Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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16.

Laß nur die Welt dich tadeln, ich liebe dennoch dich!
Erscheinen einst zwei Sonnen am Himmel auf einmal,
Nur dann stirbt meine Liebe! Sink in die Erde du,
Durch Feuer geh, ich folge, wohin du immer gehst!
Ich liebe dich, du liebst mich, uns trennet kein Geschick!
Makassarisches Liebeslied.

Dem furchtbaren Getümmel und Getobe, welches den Lagerplatz erfüllt hatte, war Ruhe gefolgt, nachdem die Vernichtung ihr Werk getan.

Die Seeleute waren unmittelbar nach Beendigung des Kampfes befehligt worden, ihre gefallenen Kameraden, deren nicht wenige waren, am Ufer zu begraben. Nachdem sie dies vollführt, hatte De Lussan sogleich den Befehl zur Einschiffung gegeben.

»Haltet das Schiff zur Abfahrt bereit, Sennor Estevan,« hatte hierbei der Flibustier zu dem Leutnant gesagt. »Macht alles klar, so daß die Gloria unter Segel gehen kann, sobald ich an Bord zurückgekehrt sein werde, und meldet Monsieur Legrand, daß unser Kurs nach den westindischen Gewässern gehe.«

Nur die Pinasse war an der Küste zurückgeblieben. Die Ruderer des Bootes lehnten sich lässig auf ihre Riemen, und Monsieur Terrible, welcher am Steuer saß, war unter allerlei Flüchen und Verwünschungen auf das »bettelhafte Geziefer der roten Pickelheringe« damit beschäftigt, eine Speerwunde zu verbinden, welche er in den Oberschenkel erhalten hatte.

Draußen auf der ruhigen See, in geringer Entfernung von der Küste, kreuzte die Fregatte unter ihren leichten Obersegeln hin und wieder. Ihre Mastenspitzen und ihre Takelage zeichneten sich rein auf dem blaßblauen Hintergrunde des wolkenlosen Abendhimmels ab, und ihre rote Flagge glänzte im Widerschein der Sonne, welche im Begriffe war, im fernen Westen am Firmamente hinabzusinken.

Ein unbeschreiblicher Hauch von Frieden und Stille lag auf den Wassern der Bai.

Am Lande aber konnten die menschlichen Leidenschaften, welche hier soeben eine schreckliche Tragödie aufgeführt, noch nicht zur Ruhe kommen.

Freilich, unter einer der beiden Gruppen, welche wir auf dem freien Platze wahrnehmen, herrschte Ruhe, die stumpfe Ruhe der Verzweiflung. Diese Gruppe bestand aus der Handvoll Wampanogen, welche nach dem Fall ihres Häuptlings die Waffen weggeworfen und durch Groot Willem dem Entermesser der Seeleute entrissen worden waren.

Sie umgaben im Kreise die Leiche Metakoms, da, wo der Tod ihn ereilt hatte.

Hih-lah-dih hielt sitzend das Haupt des Toten in ihrem Schoße, lautlos, unbeweglich, ein Bild von Stein.

Weiter zurück, am Fuße des Felsens, stand die zweite Gruppe, bestehend aus dem alten Trapper, De Lussan, Thorkil, den beiden Obersten, Lovely und Desdemona.

Groot Willem und der Flibustier hielten sich ein paar Schritte abseits von den übrigen, jener nach seiner Gewohnheit sinnend auf den Lauf seines Roers sich stützend, dieser die verschränkten Arme fest gegen die Brust pressend und sichtbar bemüht, einen sein Inneres durchtobenden Sturm unter gleichgültigem Gebaren zu verbergen.

Lovely hielt die Hand der endlich wiedergefundenen Schwester fest in der ihrigen, als wollte sie dieselbe niemals mehr loslassen, und wandte die Augen von dem schönen Antlitz Desdemonas nur ab, um sie mit dem Ausdruck flehendster Bitte auf ihren Vater zu richten, der seine gewohnte finstere Haltung beibehalten hatte.

Auf den ehrwürdigen Greis dagegen hatte der Anblick seiner lange verloren gegebenen Enkelin augenscheinlich erschütternd gewirkt. Zug für Zug rief sie ihm das Bild ihrer Mutter, seiner Tochter Ellen, ins Gedächtnis zurück, obgleich die wunderbare Schönheit Desdemonas eine prächtigere und mächtigere als die der Toten, deren Leben an der Seite des düster schwärmerischen Gatten nicht das glücklichste gewesen war. Das Erbarmen innigster Liebe stritt in dem Großvater mit seinen religiösen Grundsätzen, und dieser Kampf prägte sich in seinen peinlich aufgeregten Gesichtszügen aus. Schon hundertmal hatten sich in, der kurzen Frist, seit Desdemona ans Land gekommen war, seine Arme unwillkürlich ausgestreckt, um die Enkeltochter zu umfangen, und ebenso oft hatte das Vorurteil sie wieder zurückgezwungen.

»Es gefällt dem Herrn, dessen Wille gepriesen sei ewiglich, die Rute der Züchtigung noch länger über dem Haupt seiner Knechte erhoben zu halten,« bemerkte der jüngere Oberst nach einem langen beängstigenden Schweigen. »Es gefällt ihm, uns auf dem Boden des Bechers der Gnade, welchen er uns heute dargereicht, den bittersten Wermut finden zu lassen. Seine Schickung sei gelobt, aber Wehe über die, durch welche da Ärgernis kommt. Ich habe viel Unglück erlebt seit dem Tage, wo ich das Land meiner Väter meiden mußte, um als Flüchtling in der Fremde zu irren, weil jenes dem Baalsdienste Edoms und der Herrschaft eines zuchtlosen Ahab wieder dienstbar geworden – viel Unglück, ja, hab' ich seit jenem Tage erlebt. Aber das schwerste hatte mir der Herr noch aufbehalten. Ich sollte meine Erstgeborene wiederfinden als – die Kebse eines vogelfreien Piraten.«

De Lussans Stirn flog dunkles Rot an, und seine Rechte zuckte nach dem Griffe seines Säbels. Er stampfte mit dem Fuße und trat einen Schritt vorwärts. Allein ein Blick auf die in Tränen schwimmende Desdemona ließ ihn eine furchtbare Kraftanstrengung machen, um seinen Ingrimm zu bemeistern.

»Sir,« versetzte er mit einer Stimme, welche die Gewalt, die er sich antat, beben machte, »ich vermag nicht in Eurer Redeweise mit Euch zu sprechen: mein Geschmack verbietet mir das. Aber wenn Ihr ein Mann seid, hört Ihr, wenn Ihr ein Mann seid, so unterlaßt es, ferner einen zu beleidigen, dessen Degen durch Rücksichten, die stärker sind als alle Erbitterung, in der Scheide zurückgehalten wird.«

»Vater,« sagte Lovely mit schüchternem Vorwurf, »De Lussan hat mit Gefahr des seinigen dein Leben gerettet.«

Desdemona war bleich geworden wie der Tod, und ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, als ihr Vater den bittern Schimpf auf sie schleuderte. Aber ihr starkes Gemüt hatte nur dem Plötzlichen des Schlages nachgegeben und gewann sogleich wieder seine Elastizität.

Sie schüttelte die Tränen von den Wimpern und sagte sanft und ehrerbietig, aber fest:

»Vater, Ihr tut Raoul und mir unrecht. Nach göttlichen und menschlichen Gesetzen bin ich sein Weib.«

»Das Weib eines götzendienerischen Papisten!« grollte der Puritaner.

»Eines götzendienerischen Papisten?« entgegnete der Flibustier nicht ohne Hohn. »Ei, Sir, sagt mir doch, was waren denn Eure Väter?«

»Meine Väter, Sir, haben Ihren Irrtum beizeiten erkannt und sich vom Dienste des Baal gewandt, um der Gemeinde Israel anzuhängen. Der Herr sieht die mit Wohlgefallen an, welche dem Weg des Irrtums und der Sünde den Rücken kehren, sowie das Licht der Erkenntnis ihnen aufgegangen.«

»Ja, so tut er,« nahm der ältere Oberst das Wort. »Gottes Barmherzigkeit ist ohne Grenzen und nicht auszuschöpfen der Born seiner Gnade. Es steht geschrieben, daß im Himmel mehr Freude ist über einen bußfertigen Sünder als über eine ganze Schar von Gerechten,– Sir,« fuhr er fort, direkt an De Lussan sich wendend, »ich sehe in unserem Zusammentreffen den Finger Gottes. Ich habe mich bemüht, meine Abneigung zu überwinden und Euch mit parteilosem Auge zu beobachten. Es ist meine Art, zu reden, wie ich fühle und denke, und so sage ich Euch, daß Ihr mir aus einem Stoffe geformt zu sein scheint, welchem edles Metall beigemischt ist. Meine Enkeltochter hängt an Euch. Unser wackerer Freund Willem dort hat mir mitgeteilt, daß Ihr sie hochhaltet. Sagt mir, besitzt Ihr die Kraft, auf den Pfad der Tugend zurückzukehren und Eure bisherige Laufbahn aufzugeben?«

»Sir,« entgegnete De Lussan ehrfurchtsvoll, »Ihr flößtet mir beim ersten Anblick Achtung und Vertrauen ein. In Eurer Brust schlägt ein edles Herz, und glaubt mir, ich verstehe und würdige die Absicht, welche in Euren gütigen Worten liegt. Aber meine Laufbahn aufgeben? Mögen sie Toren die eines Piraten nennen: sie ist die Bahn der Freiheit und des Ruhms. Ich kam an diese Küste, um einen großen Plan ins Werk zu setzen, der, falls er gelungen, meinen Namen zu einem gefeierten in dem Buche der Geschichte gemacht und ein Diadem um die Stirn Eurer Enkeltochter gelegt hätte. Der Plan ist gescheitert, aber noch lebt in mir die Kraft, welche ihn ersann. Meine Laufbahn aufgeben? Nie!«

Der Greis fühlte sich von dem Hauche der Kühnheit und des Stolzes, welcher in den Worten des Flibustiers wehte, sympathisch berührt. Er erkannte, daß einem solchen Charakter gegenüber jedes fernere Wort überflüssig sei.

»Und du, mein Kind,« sagte er weich zu Desdemona, »willst du auch ferner dein Los mit dem dieses Mannes vereinigen? Oder willst du, erkennend die Gnade des Herrn, der uns so wunderbar zusammengeführt hat, zu uns zurückkehren, um durch Reue und Buße die Vergangenheit zu sühnen?«

»O, Dank, Großvater, Dank für diese Worte!« rief Desdemona aus, die Hände des Greises ergreifend und sie mit Küssen bedeckend.

Er sah sie fragend an.

Sie schwieg.

De Lussan blickte auf sie mit fieberhafter Spannung.

Desdemona hielt mit der Linken die Hand ihres Großvaters fest und faßte mit der Rechten nach der widerstrebenden Hand ihres Vaters.

Dann sagte sie mit ihrer tiefen Glockenstimme:

»Es steht geschrieben: Die Liebe bleibt immerdar; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles. Und ferner steht geschrieben: Das Weib wird Vater und Mutter verlassen und dem Manne anhängen. Ich bin Raouls Weib. Mein Herz, mein Eid, alles, alles bindet mich unauflöslich an ihn. Wenn alle Welt Acht und Bann über ihn spräche, ich würde ihn dennoch lieben und ehren. Er ist mein Held, mein Geliebter, mein Gatte, mein alles!«

»Du willst ihn nicht verlassen?« fragte der Greis tiefbewegte

»Ich kann nicht!«

Ein Strahl des Triumphes fuhr über die Züge des Flibustiers.

»So fahre denn hin in deinen Sünden,« rief der Puritaner aus, die Hand seiner Tochter von sich schleudernd, »und der Fluch, den ich am Totenbette deiner Mutter über dich gesprochen, möge dich begleiten.«

»Zu mir, Desdemona!« rief De Lussan. »Der Himmel ist taub für die Flüche des Wahnwitzes.«

Sie verhüllte ihr Antlitz mit den Händen und wandte sich wankenden Fußes zu gehen.

»Nein,« sprach der Greis, unfähig, den Regungen seines Herzens länger zu widerstehen, »nein, so sollst du nicht von uns gehen, Tochter meiner Ellen. Komm zurück und nimm meinen Segen mit dir.«

Die Tieferschütterte kehrte um und beugte ihre Knie vor dem Großvater, der seine Hände segnend auf ihr Haupt legte.

Dann umfaßte sie die Füße ihres Vaters und flehte in herzzerreißenden Tönen zu ihm empor:

»Vater, bei der Seele meiner Mutter, nimm den Fluch von mir!«

Die Natur, die allmächtige, schmolz das Eis, welches der Fanatismus um die Brust des Puritaners gelegt. Es arbeitete heftig in seinen Zügen, und seine Lippen zuckten krampfhaft. Endlich aber lösten sich seine verschränkten Arme und seine Hände sanken wie von selbst auf die Stirnlocken der Tochter.

»Ich nehme den Fluch von dir,« sagte er tonlos. »Leb wohl!«

Sie sprang auf und bedeckte sein Antlitz mit Küssen und Tränen, sie warf sich in die ihrer harrenden Arme des Großvaters, sie drückte die Schwester an ihre Brust und flüsterte ihr zu: »Sei glücklich mit Thorkil!«

Dann winkte sie allen ein letztes Lebewohl zu und legte ihre Hand in die De Lussans.

Der aber hob sie in seine Arme und eilte mit der teuren Beute hinweg.

Als er mit seiner kostbaren Last in das Boot sprang, stieß er einen jauchzenden Schrei aus. Die Matrosen setzten mit lautem Hussa ihre Riemen ein, und die Pinasse flog über das Wasser hin.

Man sah das kleine Fahrzeug bei der Fregatte ankommen, welche sofort im letzten Sonnenstrahl ihre Segel entfaltete und ihr Bugspriet südwärts richtete. Man hörte das Jubelgeschrei, womit der Flibustier und seine Herrin an Bord des Schiffes von der Mannschaft empfangen wurden, über das Wasser schallen, und sofort fuhren Blitze aus allen Stückpforten und der majestätische Donner sämtlicher Geschütze rollte ans Ufer.

Es war der Abschiedsgruß der Gloria.

Als sich der Pulverdampf verzogen, erblickte man die Fregatte noch einmal, wie sie vollen Laufes, einer weißen Wolke gleich, in die Dämmerung hineinglitt, die sich auf Meer und Land gelagert hatte.


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