Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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3.

Der Mensch
Trägt Adler in dem Haupte
Und steckt mit seinen Füßen tief im Kote
Grabbe.

Es vergingen drei volle Stunden, bevor De Lussan und sein Gast wieder auf dem Deck erschienen, welches der inzwischen aufgegangene Mond erhellte. Die Nacht war schön und warm, die Luft kaum merklich bewegt, das Schiff gierte leise an seiner Ankerkette. Monsieur Legrand, welcher an Bord der Gloria als erster Leutnant fungierte, hatte seinen Posten auf der Schanze einem andern Offizier überlassen und seine Kajüte aufgesucht. Der Kapitän maß das Deck der Quere nach ein paarmal mit hastigen Schritten. Dann stand er still und richtete an den wachthabenden Offizier die Frage:

»Wie ist das Wetter, Senhor Estevan?«

Der Angeredete gab in französischer Sprache, aber mit dem starken Beiklang einer Akzentuierung, welche den spanischen Kreolen verriet, zur Antwort: »Alles klar, Sieur; eine kleine Kühlte kommt von Süden, die nach Mitternacht stärker zu werden verspricht.«

De Lussan trat backbordwärts, um die Zeichen von Wind und Wetter zu prüfen. Seine Untersuchung war bald beendigt, und mit der bestimmten Kürze, welche seine Befehle charakterisierte, sagte er:

»Senhor Estevan, laßt das Gangspill bemannen und den Anker sogleich heben. Bringt das Schiff unter Segel und haltet den Kurs nach Nord-West-Nord, bis wir die Mündung des Pawtucketflusses erreicht haben.«

»Wohl, Sieur. Sollen wir an der bezeichneten Stelle vor Anker gehen?«

»Nein, weitere Befehle abwarten.«

Und indem er die französische Sprache, welche an Bord der Gloria sozusagen die offizielle war, mit der englischen vertauschte, wandte sich der Kapitän zu Thorkil mit den Worten: »Kommt, wir wollen noch ein Stündchen plaudern, denn ich glaube voraussetzen zu dürfen, daß die Neuigkeiten, welche uns Hih-lah-dih gebracht hat, nicht geeignet sind, Euch in Schlummer zu wiegen.«

Er sprach dies in seinem gewöhnlichen ruhig leichten Ton, aber als er mit Thorkil das Hackebord erreicht hatte und der Mond, ungehindert durch Masten und Tauwerk, seine Züge voll bescheinen konnte, da war an den blitzenden Augen und den zusammengezogenen Brauen des Seemanns wahrzunehmen, daß sein Inneres heftig bewegt sein mußte. Noch deutlicher trat die innere Aufgeregtheit auf dem Antlitz des jungen Jägers hervor, der sich auch gar keine Mühe gab, dieselbe zu verbergen.

» Foi de gentilhomme!« sagte De Lussan, nachdem er sich überzeugt hatte, daß kein Ohr außer dem Thorkils in Hörweite war, » foi de gentilhomme, das ist eine seltsame Geschichte.«

»Mehr als seltsam,« versetzte Thorkil. »Aber ich werde es mir nie verzeihen, daß ich nicht in den Wäldern war, obgleich ich wußte, daß Metakom einen Streich vorhatte. Doch da hilft nun schon kein Gerede mehr. Sagt mir schnell, Sir, was Ihr mir zu sagen habt, denn meine Zeit ist gemessen. Ich muß nach Providence, will das Kanoe Hih-lah-dihs nehmen –«

»Das werdet Ihr bleiben lassen, Freund.«

»Bleiben lassen?« fuhr Thorkil auf.

»Bah, nur ruhig! Tut doch Eure Ohren und Augen auf! Hört, da ruft Terribles Pfeife die Leute auf ihre Posten. Binnen zehn Minuten wird das Schiff mit Segeln bedeckt sein und seinen Lauf nach Norden nehmen. Die Gloria bringt Euch sicherlich rascher in die Bai von Providence, als das Kanoe des Indianermädchens dies zu tun vermöchte.«

»Ihr segelt nach der Bai von Providence?«

»Ja, die Herrin will's, und am Ende kann es auch meinen Plänen zustatten kommen. Wenn aber nicht, je nun, ich habe geschworen, daß Desdemona die Königin meines Schiffes sein soll, solange die Planken desselben zusammenhalten.«

Man hörte jetzt das Ächzen der Ankerwinde und das taktmäßige Stampfen der dieselbe drehenden Matrosen. Zugleich füllte sich die Takelage mit dunkeln Gestalten, die geräuschlos das Nötige zum Entrollen der Segel vorbereiteten.

»Anker klar!« tönte nach einer Weile die heisere Stimme des Bootsmannes.

»Setzt bei!« erwiderte die Stimme Don Estevans. Die Segel fielen von den Rahen und hingen einige Augenblicke schlaff nieder. Mählich jedoch verkündete ein erst leises, dann stärkeres Klatschen, daß die Kühlte auf das Segelwerk zu wirken beginne.

»Alles fertig, Sieur,« meldete der wachthabende Offizier von der Schanze her.

»Gut, Senhor,« entgegnete der Kapitän. »Herum mit dem Steuer, und sorgt, daß Ihr vor dem Winde bleibt. Sobald wir die Mündung des Pawtucket gekreuzt haben, soll die Barkasse nebst ihrer Bemannung zu augenblicklichem Dienste bereit sein.«

Die weißen Leinwandflächen fingen an zu schwellen, das Schiff machte, dem Drucke des Steuerruders gehorchend, eine halbe Wendung und glitt dann nach kurzem und kaum merklichem Schlingern mit graziöser Leichtigkeit dahin auf seiner Bahn.

»So, jetzt ist alles getan, was sich für den Augenblick tun läßt, mein Freund. Wollt mir daher sagen, was Ihr von den in der Kajüte vernommenen Neuigkeiten haltet.«

»Ich weiß darüber nicht eben viel zu sagen,« versetzte Thorkil. »Wir wissen nur, daß der Sachem der Wampanogen einen Schlag auf Swanzey geführt und daß er dabei seines Versprechens nicht eingedenk gewesen. Ferner, daß Metakom Gefangene gemacht, daß er sie in die Wälder geschleppt und dann nach den Grundsätzen rothäutiger Politik voneinander getrennt hat. In Providence soll ich Groot Willem treffen und weiteres vernehmen.«

»Wohl, aber was meint Ihr zu der sonderbaren Vermutung meiner Gebieterin?«

»Wenn ich die von mir gemachten Wahrnehmungen mit den Zeichen zusammenhalte, welche die Mistreß angegeben, so muß ich mit Bestimmtheit glauben, jene Vermutung sei wohlbegründet.«

De Lussan sah sehr nachdenklich vor sich nieder.

»Seltsam, seltsam,« murmelte er, und seine Stirn zog sich in finstere Falten.

»Freund Thorkil,« begann er dann wieder, »diese Sache kann für mich von unermeßlicher Wichtigkeit werden. Ruht die Phantasie, welche, wie Ihr bemerktet, das Gemüt meiner Herrin so leidenschaftlich ergriff, auf dem Grunde der Wirklichkeit, so ist Gefahr vorhanden, daß ein großer Plan einer Herzenssache geopfert werden muß, ein Plan, der seit Jahren meinen Geist und auch den meiner Gebieterin beschäftigt hat, und der, falls nicht alle Symptome trügerisch sind, eben jetzt im Begriffe war, zur Verwirklichung vorzuschreiten.«

»Ich verstehe Euch nicht recht.«

»Ihr sollt mich bald verstehen, wenn ich Euch gesagt, was Euch zu sagen ich mir schon lange vorgenommen habe. Die Stunde ist günstig,« fuhr der Seemann fort, indem er die Hand des Jägers faßte und demselben prüfend in das offene männliche Antlitz sah; »ich habe Vertrauen zu Euch, viel Vertrauen, und Ihr werdet mir zugeben, daß, solange wir uns kennen, ich stets wie ein Mann aufgetreten bin, der auch seinerseits Anspruch auf Vertrauen hat.«

»Das ist wahr, und ich bekenne offen, daß ich Euch von Herzen liebgewonnen habe.«

»Ich Euch nicht minder, Thorkil. Ihr erschient mir beim ersten Anblick als ein Mann vom echten Metall und Guß, obgleich ich bekennen muß, daß mir Euer Gebaren in letzter Zeit nicht mehr so recht frank und frei, sondern – wie soll ich sagen? – trübe und träumerisch vorgekommen ist.«

Der Jüngling wandte sich verlegen zur Seite und versetzte ausweichend: »Ja, Groot Willem meint, es müsse mit meiner Gesundheit nicht ganz richtig sein.«

»Ah bah, geht doch! Groot Willem meint allerdings, daß Euch etwas fehle, aber nicht die Gesundheit ist es. Ihr habt eine Muskulatur von Eisen. Nein, nein, Ihr habt Herzweh, Freund, das ist alles. Der kleine Gott, von welchem schon tausend gute und schlechte Poeten gesungen, hat Euch getroffen, auf jener Fahrt von Willems Brolykheid nach Rhode-Island, und Ihr fühlt die Widerhaken seines Pfeiles in der Brust.«

Thorkil blieb stumm und unterdrückte einen Seufzer.

»O, ziert Euch nur nicht! Glaubt mir, ich kenne diese Schmerzen, und nach dem, was mir Groot Willem von dem Mädchen gesagt –«

»Sprecht nicht weiter, ich bitt' Euch. Das arme Kind ist in den Händen der Wilden – ich hätte es vielleicht hindern können – aber wenn Ihr auch nur ein Haar ihres Hauptes gekrümmt wird –«

Er brach ab und legte mit einer vielsagenden Gebärde die Hand an den Griff des Weidmessers, das er im Gürtel trug.

»So gefallt Ihr mir,« sagte De Lussan. »Nach der Liebe und dem Ruhm ist die Rache das Süßeste, was der Mensch empfinden und genießen kann. Aber faßt Euch, ich bin fest überzeugt, daß der Häuptling keine Gewalttat gegen seine Gefangenen beabsichtigt. Er hätte sie sonst auf der Stelle den übrigen Toten der von ihm überfallenen Ansiedelung beigesellt. Er muß sie herausgeben, freiwillig oder gezwungen, und sollte Zwang nötig sein, so werde ich in dieser Sache fest bei Euch stehen. Da, nehmt meine Hand darauf!« Thorkil schlug in die dargebotene Rechte des Seemanns, und dieser fuhr fort:

»Es ist nötig, daß Ihr, bevor wir ans Land gehen, einen vollkommen klaren Blick in meine Pläne erhaltet. Seid Ihr bereit, mich zu hören?«

»Ich bin bereit.«

Beide nahmen ans der Bank Platz, welche von der Galerie der Hütte überragt wurde, und De Lussan begann sofort seine Mitteilung folgendermaßen:

»Ich rühme mich wie Ihr normannischer Abkunft. Während Eure Vorfahren von unserem Stammlande nach Westen fuhren, um am Fuße der feuerspeienden Eisberge Islands sich anzusiedeln, gingen die meinigen mit Rollo nach Süden und ließen sich in der Normandie nieder. Meine Familie behauptete einen Rang in der Baronschaft jenes berühmten Bastards, welcher unter dem Namen Wilhelms des Eroberers die Normannenherrschaft über England ausdehnte. Ein Zweig der Familie ging mit Wilhelm nach England hinüber und bildet noch jetzt ein Glied der englischen Peerschaft, ein anderer blieb in der Normandie zurück, und von diesem stamme ich. Getreu dem kriegerischen Geiste unseres Geschlechts, spielten mein Großvater und mein Vater eine Rolle in den Händeln des französischen Adels mit Richelieu und Mazarin. In den Unruhen der Fronde wurde unser altes Kastell von den Mazarinisten fast bis auf den Grund zerstört, und die sehr gesunkenen Vermögensumstände meines Vaters erlaubten demselben nur eine teilweise Wiederherstellung des alten Stammsitzes. Es ging überhaupt traurig zu auf Mont de Lussan. Der Vater konnte sich nach Beilegung der bürgerlichen Unruhen in den stillen und ziemlich knappen Haushalt nicht finden, und sein unwirsches Wesen, sowie die rauhen und mitunter brutalen Weidmannsmanieren meines älteren Bruders trugen unzweifelhaft die Mitschuld an dem frühen Tode meiner Mutter, einer geistvollen und milden Frau, deren anmutige Erscheinung mir noch immer lebhaft vor der Seele schwebt. Nach ihrem Tode fühlte ich mich ziemlich verlassen unter dem väterlichen Dache und war froh, als ich behufs meiner Ausbildung zu einem Diener der Kirche, was ich als jüngerer Sohn werden sollte, in das Jesuitenkollegium zu Rouen gebracht wurde. Ich studierte eifrig und machte Vorschritte. Meine Erholung bestand in den gewagtesten körperlichen Übungen, die mich zu einem tüchtigen Reiter, Schwimmer, Schützen und Fechter machten, mein größtes Vergnügen war die Lektüre der alten Ritterbücher und Chroniken, in deren abenteuerlicher Welt ich mich berauschte. Verworrene Träume von Heldenleben und Ruhm beschäftigten meine junge Einbildungskraft. Ich glaubte Talent und Energie in mir wahrzunehmen, und in kindischer Eitelkeit empfand ich Freude bei der Entdeckung, daß mein Name Raoul Ähnlichkeit habe mit dem Rollos, des Begründers der weltgeschichtlichen Größe des normannischen Stammes. Dabei beseelte mich ein ingrimmiger Haß gegen alle Unterdrückung und Tyrannei, und dieser Haß sollte bald eine bestimmte Richtung erhalten. Einer der Patres, welche unsere Studien leiteten, hatte mich liebgewonnen. Er war ein Mann von Geist und Herz und hatte lange einer Mission seines Ordens in Westindien vorgestanden. Mit brennenden Farben schilderte er mir die Greuel der spanischen Herrschaft in der neuen Welt, die unerhörten Grausamkeiten, deren sich die Spanier gegen die Ureinwohner schuldig gemacht, die eifersüchtige Feindseligkeit, womit sie alle übrigen Nationen der Vorteile zu berauben suchten, welche Handel und Kolonisation auf den Küsten Amerikas gewährten. Meine vagen Träumereien von Ruhm, mein angeborener Haß gegen Unrecht und Vergewaltigung bekamen durch diese begierig eingesogenen Schilderungen ein festes Ziel. In den Spaniern glaubte ich die Erbfeinde der Freiheit und Menschlichkeit zu erkennen, und ich schwur ihnen jene unauslöschliche Feindschaft, welche der alte Karthager seinen Sohn Hannibal den Römern hatte schwören lassen. Dieses, wenn Ihr wollt, ganz knabenhafte Gefühl kam zu einem lächerlichen Ausbruch, welcher aber einen bedeutenden Wendepunkt in meinem Leben zur Folge hatte. Die Väter der Gesellschaft Jesu hatten und haben, glaube ich, noch jetzt in ihren Kollegien den Brauch, durch die Schüler von Zeit zu Zeit geistliche und profane Schauspiele aufführen zu lassen. Bei einer solchen Gelegenheit hatte ich die Rolle eines französischen Soldaten zu spielen, der in einer Prügelszene mit einem spanischen zusammengerät. Mitten in dieser Szene ergriff mich der Dämon meines Hasses mit einer solchen Leidenschaftlichkeit, daß ich gänzlich vergaß, der angebliche Spanier sei ja einer meiner besten Kameraden, und mit solcher Wut über den Armen herfiel, daß derselbe, aus Mund, Nase und einer Stichwunde in dem linken Arm blutend, halbtot von der Bühne getragen werden mußte. Ich erhielt eine sehr strenge Pönitenz, die mir auf einmal klar machte, was ich schon längst dunkel gefühlt, nämlich daß ich durchaus nicht zum Priester geschaffen sei. Einen Tag nach Gewinnung dieser Überzeugung entsprang ich dem Kollegium und ging zu Honfleur an Bord eines Westindienfahrers. Ich mußte Schiffsjungendienste tun, um die Kosten der Überfahrt zu decken, wußte aber das Wohlwollen der Mannschaft zu gewinnen, welches ich zur Erwerbung der Elemente praktischer Seefahrtskunde benutzte. Es muß wohl ein gut Teil von der altnormannischen Vertrautheit mit dem Meere in meinem Blute gelegen haben, daß ich die Einzelnheiten des Seedienstes so rasch faßte, wie das wirklich der Fall war. Nach einer langen und höchst beschwerlichen Fahrt wurden wir auf der Hohe der Bahama-Inseln von einer spanischen Galione genommen. Ich sollte, wie die ganze übrige Mannschaft unseres Schiffes, als Sklave in die Pflanzungen von Haiti gebracht werden. So verstanden und übten die Spanier ihr Seerecht in jenen Meeren. Ihr könnt Euch denken, daß die Aussicht auf das fragliche Los meinen Haß gegen alles, was spanisch hieß, nicht sehr verminderte. Im übrigen aber war ich entschlossen, eher zugrunde zu gehen, als mich zum Sklaven machen zu lassen. Die Galione wurde vom Sturme an die wilde Nordküste Haitis verschlagen. Eines Nachts, als das Schiff lavierte, um seinen ursprünglichen Kurs wiederzugewinnen, gelang es mir, aus dem Raum, wo wir Gefangenen eingesperrt waren, auf das Verdeck zu kommen. Der Sturm hatte sich gelegt, und im Schein des tropischen Mondes sah ich gegen Norden hin die Brandung blitzend an einer Küste sich brechen. Blitzschnell durchfuhr mich der Gedanke, daß dort vielleicht die kleine Insel La Tortue läge, welche nur durch einen schmalen Meeresarm von der Nordküste Haitis getrennt ist. Ich hatte während unserer Fahrt über das Atlantische Meer viel von dieser Insel sprechen hören, als von dem Hauptsitze der Flibustier oder Bukanier, welche sich in meiner Phantasie mit dem verschmolzen, was ich in alten Büchern von den Wikingerfahrten der normannischen Seekönige gelesen hatte, und in meinen Augen schon darum als vollkommene Helden dastanden, weil sie unerbittliche Feinde der Spanier waren. Mein Entschluß war augenblicklich gefaßt. Ich wußte, daß die See dort herum von Haifischen wimmelte, allein das kam mir in jenem Moment gar nicht zu Sinne. Ich sah nur Freiheit und Rache vor mir. und stürzte mich, die Kleider von mir werfend, mit einem Fluch auf die Spanier ins Meer. Ich weiß nicht, ob meine Flucht an Bord der Gallone bemerkt wurde, ich weiß nur, daß ich, aus der Tiefe wieder auftauchend, mit rasendem Eifer meine Kräfte anstrengte, um der Sklaverei hinter mir zu entschwimmen. Ich kam vorwärts, die von Bord aus wahrgenommene Brandung fest im Auge behaltend. Aber die Entfernung derselben war größer, als ich im trügerischen Schein des Mondes hatte ermessen können. Schon fühlte ich meine Muskeln erschlaffen, als mich die Strömung ergriff und mit furchtbarer Gewalt der Brandung zuführte, die mir wie Donner ins Ohr scholl. Eine Woge faßte mich, inmitten der Angst, im nächsten Augenblick an eine Klippe geschmettert zu werden, verlor ich das Bewußtsein und fand es erst in der Hütte eines Bukaniers wieder, welcher bei Tagesanbruch den Besinnungslosen am Strande aufgelesen. Nackt und bloß, hatte mich die Brandung sozusagen in die Mitte der Flibustier geschleudert.«

Hier unterbrach sich der Erzähler, indem er sich mit der Frage an Thorkil wandte:

»Ihr kennt die Geschichte der Flibustier?«

»So ziemlich,« erwiderte Thorkil. »Mein Lehrer Roger Williams hat mir sie erzählt.«

»Und was wußte dieser Puritaner davon zu sagen?«

»Daß die Küstenbrüder die kühnsten Männer seien, die je das Meer befahren, jedoch zugleich – «

»Nun?«

»Zugleich auch die gesetzloseste Bande, die es je gegeben.«

»Bah, der gute Prediger, vor welchem ich übrigens nach allem, was Ihr mir von ihm gesagt, die größte Achtung habe, hätte sich besser unterrichten sollen. Ich sage Euch, mein Freund, es hat vielleicht nie eine Genossenschaft existiert, bei welcher auf die Erfüllung der Gesetze, welche sie sich selbst gegeben, so streng gehalten wurde wie bei den Küstenbrüdern. Habt Ihr an Bord der Gloria jemals etwas bemerkt, was mit der strengsten Ordnung unverträglich wäre?«

»In Wahrheit, nein, und ich gestehe, daß ich die Kunst, womit Ihr Eure Leute beherrscht, höchlich bewundere.«

»Ja, die Burschen kennen mich, und jeder derselben weiß, daß der Augenblick, wo er sich durch einen Blick, durch eine Gebärde, durch ein Wort auch nur die geringste Widersetzlichkeit gegen meinen Willen erlaubte, sein letzter sein würde. Doch ich fahre in meiner Erzählung fort. – Die Mehrzahl der Flibustier, welche damals von La Tortue aus ihre Wikingerzüge gegen die Schiffe und Kolonien der Spanier ausführten, waren Franzosen, und so wurde ich als ein Landsmann mit der rauhen Gastfreundlichkeit von ihnen aufgenommen, welche in den Niederlassungen der Bukanier herrscht. Ich erzählte meine Geschichte, und der Grimm der Rachgierde, womit ich von der spanischen Galione sprach, gewann mir die Zuneigung der Männer. Wenige Stunden darauf schon war eins der kleinen Fahrzeuge in See, womit diese Unverzagten die grüßten spanischen Schiffe zu jagen und zu entern pflegen. Ich war mit an Bord. Wir holten die Galione beim Kap Isabella ein und enterten sie trotz ihres mörderischen Feuers. Ihr seid ein Normann und müßt also von jener rasenden Kampflust gehört haben, welche unsere Vorfahren die Berserkerwut nannten. Wohl, bei Enterung der Gallione erfuhr ich an mir selber, daß die Berserkerwut noch jetzt ein normannisch Blut siedend machen kann. Bloß mit einem kurzen Pallasch bewaffnet, stürzte ich mich als der erste auf das feindliche Deck, brach mir blutige Bahn durch die Spanier und warf alles vor mir nieder, was sich mir entgegenstellte. Noch klingt mir im Ohr der wilde Jauchzlaut, welchen ich ausstieß, als ich vor dem Hauptmaste dem Senhor Kapitano, der mich zum Sklaven in einer Zuckerplantage hatte machen wollen, mit einem wütenden Hiebe das Haupt vom Rumpfe schlug. In einem Nu war die Galione genommen. Dies war der Anfang einer Laufbahn, die mich schon nach Jahresfrist an die Spitze einer Schiffsmannschaft brachte, welche noch jetzt den Kern der Schlachtrolle der Gloria ausmacht, einer Laufbahn, die mir von Seiten der Spanier den Namen des Vertilgers, el Exterminador, einbrachte, einen Namen, der in der westindischen See, von den Küsten Neufundlands bis hinab zur Meerenge von Panama, von den Dons gefürchtet und gehaßt genug ist. Ich will Euch nicht mit Herzählung meiner Abenteuer ermüden, obgleich ich glaube, viele derselben würden sich an einem Jägerfeuer recht gut anhören lassen. Durch einen Zufall vernahm ich den Tod meines Vaters und meines Bruders und fühlte mich dadurch von einer Art Heimweh nach dem schönen Frankreich angewandelt. Ich stellte meine Leute unter die Befehle von Monsieur Legrand, dem ich unbedingt vertrauen konnte, und schiffte mich nach Europa ein. Mein Ruf und mehr noch mein Gold setzten mich in den Stand, in Paris und Versailles das Leben eines großen Herrn zu führen, was ich auf eine Zeitlang mit aller Lust eines Neulings tat. Bald indessen ward ich dieser tatlosen Schwelgerexistenz überdrüssig. Ich besuchte unser zerfallenes Stammschloß in der Normandie und fand es im Besitze eines entfernten Vetters, welchem die Ruinen streitig zu machen ich nicht die geringste Lust hatte. Unter den hinterlassenen Familienpapieren meines Vaters stieß ich auf Dokumente, welche besagten, daß unsere Familie seit langer Zeit eine bedeutende Forderung an den englischen Zweig des Hauses geltend zu machen hätte, eine Forderung, welche mein Vater aus Mangel an Geldmitteln nicht hatte verfolgen können. Ich ging nach England und begann einen langwierigen Prozeß, den ich verlor. Aber statt seiner gewann ich dort einen Schatze welchen alles Gold der Erde nicht aufwiegen könnte, einen Schatz, der ein nie geahntes, unermeßliches Glück in mein Leben brachte und demselben erst einen rechten Mittelpunkt gab. Ihr versteht, was ich meine, Thorkil. Ich führte meine Herrin nach Frankreich, zeigte ihr die Herrlichkeiten des Hofes und sonnte mich in der Atmosphäre von Bewunderung, welche ihre Erscheinung allwärts um sie verbreitete. Allein meine Gebieterin war von einer Poesie erfüllt, welche ihr nicht wohl werden ließ in den Kreisen der sogenannten großen Welt. Meine Erzählungen vom Meer und von der neuen Welt hatten sie von Anfang an entzückt, und als ich sie an Bord der Gloria führte, die ich auf den Werften von Brest durch einen Künstler in der Schiffsbaukunst hatte erbauen lassen, strahlten ihre süßen Augen vor Vergnügen. Wir gingen unter Segel und durchkreuzten das Atlantische Meer. Auf La Tortue vervollständigte ich mit meiner alten Mannschaft die Equipage der Gloria, deren guter Genius Desdemona wurde. Der Sieg war an meine Flagge gefesselt, und mein Name nahm zu an Schrecken und Ruhm, Ich beabsichtigte, seine Geltung über die Schranken eines Schiffes auszudehnen, ich hätte meiner Herrin ein Königreich zu Füßen legen mögen. Die Unternehmungen eines Kortez, eines Pizarro, eines Almagro und anderer schwebten mir vor, und ich sagte mir, was jene Abenteurer aus eitlem Golddurst zuwege gebracht, das müsse doch wohl auch dem von der Liebe inspirierten Streben nach Ruhm gelingen. Von diesem Gedanken erfüllt, richtete ich mein Augenmerk zuerst auf die südlichen Breitegrade von Amerika, unter denen noch unermeßliche und reiche Länderstriche liegen, die nur nominell von den Spaniern und Portugiesen in Besitz genommen sind. Schon hatte ich angefangen, auf einer kleinen Insel im Golf von Honduras, welche ich seit Jahren als mein Eigentum betrachten konnte, eine umfassende Expedition nach dem Innern von Zentralamerika auszurüsten, als ich die Entdeckung machte, daß das Klima der Tropen einen entschieden nachteiligen Einfluß auf die Gesundheit meiner Gebieterin ausübte. Sogleich ließ ich die Vorbereitung zu einer Unternehmung fallen, welche ich um so lieber ausgeführt hätte, als meinem Naturell die Pracht und Glut der tropischen Natur vollkommen entspricht und ich mich völlig heimisch in derselben gemacht hatte. Genug, die Sache mußte aufgegeben werden, oder vielmehr meine Pläne mußten die Lokalität wechseln. Indem sich aber mein Blick den nördlicheren Breiten des amerikanischen Kontinents zukehrte, konnte ich mir nicht verhehlen, daß ich dort ganz andere Schwierigkeiten zu überwinden haben würde, als solche den spanischen Konquistadoren in Mexiko und Peru entgegengestanden hatten. Diese nördlicheren Küsten waren bereits von Europäern besetzt und in großer Ausdehnung kolonisiert, von Europäern germanischer Rasse, deren Zähigkeit und Ausdauer einem neuen Eindringling unzweifelhaft den hartnäckigsten Widerstand entgegensetzen würde. Allerdings liegen hinter den Ansiedelungen von Virginien und Neuengland unübersehbar große Länderflächen, welche noch keinen Weißen gesehen, geschweige einem botmäßig sind. Allein zur Eroberung dieser Wildnisse und zur Gründung eines – nun, wie soll ich sagen? – eines Staates in denselben scheint es mir schlechterdings notwendig, daß man zuerst an der Küste festen Fuß fasse, um mit dem Meere und durch dieses mit der zivilisierten Welt in gesicherter Verbindung zu bleiben. Je mehr ich in die Einzelnheiten meines Vorhabens einging, um so schwieriger mußte es mir erscheinen, allein ich war nie der Mann, einen einmal gefaßten Entschluß aufzugeben, weil dessen Ausführung keine leichte Sache war. Zwar hätte ich mich zur Ruhe setzen können, die Mittel fehlten mir dazu nicht; allein Untätigkeit wäre mein Tod, und auch meine Herrin liebt die Aufregungen, welche ein Leben der Tätigkeit und Abenteuer mit sich bringt. Auf der andern Seite aber war gerade um Desdemonas willen an die Fortführung einer Flibustierlaufbahn gewöhnlichen Stils nicht zu denken, und so blieb mir nur übrig, den Plan einer Konquista in Nordamerika mit allem Nachdruck zu verfolgen. Die Ausführung dieses Plans hieße ohne Zweifel ein Flibustiertum höchsten und edelsten Stils ins Leben rufen, ein Flibustiertum, wie es der alte Normannenherzog Rollo übte, als er das Seinetal eroberte und die Normandie gründete. Was meint Ihr, Thorkil?«

»Euer Plan ist kühn und groß, Kapitän, aber seine Abenteuerlichkeit erschreckt mich fast. Ihr wißt, ich bin ganz frei von dem, was die Leute Ehrgeiz nennen.«

»Bei den Augen meiner Herrin, das glaub' ich nicht. Ihr seid ein kühner Waldgänger, und mit der Kühnheit ist stets der Drang nach Ruf und Ehre verbunden. Ihr seid nur noch zu jung, um die Süßigkeit des Ruhms schon zu kennen und gehörig würdigen zu können. Kostet nur erst davon, und das Gericht wird Euch immer besser schmecken. L'appétit vient en mangeant, das heißt, gutes Essen steigert die Eßlust, pflegen wir in Frankreich zu sagen, und das Sprichwort lügt nicht, versichere Euch. Um jedoch zum Schlüsse meiner Geschichte zu kommen: ich machte auf einem Ausflug, welchen ich zur Erforschung des Innern von Neuengland unternommen hatte, die Bekanntschaft des Zwischenhändlers Thomas Morton auf Mount Wallaston –«

»Traut Ihr diesem Menschen, Kapitän?«

»Trauen? Nicht von hier bis zum Besanmast meines Schiffes.«

»Und doch habt Ihr Euch mit ihm eingelassen?«

»Was Ihr für eine liebe naive Unschuld seid, Master Thorkil! Glaubt Ihr denn, daß Männer, welche je Großes ausführten oder je ausführen werden, zum Ziele gekommen wären oder kommen würden, wenn sie skrupulös darauf gesehen hätten oder sähen, ob alle ihre Werkzeuge reine Hände und frischgewaschene Wäsche hatten oder haben. Wie es einmal in der Welt zugeht, eignet sich oft gerade der heilloseste Schuft in verwickelten Unternehmungen zum besten Werkzeug. Hat es seine Dienste getan, so wirft man es weg oder zerbricht es, je nach den Umständen. Ich weiß recht wohl, daß Tom Morton ein verdorbener Londoner Winkeladvokat ist, gemeinster Ausschweifung ergeben, ein Spieler und Säufer, der mit seinen Trunkenbolden von Genossen auf Mount Wallaston, welchen sie in Merry-Mount umgetauft haben, eine ärgerlich liederliche Wirtschaft führt. Aber er konnte mir nützlich werden und ist mir auch wirklich nützlich geworden. Erinnert Euch nur, daß Morton es war, welcher mich zuerst mit Euch und Groot Willem bekannt machte.«

»Meiner Treu, Kapitän, so lieb mir auch unsere Bekanntschaft ist, so wollt' ich doch, sie hätte einen andern Mittelsmann gehabt. Ich für meine Person ging immer mit dem größten Widerwillen nach Merry-Mount und auch nur dann, wann es durchaus nötig war, unsere Felle gegen Munition und andere Bedürfnisse umzutauschen.«

»Ja, seht Ihr, Freund, der trunkene Tom wußte sich doch nützlich zu machen, und ich wette, Ihr seid bei Eurem Handel mit ihm billiger gefahren, als wenn Ihr mit einem dieser näselnden, psalmplärrenden Heiligen des Herrn, wie sich die Schufte nennen, gehandelt hättet.«

»Das ist möglich; aber wißt Ihr, Kapitän, der brüllende Tom, wie er ganz passend genannt wird, hat einen gewaltigen Respekt vor Groot Willems Roer und wagt nicht zu vergessen, daß mein Adoptivvater, mit der Hand an den Lauf des besagten Roers klopfend, beim Anfang unseres Tauschverkehrs zu ihm sagte: ,Wir Trapper werden von allen Zwischenhändlern betrogen, Mann, das ist so die herkömmliche Ordnung; aber wenn Ihr Eure verdammten Betrügereien uns gegenüber zu arg macht, so wird der Advokat da, genannt Groot Willems Roer, den Prozeß zwischen uns ausmachen und zwar schleunig und bündig genug, bürg' Euch dafür, Mann. – Im übrigen, Kapitän, tut Ihr unrecht, wenn Ihr die Kolonisten in ihrer Gesamtheit, ja auch nur in ihrer Mehrzahl als Schufte bezeichnet. Ich zwar habe keinen Grund, die Puritaner zu lieben, denn sie haben, von meines Vaters Tod ganz zu schweigen, den beiden Männern, welchen ich so viel, ja alles verdanke, Groot Willem und Roger Williams, schweres Leid angetan. Aber bei alledem muß ich sagen, daß es unter ihnen Männer gibt, und zwar nicht einen oder den andern, sondern viele, welche dem makellosesten Wollen eine eiserne Tatkraft gesellen.«

»Die letztere Eigenschaft lasse ich gelten, doch wie mögt Ihr, von einem makellosen Wollen sprechen bei Leuten, welche all ihr Sinnen und Trachten nach der Schnur des engherzigsten Zelotismus regeln?«

»Dieser Zelotismus ist eine Tatsache, die sich nicht leugnen läßt, aber mein Lehrer Williams, welcher doch durch dieselbe so viel zu leiden hatte, pflegt zu sagen, ohne die Zähigkeit, womit die Kolonisten an ihren religiösen Grundsätzen hängen, wäre die Gründung der Ansiedelungen von Neuengland vielleicht geradezu eine Unmöglichkeit gewesen.«

Der Flibustier versank in ein kurzes Nachdenken, Dann sagte er:

»Ich habe Euch einen Blick in meinen Plan eröffnet, Thorkil. Ihr wißt, was ich will; Ihr wißt auch, was ich mittels meiner Verbindung mit den Eingeborenen, die ja hauptsächlich durch Euch und Euren väterlichen Freund Willem bewerkstelligt wurde, zur Ausführung des Unternehmens bereits getan. Sagt mir offen, ob Ihr glaubt, daß dieses Unternehmen glücklich durchgeführt werden könne.«

»Das zu entscheiden vermag ich nicht, aber so viel weiß ich, daß die Kolonisten Euch den zähesten Widerstand entgegensetzen werden.«

»Desto besser; nur der Triumph ist schön, welcher mit Anstrengung aller Kräfte errungen wird. Ich verachte die leichten Erfolge und liebe es, alles einzusetzen, um alles zu gewinnen. Seht, der Webstuhl der Ereignisse hat schon angefangen, die von mir zugerichteten Fäden sausend zu verweben. Der Kampf der Eingeborenen gegen die Kolonisten ist ausgebrochen. Mögen sich untereinander würgen und schwächen! Dann werde ich über sie kommen. Ich habe Gold in Fülle, die Mannschaft meines Schiffes ist mir unbedingt auf Tod und Leben ergeben, ich sende Monsieur Legrand nach den westindischen Inseln hinab, und er wird auf meinen Ruf Hunderte von Freibeutern, die selbst den Teufel nicht fürchten, heraufbringen.«

»Hunderte von –«

»Piraten, wollt Ihr sagen. Ah, das macht Euch stutzig? Ihr meint, das Fundament meiner Macht sei nicht sauber und blank genug? Aber da Ihr ja nicht unbewandert in der Geschichte seid, so müßt Ihr wissen, daß die ersten Eroberer fast durchweg nichts anderes waren als Räuber. Was waren Romulus, der Gründer von Rom, Rollo, Robert Guiskard, Wilhelm der Eroberer, Kortez, Pizarro? Bei Licht betrachtet lauter Räuberhauptleute.«

»Man sagt so, aber erinnert Euch, wie es Kortez und Pizarro erging. Lohnte ihnen ihr König nicht mit Undank, nachdem sie so Ungeheures für ihn vollbracht?«

»Und warum vollbrachten sie es für ihn und nicht für sich selbst, die Toren? Wähnt Ihr, es sei mir auch nur im Traume eingefallen, zugunsten irgend eines Königs den Eroberer spielen zu wollen? Meint Ihr, ich wüßte nichts Besseres zu tun, als ein von mir erobertes Land dem hochmütigen Louis in Versailles zu Füßen zu legen? Foi de gentilhomme, es gibt nur ein Wesen, welchem ich meine Freiheit und meine Macht willig unterordne, meine Herrin. Indem ich sie erhöhe, erhöhe ich mich selbst. – Doch der Flug der Phantasie führt mich zu weit. Kehren wir zur Wirklichkeit zurück und zu dem, was zunächst zu tun ist. Ich habe Euch schon angedeutet, daß das, was das Gemüt meiner Gebieterin seit diesem Abend bewegt, einen bedenklichen Riß in meinen Plan machen könnte. Wir müssen uns Gewißheit zu verschaffen suchen, Gewißheit um jeden Preis und so rasch als nur immer möglich. Denn solange diese Beklemmung, diese Ungewißheit und Sorge die Augen meiner Dame umdunkelt, sind meine glücklichen Sterne verdüstert und fühle ich mich auf allen Seiten gehemmt. Was ratet Ihr?«

»Wären wir in den Wäldern, so würde ich sagen, daß meine Stimme noch zu jung sei, um am Ratsfeuer gehört zu werden. Ich weiß aber, was mir zu tun zukommt. Sobald ich die furchtbare Pflicht erfüllt, zu deren Erfüllung mich die Botschaft Groot Willems nach Providence ruft, werde ich mich aufmachen, um die Spur Metakoms aufzuspüren, und nicht ablassen, bis ich sie gefunden. Der Häuptling soll uns Rechenschaft ablegen, und kann er es nicht, so sind wir geschiedene Leute.«

»Ich werde Euch begleiten, Freund, denn Ihr begreift, wie sehr mir daran liegen muß, einen Bruch mit den Eingeborenen zu verhüten, deren Aufstand gegen die Kolonisten einen so wesentlichen Posten in meinem Kalkül ausmacht. Es wäre heillos, wenn die Maschen eines mit so großem Aufwande von Zeit und Mühe geknüpften Gewebes durch diesen unvorhergesehenen Zufall, durch diese romantische Episode zerrissen würden. Und doch,« fuhr der Flibustier fort, indem er sich mit der Hand über die hohe Stirn fuhr, »und doch – wir sprachen heute abend von Ahnungen, Master Thorkil, und ich fürchte, die Sache zu scherzhaft genommen zu haben. Denn seht, seit ich gehört, was meine Gebieterin und das Indianermädchen uns mitteilten, liegt eine Ahnung mir auf der Brust, schwer wie ein Alp. Mag meine Herrin in ihrer Vermutung sich täuschen, oder mag sich dieselbe bestätigen, in jedem Falle fürchte ich für sie. Es ist da eine Wunde aufgerissen worden, welche ich mittels des Balsams einer unendlichen Liebe glücklich geheilt zu haben glaubte. – Aber wir wollen von Euren Angelegenheiten sprechen. Ihr glaubt also, die Stunde, wo Ihr das schreckliche Amt des Bluträchers zu üben habt, sei gekommen?«

»Die Botschaft Willems läßt mir daran keinen Zweifel.«

»Und seid ihr beide vollständig überzeugt, daß die Rache den rechten Mann treffe?«

»Wir sind es. Aber in einer so ernsten Sache soll sogar der Schein einer Übereilung vermieden werden. Auf Willems Veranstaltung wird der von Metakom gefangene Richter von Swanzey nach Providence gebracht, welche Kolonie infolge der Freundschaft, die der Sachem der Naragansetter für Roger Williams hegt, ein neutraler Boden ist. Dort, in Gegenwart von Williams, der sein Freund ist, soll Eaton meine Anklage hören, er soll vor einer Geschworenenbank, wie sie ein freigeborener Engländer verlangen kann, seine Verteidigung führen, und soll gerichtet, nicht gemordet werden.«

»Das ist umsichtig und ehrenhaft gehandelt. Aber glaubt Ihr, ein Haß, wie ihn, nach abgebrochenen Äußerungen zu schließen, Groot Willem gegen Eaton hegt, sei durch das Verdikt einer Jury zu stillen, falls dieselbe auf Nichtschuldig erkennen würde?«

»Was den Mord angeht, wohl, denn Willem ist vor allem ein gerechter Mann. Was aber seine Rechnung mit Eaton betrifft, so wird er dieselbe früher oder später auf seine eigene Weise abmachen.«

»Darf ich fragen, wie diese Rechnung aufgelaufen? Ihr verzeiht meine Neugierde der Teilnahme, welche Euer Freund mir einflößt.«

»Groot Willem spricht nicht gern von der Sache, doch glaube ich mich keines Fehlers schuldig zu machen, wenn ich sie Euch kurz mitteile. Willem und Eaton waren in ihrer Jugend engverbundene Freunde, obgleich ihre verschiedenen Ansichten in Sachen der Religion immer einen Stein des Anstoßes zwischen ihnen ließen. Eaton war stets ein starrer Anhänger des Puritanismus, dessen Satzungen er mit der größten Strenge beobachtete und beobachtet wissen wollte, Willem dagegen hielt sich außerhalb der puritanischen Kirchengemeinschaft und bekannte sich offen zu dem Grundsatz, daß jeder Mensch berechtigt sei, zu denken und zu glauben oder auch nicht zu glauben, was ihm beliebe. Er hatte seinem Freunde bei der Gründung der Ansiedelung von Swanzey außerordentliche Dienste geleistet, und bei den Bewohnern des Dorfes galt es für ausgemacht, daß Eaton seine einzige Schwester Mabel, deren Zuneigung zu Willem eine offenkundige war, diesem zur Frau geben würde. Eaton war nicht abgeneigt, aber zugleich wollte er sich die Gelegenheit, Willem für seine Kirche zu gewinnen, nicht entgehen lassen. Willem gesteht dem ehemaligen Freunde trotz allem, was vorgegangen, noch jetzt zu, daß derselbe in gutem Glauben gehandelt habe. Aber dieser gute Glaube artete leider zum rücksichtslosesten Fanatismus aus. Willem mochte den Besitz Mabels, so hoch er ihn auch hielt, nicht mit einer Heuchelei erkaufen und weigerte sich des entschiedensten, der Gemeinde der Heiligen des Herrn beizutreten. Darauf versagte ihm Eaton die Hand der Schwester. Mißgünstige taten das Ihrige, den Hader weiter zu leiten. Willem, damals noch nicht der unerschütterlich kaltblütige Waldgänger, als welchen Ihr ihn kennt, ließ sich zu harten Äußerungen hinreißen, weniger über die Person seines Freundes als vielmehr über die aberwitzige Unduldsamkeit von dessen religiösem Bekenntnis. Diese Äußerungen wurden dem Richter von einem Nebenbuhler Willems um Mabels Hand hinterbracht und wohl gar noch übertrieben. Eaton in seinem Fanatismus glaubte seinen Glauben gelästert und meinte diesem eine Genugtuung schuldig zu sein. Willem wurde vor die Kirchenältesten gefordert, um sich zu verantworten. Er weigerte sich in verächtlichen Ausdrücken zu erscheinen. Nun ward er verurteilt, öffentliche Kirchenbuße zu tun, das heißt, vor versammelter Gemeinde seine Irrtümer zu bekennen. Willem schlug zur Antwort dem Boten, welcher ihm diese Sentenz überbrachte, dieselbe um die Ohren. Nun ward er mit Gewalt ergriffen und vor ein Gericht gestellt, welchem Eaton vorsaß. Der Angeklagte verweigerte trotzig jeden Widerruf. Er wurde zu öffentlicher Stäupung und zum Verlust des rechten Ohrs verurteilt. Nach furchtbarem Widerstand überwältigt, mußte er die grausame Strafe über sich ergehen lassen. In der Nacht, aber fand Mabel Mittel, in das Blockhaus zu dringen, wo der Gemißhandelte verwahrt wurde. Das edle Mädchen löste die Bande des Geliebten und entfloh mit ihm in die Wälder. Sie gingen nach Providence, wo Roger Williams ihre Hände vereinigte. Aber ihr Glück währte nicht lange. Mabel starb an der Geburt ihres ersten Kindes, welches das Licht nur wenige Augenblicke sah. Sie ruht mit demselben unter einer Weide am Ufer der Naragansettbai.«


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