Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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4.

Mein Fluch, er sei – Vergebung! Hab' ich nicht –
O Erd' und o ihr himmlischen Gewalten! –
Hab' ich gekämpft nicht, wie der Tapfre sicht?
Hab' ich unsäglich Weh nicht ausgehalten?
War glühend nicht mein Hirn, mein Herz gespalten?
Hoffnung und Ruf vergiftet, wie mein Leben? –
Wohl trotzt' ich der Verzweiflung Wahngestalten,
Weil nicht an mir dieselben Stoffe kleben,
Die in den Seelen, die ich übersehe, weben.
Byron.

In der Frühe eines tauschweren Sommermorgens öffnete sich die Tür eines Hauses der zwischen der Mündung des Pawtucket und der des Moshasneck an der Bai gelegenen Kolonie Providence, welche damals freilich noch nicht die belebte Handelsstadt von heutzutage war und nach europäischen Begriffen weit eher den Namen eines Weilers als den einer Stadt verdient hätte. Die Häuser lagen unter Baumgruppen zerstreut, und die Wege, mittels welcher eine Art Verbindung zwischen ihnen hergestellt war, liefen noch durch die Überreste des Urwaldes, der von dem Beil der Zivilisation wohl gelichtet, noch lange aber nicht völlig von den Wohnungen des Häufleins von Pilgern der Wildnis, das sich hier angesiedelt hatte, weiter landeinwärts gedrängt war. Das Haus, welches wir im Auge haben, lag ganz einsam und von dem seines nächsten Nachbars wenigstens ein paar Büchsenschüsse weit entfernt. Es war, wie die übrigen Wohnungen der Ansiedelung, im echt englisch-amerikanischen Block-House-Charakter erbaut, und zeichnete sich nur etwa dadurch vor den andern ans, daß die Ranken einer ungeheuren wilden Rebe mit Sorgfalt um und über das von der Zeit gebräunte Balken- und Sparrenwerk gezogen waren, und daß sich von dem Porch ein mit Sorgfalt umfriedeter Garten bis zur Bai hinabzog, dessen Obstbäume und Blumensträuche eine ungewöhnlich liebevolle Pflege beurkundeten.

In der geöffneten Tür erschien eine hohe Greisengestalt, und als sie in den Garten heraustrat, fielen die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne auf ein Antlitz voll milder Würde, dem große, sinnende Augen, eine breite, von dem Pfluge des Gedankens durchfurchte Stirn und der in zwei dichten Strängen silbern bis zum Gürtel, welcher das aus schwarzgefärbtem Linnen bestehende Obergewand zusammenhielt, herabfallende Bart etwas Prophetisches, Apostelhaftes verliehen.

Der Greis stand eine Weile mit gefalteten Händen und himmelwärts gerichteten Blicken, als betete er. Dann kam er vorwärts und atmete mit Entzücken den würzigen Morgenhauch ein. Er sah auf die Bai hinaus, deren von der Frühbrise sanftgekräuselte Wasser in der Morgensonne zu leuchten begannen, und wandte sich dann zu seinen Blumen und Bäumen, mit achtsamer Hand hier eine vom Tau gebeugte Blütendolde wieder an das stützende Stäbchen befestigend, dort eine Knospe von dem sie benagenden Insekt befreiend. Ein trüber Gedanke schien ihn mit einmal in dieser harmlosen Beschäftigung zu stören. Er richtete sich auf, warf einen nachdenklichen und trüben Blick auf die da und dort aus den Baumgruppen hervorschauenden Dachfirste der Ansiedelung, seufzte und schritt dann mit über der Brust gekreuzten Armen und gesenktem Haupte, in tiefes Nachsinnen verloren, am Gestade der Bai hin und her.

Beschäftigten ihn die gewöhnlichen Sorgen und Kümmernisse der Menschenbrust, oder gehörte er etwa zu der Klasse derer, welche das erhabene, aber wenig beneidenswerte Privilegium besitzen, für das gemeine Beste denken und sorgen zu müssen? Wir haben vollauf Ursache, das letztere anzunehmen, denn dieser Greis, unter dem Namen Roger Williams in unserer Erzählung schon zu wiederholten Malen genannt, war einer der Väter der Freistaaten von Nordamerika, der Gründer des Staats Rhode-Island, welcher, wenn auch dem Umfange nach der kleinste der jetzigen Union, an Ruhm des Ursprungs keinem der übrigen nachsteht, sondern eher allen vorgeht. Wir glauben das mit gutem Grunde sagen zu dürfen, denn die von Williams gegründete Kolonie Providence, welche im Laufe der Zeit zu dem Staate Rhode-Island heranwuchs, war das erste Asyl, welches sich in der alten und in der neuen Welt jenem großen Prinzip, der vollkommenen Freiheit und Unverletzlichkeit des Gewissens, auftat.

Roger Williams war zu Anfang des Jahres 1631 in die Kolonien von Neuengland herübergekommen. Er hatte sich daheim der Wissenschaft des Zeitalters, der Theologie, gewidmet und als Mitglied der puritanischen Sekte Verfolgung zu erdulden gehabt. Bei weitaus den meisten seiner Glaubensgenossen hatte die Verfolgung jene Starrheit der Gedanken und Gefühle, jene einseitige Beharrung auf einmal gefaßten Meinungen erzeugt, wie wir sie an dem Richter Eaton von Swanzey bemerkten, und wie sie ganz geeignet war, zur Unduldsamkeit und Feindseligkeit gegen Andersdenkende sich zu verhärten. Nicht so bei Roger Williams. Von der Natur mit einem hellen und umfassenden Geiste ausgestattet, hatte er über das Wesen der Intoleranz nachgedacht und war zu dem Schlusse gelangt, daß es nur ein Mittel dagegen gäbe, die Proklamierung und Geltendmachung des Satzes von der unverletzlichen Freiheit des Gewissens, woraus mit Notwendigkeit folgte, daß die bürgerliche Obrigkeit zwar die Pflicht habe, das Verbrechen zu überwachen und zu strafen, nie aber das Recht, die Meinung vorzuschreiben und dadurch die Freiheit der Seele zu verletzen. Diese Lehre, sagt Bankroft, der berühmte Geschichtschreiber der Vereinigten Staaten, in seiner Charakteristik Williams', diese Lehre enthielt eine vollständige Reform der theologischen Jurisprudenz, sie strich das Verbrechen der Nonkonformität aus dem Gesetzbuche, löschte die Flammen, welche die Glaubensverfolgung so lange genährt hatte, verwarf jedes Gesetz, welches auf Teilnahme am öffentlichen Gottesdienste drang, hob Zehnten und alle erzwungenen Beiträge zur Erhaltung der Religion auf, gab jeder Form des religiösen Glaubens gleichen Schutz und duldete nicht, daß die Macht der weltlichen Regierung gegen die Moschee des Muselmanen oder den Altar des Feueranbeters, gegen die jüdische Synagoge oder gegen die römische Kathedrale zur Hilfe gerufen werde. Alle diese Folgerungen zog Williams mit ebenso großer Klarheit als Entschiedenheit aus seinem edlen Prinzip. Mit seiner hohen Gewissenhaftigkeit, mit seinem ängstlichen Streben nach Konsequenz verband er sodann die edelmütigste Nächstenliebe, die verzeihendste Milde und Güte, und stand demnach an Geist und Herz weit über seiner Zeit. Trotzdem jedoch, oder vielmehr gerade deshalb konnte es nicht fehlen, daß er bald nach seiner Ankunft in Neuengland mit den Regierungen der Kolonien, welche nach der Richtschnur des streng puritanischen Separatismus geregelt waren, in Kollisionen geriet. Denn ungeachtet der Milde seines Wesens bestand Williams unerschütterlich auf der Behauptung des Grundsatzes der Geistesfreiheit und weigerte sich entschieden, denselben der Autorität der Kolonialkirchen zu opfern. Diese begannen daher unverzüglich den Kampf gegen den Selbstdenker. Williams verteidigte seine Meinung mit siegreichen Gründen. Allein die Gewalt ist nie und nirgends gewohnt, durch Gründe sich belehren zu lassen. Williams ward von Salem, wo er sich aufhielt, nach Boston zitiert, um dort, als wäre er ein Verbrecher und der Gemeinschaft der Pilgrime unwürdig, auf einem bereitliegenden Fahrzeug eingeschifft und nach England geschafft zu werden. Als der Vorgeladene sagen ließ, er wäre krank und könnte ohne Lebensgefahr nicht reisen, wurde eine Pinasse abgeschickt, ihn mit Gewalt zu holen. Aber die Häscher fanden ihn nicht mehr. Beizeiten gewarnt, hatte der Kranke sein Haus verlassen. Er fuhr, von wenigen treuen Freunden begleitet, in einem Boote quer über die Massachusettsbai, landete im Gebiete von Plymouth und arbeitete sich mitten im Winterschnee durch die Wälder zu den Indianern hin, deren Sprache er gelernt, deren Freundschaft er auf früheren Wanderungen erworben hatte. »Vierzehn Wochen lang,« schrieb er später, »ward ich in bitterer Jahreszeit schmählich umhergeworfen, ohne zu wissen, was ein Stück Brot oder ein Bett sei. Ohne Führer wanderte ich umher in der Wildnis, hatte oft in stürmischer Nacht nicht Feuer, nicht Nahrung, nicht Gefährten, einen hohlen Baum als einziges Haus.« So kam der Apostel der Geistesfreiheit, der edelste Pilger der Wildnis, in den Wigwam Massasoits, des Sachems der Pokanoketen, welcher gerade mit Kanonikus, dem Sachem der Naragansetter, in Fehde lag. Gastfreundlich aufgenommen, stiftete der Wanderer Frieden und Versöhnung unter den Häuptlingen, welche ihn, wie ihre Nachfolger und die roten Männer überhaupt, fortan als ihren aufrichtigsten Freund, als den Redlichsten der Blaßgesichter betrachteten und behandelten, und ihn mit dem Namen Hahdoh-Manitu, das ist, Zunge des guten Geistes, ehrten. Unfern dem jetzigen Rehoboth, unfern dem östlichen Ufer der Bai von Naragansett, auf einem Stücke Land, welches ihm Massasoit abgelassen, fing er 1636 zu bauen und zu pflanzen an und hierher folgten ihm fünf einfache Männer aus Salem, welche die Kraft seiner Überzeugung ihm zu Freunden gewonnen hatte. Allein er sollte noch keine Ruhe finden. Ein Brief von Eduard Winslow, damaligem Gouverneur von Plymouth, unterrichtete den Wanderer, daß der Platz, wo er sich niedergelassen, zu dem Gebiet der Kolonie gehörte, und fügte den Rat bei, am westlichen Ufer der Bai sich anzusiedeln, wo er völlig unabhängig sein würde. Dankbar für den Rat seiner Feinde, äußerte Williams, er hätte denselben wie eine Stimme Gottes aufgenommen, und fügte bei, daß er seine Brüder, die Kolonisten, immer geehrt und geliebt hätte, selbst da, als ihr Urteil sie dahin brachte, ihn zu verfolgen. Auf einem indianischen Kanoe ruderte er mit seinen fünf Freunden über die Bai ins Land der Naragansetter, die ihn freundlich empfingen. Die Großmut des Sachems Kanonikus beschenkte ihn mit dem ganzen Landstriche zwischen den beiden Flüssen Moshasneck und Pawtucket. Williams, dem Antrieb seiner hochsinnigen Seele folgend, verteilte das Land unter seine Freunde, denen sich inzwischen noch sieben andere aus Salem und Plymouth angeschlossen hatten, ohne auch nur eine Fußbreite Boden mehr für sich zu behalten oder irgend eine Entschädigung begehrend. Die dreizehn Pilger der Wildnis vereinigten sich zu einer religiösen und politischen Gemeinschaft, als deren oberster Grundsatz festgestellt wurde, daß keiner je um des Gewissens willen zu leiden haben sollte. Um sein unerschütterliches Vertrauen auf die göttliche Barmherzigkeit auszudrücken, nannte Williams den Ort, wo er und seine Gefährten den Urwald zu roden und ihre Hütten aufzuschlagen begannen, Providence, und sprach als Weihe der Grundlegung einer neuen Kolonie den Wunsch aus, sie möchte stets ein Zufluchtsort für Menschen sein, die um des Gewissens willen bedrückt würden. Es ging freilich anfangs ärmlich genug her in der neuen Ansiedelung, welche nur harte Arbeit und kärglichen Unterhalt zu bieten vermochte. »Meine Zeit,« schrieb Williams später, »ward keineswegs ausschließlich mit geistiger Arbeit, mit Lehren und Predigen unter meinen Gefährten und den Indianern verbracht, sondern bei Tag und Nacht zu Hause und auswärts, zu Lande und zu Wasser, mit der Hacke und dem Ruder, um Brot zu gewinnen.« Dennoch begann, nach Überwindung der ersten Schwierigkeiten, die Kolonie zu wachsen und zu gedeihen. Der Zauber der Glaubensfreiheit, verbunden mit der unerschöpflichen Güte Williams', welcher für jeden neuen Ankömmling väterlich sorgte, lockte viele, und im Verlauf zweier Jahre schon stieg die Zahl der Ansiedler auf etwa hundert Köpfe. Williams' Weisheit wußte den auf die Prinzipien der vollkommensten Toleranz basierten jungen Staat, in welchem in bürgerlichen Dingen der Wille der Mehrzahl herrschte, als Herrscher des Gewissens aber Gott allein anerkannt war, vor allen schlimmen Folgen innerer Gärungen wie äußerer Gefahren zu bewahren. Ungemein kam ihm hierbei fein gutes Verhältnis zu den Eingeborenen zustatten. Kein zudringlicher Bekehrer, achtete er auch an dem roten Manne die Gewissensfreiheit, und wollte ihn einzig und allein auf dem Wege der Überzeugung zum Christentum herübergezogen wissen. Seine Achtung vor den materiellen und moralischen Rechten der Indianer, seine in zahllosen Fällen erprobte Redlichkeit und Herzensgüte, jener humane Sinn, der jedem und allen das Seinige und Ihrige gönnte und sicherte, seine Bereitwilligkeit, die Fülle seiner Einsichten Roten und Weißen, Heiden und Christen ohne Unterschied zugute kommen zu lassen, ließen ihn den eingeborenen Kindern der Wildnis als eine Art höhern Wesens erscheinen. Auch zu den übrigen Kolonien von Neuengland waren Williams' und seiner Ansiedelung Beziehungen allmählich freundlichere geworden. Williams hatte nämlich reichliche Gelegenheit gehabt, auf seiner Gegner Häupter feurige Kohlen zu sammeln. Verzeihung und Wohltun war die einzige Rache, die diesem hochherzigen Manne anstand. Mit großmütiger und eifrigster Dienstbeflissenheit vergalt er die Verfolgungen, welche ihm die puritanischen Zionswächter angetan hatten. Nicht nur, daß er einzelnen derselben bei jeder Gelegenheit als getreuer Landsmann und Bruder sich erwies und dadurch alte, durch religiöse Zwistigkeiten gelockerte Freundschaftsbande, wie die, welche ihn mit dem Richter Eaton verknüpft hatten, wieder festigte, nein, den Kolonien als solchen gereichte er zu Heil und Segen. Als die Pequoden, wie früher gemeldet worden, die Streitaxt gegen die Blaßgesichter erhoben und die Gefahr, daß sämtliche indianische Stämme von Neuengland diesem Beispiele folgen würden, unausweichlich schien, da war es Roger Williams, welcher diese große Gefahr beschwor. Die Regierung von Massachusetts wandte sich an ihn mit der Bitte, alles aufzubieten, ein allgemeines Bündnis der Roten gegen die Weißen zu verhindern. Williams gedachte nicht einen Augenblick der grausamen Verfolgung, welche gerade jene Regierung über ihn verhängt hatte. Er sah nur die Not und Bedrängnis seiner Brüder. Rastlos, meldet der Geschichtschreiber, sah man ihn nun hin und her fahren, in einem ärmlichen Kanoe Sturm und Wogen trotzend, bei einem Zusammentreffen mit den Abgesandten der Pequoden im Beratungshaus der Naragansetterhäuptlinge ihrer Wut und ihrer Rache eine unerschrockene Stirn bietend, alle Kräfte seiner Beredsamkeit in ihrer mühsam erlernten Sprache anwendend, das gefürchtete Bündnis zu verhindern. Und es gelang ihm, es gelang ihm sogar, die Naragansetter zu einem Schutz- und Trutzbündnis mit den Kolonisten zu vermögen, wodurch für die letzteren der Pequodenkrieg eine sehr günstige Wendung nahm.

So war Roger Williams. Er stand jetzt im siebenundsiebzigsten Jahre seines Lebens, die hohe, hagere Gestalt noch ungebeugt tragend, im Auge und in der Seele die schöne Frische und Wärme der Jugend, der Patriarch des fröhlich um ihn her aufwachsenden Staates. Aber seinem Alter auch sollten die Prüfungen nicht erspart werden. Was er lange vorausgesehen und gefürchtet hatte, was er in seiner versöhnlichen Weise im Keime zu ersticken lange Jahre bemüht gewesen, den Ausbruch tödlicher Feindseligkeiten zwischen Roten und Weißen, war zu seinem tiefen Grame eingetroffen. In seinem hohen Sinne für Gerechtigkeit mußte er zugeben, daß beide Teile Grund zu Klagen hatten, und zwar die Roten wohl mehr als die Weißen, sofern es am Tage lag, daß jene offenkundig Gefahr liefen, durch die vorschreitende, nach links und rechts sich ausbreitende Kolonisation völlig aus ihrem angestammten Erbe, aus den Jagdgründen ihrer Väter verdrängt zu werden. Als Kenner der Geschichte der menschlichen Gesellschaft mußte sich zwar Williams sagen, es sei die natürliche Ordnung der Dinge, daß die Unkultur von der Zivilisation bemeistert und verdrängt werde, dennoch aber blutete ihm das Herz bei dem Gedanken, daß die eingeborenen Kinder des Bodens, sie, welche ihn selbst, den von seinen Landsleuten grausam Verstoßenen, aufgenommen und gespeist hatten, wie die Raben die verstoßenen Propheten Israels speisten, durch die fremden Eindringlinge von dem Grund und Boden vertrieben oder gar vertilgt werden sollten, wo sie ein nach ihren Begriffen glückliches Leben geführt hatten. Auf der andern Seite verhehlte er sich auch nicht, daß die Gefahr für die Kolonisten groß war. Der Abschluß eines Bündnisses zwischen dem ehrgeizigen Metakom und dem kühnen Kanouchet stellte sich ihm als eine Tatsache dar, aus welcher geradezu das Verderben der Kolonien resultieren konnte. Er machte sich auch keine Illusion darüber, daß König Philipp, wenn erst siegreich gegen die Ansiedler von Plymouth, Massachusetts und Konnektikut, denen von Providence jene Schonung und Freundschaft angedeihen lassen würde, welche er seinem Bundesgenossen Kanonchet zugesagt hatte. Gequält von allen diesen Umstanden, hatte sich Williams bemüht, den Sachem der Naragansetter, welcher ihm mit wahrhaft kindlicher Ergebenheit zugetan war, von dem Bündnisse mit Metakom abzuziehen, dessen weitgreifende Pläne er ahnte und fürchtete. Allein seine Bemühungen waren vergeblich gewesen und von einem großartigen Vorschlag, welchen er den beiden Häuptlingen gemacht, von dem Vorschlag, sie möchten, da sie von der stetig wachsenden Macht der Kolonisten doch über kurz oder lang erdrückt werden würden, sämtliche Stämme der Eingeborenen von Neuengland um sich sammeln, um sie westwärts zu führen und ihnen dort in den unermeßlichen Wäldern und Savannen, fern den Weißen, neue Jagdgründe und Wohnsitze zu gewinnen, hatten jene nichts hören wollen. Zu alledem war noch eine ganz naheliegende Sorge gekommen. Er kannte die Feindschaft, welche seine zwei Freunde Willem und Thorkil gegen den Richter Eaton hegten, welchen er ebenfalls von alter Zeit her Freund nannte, und jetzt war dieser in der Gewalt von jenen, um, des Mordes angeklagt, auf Leben und Tod Rede zu stehen. Alle Fibern seines Geistes anstrengend, um irgend einen Ausweg aus allen diesen Wirrsalen zu finden, hatte es der Greis nicht beachtet, daß zwei Männer von der Ansiedelung her dem Garten sich näherten und jetzt denselben betraten. Sie standen schon dicht vor ihm, als er aufschaute und die edle Gestalt des Sachems der Naragansetter, sowie die riesenhafte des alten Trappers wahrnahm.

Die drei Männer blickten sich nach stillem Gruße einige Augenblicke schweigend an. Dann sagte Williams:

»Der Herr wende diesen Tag zum Guten, damit er ein gesegneter heiße!«

Er sah dabei auf Groot Willem, als erwartete er eine Antwort von ihm; als aber der alte Jäger schwieg, setzte er im Tone leisen Vorwurfs hinzu:

»Ihr sagt nicht Amen, Freund Willem? Und doch müßt Ihr als Christ mich verstanden haben.«

»Das habe ich, ehrwürdiger Freund,« versetzte Groot Willem. »Aber verzeiht, mir kommt es heute wunderlicherweise vor, als schmerze mich die Stelle, wo einst mein rechtes Ohr gesessen, gerade so arg wie damals, als –«

»Sprecht nicht weiter, sprecht nicht weiter! Euer Herz ist verhärtet in Kummer und Alter. Doch ich hoffe, daß Thorkil der Lehren, welche ich in sein junges Herz geflößt habe, eingedenk sein werde.«

»Hm, der Junge ist nicht, wie er sein sollte,« erwiderte der Trapper, den Kolben seines Roers unwirsch auf den Boden stoßend. »Ich merke, die Geschichte von der Gefangennahme der beiden Obersten und des jungen Mädchens durch Metakom spukt ihm im Kopfe.«

»Und Ihr habt nichts Näheres über diese rätselhafte Sache erkunden können, Willem?« fragte Williams lebhaft. »Nein. Ich ging dem finstern Annawon, welcher den Richter hierher brachte, mit den drängendsten Fragen zu Leibe. Aber Ihr wißt, wenn ein Indianer sich vorgenommen hat, zu schweigen, so macht ihn der Teufel selber nicht reden.«

Der Greis legte seine Rechte auf die Schulter des Sachems, welcher bisher keinen Anteil an dem Gespräche genommen hatte, und sagte:

»Mein Herz ist bekümmert um das Los zweier weißen Häuptlinge und ihrer Tochter, welche Metakom von der Brandstätte von Swanzey weg in die Wälder geführt. Hat mein Sohn das Ende ihrer Spur nicht gesehen?«

»Der Sachem der Wampanogen großer Krieger,« entgegnete Kanonchet mit gesenkten Blicken; »Metakom sehr weise, sehr klug, so klug, daß er seine Spur selbst den Augen von Freunden verbergen kann.«

»Jawohl, Sachem, wir wissen das,« sagte Willem. »Aber einer Eurer Läufer befand sich bei Metakom, als der Tomahawk über Swanzey erhoben wurde, und die jungen Krieger der Naragansetter haben scharfe Augen.«

»Sieh mich an, mein Sohn,« sprach Williams ernst. »Soll ich glauben, daß das Herz des Häuptlings nicht mehr offen vor meinen Augen liege?«

Der Sachem erhob den Blick und begegnete dem liebevollen des Patriarchen, welcher eine magische Gewalt über ihn zu üben schien. Er ergriff mit edler Gebärde Williams' Hand, drückte sie an seine Brust und erwiderte:

»Nein, Kanonchets Herz soll dem Auge des Hahdoh-Manitu nie verhüllt sein, nicht einmal dann, wann es die Wolke beschattet, aus welcher eine Stimme flüstert: Miantonomo!«

Der Ton, womit der Häuptling das letzte Wort sprach, war ein so klagender, daß er nicht nur Williams, sondern auch den stahlnervigen Trapper tief bewegte. Beide fühlten, was in der Brust Kanonchets vorging, beide wußten, wie sehr er zur Zurückhaltung, ja zum grimmigsten Hasse gegen die Kolonisten berechtigt war, welche ihm auf eine ebenso grausame als niederträchtige Weise hatten den Vater ermorden lassen. Groot Willem machte seinem Mitgefühl durch einen halb unterdrückten Fluch Luft, der Patriarch aber faßte voll Teilnahme die Hände des Sachems und sagte:

»Es war eine Tat der Ungerechtigkeit und des schnödesten Blutdurstes. Mein Sohn weiß, wie ich darüber dachte und denke.«

»Kanonchet weiß es, er weiß, daß mein weißer Vater seine Stimme laut erhob gegen den tückischen Beschluß der Blaßgesichter. – Kanonchet,« fuhr der Sachem nach kurzem Bedenken fort, »war fern, als sein Bruder Metakom den Tomahawk erhob und die Wigwams von Swanzey mit Feuer verheerte, aber sein junger Krieger sah, daß der Sachem der Wampanogen die beiden gefangenen weißen Häuptlinge und den kleinen Feuerspeier und die junge Squaw nach Mitternacht zu fortführte.«

»Nach Mitternacht zu?« rief Willem aus und setzte nach kurzem Besinnen hinzu: »Verdammt, wenn ich auf der richtigen Fährte wäre! Hih-lah-dih wußte nichts davon, das ist sicher. – Nach Mitternacht zu, sagt Ihr, Sachem?«

»Nach Mitternacht zu,« bestätigte Kanonchet.

»Verdammt, sag' ich nochmals. Wohin könnte er sie in jener Richtung gebracht haben, wenn nicht nach Mount Wallaston?«

»Nach Mount Wallaston, wo die Bande des unseligen Morton haust?« bemerkte Williams. »Ihr erschreckt mich, Freund, mit Eurer Vermutung.«

»Sie erschreckt mich selber, Död und Duivel! Der brüllende Tom wäre imstande – Wir dürfen wahrhaftig dem Jungen vorerst gar nichts davon sagen; er muß heute seine fünf Sinne beisammen haben, das muß er – 's ist vielleicht der wichtigste Tag seines Lebens. – Nach Mount Wallaston? Wenn es so ist, hat der Wampanoge falsch an uns gehandelt, und bei der Seele von einer, die nicht mehr ist, er soll es büßen! – Doch, horch, da tönt die Glocke!«

In der Tat unterbrach hier ein über die Baumwipfel von der Ansiedelung herschallender Ton einer Glocke das Gespräch.

Die drei lauschten einige Augenblicke den metallenen Klängen, in welchen etwas Schwermutsvolles, Ergreifendes lag. Dann sagte Williams:

»So laßt uns denn gehen, und,« fügte er, zum Himmel aufblickend, mit gemessenem Ernste hinzu, »Gott möge seine Gerechtigkeit sichtbar werden lassen!«

Sie gingen, und indem der Erzähler den drei Männern nach der Ansiedelung folgt, führt er den Leser zu einer feierlichen Szene.


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