Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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Zweiter Band

Viertes Buch.

1.

Der Wald, der Wald, daß Gott ihn grün erhalt',
Gibt gut Quartier und nimmt doch nichts dafür –
Zum Wald, zum Wald, zum schönen, grünen Wald!
Eichendorff.

»Hört, Meister Willem, wenn die Muskeln, womit Ihr Eure höchst ehrenwerten Beine in Bewegung setzt, aus Stahl geschmiedet sind, so berechtigt Euch das doch keineswegs zu der Annahme, die Beine eines Seemanns seien in der nämlichen Schmiede gefertigt worden. Legt bei, Mann, legt bei! Wir sind diesen Morgen schon Gott weiß wie viele Knoten gesegelt, und der Wind in meinen Lungen ist alle – foi de gentilhomme!«

Der alte Trapper kehrte sich bei diesem Zuruf um und erwartete, auf sein Roer gestützt, das Herankommen De Lussans.

»Bah, Kapitän,« rief er ihm scherzend entgegen, denn Groot Willem war seit zwei Tagen ganz rosenfarbenen Humors, »ich weiß nicht, was Ihr mit Euren Knoten sagen wollt. Da sind Hundeleinen und Angelschnüre und Lassos und Wampumgürtel, an welchen Dingern allen Knoten anzubringen die Möglichkeit ist –«

»Zum Henker mit Euren Wampums und Lassos, Ihr alter Waldteufel!« unterbrach ihn der Flibustier, welcher jetzt den niedrigen Hügel erklommen hatte, auf dessen Spitze Willem seiner wartete. »Gebt mir das Takelwerk meines Bootes und einen Ost-Nord-Ost in die Segel, das ist doch, bei den Augen meiner Dame! ein hübscheres Metier als dieses verdammte Kreuzen in den Wäldern, gradaus und zickzack, hin und her, hinüber und herüber, bergan und talab, daß einem die Fußsohlen allerlei schlechte Stücklein vorsummen und man jenem Mechaniker herzlich beistimmt, welcher behauptete, das Gangwerk des Menschen sei eine nichtswürdige Erfindung, welche man durch Anbringung verschiedener ineinandergreifender Hebel entschieden verbessern könnte und sollte.«

»Muß ein rares Stück von Kerl gewesen sein. Euer Mechaniker. Ihr seid nur das Gehen in den Mokassins nicht gewohnt, Kapitän. Habt Ihr die Hirschhaut noch ein paar Tage unter den Füßen, so werdet Ihr finden, daß man in den Wäldern eigentlich gar nicht müde werden kann.«

»Wenn das nicht ist, was man in der zivilisierten Welt Jägerlatein nennt, so will ich nie mehr das Deck der Gloria beschreiten.«

»Latein? Ich gebe mich nicht mit solchem papistischen Zeug ab.«

»O, guter Freund,« versetzte der Flibustier lachend, »das Latein ist eine gute Anzahl von Jahrhunderten älter als der Papismus. Übrigens ein bißchen mehr Respekt vor dem letzteren, Kamerad, denn Ihr wißt, Euer gehorsamer Diener hat die Ehre, ein Papist zu sein.«

»Bah,« entgegnete der Trapper mit einem ironischen Kopfruck, »vermute, Euer Papismus und mein Kalvinismus werden sich nicht in die Haare geraten, Mann.«

»Ihr seid stark in Vermutungen – foi de gentilhomme! Ja, auf der See da hat man weder Zeit noch Lust, an das Larifarizeug zu denken, welches die superklugen Herren Theologen Kontroversen nennen.«

»Ihr führt Worte im Munde, die ich nicht recht verstehe, Kapitän. Wenn Ihr aber meint, zur See frage man einen Mann stets nur, was er sei, und nie oder doch so gut wie nie, was er glaube, so will ich Euch sagen, daß wir's in den Wäldern gerade so halten.«

»Desto besser, desto besser. Ich finde außerdem, daß die Waldluft und die Seeluft nicht nur den Leuten das dumpfe Gehirn tüchtig auszufegen imstande sind, sondern daß sie auch die Eigenschaft, den Appetit eines gesunden Magens merkwürdig zu schärfen, miteinander gemein haben. Sage Euch, ich hungere wie ein Bruder Teer, der seit acht Tagen auf Viertelsrationen gesetzt war.«

»Das ist ein Zeichen, daß Euch die Waldluft gut bekommt. Ihr sollt auch ein so reelles Waldfrühstück haben, als nur immer der Höcker des Büffels, welchen Thorkil bei Tagesanbruch geschossen, eins bieten kann. Wär's noch um einen Moment später, so würde das Fleisch viel zarter und saftiger sein, einem Anfänger in solcher Schmauserei wird es übrigens auch jetzt gut genug schmecken. Schaut dort hinaus, und Ihr werdet die dünne Rauchsäule von der Stelle am Waldsaum aufsteigen sehen, wo unser junger Freund Euch ein Stück Waldkochkunst zeigen wird.«

»Ich habe schon oft sagen hören, daß ein unter dem Rasen geschmorter Büffelhöcker ein Essen für Götter sei,« sagte De Lussan, mit der Gourmandise eines Franzosen mit der Zunge schnalzend. »Mein Oberbootsmann Terrible, der in seiner Jugend in den Kanadas das Jägerhandwerk probierte, pflegt in überschwenglichen Ausdrücken davon zu sprechen. Werde mir also nicht zweimal sagen lassen: Greif zu! Im übrigen, sehr ehrenwerter Veteran der Wälder, werdet Ihr mir, denk' ich, bezeugen, daß ich mich für einen Rekruten in der edlen Waldgängerei auf unserem vorgestrigen, gestrigen und heutigen Marsche ganz passabel gehalten habe.«

»O ja, es geht an, es geht an. Aber seht Euch doch einmal um, Kapitän. Ist das nicht prächtig?«

Der Alte wies mit der Hand auf die unermeßliche Fernsicht, welche sich von der Anhöhe aus, wo sie standen, den Blicken der Männer auftat.

Gegen Süden, von woher die Wanderer gekommen, gegen Norden und Westen dehnten sich in leichten Wellenschwingungen die ungeheuren Massen des Urwaldes aus, der damals auch in diesen jetzt längst dem regsten Treiben des Ackerbaues und der Industrie anheimgefallenen Landstrichen noch seine Oberherrschaft so entschieden behauptete, daß die Ansiedelungen der Puritaner nur wie zerstreute Inseln im weiten Raume des Waldmeeres lagen. Um die Hunderttausende und aber Hunderttausende von Wipfeln kräuselten sich Schichten des leichten Morgennebels, welchen die dem Zenit zueilende Sonne ein weiteres Aufsteigen nicht gestattete. Durch die phantastisch sich verschlingenden Gestalten des Nebelschleiers hindurch tauchte sich das Auge mit immer neuer Lust in diese Welt von Grün, auf welcher jene sabbatliche Stille der sich selbst überlassenen Natur, jener Zauber der Einsamkeit lag, welchen noch kein Dichter erschöpfend geschildert und welchen nur der Pinsel Karl Friedrich Lessings in seinen Waldlandschaften annähernd wiederzugeben verstand.

»Foi de gentilhomme!« sagte der Flibustier, nachdem er das in seiner Monotonie großartige Panorama mit den Blicken eines Mannes betrachtet hatte, welcher gewohnt ist, Naturszenen mit sozusagen künstlerischem Auge aufzufassen, » foigentilhomme, ich wollte, meine Herrin wäre hier. Sie hat zwar mit mir auf Hayti, in Südmexiko und Zentralamerika tropische Urwälder gesehen, aber doch wollt' ich, sie wäre hier. Was für hübsche Sachen sie über dieses unermeßliche, in seiner Einförmigkeit und Verlassenheit doch so belebte Gemälde vorzubringen wissen würde! Die Wälder der Tropenländer sind prächtiger, das ist wahr, dort ist mehr, ganz unvergleichlich mehr Farbe, Glanz und Duft, alles wächst dort ins Riesenhafte, und die üppige Vegetation drückt einen gleichsam zu Boden. Dieses nordische Waldmeer aber haucht einen ganz eigentümlichen Zauber aus. Es heimelt mich an und mir ist, als atmete ich den Harzgeruch der Forste ein, welche daheim in der Normandie grünen. Wie tut es dem Auge wohl, in diese grünen Tiefen sich zu versenken! Ah, es müßte schön sein, diese Waldeinsamkeit vom Getön der Jagdhörnerfanfaren widerhallen zu lassen und, an der Seite der Geliebten auf brausendem Roß über den schwellenden Moosgrund hinfliegend, den Hirsch zu verfolgen. – 's ist ein schönes Land, bei alledem, und schade wäre es, wenn es diesem tristen Geschlechte von schäbigen puritanischen Heiligen – die Pest auf sie! – als Erbteil verbliebe. – Nun, wir wollen sehen, ob sich das nicht ändern ließe, wenn erst diese Episode im Drama meines Lebens zu Ende gespielt sein wird. Fortes fortuna juvat, pflegte mein alter Pater im Rouener Collège zu sagen und – foi de gentilhomme – ich denke, meine bisherigen Erfolge haben dieses Sprichwort nicht Lügen gestraft.«

Der alte Trapper schien dieses Selbstgespräch seines Gefährten nicht zu beachten, sondern schaute mit glänzenden Blicken in eine Szene hinein, welche ihm Augen und Herz stets aufs neue erfrischte.

»Freund Willem,« sagte De Lussan jetzt zu ihm, »es wird mir allmählich klar, daß sich Eure Wälder doch so ziemlich neben dem Meere sehen lassen dürfen. Ein Poet würde sagen, dieses Waldmeer sei in seiner Unendlichkeit ebenso erhaben wie der unendliche Wasserspiegel der See.«

»Ich weiß nicht, wie sich so ein Versmacher ausdrücken würde, Kapitän, aber das weiß ich, daß es auf der Welt nichts Schöneres gibt als die Wälder, in denen ich leben und sterben will. – Ach,« setzte der Alte mit einem Anflug von Trauer hinzu, »es wird, fürcht' ich, eine Zeit kommen, und sie mag nicht mehr so fern sein, wo all diese Waldherrlichkeit dem unersättlichen Beile der Kolonisten zum Opfer fallen wird. Aber ich danke meinem Schöpfer, daß meine Augen den Greuel der Verwüstung nicht mehr werden mitansehen müssen, daß ich schon lange unter dem Rasen liegen werde, wann die Verheerung von der Seeküste her allwärts tiefer ins Land vorschreiten wird.«

»Ihr seid selber ein Stück von einem Poeten, Freund, obgleich Euch das Versemachen schlecht von der Hand gehen würde. Aber ich habe einmal einen gescheiten Mann sagen hören, die besten Dichter wären oft die, welche keine Verse machten. Doch sprecht nicht vom Sterben, Mann, das kommt ohnehin von selbst und noch immer früh genug. Noch leben wir, und mein Magen sagt mir, daß wir sehr leben. Kommt, mir ist, als rieche dorther von der Lichtung etwas wie Bratengeruch. Es ist merkwürdig, wie der Hunger die Sinne schärft, und seht, da kommt Euer Hund, wahrscheinlich von Freund Thorkil geschickt, uns anzusagen, daß die Tafel serviert sei.«

»Ja, 's wird wohl so etwas sein,« versetzte der Trapper, dem Tiere, welches ihm die Hand leckte, den Hals streichelnd. »Prinslo ist ein kluges Geschöpf und oft schon, namentlich wenn er mir beim Biberfang – ein verdammt schlaues Beest, der Biber – Beistand leistete, dacht' ich bei mir, es fehlte ihm nur die Sprache. Doch er hat in seiner Art auch eine Sprache, man muß sie nur verstehen. Seht einmal, Kapitän, ist's nicht, als wollte er uns bedeuten, mitzukommen?«

Der Hund umtanzte mit munteren Sprüngen die beiden und lief dann in der Richtung, von wo er gekommen, die Anhöhe hinab, oft stillstehend, zurückblickend und mit dem Schweife wedelnd.

»Er riecht den Braten ebenfalls,« sagte De Lussan lachend und folgte ohne Säumen dem Tiere.

Der Trapper warf noch einen Blick auf die Waldlandschaft und schloß sich dann im Hinabschreiten von dem Hügel wieder seinem Begleiter an.

Sie waren nur eine kurze Strecke in östlicher Richtung gegangen, als sich der Forst zu lichten und allmählich in Buschwerk auszulaufen begann. Nachdem die Wanderer dasselbe durchbrochen, traten sie auf eine Lichtung hinaus, die sich zur Prärie erweiterte, deren üppigen, halb mannshohen Graswuchs die Glut der Julisonne auf den Stengeln welken gemacht und zu Boden gedrückt hatte. Hart am Waldsaume, an einer Stelle, deren frisches Grün die Nähe einer Quelle andeutete, bemerkten sie Thorkil, welcher Waffen und Weidtasche abgelegt und sogar das Jagdhemd ausgezogen hatte, um seine Obliegenheiten als Koch der Wildnis ungehinderter verrichten zu können.

»Ihr bleibt lange aus,« sagte der junge Jäger zu den Herankommenden, »und Prinslo hat, vermute ich, meine Besorgnisse, der Haunch möchte zu gar werden, so sehr geteilt, daß er fortlief, euch zu holen.«

»Ja, was willst du, Junge?« entgegnete der Alte, ebenfalls die Weidtasche ablegend und sich's möglichst bequem machend. »Die Seeleute sind der Ansicht, es segle sich leichter auf dem Meere, als es sich in den Wäldern gehe, und meinen ferner, es wäre anzuraten, das menschliche Gangwerk durch künstliche Hebel zu ersetzen.«

Der Flibustier beachtete diese gutmütig spottende Anspielung nicht, sondern schaute mit Blicken umher, in welchen sich eine nicht sehr angenehme Überraschung kundgab.

»Sehr werte Kameraden, edle Jäger und geliebte Mitabenteurer,« sagte er dann, »darf ich mir hinsichtlich des in Aussicht gestellten delikaten Frühstücks einige Aufklärungen erbitten? Ihr wißt, seit wir Providence verlassen, haben wir von gedörrtem Fleische gelebt, welchem die Eigenschaft unlieblicher Zähigkeit nicht völlig abzusprechen war, und nun sehe ich, mit den Augen des Magens umherblickend, welche, wenn meinem Bootsmann Terrible irgendwie zu glauben ist, die scharfsichtigsten aller Augen sind, weiter nichts als eine kleine Erhöhung von Rasen, welche so ziemlich einem großen Bienenkorbe ähnlich ist. Selbst das Feuer, dessen Rauch wir doch vorhin sahen, ist verschwunden, und ich erblicke nur noch einen Haufen Asche neben besagtem Bienenkorbe.«

»Bienenkorb oder nicht, Kapitän,« unterbrach Willem die Elegie De Lussans, »das Ding hat die rechte Form. – Nun, Thorkil, brich den Bratofen auf, damit der Gaumen unseres Freundes einen echten und gerechten Büffelhaunch zu kosten kriege.«

Thorkil machte sich sofort ans Werk. Er brach die Rasenerhöhung auf und zog aus der Höhlung unter derselben, welche mittels eines engen Kanals mit dem verglosteten Feuer in Verbindung gewesen war, eine unförmliche Masse hervor, welche heftig dampfte. Als die Haut, in welche der in seinem eignen Fette geschmorte Braten eingeschlagen gewesen war, zurückgeschlagen wurde, verbreitete sich ein Duft, welchen der Flibustier mit weitgeöffneten Nasenflügeln einsog.

»Das riecht ja ganz wollüstig – foi de gentilhomme!« rief er aus. »Entspricht der Geschmack nur einigermaßen dem Geruche, so will ich schwören, daß Eure waldursprüngliche Kochkunst die aller Köche der Höfe Europas beschämt, Freund Thorkil.«

Die Zubereitungen zum Mahle waren die einfachsten von der Welt. Die Haut wurde auf dem Rasen ausgebreitet und diente zugleich als Tischtuch, Schüssel und Teller. Die Männer zogen ihre Messer hervor, und De Lussan ließ sich wirklich nicht erst sagen: Greif zu! so daß der junge Jäger, obzwar auch er, wie Groot Willem, einen tüchtigen Waldappetit bewies, nach einer Weile sich veranlaßt sah, lächelnd zu sagen:

»Meiner Treu, Kapitän, hättet Ihr Euch Euren Kriegsnamen el Exterminador nicht bereits an den Spaniern verdient, Ihr würdet selbigen sicherlich an diesem Haunch verdienen.«

»Nicht wahr?« versetzte der Flibustier naiv und atmete von seiner schweren, aber angenehmen Arbeit auf. »Alle Teufel der siebzehn Höllen, wie die Spanier sagen – die Pest auf sie! – sollen mich holen, wenn ich in meinem Leben jemals besser gefrühstückt habe. Ihr seid nicht ohne klassische Bildung, Freund Thorkil, und so werdet Ihr mich verstehen, wenn ich sage, daß ich, falls wir im alten Rom lebten, beantragen würde, Euer Haupt mit einer Bürgerkrone zu schmücken; wahrhaftig, so tät' ich.«

»Ihr seid wirklich großartig in der Anerkennung meines Verdienstes,« entgegnete Thorkil lachend. »Aber Ihr müßt Euren Dank meinem Vater Willem zollen, dessen bescheidener Schüler in diesem wie in allen andern Zweigen des Jägerlebens ich bin.«

»Wahre Größe ist immer bescheiden,« bemerkte De Lussan mit komischem Pathos, indem er die gravitätische Ausdrucksweise eines auf dem Katheder stehenden Professors der Moral nachahmte; »ja, wahre Größe ist immer bescheiden, und die Tugend verzehnfacht ihren Wert durch Anspruchslosigkeit. Sprechende Beispiele hierfür lassen sich schon aus den Zeiten des Heidentums anführen, während uns deren die Geschichte der christlichen Heiligen und Märtyrer eine unabsehbare Fülle darbietet. Wir wollen jedoch, meine aufmerksamen Zuhörer, für heute bei dem glänzendsten dieser Exempla stehen bleiben. Wie ihr wißt, ist Seine Heiligkeit der Papst der Stellvertreter und Statthalter Gottes auf Erden, folglich ohne Frage der tugendhafteste und verdienteste aller Menschen, und trotzdem geht seine Demut so wunderbar weit, daß er sich den Knecht der Knechte Gottes nennt. Ergo glauben wir unwiderlegbar dargetan zu haben, daß Verdienst und Bescheidenheit leibliche Geschwister sind. – Quod erat demonstrandum.«

Der Gegensatz zwischen den abgedroschenen Gemeinplätzen dieser Moral und der hochtrabenden, von entsprechendem Gebärdenspiel begleiteten Kathedermanier, womit sie vorgebracht wurden, machte die beiden Jäger hell auflachen, und Groot Willem sagte:

»Nichts für ungut, Kapitän, aber Ihr erinnert mich daran, daß ich meinen Freund Williams einmal sagen hörte, alle Franzmänner seien geborene Komödianten.«

»Das Kompliment ist zwar nicht sehr schmeichelhaft, lieber Freund,« entgegnete De Lussan ebenfalls lachend, »aber es ist viel Wahres daran – foi, de gentilhomme! Ich habe das an meinen Landsleuten, aus denen die Mehrzahl meiner Schiffsmannschaft besteht, hundertmal wahrzunehmen Gelegenheit gehabt. Muß ich ihnen etwas recht Halsbrechendes zumuten, so darf ich nur dafür sorgen, daß sie dabei Gelegenheit haben, sich zu zeigen, zu brillieren. Ah, la gloire ist ein Wort, welches auf die Kinder von la belle France jeder Zeit seine zauberkräftige Wirkung tut. Hätten wir Wein hier, so würde ich mir erlauben, einen Toast auf die Göttin Gloria auszubringen, in Ermangelung dessen aber will ich das Beispiel Thorkils nachahmen und ohne Trinkspruch mit einem Schluck aus der Quelle dort vorlieb nehmen.«

Nachdem Hunger und Durst gestillt waren, saßen die Männer noch eine Weile plaudernd im Schatten. Allmählich aber verstummte das Gespräch, indem sich zuerst De Lussan und dann auch Thorkil dem Schlummer hingaben und selbst der alte Trapper anfing, zu duseln, wie er sich ausdrückte.

So waren einige Stunden vergangen, als Prinslo, der sich, nachdem er die Überreste des Büffelhöckers verzehrt, ebenfalls mit Befriedigung ins Gras gestreckt hatte, langsam aufstand, die Ohren spitzte, einen halben Büchsenschuß weit in die Prärie hinaustrabte, dort schnobbernd und schnüffelnd die Schnauze in die Luft reckte und dann ein kurzabgebrochenes Gebell ausstieß.

Groot Willem war schon bei der ersten Bewegung seines Hundes völlig munter geworden. Er schaute, achtsam auf das Gebaren Prinslos rings um sich, trat dann ebenfalls von dem Schattenplatz am Waldsaum in die Prärie hinaus und murmelte: »Ja, ja, es wird wohl so sein, wie der Hund meint.«

»Büffel?« fragte Thorkil, seinem Adoptivvater zur Seite tretend, während der Flibustier, den Schlaf aus den Augen reibend, sich erkundigte, was es denn gäbe. »O, nichts Besonderes, Kapitän, 's ist nur 'ne Herde Büffel, die von Mittag her die Prärie heraufkommt. Dachte mir's gleich, Thorkil, daß der Stier, welchen du heute morgen geschossen, sich von einem Trupp verlaufen haben müßte. Aber 's ist nicht gewöhnlich, daß die Kreaturen um diese Tageszeit wandern, und kann ich mir auch nicht denken, daß die Indianer dermalen auf die Tiere aus sind. Doch seht, dort kommen sie herauf, 's ist 'ne stattliche Herde.«

Ein dumpfes Gebrülle kam über die Prairie herüber. Dann wurde in der Entfernung von etwa einer englischen Meile eine dunkle Masse sichtbar, die sich allmählich zu einer langen Linie entrollte, welche in erst langsamer, dann in immer rascherer Bewegung die Prärie von Süden nach Norden zu durchschnitt. Bald konnte man die Tiere deutlicher unterscheiden, obwohl der hohe Graswuchs nur ihr mächtiges Gehörne und ihre schwarzen Rücken zu sehen gestattete.

»Wollen wir Jagd auf sie machen?« fragte De Lussan.

»Wozu, Kapitän?« entgegnete Willem, »Wir haben, vermut' ich, für heute Büffelfleisch genug gekostet, und was die Häute angeht, so taugen sie um diese Jahreszeit nicht viel. Ohnehin könnten wir uns nicht damit schleppen. – Aber was hast du denn Prinslo?«

Der Hund hatte aufgehört zu bellen, sprang mit mächtigen Sätzen in das Gras hinein, kehrte dann zurück und ließ ein eigentümliches leises Geheul oder vielmehr Gegilfe hören.

»'s ist ein Stück Rothaut um die Wege, gewiß und wahrhaftig!« sagte der alte Trapper. »Prinslo weiß, was er tut, und spricht nicht blindlings in den Tag hinein. Seht nach euren Büchsen, Freunde, damit uns nicht irgend etwas unvorbereitet überrasche.« »Was besorgt Ihr, Freund?« fragte De Lussan.

»Besorgen? Vorerst gar nichts, aber in der Wildnis, wißt Ihr, muß man stets auf alles gefaßt sein. – Hei, Thorkil, du hast jüngere und schärfere Augen als ich – schau doch einmal dorthin, dort am Ende der Büffelreihe – was siehst du dort?«

»Einen weißen Büffel, meiner Treu.«

»Ja, freilich einen weißen Büffel, Junge, aber auf demselben? auf demselben? – Ha, jetzt seh' ich alles. Der Unglückliche ist ausgegangen, um die große Medizin zu erjagen, und diese war stärker als er.«

»Große Medizin?« fragte der Flibustier verwundert. »Ihr sprecht in Rätseln, Freund Willem.«

»Nun, Kapitän, Ihr wißt doch, daß die Indianer alles Ungewöhnliche, ihnen Rätselhafte oder Geheimnisvolle Medizin nennen. Das Wort muß von den Franzmännern aus den Kanadas herübergekommen sein, und der indianische Ausdruck, welcher demselben entspricht, bedeutet Geheimnis. Der Ansicht der indianischen Powows oder Zauberer oder Medizinmänner zufolge – es sind übrigens lächerliche Gesellen mit all ihren Schnurren – ist die Haut eines weißen Büffels eine sehr große Medizin, welche ihren Besitzer in den Augen des Manitu wohlgefällig machen und ihn vor den Teufeleien des Ochkih-Häddäh sicherstellen kann. 's mag daher kommen, daß oft unter vielen Tausenden von Büffeln nicht ein einziger weißer gefunden wird. Hab' ich doch selbst während meines ganzen Jägerlebens erst zwei zu Gesicht bekommen, und der dort ist der dritte.«

»Er kommt auf uns zu, er macht rasende Sprünge, als ob er verwundet wäre, und – ha! – was schleppt er dort mit sich?«

»Einen armen Teufel von Indianer, kannst dich drauf verlassen, Thorkil. Er hat ihn an sein Gehörn gespießt. Der Mann hat die große Medizin unter der Herde entdeckt, er ist, der Ehre eines solchen Unternehmens wohlbewußt, allein ausgezogen, die kostbare Haut zu gewinnen, hat das Tier vielleicht schon tagelang verfolgt, hat es mit seinen Pfeilen zu Falle gebracht, aber wie er ihm mit seinem Messer den Garaus machen wollte, ist der Büffel wieder aufgesprungen, hat in seiner Wut den Gegner gespießt, und da hängt er nun.«

»Ihr sprecht, als wärt Ihr dabei gewesen und hättet das alles mit angesehen, Freund Willem,« bemerkte der Flibustier.

»Ich habe solches oder doch ähnliches oft genug gesehen,« lautete die Antwort des Alten, »um vermuten zu können, wie der Mann dort auf die Hörner des Büffels gekommen. Aber wir müssen sehen, was zu tun ist.«

Die jetzt folgende Szene entwickelte sich mit einer Raschheit, welcher eine langatmige Beschreibung sehr schlecht entsprechen würde.

Der Büffel, sei es, daß er nach Art verwundeten Wildes das Dickicht des Waldes aufsuchen wollte, sei es, daß Wut und Schmerz ihn ganz zufällig diese Richtung nehmen ließen, kam der Stelle, wo unsere drei Abenteurer beisammenstanden, immer näher, indem er wirklich, wie Thorkil bemerkt hatte, rasende Sprünge machte. Sein Anblick war furchtbar. Seine lange zottige Mähne hing, indem er mit gesenktem Haupte einhertobte, bis auf den Boden nieder. Sein Schweif mit dem reichen Haarbüschel am Ende starrte in gleicher Linie mit dem Rückgrat in die Luft hinaus. Blutstriemen, die von Pfeilwunden herrührten, bedeckten sein weißes Fell, und in seiner linken Hüfte steckte ein nahe an der Spitze abgebrochener Schaft einer Lanze. Sein Leib war von Wut bis zum Bersten aufgeschwollen, seine blutunterlaufenen Augen schienen grünliches Feuer auszuwerfen, aus Maul und Nase stieß er Ströme von Dampf und Blut hervor. Auf seinem buschigen Haupte hockte oder hing, halben Leibs gegen den Fetthöcker der Bestie zurückgelehnt, ein menschlicher Leib, welcher, offenbar der indianischen Rasse angehörend, noch schlimmer zugerichtet war als der des Tieres. Der Büffel hatte, wahrscheinlich in der von Willem angedeuteten Situation, dem Angreifer eins seiner gewundenen, stahlharten, spitz zulaufenden Hörner durch den Unterleib gerannt, und an dem andern hielt sich der Gespießte während seines entsetzlichen Rittes im Todeskampf mit beiden Händen fest.

Das Ungetüm rannte in blindem Ingrimm einher, als ob es die plötzlich vor ihm aus dem Gras der Prärie auftauchenden menschlichen Gestalten gar nicht wahrnehme. Sein Gebrüll war entsetzlich.

»Achtung, Thorkil, wenn ich fehlen sollte.«

So sprechend brachte Groot Willem sein Roer leicht, als wär's eine Feder, an die rechte Wange. Der Lauf der Waffe richtete sich in gedankenschnellem Zielen auf das zottige Haupt des Tieres, die Ladung entfuhr der Mündung, und der Schuß schallte über die Prärie hin.

Thorkil hatte nicht nötig, auch seinerseits die Büchse zu erheben. Der Büffel empfing in einer Distanz von etwa fünfzig Schritten die zerschmetternde Kugel vorn auf der Stirn, mitten zwischen den beiden Hörnern, und brach lautlos zusammen, in seinem Falle den unglücklichen Reiter weit von sich schleudernd.

Die Männer eilten zu seiner Hilfe herbei. Der Indianer, welcher alle Spuren des Alters an sich trug, war auf das Gesicht gefallen. Ohne das krampfhafte Zittern und Zucken, welches über seinen nur mit einem zerfetzten Lederhemd bekleideten Körper hinlief, hätte man ihn für bereits tot halten müssen. »'s ist ein Wampanoge,« sagte Willem, »aber wäre er auch ein Pequode, es soll alles für ihn getan werden, was wir tun können.«

»Ich glaube, da kommt alle Hilfe zu spät,« versetzte Thorkil, welcher den gebrochenen, schlotternden Körper des Wilden umgewandt hatte. »Seht nur, die Bestie hat ihm den Bauch aufgeschlitzt, und die Eingeweide hängen heraus.«

»Das ist die schauderhafteste Wunde, welche ich je gesehen,« bemerkte der Flibustier, »und doch bin ich kein Neuling in solchen Dingen. Der Mann hat nur noch wenige Minuten zu leben.«

Der Verwundete entrang sich inzwischen der Betäubung, in welche ihn sein Sturz versetzt hatte, und öffnete die schon halb erloschenen und verglasten Augen weit.

»Wasser! Wasser!« stöhnte das unglückliche Geschöpf im Dialekt der Pukanoketen-Stämme.

Thorkil eilte zur Quelle, füllte seine Ledermütze mit dem Naß, nach welchem alle Verwundeten so brennend verlangen, und hielt sie, zurückgekommen, dem Indianer an die lechzenden Lippen, indem er dessen Oberkörper mit seinem linken Arm aufrecht erhielt.

»Weißer Bruder guter Bruder,« ächzte der Gelabte und ließ seine sich verdunkelnden Augen im Kreise umhergehen.

Der Anblick des toten Büffels rief ihm die Gedanken, welche seine Seele in den letzten Tagen erfüllt hatten, noch einmal zurück.

»Große Medizin tot,« sagte er in abgebrochenen Lauten; »große Medizin stärker als roter Mann, viel stark, hatte den Ochkih-Häddäh im Leibe.«

Das Delirium des Todes bemächtigte sich seiner. Er versuchte aufzustehen, schwenkte die Arme und sprach verworren durcheinander.

»Ochkih-Häddäh bös, viel bös – roter Krieger gehen in glückliche Jagdgründe – Pe-toh-Pi-kiß großer Jäger.«

»Pe-toh-Pi-kiß?« schrie Thorkil auf, wie vom Biß einer Natter getroffen.

Und er ließ den Indianer aus seinen Armen gleiten, daß derselbe schwerfällig in das Gras zurücksank, stand auf und riß das Jagdmesser aus dem Gurt.

Der alte Trapper legte ihm aber seine Hand nachdrucksam auf den Arm und sagte abwehrend:

»Thorkil, du hast einen Sterbenden vor dir.«

»Pe-toh-pi-kiß,« murmelte der Wilde wieder, »großer Jäger, großer Krieger, nehmen Skalp von Pequoden und Mohikanern, viel zu sagen im Rat der Häuptlinge.«

»Er singt seinen Todesgesang, Kapitän,« bemerkte der alte Trapper. »Es ist merkwürdig, welche Prahler die Rothäute in ihren letzten Augenblicken werden. Höre, Bruder Pe-toh-Pi-kiß,« wandte er sich dann an den Wilden, »du hast Pequoden und Mohikaner getötet, aber wie ist's mit den Blaßgesichtern?«

»Blaßgesichter sind gierige Hunde, Metakom sie alle vertilgen von den Jagdgründen der roten Männer.«

»Hießest du nicht vorzeiten Josua, Wampanoge?« fragte Thoikil, nur mit äußerster Mühe seine Gefühle zügelnd.

»Pe-toh-Pi-kiß speit auf den Blaßgesichtsnamen, den ihm geben der Powow der Blaßgesichter, als er Pe-toh-pi-kiß begießen mit Wasser.«

Thorkil wollte wieder mit einer Frage hervorstürmen, aber Willem schob ihn beiseite und sagte:

»Mein Bruder Pe-toh-pi-kiß sprach von dem Sachem der Wampanogen und Pokanoketen. Wo ist er?«

»Metakom auf Kriegspfad; gehen Blaßgesichter auszurotten. Metakom großer Sachem, seine Krieger zahlreich wie das Laub des Waldes im Sommer – Metakom haben viel Donnerrohre, haben auch in Wigwam gelbes Metall, damit die Hände der Blaßgesichter zu füllen, welche den Donner und Blitz verkaufen.«

»Gelbes Metall? Woher sollte der Sachem, gelbes Metall haben?«

»O, Metakom sehr weise, sehr. Gelbes Metall holen auf Insel in Salzsee – Pe-toh-Pi-kiß mit ihm gehen, ihm zeigen fremdes Blaßgesicht mit kleinem Knaben –«

Die Spannung sprengte dem jungen Jäger fast die Adern seiner Schläfe, aber Willem fuhr ruhig fort:

»Das fremde Blaßgesicht gab also dem Sachem das gelbe Metall?«

»Geben? Nein, Blaßgesichter lieben gelbes Metall zu sehr. Metakom mit Pe-toh-vi-kiß gehen in altes Steinwigwam, Blaßgesicht mit Knaben schlafen, Sachem und Pe-toh-Pi-kiß Blaßgesicht töten, aber nicht nehmen Skalp.«

»Nicht nehmen Skalp?«

»Nicht nehmen Skalp – Sachem mit Pe-toh-pi-kiß kommen in Blaßgesichtsmokassins, mit Blaßgesichtsmesser –«

Hier schnappte die Stimme des Wilden plötzlich ab. Der Tod griff ihm ans Herz, ein schreckliches Röcheln machte ihm Brust und Kehle schwellen, dann rieselte ein Blutstrom aus seinem Munde, und sein Leben war entflohen.

»Es ist eine wunderbare Fügung!« sagte der alte Waldgänger tief bewegt. »Ein wütender Büffel mußte uns den Mann vor die Füße schleudern, damit er ein schreckliches Zeugnis ablege in der Verwirrung seines Todeskampfes. Thorkil, als ich Hih-lah-dih in Providence sprechen hörte, begann ich zu ahnen, daß Metakom der Mörder deines Vaters sei; aber jetzt erst haben wir Gewißheit. Es ist wunderbar, höchst wunderbar!«


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