, dessen Form die Ruhestätte eines Toten nicht verkennen ließ.

»Seht, Theophil,« sagte der alte Trapper mit bebender Stimme, »wir stehen da auf einem Boden, der Euch und mir heilig sein muß. Hier ruht die arme Mabel, mein Weib, Eure Schwester –«

Der Puritaner starrte auf den Hügel nieder, seine Lippen bewegten sich murmelnd, seinen Blick verhüllte ein nasser Schleier.

»Und bei dem Andenken Mabels,« fuhr Willem fort, »bei dem Andenken Mabels bitte ich Euch um Verzeihung, daß ich Euch für einen Meuchelmörder halten konnte.«

»Wie starb sie?« fragte Eaton tonlos. »Sagt mir, wie starb sie? Hinterließ sie dem Bruder für das Leid, welches er ihr angetan, ihren Fluch?«

»Ihren Fluch? Was denkt Ihr, Mann? O, Mabels Lippen waren nicht gemacht, einen Fluch auszusprechen. Sie starb, den Segen des Himmels über Euch herabrufend, sie starb, nachdem das von ihr mir abgenötigte Versprechen, meine Hand nie gegen Euer Haupt zu erheben, das letzte Lächeln auf ihr Antlitz gerufen hatte.«

Es arbeitete heftig in der Brust Eatons. Nach einer Weile erhob er sein beträntes Auge und blickte forschend in die abgewetterten Züge des Jugendfreundes. Sein Blick fiel auf die Spuren der Verstümmelung, welche den Trapper des rechten Ohrs beraubt hatte.

»Willem, mein Bruder,« sagte er dann gebrochenen Tones, »ich fürchte, daß ich zu hart, daß ich grausam an dir gehandelt. – Verzeih mir, um Mabels willen,!«

Der Trapper ließ sein Roer auf den Boden fallen und öffnete die Arme weit. Schluchzend warf sich ihm der Puritaner an die Brust, und die beiden Greise vermischten Tränen, wie sie solche seit langer, langer Zeit nicht mehr geweint hatten.

Nahende Fußtritte störten sie auf.

»Sieh, Theophil,« sagte Willem, auf den herankommenden Thorkil zeigend, »da kommt noch einer, dich um Verzeihung zu bitten. Gewähre sie ihm, er ist ein wackerer Junge und glaubte nur seine Pflicht zu tun.«

Als am Abend des Tages die Sonne gegangen und der Mond gekommen war, wandelten in seinen Strahlen der Flibustier und die, welche er seine Herrin nannte, im Garten des Patriarchen der Ansiedelung hin und her. Die Nacht war sommerlich warm und schön, die Wasser der Bai klatschten so sanft und traulich an die Kiesel des Ufers, als wollten sie die Erde liebkosen. Es war etwas Wollüstiges in der Luft, und das jovial-lüsterne Gesicht des Mondes schien nach Küssen und Umarmungen auszuschauen.

Im Garten an der Bai sah er aber nur eine Abschiedsszene.

De Lussan und Desdemona hatten sich lange in melancholisch-innigem Gespräche ergangen. Es war vieles von ihnen durchgesprochen worden, doch kehrten die Gedanken der schönen Frau immer wieder zu einem Gegenstande zurück, welcher dermalen ihr Gemüt erfüllte. Sie hatte eine Unterredung mit Groot Willem und Thorkil, dann eine noch längere mit Roger Williams gehabt. Von letzterer war sie tiefbewegt und in Tränen gebadet zurückgekommen, so daß es all der herzlichen Tröstungen, welche der Liebe zu Gebote stehen, bedurft hatte, sie zu beruhigen. Zum festesten Halt in ihrer Erschütterung war ihr die auch hier wieder neugewonnene Überzeugung geworden, daß der Geliebte jederzeit bereit war, vor ihren Wünschen die seinigen verstummen zu lassen.

»Und Raoul,« sagte sie jetzt, »du bleibst also dabei, dich mit den beiden Jägern aufzumachen, ohne eine kleine Anzahl von deinen Leuten mitzunehmen?«

»Ja, mein Herz. Unsere Freunde sind der bestimmten Ansicht, daß Seeleute in den Wäldern wenig taugen und daß ein Trupp lärmender Matrosen unserem Unternehmen eher hinderlich als förderlich wäre. Ich glaube das selbst.«

»Und du meinst, daß du den beiden Jägern unbedingt vertrauen könnest?« »Unbedingt.«

»Aber sage, Raoul, wäre es nicht besser, ich ginge mit? Du weißt, ich habe mich bei unserer neulichen Waldfahrt ganz gut in die Sache gefunden.«

»Ohne Zweifel, ohne Zweifel. Allein, du hast die Triftigkeit der Gründe, welche mich bestimmen, zu wünschen, du mögest meine Rückkehr an Bord der Gloria abwarten, bereits zugegeben. Ich weiß dich dort am besten aufgehoben, meine Leute beten dich an – wer sollte auch das nicht tun? – und du hast mir schon mehrfach bewiesen, daß du für mein teures Schiff trefflich zu sorgen verstehst. Die Barkasse bringt dich morgen an Bord zurück, Monsieur Legrand und Estevan erhalten durch Terrible meine Weisungen, die mit unsern Verabredungen genau übereinstimmen. Das Schiff wird die See zwischen der Westküste von Plymouth, der Insel Rhode-Island und der Landzunge von Mount Hope halten. Die Gewässer der Bai sind ganz ruhig, und so könnt ihr die Küste nach drei Seiten hin fast immer in Sicht behalten, um auf die zwischen uns verabredeten Signale zu achten. Ich wollte freilich, Hih-lah-dih wäre mit dir gegangen; das Mädchen hat eine wunderbare Gabe, was Botschaften und Kundschafterei betrifft; aber die Kleine ist plötzlich fort, und so mußt du dich ohne Gesellschafterin behelfen.«

»O, du vergissest, daß ich meine alte Mirjam habe, mit der ich von früheren Tagen sprechen kann und von denen, welche du aufsuchen gehst, und –«

»Und?« fragte De Lussan, der wohl wußte, was noch kommen werde, mit einem zärtlichen Lächeln.

»Von dir,« entgegnete sie, ihre schönen Arme um seinen Hals legend und ihr Antlitz an seiner Brust bergend.

Er küßte ihre Stirn, ihre feuchten Wimpern, ihre seidenen Rabenhaare. Sie schlug ihre Gazellenaugen, die sein Entzücken waren, zu ihm auf und flüsterte:

»Raoul, du gehst vielleicht großen Gefahren entgegen – erinnere dich den Eingebungen deiner Kühnheit zum Trotz, daß ich – daß ich nicht leben kann ohne dich.«

»Ängstige dich nicht, Teuerste!« versetzte er, sie fester an sich ziehend. »Du kennst meinen Glauben: solange mir deine Augen strahlen, leuchtet der Stein meines Glückes glorreich durch alles Gewölk der Gefahr.«

Ende des ersten Bandes.


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