Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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3.

Unser der Wald und des Waldes Getier!
Freier durchbricht ihn der Hirsch nicht als wir!
Keiner, der spräche: »Nicht weiter! Halt!«
Unser die Steppe, soweit sie wallt!
Unser das Elen, stattlich und schnell,
Unser sein Mark und unser sein Fell!
Hemans.
Uralt und seltsam hob die Halle sich
In Inseleinsamkeit am Meeresufer.
Halleck.

Eine Stunde war vorübergegangen, seit das Boot seinen fluchtähnlichen Rückzug angetreten, und längst hatte es sich in der Ferne verloren. Die Sonne, welche den Höhepunkt ihrer Bahn durchmessen, stieg westwärts hinab. Wo ihre Strahlen die üppigen Wipfel des Urwalds zu durchdringen vermochten, fielen sie um die Blockhütte des Groot Willem her auf eine Szene, deren friedliche Stille nicht hätte erraten lassen, was so kurz zuvor hier vorgegangen war.

Durch die offenstehende Tür der Hütte konnte man den kunstlos aufgeschichteten Herd erblicken, auf welchem ein mächtiges Feuer prasselte, welches, wie es schien, das Mittel zur Bereitung eines üppigen Waldmahles abgeben sollte. Ich sage, zu einem üppigen, denn nicht nur brodelte ein großer eiserner Topf am Feuer, sondern die Spitzen der Flamme leckten auch gierig an einem saftigen Stücke Wildbret, welches an einem von dem alten Trapper eigenhändig in Bewegung gesetzten, allerdings sehr primitiv aussehenden Bratspieße schmorte.

Auf dem weichen Moose vor der Hütte saßen die beiden Flüchtlinge. Der ältere schlug soeben die Bibel zu, welche ihm zum Ausdruck seines innigen Dankgefühls gegen Gott, der sich heute so gnädig erwiesen, gedient hatte. Jetzt kam Lovely aus der Hütte, um, nachdem sie dem Trapper bei seinen kulinarischen Verrichtungen geholfen, draußen die einfachen Vorbereitungen zum Mahle zu treffen. Es war dies bald geschehen, denn diese Vorbereitungen bestanden nur darin, daß das Mädchen eine ungeheure hölzerne Schüssel, welche den Dienst des Tischtuches und der Teller zugleich versah, auf den Rasen setzte und ein plumpes hölzernes Salzgefäß daneben stellte. Groot Willem säumte nicht, seine Speiseschätze sofort aufzutragen. Er legte den am Spieße steckenden Wildbraten auf die erwähnte Schüssel und brachte auch den eisernen Topf herbei, in welchem ein Büffelhöcker dampfte. Thorkil kam mit einem großen Rindenbecher aus dem Gebüsche, wo er Wasser aus einer Quelle geschöpft hatte. So war die Gruppe vollständig, und das Waldmahl begann ohne Umstände, indem die Männer dem Beispiele riesenhaften Appetits, welches ihnen der alte Trapper gab, nach Bedürfnis nachfolgten. Nur Thorkil schien wenig oder gar keinen Hunger zu haben, oder er hatte, wenn er solchen empfand, keine Zeit, denselben zu stillen.

Er war nämlich mit einer Aufmerksamkeit und einem Eifer, wie sie nur je ein wohlerzogener Page seiner Gebieterin erwiesen, um Lovely beschäftigt. Er hatte ihr einen bequemen Sitz zu bereiten gewußt, er legte ihr die zartesten und schmackhaftesten Bissen vor, kredenzte ihr den Wasserbecher, kurz, benahm sich so fein und dienstbeflissen, daß Groot Willem höchlich verwundert die Augen möglichst weit aufriß und eine Weile vergaß, das gewaltige Stück Fleisch, welches er gerade zwischen den Zähnen hatte, zu beißen und zu schlucken.

Der alte Jäger war in seiner gewöhnlichen Gemütsverfassung ein Stück von einem Humoristen. Ein Demokrit der Wälder sozusagen, war er mehr geneigt, die Erscheinungen des Lebens zu belachen, als zu beweinen. Falls die starken, aber nicht unedlen Leidenschaften, welche unter seinem holländischen Phlegma schlummerten, nicht aufgestachelt wurden, besaß er vollauf jene köstliche Gabe der Kinder des Humors, die Gabe, alles in tröstlichem Lichte zu sehen oder vielmehr in jener neckischen, putzigen Streiflichter- und Schlagschattenbeleuchtung, welche die Lachmuskeln beinahe unwiderstehlich in Bewegung setzt. In dieser Beleuchtung mochte ihm nun wohl auch das ritterliche Gebaren seines jungen Begleiters erscheinen, denn als er bemeldeten Fleischbrocken glücklich bewältigt hatte, ließ er ein Gekicher hören, welches so ziemlich dem Gebrumm ähnelte, womit der Bär in glücklichen Augenblicken sein Wohlbehagen ausdrückt.

Thorkil verstand die Bedeutung dieses Gebrumms, zu welchem die lachend zwinkernden Augen des Alten überdies einen deutlichen Kommentar lieferten. Etwas wie Zorn wollte in den Augen des jungen Mannes aufleuchten, Zorn über den Spott seines Gefährten, vielleicht aber noch mehr Zorn über die Rosenkette, deren sanften, aber allmächtigen Druck er bereits auf seinem Nacken fühlte. Die Entrüstung wußte sich jedoch keine Bahn zu brechen. Der Jüngling schlug seine Augen nieder und errötete über und über. Kaum nahm Lovely dies Erröten wahr, als auch sie die Blicke senkte und tiefer Purpur ihre Wangen überzog.

Der alte Trapper kicherte jetzt nicht mehr. Das junge Paar war gar zu schön anzusehen in seiner Verlegenheit. Das grimmige Gesicht des Alten nahm den Ausdruck gutmütiger Teilnahme an, und seine Lippen bewegten sich leise.

»Ja, ja, ich sehe, wie's steht,« flüsterte er in sich hinein. »So sahen die arme Mabel und ich einander an, als wir uns zum erstenmal begegneten; so saßen wir einander gegenüber und wußten uns nicht zu raten und nicht zu helfen. Das war ein Drängen und ein Treiben von innen heraus und doch eine Scheu, eine Furcht, ein Zittern! Ich wette, sie möchten sich gar zu gern gegenseitig um den Hals fallen – hm – aber ich fürchte, der Junge wird diese Begegnung nicht so bald wieder vergessen, als es zu wünschen wäre. Mit unserm freien, franken Waldleben wird's nun auch vorbei sein, denn er wird dem Mädchen eifriger auf den Fersen sein als ein Naragansett einem Pequod, dessen Skalp er zu erbeuten hofft. – Hm, was ist da zu machen? Nicht viel, denk' ich. Das ist Natur, und die muß ihr Recht und ihren Willen haben.«

Groot Willem hatte die Gefühle, welche den Jüngling und das Mädchen bewegten, richtig erraten. Jede Minute ihres Beisammenseins schmiedete einen neuen Ring an der goldenen Kette, welche ihre Herzen zueinander hinzog. Und das war eben kein großes Wunder. Beide waren jung, schön, empfänglich, beide waren liebenswürdig. Mußte in der Seele Lovelys nicht ein warmes, innig warmes Gefühl für den jungen Mann aufblühen, dessen Äußeres und Benehmen so zutrauenerweckend war, für ihn, welcher so brav für ihr und ihrer Lieben Leben eingestanden? Und mußte auf den Jüngling, welcher in der das Gemüt für alles Schöne und Gute empfänglich machenden Schule der Natur und Freiheit erzogen war, diese Jungfrau mit dem harmonischen Ebenmaß ihrer zierlichen Gestalt, mit ihrem reizenden Antlitz, ihren anmutsvollen Bewegungen, ihren unter dunkelbraunen Locken hervorblickenden großen Veilchenaugen, mit all dem Schmelz ihrer Schönheit und Unschuld nicht notwendig den tiefsten Eindruck hervorbringen? Stand sie nicht vor ihm wie »ein Gebild aus Himmelshöhn« und hatte ihre süße Stimme nicht beim ersten Wort sein Herz mit wunderbarer Gewalt bewegt?

Das einfache Mahl ging vorüber ohne belebtes Gespräch und endigte damit, daß Lovelys Großvater das Mädchen aufforderte, das Dankgebet zu sprechen. Alle erhoben sich, mit Ausnahme des Groot Willem, der keineswegs zu den Frommen zu gehören schien. Er zog eine kurzröhrige, nach indianischer Weise aus rotem Speckstein geschnittene Pfeife hervor, füllte sie aus dem Tabaksbeutel, welcher neben seinem Pulverhorn am Gürtel hing, und ging dann in die Hütte, um eine glühende Kohle auf das duftende Kraut aus Virginien zu legen, dessen Genuß damals unter dem Namen des Tabaktrinkens auch in der alten Welt bekannt und beliebt zu werden anfing, während die Europäer in der neuen Welt den Gebrauch desselben von den Eingeborenen gelernt und angenommen hatten. Indessen wollte es dem alten Jäger mit dem Rauchen diesmal nicht recht glücken. Die Tür der Hütte stand offen, und während er seine Pfeife anrauchte, drangen die leisen, innigen Töne von Lovelys Gebet dem Waldmann zu Ohren. Er warf zuerst den Kopf trotzig rückwärts, allein der Klang dieser Stimme hatte etwas magisch Rührendes und verfehlte seine Wirkung auch auf Willem nicht. Er stand unbeweglich still, nahm die Pfeife aus dem Munde und regte murmelnd die Lippen, als spräche er die Worte des schönen Kindes unwillkürlich nach.

Als das Gebet zu Ende war, gesellte er sich wieder zu den übrigen.

Der ältere der beiden Obersten ging auf ihn und Thorkil zu, faßte ihre Hände und sagte:

»Nächst dem Herrn, dessen Hand heute so augenscheinlich über mir, und den Meinigen schützend gewaltet, gebührt euch, wackere Jäger, unser lebhaftester und tiefgefühltester Dank. Um euch die Aufrichtigkeit desselben darzutun, will ich euch vor allem überzeugen, daß ihr nicht etwa Unwürdigen oder gar Verbrechern euren Beistand zugute kommen ließet. Ich will euch sagen, wer wir sind und wie und weswegen wir hierher in die Wildnis gekommen. Wir sind –«

»Halt, nicht weiter!« unterbrach der Trapper den Greis. »Wir verlangen nicht mehr zu wissen. Ihr seid unsere Gäste, damit genug. Noch mehr, ihr tragt ein Pfand von einem Freunde bei euch, welches uns mehr gilt als ein Pergament mit Siegel und Namensunterschrift aller Könige jenseits des Meeres.«

»Aber, meine Freunde, ihr dürft doch wohl verlangen, zu erfahren, wem ihr so großmütig euren Schutz verliehen habt?«

»Nein, nein,« nahm Thorkil das Wort. »Es gibt ja Zeiten und Lagen, in welchen wackere Männer wohl daran tun, ihre Namen nicht dem nächsten besten anzuvertrauen.«

Ein vielsagender, aber wohlwollender Blick begleitete diese Worte des jungen Mannes, welcher noch beifügte:

»Seht, Willem und ich leben infolge unseres Jägerberufes viel unter und mit den roten Ureinwohnern dieses Landes, und so ging es ganz natürlich zu, daß wir uns diese oder jene indianische Eigenheit angeeignet haben. Es ist aber eine indianische Eigenheit, vielleicht dürfen wir es eine Tugend nennen, einen Gast niemals auch nur durch den leisesten Wink zur Mitteilung von Dingen zu verleiten, welche er möglicherweise lieber verschweigen möchte.«

»Ihr irrt Euch, junger Mann,« bemerkte der jüngere Oberst mit einem Anflug von Stolz. »Was wir zu sagen haben, kann uns nur in den Augen derer zur Unehre gereichen, welche der alten guten Sache abtrünnig geworden und hingegangen sind, um dem Baal zu räuchern und dem Moloch zu opfern.«

»Wir glauben es, wir glauben es,« entgegnete Groot Willem, indem er seine Versicherung mit einem Kopfruck begleitete, welcher bei ihm immer ein Zeichen von Ungeduld war. »Meint ihr, wir hätten unsere Hand für Schurken erhoben? – Und nun, Männer, sagt uns an, wie wir euch und der jungen Mistreß ferner dienen können. Wollt ihr ein Paar Tage hier bleiben in Willems Vrolykheid, wie ich die Hütte und den Platz da genannt habe, weil es sich hier gar einsam und fröhlich lebt, so soll es an Moos und Fellen zu eurem Lager nicht fehlen, auch nicht an Wildbret zur Speise, obgleich dermalen eigentlich keine Jagdzeit ist. Indessen will ich euch nicht verschweigen, daß unser Aufenthalt hier schon morgen nicht mehr ganz sicher sein dürfte. Der Tod des jungen Brausekopfs, welcher wähnte, ein alter Waldkrieger lasse sich von einem Gelbschnabel mir nichts dir nichts totschießen, wird an der Küste hinunter Lärm machen, und der Tod des Indianers wird uns sicherlich eine Bande Pequoden oder Mohikaner auf den Hals bringen.«

»So wollen wir unsere Reise fortsetzen,« sagte der Greis, »und wenn es sein muß, heute noch.«

»Das ist nicht nötig,« erwiderte der alte Jäger. »Ich stehe dafür, daß wir die Nacht über nicht beunruhigt werden.«

»In diesem Falle wollen wir den Rest des Sabbats in Ruhe verbringen und morgen in der Frühe aufbrechen.«

»Gut.«

Und mit der nämlichen Offenheit, womit er sich vorhin jede überflüssige Mitteilung verbeten, stellte der Trapper jetzt die nötige Frage:

»Wohin wollt ihr euren Weg richten?«

»Nach Swanzey, in das Haus des würdigen Richters Eaton,« gab der Greis zur Antwort.

»Zum Richter Eaton wollt ihr?« rief Thorkil im Tone unangenehmer Überraschung aus.

Groot Willem warf ihm einen mißbilligenden Blick zu und murmelte in den Bart: »Der Junge sprach vorhin von indianischen Tugenden. Ich dächte Selbstbeherrschung sei auch eine derselben, und zwar die vornehmste von allen.«

»Ja, zum Richter Eaton wollen wir,« erwiderte der Greis arglos auf den lebhaften Ausruf des Jünglings. »Wir tragen für ihn einen Brief von Roger Williams bei uns, und sind gewiß, willkommen geheißen zu werden.«

»Ohne Zweifel, ohne Zweifel,« entgegnete Thorkil mit schnell wiedererrungener Fassung. »So wollen wir denn in der Morgenfrühe aufbrechen, und so ihr es nicht verschmäht, werden wir euch Führer und Begleiter sein.«

Hier endigte einstweilen das Gespräch, und die Gruppe zerstreute sich. Willem schob sein Kanoe ins Wasser, um ein Paar Fische zu angeln, die beiden Obersten gingen in die Hütte und vertieften sich in jene stillen und ernsten Betrachtungen, wie die sabbatliche Stunde den Anhängern des Puritanismus sie vorschrieb. Lovely setzte sich auf ein Felsstück am Ufer und ließ ihre Blicke hinausschweifen in die Pracht des Abends, welche feierlich auf Wald und Meer lag.

Ein tiefempfängliches Gemüt, liebte sie die Natur und ihren Frieden und sog mit Entzücken den wohlgeruchsvollen Hauch der Abendkühle und mit ihm jenen eigentümlichen Zauber der Wildnis ein. Und doch erfüllte nicht allein die Größe und Lieblichkeit des vor ihr liegenden Schauplatzes ihre Seele. Sie ließ die Szenen des heutigen Tages an sich vorübergehen, und unter den Gestalten derselben gab es eine, die nicht aus dem Sehkreis ihres Auges weichen wollte. Sie schloß es, wie erschreckt von der Macht eines ihr bis heute unbekannten Gefühles, aber auch bei geschlossenem Auge sah sie den Jüngling immer und immer vor sich stehen. Hätte sie rückwärts geschaut, so würde sie mit dem Instinkte der Liebe haben erraten können, daß das magische Netz nicht über ihr Haupt allein geworfen worden. Denn wenige Schritte hinter ihr stand Thorkil, den es im Walde, wohin er mit seiner Büchse gegangen, nicht gelitten hatte, und seine Blicke sagten deutlich, daß er von allem, was seine Augen erfassen konnten, nichts sah, aber auch gar nichts, außer dem am Gestade sitzenden Mädchen. Sie ihrerseits fühlte seine Nähe, obgleich seine Mokassins beim Kommen nicht das geringste Geräusch auf dem Rasen hervorgebracht hatten. Ja, sie fühlte den Magnetismus seines Blickes, und der alte Willem würde wieder leise in sich hineingelacht haben, wenn er bemerkt hätte, wie das scheue züchtige Kind sich gleichsam in sich selber zusammenschmiegte, wie es abwechselnd hochrot und tiefblaß ward, wie es gar zu gern sich umgewandt hätte und es doch nicht wagte.

Endlich wagte sie es aber dennoch, und der zutuliche Prinslo lieh ihr einen willkommenen Vorwand. Das Tier umsprang wedelnd den jungen Freund seines Herrn und eilte dann auf Lovely zu, um auch ihr Beweise seiner Freundschaft zu geben. Er leckte ihr die Hand, und indem sie sich halb umwandte, um das freundliche Tier zu streicheln, konnte sie ungezwungen und ohne der jungfräulichen Zurückhaltung etwas zu vergeben, ein Gespräch mit dem jungen Jäger anknüpfen.

»Ihr seid glücklich,« sagte sie, »daß Ihr Euer Leben in der unermeßlichen Freiheit und Schönheit der Schöpfung des Herrn zubringen könnt. Ich habe Wald und Meer immer geliebt, schon in meiner Kindheit, aber erst in diesem Lande habe ich recht begreifen lernen, welchen wohltätigen Zauber Meeresstille und Waldeinsamkeit über die Seele üben.«

»Ja,« versetzte er, »es ist schön auf der See, und schöner noch ist's im Walde.«

Und an diese Wiederholung ihrer soeben vernommenen Äußerung knüpfte er, ermuntert von den freundlich schüchternen Blicken, welche sie ihm unter ihren dunkelseidenen Wimpern hervor zuwarf, eine einfache, aber anschauliche Schilderung des Jägerlebens, welches er und sein alter Gefährte führten. Er erzählte von all ihrem Treiben im Urwald und auf der Prärie, vom Biberfang, von der Jagd des Büffels und Elens. Ein naiver Enthusiasmus beseelte seine Rede, als er die Lust und Gefahr der Jagd auf den grimmigen grauen Bären schilderte, welcher damals noch in jenen Landstrichen nicht selten angetroffen wurde, während er jetzt in die endlosen Ebenen am Fuße der Felsgebirge sich zurückgezogen hat. Ein tiefes Naturgefühl sprach aus den Worten, womit er das Dahingleiten auf den mächtigen Waldströmen in einem leichten Rindenkanoe beschrieb. Das Herz seiner Zuhörerin schlug höher, und ihr Atem ging schneller, als er in ungesuchter Redewendung auf die Listen und Schrecken eines indianischen Krieges zu sprechen kam, als er das Verfolgen einer feindlichen Spur schilderte und wie er und sein Begleiter bei diesem Geschäfte plötzlich von einem Wald- und Steppenbrande überrascht worden seien, einem Ereignisse, mit dessen Schrecklichkeit nur seine Schönheit sich messen könne. Der Hauch der Freiheit, das Bewußtsein selbständiger Manneskraft durchzog seine Rede, und Lovely lauschte ihr mit einer Teilnahme, wie Brabantios schöne Tochter nur jemals den Erzählungen des tapfern Mohren widmete. Er sprach so gut, und seine Zuhörerin fühlte wohl, daß er nicht wußte, wie gut er sprach. Schon im Laufe des Tages hatte sie Gelegenheit gehabt, wahrzunehmen, daß der junge Mann im Besitze jener gewählten Ausdrucksweise und Redeform sei, welche zu allen Zeiten das schöne Vorrecht derer ist, die man Gebildete nennt. Seine Rede war bei aller Einfachheit und Anspruchslosigkeit dennoch weit feiner als sein rauhes Jägerkleid. Die Frauen haben in solchen Dingen ein sehr richtiges Gefühl. Lovely verlieh demselben Worte und gab einer verzeihlichen Neugierde nach, indem sie an Thorkil die Frage richtete, ob er sein ganzes Leben von Jugend auf in den Wäldern zugebracht habe.

»Ja,« lautete die Antwort, »mit Ausnahme weniger Jahre, welche ich bei dem trefflichen Roger Williams in Providence verlebte. Der wackere Mann hat sich in meinen Knabenjahren viele Mühe mit mir gegeben. Er wollte mich zu einem Prediger machen, aber ein unwiderstehlicher Hang und das Beispiel von Groot Willem, der mein Adoptivvater ist und stets wie ein rechter Vater an mir gehandelt hat, trieben mich wieder in die Wälder zurück.«

Lovely schwieg eine Weile. Dann fragte sie plötzlich:

»Ihr kennt den Richter Eaton in Swanzey?«

Die Stirne Thorkils bräunte sich bei Nennung dieses Namens, und seine Augen funkelten zornig. Indessen bemeisterte er sich und erwiderte kurz:

»Ja, ich kenne ihn.«

»Der edle Williams hält große Stücke auf diesen Mann.«

»Ich weiß es.«

»Ihr scheint den Richter nicht zu lieben?«

»Nein. Er ist mein und meines väterlichen Freundes Feind. Aber erlaubt mir, über Eaton zu schweigen, denn ich möchte selbst über einen Feind hinter dessen Rücken nicht Böses sprechen. Wir werden Euch sicher nach Swanzey bringen und dann –«

»Und dann?« fragte Lovely mit einem Augenaufschlag, welcher zeigte, daß sie das Stocken des Jünglings verstand.

»Dann scheiden wir,« stammelte Thorkil.

»Aber nicht für immer, nein, nicht für immer!« entgegnete sie rasch und bedeckte sich dann, wie erschrocken über ihre Kühnheit, die errötenden Wangen mit den Händen, während ein frohlockendes Lächeln die Züge des jungen Mannes überflog.

Die Nacht verging ruhig, und die Flüchtlinge genossen eines so festen Schlafes, wie er den von Gefahren Umringten seit vielen Nächten nicht mehr zuteil geworden war. Bei Tagesanbruch schiffte sich die ganze Gesellschaft auf dem größeren Boote ein, welches seinen Lauf nordöstlich richtete, sobald es aus der Bai hinaus in die offene See gelangt war.

Sie durchschifften den rechten Arm der großen Naragansettbai, und als die Sonne zur Rüste ging, stand die Küste der Insel Rhode-Island in naher Sicht. Sie hielten darauf zu und landeten kurz nach Sonnenuntergang, um die Nacht am Lande zu verbringen.

Am Südgestade der Insel, welche damals noch zum Gebiete des Sachems der Naragansetts gehörte, jedoch schon an zwei Stellen von den Pilgrimen besiedelt war, in einer schmalen Bucht vor Anker gegangen, folgten sie ihren Führern auf einem wenig betretenen Fußpfade, welcher wenige Schritte weit rechts an der Küste hinlief, dann plötzlich linkshin auf eine Waldlichtung einbog, wo er unter Gerölle verschwand.

»Wir sind am Ziele und haben unsere Nachtherberge erreicht,« sagte Thorkil und wies auf ein seltsames Bauwerk, welches sich mitten auf der kleinen Lichtung erhob und dessen graue, verwitterte Mauern im Scheine des eben aufgegangenen Mondes deutlich sichtbar waren. Der Ort hatte ein einsames, ödes, fast unheimliches Ansehen. Der Wald, welchen die Erbauer des altertümlichen Rundbaues vorzeiten zurückgedrängt, um für ihr Werk Platz zu erhalten, war seither wieder erobernd vorgedrungen und hatte seine grünen Siegesstandarten in unmittelbarer Nähe, da und dort sogar auf dem halbzertrümmerten Mauerwerk aufgepflanzt, während er überdies das ganze Gebäude in die Haft seiner dasselbe um und um überwuchernden Efeuranken gelegt.

In dem Gebäude und um dasselbe her herrschte eine lautlose Stille, nur unterbrochen von dem Gemurmel einer Quelle, welche ihren mächtigen Strahl in ein plumpes und halbgeborstenes Becken an der Ostseite des Mauerwerkes ergoß.

Thorkil öffnete eine hinter Buschwerk verborgene Tür, verschwand für einige Augenblicke, erschien dann wieder mit einer Kienfackel und forderte die Gäste zum Eintritt auf. Sie folgten der Einladung und befanden sich nun in einem Räume, welcher einen Altertümler an die ältesten Bauten der christlichen Kirche in dem kaum bekehrten Norden Europas hätte gemahnen müssen. Es war eine Rotunde von etwa vierundzwanzig Fuß Durchmesser, getragen von acht dicken Rundpfeilern mit roher Deckplatte. Über den Pfeilern wölbten sich Halbkreisbogen, und um den ganzen Raum her lief nach außen zu ein niedriger Umgang, welcher durch mehrere Türöffnungen mit dem Innern in Verbindung stand. Zwischen zwei Pfeilern in einer weiten Nische gegen Osten führten drei Stufen zu einer großen Steinplatte, in welcher der Sockel eines verschwundenen Altars nicht zu verkennen war, obgleich die Steinplatte jetzt als Herd benutzt wurde. Der Nische zur Seite und unterhalb der Stufen erhob sich auf einem plumpen Piedestal eine Art Schüssel, roh aus Sandstein gemeißelt, ganz von dem Aussehen, welches in alten katholischen Kirchen der sogenannte Taufstein hat. Der ganze Bau trug im Äußern und Innern entschieden das Gepräge jener europäisch-romanischen Architektur, wie sie im elften und zwölften Jahrhundert üblich war.

Der junge Jäger hatte die Fackel in eine eiserne Klammer an einem der Pfeiler befestigt und war hinausgegangen, um draußen einige Vorbereitungen zum Abendessen und zur Unterkunft der Gäste zu treffen, welche sich verwundert in dem Gebäude umsahen, das mit den Bauwerken des Landes, in welchem sie sich befanden, so sehr kontrastierte. Groot Willem fachte Feuer auf dem Herde an und sagte, nachdem er damit zustande gekommen:

»Ihr möchtet wissen, wo ihr seid, nicht? Nun laßt euch sagen, wir befinden uns in einem uralten normannischen Bau, welcher in früherer Zeit wohl als Kirche gedient hat und von den Vorfahren meines jungen Freundes Thorkil errichtet wurde.«

»Von den Vorfahren Eures Freundes?« fragte der ältere Oberst erstaunt.

»Ja, und wenn auf Familienüberlieferungen irgend ein Gewicht zu legen, wenn irgend Wahrheit darin ist, so hätte Thorkil guten Grund, auf seine Abkunft stolz zu sein. Aber in den Wäldern legt man dem, was sie drüben in Holland und England und auch hier in den Umsiedlungen Ahnenstolz nennen, keinen Wert bei. Da gilt der Mann bloß, was er selber ist.«

»Ihr sagt, die Vorfahren des jungen Jägers hätten dieses Bauwerk errichtet. Da müßten sie ja schon vor langer Zeit hier gehaust haben.«

»So ist es. Habt ihr nie davon sprechen hören, daß normannische Seefahrer von Island und Grönland her diese Gestade betraten, lange bevor der Genuese Kolon in Amerika landete? Daß die Überlieferung wahr, bezeugt dieser Bau, welchen nur die Hände von Weißen und Christen errichtet haben können. Doch sprecht nicht darüber mit Thorkil. Es macht ihn traurig, den armen Jungen. Und nicht ohne Grund. Denn seht,« fuhr der Trapper leise fort, indem er auf eine lose Platte des Fußbodens neben dem Taufstein wies, »hier wurde sein Vater erwürgt.«

»Erwürgt? Thorkils Vater?«

»Ja, erwürgt und zwar in dem Augenblicke, wo er im Begriffe war, einen Schatz zu heben, den einer seiner Ahnen hier vergraben und um derentwillen er mit seinem Sohne, der damals noch ein Kind war, aus Island herübergekommen. Ich fand den Toten und bei ihm den Knaben, der geschlafen hatte, während die Untat geschah. Das Kind hielt den starren Leichnam umklammert, und sein Jammern war herzzerreißend. Seither sind wir Freunde.«

»Und wurde der Mörder entdeckt?«

»Noch nicht, noch nicht. Zwar ich glaube ihn zu kennen, aber nur Gott kennt ihn. Erhalten Thorkil und ich Gewißheit, so soll der Schändliche sterben, hier sterben, auf jenem Steine, wo er gemordet und gestohlen. Und wir werden Gewißheit erhalten, wir haben die Spur, wir haben die Spur! Doch still davon, dort kommt der Junge; laßt ihn nichts hören von dieser Sache.«


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