Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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5.

Wer bist du denn, geheimnisvolles Wesen?
De Musset.
O, welcher Mordkampf hat sich da entsponnen!
Julius Mosen.

So streng und wirksam war die kirchliche Disziplin der puritanischen Gemeinden, daß der bedrohliche Ruf keineswegs eine tumultuarische Störung der Versammlung zur Folge hatte. Die Männer und sogar die Frauen verharrten in der sitzenden Stellung, in welcher sie der Predigt gelauscht hatten, und dieses Beispiel von Selbstbeherrschung übte auch auf die Kinder seine Wirkung, so daß sie sich still hielten. Nur einen Schrei der Natur lockte die Schreckensbotschaft unmittelbar aus der Versammlung hervor, den unwillkürlichen Angstruf der Müllerin, welche ihrem Gatten vor wenigen Tagen Zwillinge geboren, welche die entsetzte Mutter in der am Ende des Dorfes gelegenen Mühle dem Mordmesser der Wilden zunächst preisgegeben glauben mußte. Aber auch sie unterdrückte sogleich wieder den Ausbruch ihrer Gefühle und richtete nur ängstliche Blicke auf ihren Mann, welcher seinerseits mit verhaltener Ungeduld nach der vordersten Bank schaute, wo der Richter mit den Kirchenältesten saß.

Jeremia Makpherson unterbrach die Pause atemloser Spannung. Seine Stelle auf der Kanzel behauptend, streckte er den Arm gegen die Pforte aus und richtete ebendahin die strengbetonte Frage:

»Wer bist du, der du es wagst, die Sabbatsfeier zu stören?«

»Einer,« lautete die Antwort, »der vordem sein Schwert schwang für die gute alte Sache früh und spät und der es jetzt noch einmal gezogen im Dienste des Herrn. Doch verliert die kostbare Zeit nicht mit unnützen Fragen, ihr Männer von Swanzey. Ich sage euch, der rote Heide kommt über euch mit aller seiner Macht. Zu den Waffen, zu den Waffen!«

Standish sprang auf und wiederholte den Alarmruf, aber seine Stimme, wie die des Richters, wie die des Predigers, ward sofort übertönt von einem Gebrülle von außenher, das links und rechts, hüben und drüben in so gellenden schrecklichen Modulationen erscholl, als wären alle Dämonen der Unterwelt zu einem höllischen Konzerte vereinigt.

Mitten in dieses ohrzerreißende Geheul hinein krachte die Feldschlange, deren wir erwähnten, und machte es plötzlich verstummen.

»Zu den Waffen, zu den Waffen!« rief es wieder vom Eingange her.

»Zu den Waffen!« wiederholte Standish, der Pforte zustürzend.

»Zu den Waffen mit Gott!« rief auch der Richter aus und schritt an der Spitze der Männer rasch dem Kapitän nach, während die in dem Versammlungshause zurückbleibenden Frauen und Kinder jetzt dem Drange der Natur nachgaben und in mühsam verhaltene Wehklagen ausbrachen.

Lovely befand sich nicht mehr unter ihnen. Die ersten Laute der Stimme des fremden Warners hatten sie unwiderstehlich von ihrem Platze weg und der Tür zugezogen. Als Standish und Eaton diese erreichten, fanden sie das Mädchen am Halse des Großvaters, der mit den beiden einen raschen Blick des Verständnisses wechselte und dann Lovely zuflüsterte:

»Fassung, mein Kind; der Vater ist im Hause des Richters. Halte dich zu den übrigen Frauen – geh, und der Herr segne dich!«

Der Pflicht des Gehorsams selbst in diesem furchtbaren Moment eingedenk, schlüpfte Lovely hinter dem letzten der Männer, welcher aus der Kirche trat, wieder in diese zurück.

Die Vorhalle ertönte einige Augenblicke von dem Gestampfe der ihre Waffen ergreifenden Männer, dann wurde es ruhig, und aller Blicke richteten sich auf den fremden Greis mit den imponierenden Zügen und dem silberweiß auf die Brust niederwallenden Barte. Sein Gesicht war wie von der Anstrengung raschen Laufes gerötet, aber seine großen grauen Augen glühten von dem ruhigen Feuer des versuchten Kriegers. Ein gewaltiges Schwert trug er entblößt in der Hand, und wie er so dastand, war seine ganze Erscheinung so edel und ehrfurchtgebietend, daß es sich leicht erklärt, wie die von der Predigt ihres Geistlichen ohnehin erhitzte Phantasie der Männer von Swanzey im ersten Augenblick geneigt war, den Fremden für ein überirdisches, vom höchsten Gott zu ihrem Beistände gesandtes Wesen zu halten. Ja, so gewaltig und nachhaltig war der Eindruck seiner plötzlichen und der Menge unerklärlichen Erscheinung, daß diese im Bewußtsein des Volkes von Stunde an eine mythische Färbung annahm und noch bei späteren Generationen beibehalten hat.

»Männer von Swanzey,« nahm der Greis mit der Miene eines Mannes das Wort, welcher gewohnt ist, in schwierigen Lagen zu befehlen und Gehorsam zu finden, »es gilt, keinen Augenblick zu verlieren, aber auch, nicht in blindem Eifer zu handeln. Das Dorf ist von allen Seiten von den Heiden umringt und wohl größtenteils schon in ihrer Gewalt –«

Das allwärts wieder sich erhebende Kriegsgeheul unterbrach den Redner und bestätigte seine Worte nur allzusehr.

»Seht, dort stürmt eine Rotte den Weg nach dem Hause des Richters empor,« rief der Kapitän aus. »Ha, da spricht die Feldschlange wieder!«

Das Geschütz entlud wirklich von der Bastion herab seine Ladung, die, wie es schien, aus einer Anzahl von Musketenkugeln bestand, denn man hörte das Einschlagen derselben in die Baumstämme an dem Wege, welchen das Geschütz bestrich, und sah drei Indianer fallen, um nicht wieder aufzustehen. Im nächsten Augenblick waren die Stürmenden wie weggeblasen, und der Weg war frei.

»Ha, mein Sohn versteht sein altes Handwerk noch,« rief der Greis aus. »Doch seht, die Elenden wüten schon mit Feuer.«

»O, mein Haus, o, meine Kinder!« schrie der Müller auf und wollte in wahnwitziger Vaterangst der Mühle zustürzen, aus deren Dach die Flamme hoch in den reinen Mittagshimmel emporschlug.

»Nicht von der Stelle!« befahl der Greis, dem Geängstigten den Weg vertretend.

»Und wer seid Ihr, der Ihr mir befehlen wollt?« erwiderte der Mann trotzig.

»Einer,« sagte Eaton nachdrücklich, »der die Gabe und das Recht hat, zu befehlen. Ihr Männer von Swanzey,« fuhr er mit erhöhter Stimme fort, »folgt in allem und jedem den Befehlen dieses Gerechten in Israel. Und du, Richard,« setzte er zu dem Greise gewendet hinzu, »erhebe das Schwert Gideons und schlage mit der Schärfe desselben die Götzendiener in diesem Lande, wie du sie vordem jenseits des Meeres geschlagen.«

»Bei dem Herrn allein ist Hilfe in dieser Not,« lautete die Antwort des Alten. »Aber was in Menschenkräften liegt, soll getan werden.«

Und rasch aus der Vorhalle der Kirche auf den freien Platz vor derselben vorschreitend, sammelte er mit Wort und Gebärde die Männer um sich.

»Wir haben keine Zeit zu langen Beratungen,« sagte er; »daher tut, wie ich euch sage. Wir müssen das rechte Ufer des Baches aufgeben und das linke vom Feinde zu säubern suchen. Dort steht das Haus des Richters, welches uns als fester Anhaltspunkt dienen soll. Dorthin müssen wir vor allem die Wehrlosen bringen. Kapitän Standish, nehmt zwanzig Büchsenschützen und säubert links und rechts den Weg über den Steg und aufwärts zu dem Hause. Ihr, Freund Theophil, ruft die Weiber und Kinder aus dem Versammlungshaus, umgebt sie mit vierzig der unerschrockensten Männer und folgt so der Schar des Kapitäns auf dem Fuße. Ich selbst will euch mit dem Reste der Mannschaft den Rücken decken. Wir müssen hinüber und den Hügel gewinnen, denn die Kirche ist nicht haltbar.«

Im nächsten Augenblick schon ließ der Kapitän an der Spitze seines kleinen Trupps sein mutiges »Vorwärts!« erschallen und setzte sich gegen den Steg hin in Bewegung.

Eaton rief die Frauen und Kinder aus der Kirche, umgab sie, die sich wie eine Schar geängstigter Tauben zusammendrängten und willenlos fortführen ließen, mit einer starken Schutzwache und gab dem Zuge das Zeichen zu möglichst raschem Vorschreiten.

Der Greis wartete an der Spitze der um ihn gesammelten Nachhut den Abzug des Mitteltreffens ruhig ab und setzte dann seine Mannschaft ebenfalls in Marsch, zur Rechten und Linken hin scharf aussehend und jeden Moment bereit, den Vorangehenden Beistand zu bringen.

Der Kapitän erreichte ungehindert den Steg. Hier machte er Halt, ließ in die Gebüsche an beiden Seiten des Baches und aufwärts den Weg eine Salve geben und rückte hierauf, nachdem seine Leute wieder geladen, langsam vorwärts und hügelan.

Kein Feind ließ sich blicken und das schreckliche »Huh-hup-roh-noh« war gänzlich verstummt, aber die Gegenwart der Eingeborenen verriet sich dennoch furchtbar genug.

Links und rechts am Wasser hinab, allüberall im Dorfe knisterte, prasselte, brauste es in dem Gebälke der Wohnungen, und aus manchem Hause stieg nicht nur die verheerende Flamme, sondern auch das von der Todesnot ausgepreßte Wehgeschrei von Kindern und Gebrechlichen auf.

Bei diesen gräßlichen Anzeichen von der Mord- und Vernichtungswut der Indianer knirschten die Männer mit den Zähnen und brachen die Frauen und Kinder in ein lautes Schmerzensgestöhn aus. Die Ordnung im Zuge begann zu wanken, aber Eatons Energie wußte sie wiederherzustellen.

»Vertraut dem Herrn, unserm Gott!« rief er aus. »Er ist ein starker und eifriger Gott, der da züchtiget, welche er liebt.«

So schritt er vorwärts, und zu ihm gesellte sich der wackere Prediger. Neben dem Richter an der Spitze des Zuges einherschreitend, hielt er die Bibel aufgeschlagen in der Rechten und las im Gehen abgerissene Stellen aus seinem Lieblingspropheten.

Voll und hell klangen die prophetischen Worte über den Platz hin:

»Tretet in Ordnung wider Babel rings umher, ihr alle, die ihr den Bogen spannet. Schießet auf sie und sparet keine Pfeile, denn sie hat wider den Herrn gesündiget. Jauchzet wider sie rings umher, sie wird sich ergeben; ihre Grundfesten werden fallen, und ihre Mauern werden geschleift werden, denn das wird sein die Rache des Herrn. – Und siehe, so spricht der Herr: Reutet aus den Sämann von Babel und den, welcher ergreift die Sichel zur Zeit der Ernte. – Und weiter spricht er: Machet euch auf wider das abgöttische Volk, und Verderben will ich bringen über sie, den Grimm meines Zorns, und will sie verfolgen mit dem Schwerte, bis ich gänzlich sie vertilge!«

Hier brach seine Stimme plötzlich mit einem gellenden Wehlaut ab. Das heilige Buch entfiel seinen Händen, und er stürzte schwer vornüber auf das Antlitz nieder.

Ein Pfeil war ihm tief in die Brust gefahren und hatte mit seiner Spitze das Herz des mutvollen Glaubensstreiters durchdrungen, der noch einen krampfhaften Versuch machte, das geweihte Buch an sich zu ziehen und die heiligen Blätter zu entfalten, und dann lautlos sein Leben verhauchte.

»Nehmt den Toten auf,« befahl Eaton mit fester Stimme, »damit, wofern uns selber ein christlich Grab wird, auch ihm eins werde.«

Zwei Männer gehorchten diesem Befehle, während ein halbes Dutzend anderer, ergrimmt über den Mord des geliebten Seelsorgers, ihre Büchsen auf Geratewohl dorthin ins Gebüsch abfeuerten, woher ihrer Meinung nach der Todespfeil gekommen. Aber in dem Strauchwerk am Bache und an dem jenseits desselben emporsteigenden Abhänge verriet nichts, kein Laut, keine Bewegung, daß eine der Kugeln ihr beabsichtigtes Ziel gefunden.

Die drei Abteilungen setzten ihren Marsch fort. Standish war mit der Vorhut nur noch wenige Schritte von der Palisadenpforte entfernt, der mittlere Haufe wand sich langgestreckt den Weg zu der Terrasse hinauf, die Nachhut ihrerseits hatte soeben die Brücke passiert.

Da erhob sich über das Brausen der mit Macht sich verbreitenden Feuersbrunst plötzlich, in scharfen Gutturaltönen angestimmt, der Kriegsschrei eines einzelnen Indianers, und dies war das Signal zu dem Losbrechen jenes markdurchdröhnenden Gebrülls und Geheuls, womit die Krieger der eingeborenen Stämme von Nordamerika in den Kampf zu gehen pflegen.

Und von der Höhe des Abhangs herab, vom Ufer des Baches herauf, hinter den brennenden Häusern hervor schwirrten Pfeile, krachten Schüsse, und von allen Seiten her stürzten und stürmten Massen von roten Kriegern auf die Umringten ein, Tomahawk und Skalpiermesser schwingend und die Luft mit barbarischen Rufen erfüllend.

Es begann eine jener Szenen von Kampf und Mord, deren Wildheit des Malerpinsels wie der Feder des Erzählers spottet.

Mit mannhafter Festigkeit hielten die Pilger der Wildnis den wütenden Anprall der feindlichen Übermacht aus. Wie der Schall der Schlachtdrommete klang durch das schreckliche Gelärme die Stimme des greisen Führers der Nachhut: »Hie Schwert des Herrn und Gideons!« Mit Römermut focht der Richter und der Degen des tapfern Kapitäns schuf nach vorn immer wieder Bahn. Allein stets warfen sich neue Scharen der Wilden zwischen die Vorhut und die rettende Pforte, immer wilder drängten die Feinde von unten herauf und von beiden Seiten heran, und bald barst jede Ordnung des Zuges auseinander, so daß die Dorfbewohner, Männer, Weiber und Kinder, Fechtende und Jammernde, in einen chaotischen Knäuel zusammengepreßt wurden.

Nicht allein ihre überlegene Anzahl kam den Angreifern zu statten, ihr Führer hatte auch den Ort und die Zeit des Angriffs schlau berechnet, indem er voraussah, daß der Besitz des Geschützes, welches seine Krieger am meisten fürchteten, den Weißen hier nutzlos sein würde, weil es nicht auf den Weg hernieder abgefeuert werden konnte, ohne daß seine Ladung den Freunden ebenso verderblich wie den Feinden geworden wäre. Es konnte überhaupt von den Feuerwaffen kein Gebrauch mehr gemacht werden. Dazu war kein Raum mehr. Degen und Dolch, Tomahawk und Skalpiermesser bildeten in diesem wilden Wirbel von Handgemenge die einzigen Verteidigungs- und Angriffswaffen.

Die Wilden hatten ihre sonstige, mehr im Legen und Vermeiden von Hinterhalten als in offenem Gefechte von Mann gegen Mann bestehende Kriegsweise am heutigen Tage völlig aufgegeben. Sie stürmten, Wunden und Tod verachtend, heran mit einer Wut, hielten stand mit einer Beharrlichkeit, wie selbst der im Wald- und Grenzkriege vielerfahrene Standish noch nie erlebt hatte. Der energische Wille ihres Führers schien sie zur rücksichtslosesten Tapferkeit entflammt zu haben.

Dieser Führer, kenntlich an seinem hohen Wuchs, an seiner Tunika von Scharlach und an der von seiner Skalplocke weit den Rücken hinabflatternden schwarzen Adlerfeder, war mit Wort und Arm überall zugegen. Er führte als Waffe einen Tomahawk, dessen Schneide nicht nur, sondern auch dessen Handhabe von Stahl war und der von Blut triefte. Seine Anwesenheit flößte den Weißen ebenso sehr Schrecken ein, als sie ihren Grimm und ihre Rachelust reizte.

»Hund von verräterischem Heiden!« schrie ihm Standish zu, indem er sich zu ihm Bahn zu brechen suchte. »Sohn Belials!« rief ihn der Richter an, in der nämlichen Absicht durch das Getümmel sich drängend.

Ein dämonisches Hohnlachen war die einzige Antwort des Häuptlings, welcher im nämlichen Augenblick sein Beil in dem Schädel eines Gegners begrub, dem er die Büchse aus der Hand geschlagen und der ihn wütend an der Schulter gepackt hatte.

Wir verzichten darauf, das schreckliche Bild weiter in seinen Einzelheiten auszuführen. Unser Gefühl sträubt sich dagegen, die Todesschreie erbarmungslos niedergemetzelter Weiber und Kinder zu verzeichnen oder alle die entsetzlichen Blicke, Bewegungen und Töne zu beschreiben, die an den Menschen bemerkbar werden, wenn sie das, was die alten Nordländer Berserkerwut nannten, zu reißenden Tieren macht. Die Schur der Weißen schmolz immer mehr zusammen, während die Stellen der ebenfalls in großer Anzahl gefallenen Indianer sogleich von neuen Kämpfern eingenommen wurden.

Nur einmal noch schien es, als wollte in dem für die Ansiedler schon völlig verzweifelt sich gestaltenden Kampfe eine günstigere Wendung eintreten. Die Palisaden-Pforte, um welche sich allmählich der Kampf konzentriert hatte, ward aufgerissen und heraus stürzte mit geschwungenem Schwerte der Mann, welcher während des Gottesdienstes in das Haus des Richters gekommen war und zweimal die Feldschlange abgefeuert hatte. Mit der Losung: »Herrgott Jebaoth!« spaltet« er einem Wilden das Haupt und schuf einen Augenblick freien Raum vor der Pforte. »Hie Israel!« antwortete ihm die Stimme des heldenhaften Greises, welcher, seine Enkeltochter mit dem linken Arm umfaßt haltend, mit seinem gewaltigen Schwerte schützende Kreise um das halb bewußtlose Kind zog. Zugleich entlud sich, von dem alten Obededom losgebrannt, die Feldschlange noch einmal auf die nachdrängenden Wilden. Sie stoben heulend auseinander, aber schon im nächsten Moment führte der Häuptling in der Scharlachtunika eine neue Wolke seiner Leute heran.

»Stehe fest, wer noch stehen kann!« rief Standish aus. »Wir müssen das Tor halten.«

Aber es war an kein Stehen und Halten mehr zu denken. Alles drängte, schob, stürmte gegen die offene Pforte zu, und durch dieselbe keilte und wälzte sich nun die ganze Masse, Weiße und Rote im wildesten Wirrwarr durcheinander tosend.

Auf dem Hofraum erneute sich sofort das Blutbad, Während die allgemeine Feuersbrunst, welche das Dorf verzehrte, glühenden Qualm, Rauchwolken und Flammenwirbel heraufschnob.

Überwältigt von allen diesen Schrecken der Vernichtung, war es Lovely wie im Traume, als sähe sie den Richter, den Kapitän, ihren Großvater und Vater, mit dem Rücken an die Mauer des Hauses gestemmt, den letzten Verzweiflungskampf gegen die anstürmenden Wilden kämpfen. War das alles Wirklichkeit? Wie denn lebte sie noch? Welches Wunder hatte sie gerettet?

Plötzlich stieß sie einen Schrei aus und stürzte vorwärts.

Ein riesenhafter Indianer hatte ihren Vater angefallen und mit dem Kolbenschlag einer aufgerafften Büchse die Schwertklinge des Weißen zersplittert. Schon holte er zum Todesstreiche aus, als sich das Mädchen an die Brust des Vaters warf und in verzweiflungsvollem Flehen die Hände gegen den Wilden ausstreckte. Dieser verzog nur den Mund zu einem höhnischen Grinsen des Triumphs und schwang die Waffe höher empor. Aber im selben Augenblick wurde er von dem Häuptling am Arme gefaßt und rückwärts geschleudert.

Mit halbwahnsinniger Spannung starrte Lovely dem Retter in die bronzenen Züge. Sie hörte nur noch, wie der Mann im Scharlachwams ein gellendes, dreimal wiederholtes Pfeifen ertönen ließ. Dann schwamm und wirbelte ihr alles vor den Augen, und sie sank bewußtlos ihrem Vater in die Arme.


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