Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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2.

Noch immer können wir entrinnen,
Wenn bei den Haaren die Gelegenheit wir fassen.
Shelley.
Der große König aller Könige
Gebot in seiner Tafel der Gesetze:
Du sollest töten nicht und Mord begehn!
Gib acht, denn in der Hand hat er die Rache,
Des Haupt zu treffen, der bricht sein Gesetz.
Shakespeare.

Statt der geräuschvollen, etwas profanen Unterhaltung, welche die Verfolger führten, herrschte auf dem Boote der Flüchtlinge ein ernstes Schweigen, welches weniger eine Folge von Befürchtung und Angst war, als vielmehr aus der eigentümlichen Sinnesweise der kleinen Gesellschaft entsprang.

Die Mitglieder dieser Gesellschaft waren durch die innigsten Bande des Blutes miteinander verbunden. Das junge Mädchen, welches kaum achtzehn Sommer zählen mochte, verehrte und liebte in dem jüngern seiner Begleiter den Vater, in dem ältern den Großvater von mütterlicher Seite. Dieser war ein Greis von wahrhaft ehrfurchtgebietendem Aussehen. Sein kurz geschorenes weißes Haar verband sich an den Schläfen mit einem Barte, welcher voll, lang und silbern bis auf die Brust niederfiel. Er hatte, um sein Ruder ungehemmter handhaben zu können, wie den Mantel, so auch den Hut abgelegt und zeigte so, mit einem unserer Dichter zu sprechen –

»Die Heldenstirn, Freiheit begehrend,
Die Furche drauf, den tiefen Pfad,
Den, rastlos immer wiederkehrend,
Ein mächtiger Gedanke trat.«

Der übrige Teil des Gesichtes entsprach der edlen Bildung der Stirn. Es war ein wahrhaft antikes Antlitz, in welchem jeder Zug eine fest in sich gefaßte Seele, einen unbeugsamen Geist verriet. Die großen grauen Augen hatten ihren Glanz noch nicht verloren, und von Zeit zu Zeit stieg sogar eine Flamme in ihnen auf, welche von einem Enthusiasmus, vielleicht sogar von einem Fanatismus zeugte, wie er sonst nur der leidenschaftlichen Jugend eigen zu sein pflegt. Die straffe Haltung des Greises, die Kraft, womit er das Ruder führte, ließen den Schluß zu, daß dieser Mann seinen Körper lange im Kriege und in Strapazen abgehärtet habe und noch jetzt befähigt sei, letztere zu ertragen.

Sein Schwiegersohn, dessen Haare an den Schläfen ebenfalls zu ergrauen begannen, war von breitschulteriger, gedrungener Gestalt. Das ruhige Feuer seines Auges, seine Adlernase, der kleine festgeschlossene Mund und das energische Kinn verliehen seiner ganzen Erscheinung den Charakter von imponierender Kühnheit und Entschlossenheit. Auch sein Gebaren hatte etwas entschieden Kriegerisches, aber auf seiner Stirn lag eine düstere Wolke der Schwermut oder Schwärmerei, welche, wie es schien, nur durch das Lächeln seiner Tochter und auch von diesem nur auf Augenblicke verscheucht werden konnte.

Wem die historischen Porträts jener Zeit und namentlich die aus der damaligen Geschichte Englands nicht unbekannt sind, der würde bei der genauen Betrachtung dieser Männer mit Interesse verweilt und in ihnen wohl Genossen jener kriegerischen Glaubenseiferer vermutet haben, welche den Thron Karls I. umgestürzt und der weltlichen Tyrannei Straffords und der geistlichen Lauds zugleich ein Ende gemacht hatten. Die Tracht der beiden strafte eine solche Vermutung keineswegs Lügen. Sie war von dem hochkegeligen, breitrandigen schwarzen Hute bis zu dem schmucklosen Stahlgriff des Schwertes herab streng nach puritanischem Schnitt und Brauch, welcher bekanntlich Schmuck und Modekünste als einen Beweis grober Weltlichkeit, wenn nicht erklärter Sündhaftigkeit verachtete und verdammte.

Die beiden Obersten, denn als solche waren diese in der Geschichte ihres Vaterlandes berühmten Personen von Kellund richtig bezeichnet worden, nahmen die Vorschritte, welche das Boot der Verfolger binnen kurzem augenscheinlich gemacht, mit einer Ruhe und Gelassenheit wahr, welche einesteils von ungewöhnlicher Charakterstärke, andernteils von langem Vertrautsein mit der Gefahr zeugten. Wie entschlossen sie aber auch waren, dem, was ihnen selber drohte, mit dem Gleichmut eines Stoikers oder vielmehr mit dem ergebungsvollen Glaubensmut eines Anhängers der Prädestinationslehre Kalvins entgegenzugehen, so hätten sie doch mit übermenschlicher Kraft oder mit unmenschlicher Gefühllosigkeit begabt sein müssen, wenn ihre Herzen beim Hinblick auf das schöne, junge, hilflose Wesen, welches mit ihnen war, nicht heimlich in bangster Sorge gepocht hätten.

Der jüngere der beiden Männer brach endlich das Schweigen.

»Die Philister sind hinter uns,« murmelte er, »wie bei der Flucht Israels gen Gilboa hinter Jonathan und Abinadab.«

Und zu seiner Tochter gewendet, welche sich in der Mitte des Nachens mit einem Ruder abmühte, setzte er lauter hinzu:

»Lovely, mein Kind, nimm du das Steuer zur Hand. Du bist nicht ganz unerfahren in der Führung desselben. Mir aber gib dein Ruder, welches in meiner Hand uns mit der Hilfe Gottes nützlicher werden mag, als es in der deinigen sein kann.«

An augenblicklichen ehrerbietigen Gehorsam gewöhnt, wechselte das Mädchen ihren Platz mit dem Vater, welcher sofort seine Anstrengungen mit denen des Großvaters vereinigte, der mit stetiger Beharrlichkeit im Vorderteile der kleinen Barke sein Ruder bewegte.

Lovely – wir werden später erfahren, warum das schöne Kind diesen hübschen, aber etwas seltsamen Namen trug – war infolge einer auf strengen Grundsätzen beruhenden Erziehung in der schweren Kunst der Selbstbeherrschung zu geübt, um beim Anblicke der offenbaren Gefahr, worin ihre und ihrer Teuersten Sicherheit und Leben schwebte, der natürlichen Schwäche ihres Geschlechts sich zu überlassen. Sie wußte, daß sie von mitleidslosen Feinden, die sich nun schon so manchen Tag an ihre Fersen geheftet hatten, verfolgt würden, aber in den Adern des zarten Mädchens kreiste von väterlicher und mütterlicher Seite das Blut eines kühnen Stammes. Außerdem war sie in letzter Zeit und schon früher mit Gefahren vertraut geworden, und endlich durfte sie mit Zuversicht auf die bewährte Umsicht und Entschlossenheit ihrer Begleiter blicken. So regierte sie denn das Steuer mit fester Hand, und nur dann legte sich ein Flor von Trauer und Angst über ihre seelenvollen dunkelblauen Augen, wenn sie dieselben auf ihre Verwandten und Beschützer richtete. Aber sie tat dies nur verstohlen, als fürchtete sie, durch den Ausdruck ihrer Blicke die Besorgnisse der Männer zu vermehren.

Der Vater erhaschte jedoch einen dieser Blicke seines Kindes, und der Schatten auf seiner Stirn wurde gramschwerer. Er wandte sich nach den Verfolgern um, deren einzelne Gestalten in dem näher und näher kommenden Boot immer deutlicher sichtbar wurden, und prüfte ihre Bewegungen mit gespanntester Aufmerksamkeit.

»Vater,« sagte er dann zu dem Greise, »der Augenblick naht, wo wir zu den Waffen greifen müssen, um uns jener übelberatenen Leute zu erwehren. Sie möchten uns gern dem Baal ihrer Eitelkeit zum Opfer bringen, doch das soll, so der Herr es gestattet, nicht geschehen, solange meine Hand ein Feuerrohr heben oder ein Schwert schwingen kann.«

Ein Strahl kriegerischen Feuers schoß aus dem Auge des Mannes, als er so sprach und sein Blick auf die Stelle fiel, wo ihre Waffen lagen.

»Der Wille des Herrn geschehe ewiglich,« entgegnete der Greis. »Dürsten jene Menschen nach dem Blute von zwei armen Wanderern, welche Heimat, Haus und Hof verließen, als die Leuchter des reinen Glaubens von dem geschändeten Altar genommen wurden, und in die Wildnis überm Weltmeer flohen, um bescheidentlich an dem Tempel der alten guten Sache fortzubauen, wohlan, so möge das Blut, das in diesem Kampfe vergossen wird, über sie kommen.«

»So sei es, und hat der Allbarmherzige beschlossen, daß wir aus dieser zeitlichen Trübsal eingehen in die ewige Herrlichkeit, so wollen wir sterben, wie es freigeborenen Engländern zukommt.«

»Wir wollen es, mein Sohn, aber –«

Der Greis vollendete den Satz nicht, jedoch der Blick womit er auf seine Enkeltochter hinwies, ließ den Vater derselben verstehen, was er nicht ausgesprochen.

Auch Lovely verstand die Bedeutung dieses Blicks, und als zugleich ein halbunterdrückter Seufzer ihres Vaters an ihr Ohr schlug, überwand der Enthusiasmus ihrer Seele für einen Augenblick ihre mädchenhafte Bescheidenheit und Zurückhaltung. Mit strahlendem Auge und hochgeröteter Wange rief sie aus:

»Großvater, Vater, wenn Gott es will, so laßt uns sterben, zusammen sterben, auf daß wir nie und nimmer getrennt werden!«

»Gesprochen, wie es der Tochter deines Vaters zukommt, mein Kind,« entgegnete ihr der Greis und gab sich keine Mühe, das Lächeln stolzer Befriedigung, welches um seine Lippen spielte, zu unterdrücken.

Nach dieser kurzen Äußerung des Aufschwungs ihrer Gefühle nahmen alle drei ihre vorige gefaßte Haltung wieder an. Der Vater Lovelys musterte achtsam das waldige Ufer, von welchem sie in der Entfernung von nur ein Paar Büchsenschüssen hinfuhren, und äußerte hierauf:

»Müssen wir kämpfen, so wollen wir den Kampf wenigstens nicht in so nachteiliger Stellung auf der See annehmen, sondern uns auf geeignete Weise des Schutzes der Bäume und Felsen am Gestade bedienen. Steuere Backbord, Kind! Wir wollen die Landzunge umfahren, welcher wir uns gegenüber befinden, und in die Bucht dahinter einlaufen. Vielleicht bieten uns die Ufer derselben geeignete Deckungsmittel. Was meinst du, Vater?«

»Handle nach deinem Gutdünken als erfahrener Kriegsmann,« erwiderte der Greis; »aber laßt uns in dieser Prüfung nicht vergessen, unsere Stimme zu dem zu erheben, welcher seinen schützenden Schild gehalten über den Sohn Isai, als der Atem der Lanzenträger Sauls in seinem Nacken war.«

So sprechend sah er Lovely an, und das Mädchen verstand unschwer seine Meinung. Mittels eines Druckes auf die Lenkstange des Steuerruders gab sie der Barke die anbefohlene Richtung, dann zog sie mit der einen Hand, welche sie frei hatte, eine Taschenbibel hervor, schlug das Buch auf ihren Knien auf und las mit ihrer von innigster Andacht getragenen Stimme die Worte des Psalmisten:

»Wer in dem geheimen Schutz des Höchsten wohnt, der wird sicher sein in dem Schatten des Allmächtigen.

Darum sage ich zu dem Herrn: Mein Asyl und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe!

Denn er wird mich erretten von des Verfolgers Schlinge.

Er wird mit seinen Flügeln mich bedecken, und unter seinen Fittichen wird meine Zuversicht sein; seine Wahrheit ist Schirm und Schild.

Nicht werde ich zagen vor dem Schrecken der Nacht, noch vor den Pfeilen, die da bei Tage stiegen.

Wenn schon Tausende fallen an meiner Seite und Zehntausende zu meiner Rechten, so wird es doch mich nicht treffen.

Ja, mit meinen Augen werde ich es schauen und sehen, wie den Gottlosen vergolten wird.

Denn du, o Herr, bist meine Zuversicht; meine Zuflucht, der Allerhöchste ist sie.

Es wird kein Leid mir begegnen, und keine Plage wird nahen meiner Hütte.

Denn der Herr, mein Gott, hat seinen Engeln befohlen, daß sie mich behüten auf allen meinen Wegen.

Auf den Händen werden sie mich tragen, damit ich meinen Fuß nicht an einen Stein stoße.

Auf Löwen und Schlangen werde ich gehen und die jungen Löwen und Drachen zertreten.

Denn so spricht der Herr: Weil du so sehr nach mir rufest, so will ich dich erhören; ich will dich schützen, denn du kennest meinen Namen.

Du rufst mich an, ich höre dich; ich bin bei dir in der Not, ich will dich retten und wieder zu Ehren bringen.

Mit langem Leben will ich dich ersättigen und meine Rettung dich sehen lassen.«

Die aus Erhabenheit und brennender Klage gemischte Sprache der Bibel wird nur in seltenen Fällen ihres Eindrucks verfehlen und nur wenige Menschen ganz unbewegt lassen. Selbst die Verständigen und Gebildeten unserer Zeit, welchen die Bibel kaum etwas andres sein kann als die zufällige Sammlung dichterischer und geschichtlicher Schriftwerke des hebräischen Volks, selbst diesen muß, falls sie nicht etwa ganz blasiert und verknöchert sind, die erquickende Frische und Naivität einer Sprache zu Herzen gehen, wie nur naturwüchsige Poesie sie zu ihrem Organ schaffen konnte. Wie ganz anders aber, wie gewaltig und unwiderstehlich mußten die Gemüter der Puritaner des siebzehnten Jahrhunderts von dem Inhalte der Bibel erbaut, ergriffen, begeistert werden, sie, welche dieses Buch als die einzige Quelle und Richtschnur ihres Tuns und Lassens verehrten, welche aufs innigste überzeugt waren, es sei von der Hand des Höchsten selbst, das heißt auf die unmittelbare Eingebung Gottes hin geschrieben worden.

Es braucht daher kaum gesagt zu werden, daß unsere Flüchtlinge durch die heiligen Worte, welche den Lippen Lovelys entquollen, sich mächtig erhoben und gekräftigt fühlten. Das Gebet des Psalmisten paßte so ganz auf ihre Lage, war ihnen so recht aus der Seele gesprochen und atmete so bedeutsamen Trost, daß ihnen der Zufall, welcher die Augen des Mädchens gerade auf diese Stelle gelenkt hatte, keineswegs als solcher, sondern vielmehr als eine gute Vorbedeutung, als ein Zeichen der göttlichen Gnade und Hilfe erschien. Gehörte es doch zu den Eigentümlichkeiten dieser wirklich großartigen Sektierer, an eine durch Gebet zu erstehende unmittelbare Einwirkung der Gottheit auf die Geschicke der Menschen, ja auf die Vorkommnisse des täglichen Lebens zu glauben, mit einer Zuversicht zu glauben, infolge welcher es sie nicht sonderlich überraschte, als ihnen unmittelbar nach Beendigung ihres Gebetes eine Aussicht auf Rettung sich auftat.

Sowie sie nämlich die Landzunge umrudert hatten und in die kleine dahinter liegende Bucht einfahren wollten, zeigte sich ihren Blicken plötzlich ein indianisches Kanoe, welches, von zwei weißen Männern geführt, rasch auf sie zukam.

Die beiden Flüchtlinge betrachteten diese Erscheinung mit gewohnter Selbstbeherrschung. In der Rüstung ihres Glaubens sich sicher fühlend, kam es ihnen nicht in den Sinn, zu vermuten, daß sie hier auf neue Feinde stoßen könnten, welche wohl imstande wären, ihnen jeden Ausweg zur Flucht abzuschneiden.

Das junge Mädchen aber gab der schmerzlichen Aufregung nach, welche sie als Tochter und Enkelin fühlen mußte. Sie stieß beim Anblick des fremden Kanoes einen leisen Schrei der Überraschung und Befürchtung aus, welchen der Gedanke an die Möglichkeit, Verbündete der Verfolger vor sich zu haben, auf ihre Lippen drängte. Zudem war die Erscheinung der beiden Fremden oder wenigstens des einen derselben derart, daß sie ein so zartes weibliches Wesen wohl erschrecken konnte. Der Mann, welchen wir meinen, stand im Vorderteil des Kanoes, mit der einen Hand nachlässig sein Ruder ins Wasser tauchend. Er war von fast riesenmäßigem Wuchse und stand, um einen Ausdruck des Landes zu gebrauchen, in welchem unsere Geschichte spielt, weit über sechs Fuß hoch in seinen Schuhen oder vielmehr Mokasins (indianischen Schuhen), an welche sich Kamaschen von Hirschhaut anschlossen, die bis über die Knie hinaufreichten. Er trug ein Koller von Büffelhaut, und ein Mantel vom nämlichen Stoffe lag zu seinen Füßen. Auf dem Kopfe hatte er eine Mütze von Wolfsfell, um die Lenden einen roh gearbeiteten Gurt von Otternpelz, an welchem Pulverhorn und Kugelbeutel hingen und in welchem ein breites Jagdmesser mit einem Griffe von Elentierhorn steckte. Die Büchse, welche er an einem Lederstrick auf dem Rücken trug, entsprach an Größe und Schwere der Gestalt ihres Eigentümers, denn man würde sie heutzutage füglich ein Standrohr nennen. Die Züge des Kolosses waren grimmig. Die Runzeln seiner Stirn hatten sich ob der Nasenwurzel zu einem dicken, hufeisenförmigen Knäuel geballt, unter welchem die kleinen Augen von unbestimmter Farbe wie Dolchspitzen hervorblitzten. Gegen die Bronzefarbe des Gesichts stach das bläuliche Rot einer schrecklichen Narbe ab, welche die linke Wange ihrer ganzen Länge nach durchfurchte und am Kinn unter einem struppigen grauen Barte verschwand. Auch über die unförmlich dicke Nase lief die Spur einer tiefen Wunde hin, und des rechte Ohr war an seiner Wurzel von einem schneidenden Instrumente weggetilgt. Man wird gestehen müssen, daß das durchaus kein liebenswürdiges Äußeres war, und doch wird man finden, daß der riesige Waldbewohner unter Umständen Zutrauen erweckte und rechtfertigte.

Sein Gefährte war um viele Jahre jünger als er und erschien in dem ganzen Glänze jünglingshafter Kraft und Schönheit. Von schlanker und dabei sehniger Statur, bezeugte die hellblonde Farbe seines Haares, das in kurzen krausen Locken unter der Mütze von Biberfell hervorquoll, wie des jungen Bartes, welcher sich um Kinn und Lippe kräuselte, seine nordische Abkunft. Seine Gesichtsfarbe verbürgte diese gleichfalls, denn die hohe und gewölbte Stirn zeigte, wenigstens soweit sie durch die Mütze vor dem Einflusse von Unwetter und Sonnenbrand geschützt wurde, ein fleckenloses Weiß. Nase und Mund waren gutgeschnitten und wohlgebildet, und in einem eigentümlichen, aber nicht unschönen Gegensatze zu dem Blond des Haares, der Brauen und des Bartes standen die schwarzen, feuervollen Augen mit ihrem offenen, braven und mutigen Ausdruck. Der Anzug des jungen Mannes ähnelte in Stoff und Schnitt sehr genau der primitiven Tracht seines ältern Begleiters, nur trug er statt des Jagdmessers ein indianisches Beil – Tomahawk – im Gürtel und waren seine Kleider reinlicher gehalten, wie es der Jugend dem in dieser Beziehung sorgloseren Alter gegenüber wohl ansteht.

Beiden Männern konnte ein mit dem Leben und Treiben der Wildnis auch nur oberflächlich vertrautes Auge leicht ansehen, daß sie zu einer Menschenklasse gehörten, welche auch jetzt in den Wäldern und Savannen der neuen Welt noch nicht ausgestorben ist. Die Mitglieder dieser Klasse waren schon damals, was sie heute noch sind, die Vorläufer und Wegbahner europäischer Kultur, welche, von bescheidenen Anfängen an der Ostküste Amerikas ausgehend, in unaufhörlichem Siegeslaufe über den ganzen ungeheuren Kontinent hin bis zu den Gestaden des stillen Weltmeeres vorgedrungen ist und in ihrer Ausbreitung eine der bedeutsamsten Erscheinungen der Weltgeschichte bildet. Wie heute noch im fernen Westen der Union, so gab es schon damals in Neu-England Männer, welche, obgleich von weißer Abkunft, den Gewohnheiten einer ackerbauenden seßhaften Kultur den Rücken wandten, um in den unermeßlichen Wäldern und auf den unbegrenzten Prärien ein freies, frankes Jägerleben zu führen, alle ihre Lebensbedürfnisse mit der Büchse oder der Biberfalle sich gewinnend, den Büffel und das Elentier jagend, den Bären in seiner Höhle angreifend, dem Honig der wilden Bienen nachspürend, bald mit den roten Eingeborenen im Kampfe liegend, bald mit denselben verbündet und nur in unregelmäßigen Zwischenräumen die Ansiedlungen besuchend, um ihren Vorrat von Fellen und Pelzen gegen Waffen, Munition und andere wenige Artikel der Zivilisation auszutauschen. Man nennt diese kühnen Jäger heutzutage Trapper, und wir wollen diese Bezeichnung für unsere Geschichte beibehalten, selbst auf die Gefahr hin, einen kleinen Anachronismus zu begehen. Es gab und gibt unter ihnen Leute, welche ohne Frage zu den verworfensten unseres Geschlechtes gehören und an Wildheit, Zügellosigkeit und Grausamkeit die ursprünglichen Bewohner des Bodens, auf welchem sie sich herumtrieben und herumtreiben, weit übertreffen, Menschen, welche ihre angeborene Roheit aus der Gesellschaft trieb und treibt, um den Eingebungen wilder Instinkte in schrankenloser Ungebundenheit sich überlassen zu können. Es gab und gibt aber auch Trapper, welche glaubwürdigsten Zeugnissen zufolge von einer unwiderstehlichen Neigung zum einsamen Naturleben in die Wildnis gelockt wurden und werden, von einer hochromantischen Lust an Gefahr und Wagnis beseelt sind, ungesehen von den Augen der Menschen Leiden und Abenteuer der furchtbarsten Art bestehen und unter rauher Außenseite oft eine Fülle von tiefem Gefühl und ritterlicher Hochherzigkeit in sich tragen. Wenn auf irgend eine Menschenklasse, so ist auf diese im guten und schlechten das berühmte Wort anzuwenden, daß die Freiheit Extreme und Kolosse ausbrüte.

Sobald die beiden Trapper des in die Bucht einfahrenden Bootes ansichtig geworden, hatten sie aufgehört, ihre leichte Rindenbarke vorwärts zu bewegen. Vertraut mit Abenteuern und Gefahren aller Art und gewohnt, auf die Schärfe ihres Blicks und die Stärke ihres Arms sich zu verlassen, sahen sie dem Herankommen der Flüchtlinge mit schweigsamer Ruhe entgegen, wenn auch nicht ganz ohne jene Neugierde, welche die in der Wildnis Lebenden beim Anblick von Leuten ihrer Rasse notwendig aufregen muß.

Lovely hielt einem kurzen Befehl ihres Vaters gemäß gerade auf das Kanoe zu und ließ dann, während ihre Begleiter die Ruder einzogen, das Boot langsam am Steuerbord der Fremden hingleiten.

Zu weitläufigen Versuchen, eine Bekanntschaft einzuleiten, war keine Zeit, denn ein Blick rückwärts auf die See hinaus zeigte das emsige Bemühen der Verfolger, ihrem Wild auf der Ferse zu bleiben. Deshalb erhob sich, sobald das Boot stillstand, der Greis von seinem Sitze und sprach die beiden im Kanoe an mit den Worten:

»So ihr Männer, so ihr Christen seid, so steht uns bei gegen ungerechte Verfolgung!«

»Wer seid Ihr?« entgegnete der ältere Trapper mit einer Brummbaßstimme und nicht sehr freundlichem Ausdruck.

»Wir sind Anhänger und Kämpfer der alten guten Sache und sind verfolgt, weil wir vordem das Schwert zogen für die Freiheit des guten Volkes von Altengland und unsere geringen Kräfte mit denen vereinigten, welche Gerechtigkeit übten an den Feinden der Gemeinde des Herrn.«

»Hm,« versetzte der Trapper mit einem verächtlichen Kopfruck, »dies Kauderwelsch versteh' ich nicht. Aber wer sind denn Eure Verfolger?«

Diese Frage beantwortete der jüngere der Flüchtlinge, indem er mit unverhehltem Grolle sagte:

»Es sind Mietlinge des Mannes, welcher sich Karl Stuart nennt und durch Gottes Zorn dermalen auf dem Throne von England sitzt.«

»Ah so!« erwiderte der Trapper, indem er die Flüchtlinge mit durchdringenden Blicken musterte.

Dann ging er in den Stern des Kanoes, flüsterte seinem Gefährten ein paar Worte ins Ohr und fügte laut die Frage bei:

»Was meinst du, Thorkil?«

Der Jüngling war regungslos dagestanden, offenbar höchlich überrascht und bewegt von dem Anblick Lovelys, welche sich von ihrem Sitze erhoben und eine flehende Stellung angenommen hatte, wie die Natur und kindliche Sorge sie annehmen lehrten. Mit gesenktem Haupte, das schöne Antlitz von hoher Röte übergossen, stand sie vor dem jungen Manne, auf welchen sie unter den seidenen Lidern hervor nur dann und wann einen schüchtern bittenden Blick zu werfen wagte, während er seinerseits sie mit Blicken ansah, in welchen hinter der Bewunderung schon rege Teilnahme lauschte.

Ungeduldig wiederholte der alte Trapper seine Frage.

Thorkil fuhr aus seinem Staunen auf.

»Nun, was gibt es?« fragte er, wie unwillig über die Störung.

»Was es gibt?« versetzte der andere. »Wo hast du denn deine Augen?«

Und leise setzte er hinzu: »Denk doch an die Neuigkeit, die wir in Newport hörten. Es läßt sich da ein hübscher Fang machen. Ich sag' dir, es sind die –«

Das übrige verklang in einem unhörbaren Geflüster.

Der Jüngling schüttelte den Kopf und sagte barsch: »Nein, Groot Willem, nein und abermals nein! Ich will nicht, und Ihr sollt auch nicht wollen.«

»Ich soll nicht wollen? Ei, hört doch mal den Jungen!«

»Wollt Ihr denn, daß man von uns sage, wir hätten denen unsern Beistand versagt, welche in der Wildnis unsern Schutz angesprochen? Oder wollt Ihr, falls nämlich diese Leute überhaupt die sind, für welche Ihr sie haltet, wollt Ihr, sage ich, daß man uns künftig für die Helfershelfer der Häscher und Gerichtsfrone irgend einer Kolonialregierung ansähe?«

»Das nicht, Thorkil, das nicht. Du weißt, wie ich mit den Kolonialregierungen stehe – hole sie der Duivel allesamt! Aber ich will nie mehr einen Biberschwanz unter meine Zähne kriegen, Junge, wenn du so viel Eifer für diese Fremden zeigtest, falls das Mädchen nicht bei ihnen wäre. Am Ende willst du dich von dem hübschen Ding gar anwerben lassen für die Gemeinde der Heiligen.«

Diese kurze Unterredung war ebenso rasch als leise geführt worden. Die letzten Worte, welche der Alte seinem jungen Begleiter gesagt, riefen ein dunkles Rot auf Stirn und Wangen des letzteren, ein Rot, das ebensogut für ein Symptom der Verlegenheit als der Entrüstung gelten konnte. Der junge Mann bemeisterte indessen seine Bewegung und begnügte sich, mit der Hand auf Lovely weisend, seinen Begleiter zu fragen:

»Seht Ihr, was das Mädchen in der Hand hält?« »Meiner Treu, ich meine, 's ist ein Buch; wahrscheinlich die Bibel, welche diese Puritaner im Wachen und Schlafen mit sich herumschleppen.«

»Und seht Ihr auch die Schnur, womit das Buch umwickelt ist?«

»Nun ja – ha! ist das nicht eine Wampumschnur?«

»Freilich, und wenn Ihr Eure Augen ein wenig schärfen wolltet, Willem, so würdet Ihr bemerken, daß es der WampumWampum, sagt George Katlin in seinem trefflichen Werke über die Sitten der Indianer Nordamerikas, ist der Name eines Schmuckes, den die Indianer aus bunten Muscheln verfertigen, die sie an den Flüssen aufsuchen. Sie zerschneiden dieselben in Stücke von einem Zoll Länge, durchbohren sie, reihen sie auf Hirschsehnen aneinander und tragen sie um den Hals oder als Gürtel um den Leib. Unter den zahlreichen Stämmen, welche früher die atlantische Küste und dasjenige Land bewohnten, welches gegenwärtig den Hauptteil der Vereinigten Staaten bildet, wurden diese Wampums stets angefertigt und hatten einen hohen Wert, da sie statt des Geldes dienten, welches den Indianern unbekannt ist. Eine gewisse Anzahl Schnüre waren für den Wert eines Pferdes, einer Büchse, eines Kleidungsstückes usf. festgesetzt. Außerdem galt der Wampum bei Unterhandlungen und Verträgen als Freundschaftspfand, seit den ältesten Zeiten sandte man ihn als Friedenszeichen an die feindlichen Stämme, und endlich bediente man sich desselben auch als Zeichen der Wiedererkennnng oder Empfehlung. Seine Bedeutung im vorliegenden Falle ergibt sich aus dem Texte. von Roger Williams ist.«

»Der Wampum von Roger Williams? Wenn das ist, so müssen wir uns der Leute annehmen, Thorkil.«

»Das mein' ich auch,« versetzte der junge Mann.

Und sofort wandte er sich mit der Freimütigkeit eines Waldbewohners, aber zugleich auch mit der achtungsvollen Bescheidenheit, welche weibliche Liebenswürdigkeit unverdorbenen Gemütern stets und überall einflößt, zu Lovely und redete sie folgendermaßen an:

»Mistreß« – dieser Titel wurde damals noch Mädchen und Frauen von höherem Stande gleichmäßig gegeben – »wollt Ihr mir erlauben, Euch zu fragen, wie Ihr in den Besitz jener Wampumschnur gekommen, welche ich um das Buch in Eurer Hand geschlungen sehe?«

»Sir,« erwiderte das Mädchen, dem Vertrauen erweckenden Blicke des Jünglings begegnend, »diese Muschelschnur wurde mir von einem würdigen Freunde meines Vaters und Großvaters gegeben.«

»Und heißt der Geber nicht Roger William?«

»So ist es, Fremder,« nahm Lovelys Vater das Wort. »Der Mann, dessen Namen Ihr nanntet, ist ein Gerechter in Israel. Er gab meinem Kinde dieses indianische Spielwerk, als wir uns vor wenigen Wochen zu Hartford am Konnektikut trafen, indem er meinte, es könnte uns in unsern Fährlichkeiten vielleicht von Nutzen sein. Er sagte, seine in diesem Lande zerstreuten weißen und roten Freunde würden leicht die Hand erkennen, welche diese Schnur geflochten, und er hoffte, sie würden um dieses Zeichens willen auch unsere Freunde werden.«

»Roger Williams hat, wie immer, so auch in diesem Falle die Wahrheit gesprochen, Sir,« entgegnete Thorkil, »und sein Wampum soll alle die Achtung erfahren, die er verdient. Verfügt über unsere Kräfte. Mein väterlicher Freund Willem Klopper hier, genannt Groot Willem – der große Wilhelm – denn er ist von Holländischer Abkunft, wird Euch sagen, daß wir gewohnt sind, die Angelegenheiten unserer Freunde als unsere eigenen zu betrachten.«

»Ja, ja, Junge,« sagte der alte Jäger. »Aber 's ist jetzt nicht Zeit, länger zu schwatzen. Wir müssen handeln, denn die Wichte da draußen haben die Landzunge umfahren und sind schon in der Bai. Wir müssen eilen, ans Land zu kommen,« fuhr er gegen die Flüchtlinge gewendet fort; »ich habe zwischen den Bäumen dort eine Art Blockhütte und denke, es wird sich vom festen Lande aus, das noch dazu mein eigner Grund und Boden ist, besser mit den Kerlen reden lassen, wenn sie danach Begehren tragen.«

Demzufolge setzten sich die beiden Boote gegen das zunächstliegende Ufer hin in Bewegung und erreichten dasselbe mittels weniger Ruderschläge. Die ganze Gesellschaft stieg ans Land, und die leichten Fahrzeuge wurden aufs Gestade gezogen.

Der Platz, wo sie gelandet, lag an einem kleinen Winkel der Bai, gleichsam an einer Bucht in der Bucht. Der Boden stieg, wenige Schritte vom Wasser einwärts, jäh an und war dicht mit den Stämmen riesiger Schwarzkiefern besetzt. Hatte man die Böschung erklommen, so bemerkte man, daß die Hand des Menschen in dieser Öde tätig gewesen sei, denn hart am Rande des Abhangs stand zwischen vier, fast in regelmäßigem Quadrat aufragenden mächtigen Bäumen eine aus unbehauenen Stämmen roh, aber fest aufgeblockte Hütte. Ein prächtiger Wolfshund, welcher vor derselben Wacht gehalten, sprang den Kommenden entgegen, umkreiste wedelnd seine Bekannten, blickte die Fremden mit klugen Augen an, schnupperte, zog dann die Oberlippe in die Höhe und ließ ein leises Geknurre hören.

»Ruhig, Prinslo, ruhig, alter Narr, und untersteh dich nicht, unsere Gäste anzuknurren,« sagte Groot Willem zu dem wohldressierten Tiere, welches sich sofort dadurch besänftigen ließ. »Thorkil,« fuhr der Alte fort, »führe die Fremden in die Hütte, wo sie sich ausruhen mögen, während wir nach den andern ausschauen. Ei, da kommen sie ja!«

Thorkil stieß die aus Flechtwerk bestehende, mit Riemen von Büffelhaut befestigte Tür der Hütte auf und lud die Flüchtlinge ein, hineinzugehen. Lovely und der Greis folgten der Einladung, der Jüngere aber blieb stehen, untersuchte seine Büchse und sagte bedächtig, sogar mit einem leichten Anflug von Mißtrauen:

»Warum sollen wir uns in der Hütte da einsperren? Mein Kind mag es tun, aber ich will hier außen bleiben, um handeln zu können, wie es die Umstände verlangen.«

»Wie Ihr wollt, Mann,« entgegnete Willem trocken. »Aber ich weiß, was Ihr denkt. Habt jedoch unrecht, Mann. Sag' Euch, müßte der noch geboren werden, welcher sagen könnte, Groot Willem und Thorkil Wikingsson hätten Verrat geübt an solchen, denen sie ihren Schutz zugesagt.«

»Ja, Freund, ich hatte unrecht,« erwiderte der Oberst und reichte mit freimütigem Wesen dem alten Waldmann die Hand. »Verzeiht einem Sohn, der das Leben seines Vaters, und einem Vater, der das Leben seines Kindes bedroht sieht.«

»Wohl, wohl, es hat nichts zu sagen. Aber seht, das Boot dort ist schon im Begriffe, in die kleine Bucht einzufahren. Geht in die Hütte und laßt Thorkil und mich machen. Helfen Worte nichts und kommt es zu Taten, so sollt Ihr Euren Anteil daran haben.«

Der Oberst folgte dem Rate und verschwand in der Hütte. Die beiden Trapper wechselten einige kurze Worte, während sie ihre Waffen bereit machten. Thorkil faßte nahe an der Blockhütte Posto, Groot Willem dagegen stellte sich, auf seine mächtige Büchse gestützt, am Rande der von der Natur gebildeten Terrasse auf, doch so, daß er mit einem einzigen Schritte den Schutz eines hundertjährigen Baumstamms erreichen konnte, falls dies rätlich scheinen sollte. Prinslo stellte sich seinem Herrn zur Seite und prüfte mit Blick und Nase die Herannahenden. Das edle Tier mochte erkennen, daß der Besuch kein freundschaftlicher sei, denn plötzlich rannte es den Abhang hinab ans Wasser und sandte dem nahenden Boote ein wütendes Gebell entgegen. Gehorsam einem kurzen, gellenden Pfiff seines Herrn, verstummte er und sprang die Böschung wieder hinan, wo er sich ruhig verhielt, jedoch die Bewegungen der Nahenden fortwährend mit funkelndem Auge und gesträubtem Haar beobachtend.

Der alte Trapper ließ das Boot, nachdem es in die schmale Bucht eingefahren, bis auf etwa zweihundert Schritte an das Gestade herankommen und musterte mit Falkenblicken die Bemannung.

»Sie haben fünf Büchsen und außerdem zwei Paar Faustrohre, Willem,« flüsterte Thorkil.

»Ja, ja, Junge, ich sehe es,« versetzte der Angeredete, »und sehen die Burschen auch danach aus, als ob sie im Notfalle von ihren Waffen Gebrauch machen wollten. Verstehen aber nichts vom Waldkrieg, verlaß dich darauf; würden sonst nicht in einem offenen Boote gegen eine so gedeckte Stellung, wie wir da haben, anfahren. Hm, die Geschichte erinnert mich an unsre erste Bekanntschaft mit dem Häuptling des Donnerkanoes, wie ihn unsere indianischen Freunde nennen. Machten sie auch zuerst an dieser Stelle. Dürfte aber heute nicht so friedfertig hergehen wie damals, wenn die Burschen nicht etwa Vernunft annehmen. – Ha, sie haben eine Rothaut bei sich! Und ein Pequod ist's – verdammt sei er und sein ganzer Stamm! – Mein Roer wird Arbeit bekommen, ich wette.«

Plötzlich unterbrach er seine Betrachtungen, indem er sein Roer, wie er das ungefüge Gewehr auf gut holländisch nannte, schußgerecht vorwarf und mit einer Stimme, die dem Gebrülle des Büffels nicht unähnlich war, den Heranfahrenden zurief:

»Halt! oder ich schieße den Mann am Steuer weg.«

Gestalt, Stellung, Gebärde und Stimme des Mannes überzeugten die im Boote, daß die Drohung keine eitle, sondern eine wörtlich zu nehmende sei.

Die Matrosen ließen wie auf Verabredung zumal die Ruder ruhen, und der junge Tom Kirk machte auf seinem Sitze am Steuer eine Bewegung, welche verriet, daß es ihm in gerader Schußlinie mit dem Büchsenlaufe des Fremden auf der Uferhöhe nicht so ganz geheuer sei.

»Was ist das für ein ungeschlachter Kerl?« fragte er halblaut seinen Begleiter, mit der einen Hand nach seiner Büchse greifend.

»Weiß nicht, Tom,« erwiderte Kellond, »denke aber, 's wird einer der gottverdammten Waldläufer sein, eine eigentümliche Spezies von Ungeziefer in diesem Lande der Psalmenquinkelierer und Gurgelabschneider. Tu die Hand von der Büchse, Bursch! Wir müssen es zuerst mit glatten Worten versuchen, sonst hast du eine Kugel vorm Schädel, bevor du Amen sagen kannst.«

Dies gesagt, erhob er seine Stimme, und es entspann sich folgender Dialog zwischen ihm und dem Trapper.

»Wer seid Ihr, Fremder, und mit welchem Rechte haltet Ihr uns hier auf?«

»Wer ich bin? Ei, das geht Euch gar nichts an, rein gar nichts, sollt' ich meinen. Mein Recht, Euch Halt zu gebieten, ist aber das eines Mannes, der seinen Grund und Boden nur von solchen betreten läßt, die ihm zusagen. Verstanden?«

»Ihr sprecht, als wäret Ihr der Besitzer dieser Einöde.«

»Nicht der ganzen, Mann, nicht der ganzen. Das zu sagen, wär' 'ne Prahlerei, so 'ne echte franzmänn'sche Prahlerei. Aber der Wald rings um die Bucht hier gehört mir, ja, und auch die Bucht dazu, wenn nämlich irgend ein Mensch Meerwasser sein eigen nennen kann. Ich habe den Boden mit allem, was darauf ist, von dem jungen Sachem der Naragansetts erworben und manchen lieben Tag mit Jagen und Fischen hier verbracht.«

»Gut, wenn das Land hier Euer Eigentum ist, Fremder, so müßt Ihr auch anerkennen, daß es zu Neuengland gehört. Die Oberherrlichkeit über Neuengland aber kommt Sr. Majestät König Karl von Großbritannien und Irland zu.«

»König Karl? Oberherrlichkeit? Hört, Mann, und merkt's Euch, ich kümmere mich keinen Pfifferling um König Karl und seine Oberherrlichkeit. Meint Ihr, ich sei so dumm, zu glauben, die Könige drüben in Europa könnten sich die Länder hier diesseits der See dadurch Untertan machen, daß sie Schiffe herüberschicken, deren Kapitäne eine Stange mit 'nem bunten Lappen am Ufer aufpflanzen? Geht, solchen Firlefanz mag man in den Städten und Ansiedlungen glauben, aber im Walde lacht man darüber.«

»Wie, Ihr leugnet die Oberherrschaft König Karls über Neuengland?«

»So tu' ich, wenn's Euch beliebt oder auch nicht beliebt. Neuengland, wie Ihr das Land nennt, gehört von Rechts wegen niemand zu als den Rothäuten, und Euer König Karl hat nicht mehr Anspruch darauf als auf meine Tabakspfeife.«

»Verdammt will ich sein, wenn das nicht gesprochen ist, wie nur ein Erzrebell sprechen kann,« schrie der hitzige Kirk auf.

»Laßt den Gelbschnabel schweigen, Mann,« erwiderte der Trapper mit unstörbarer Ruhe vom Ufer her; »laßt ihn schweigen, wenn Ihr nicht wollt, daß statt meiner mein Roer mit Euch reden soll.«

»Ruhig, Tom, in's Teufels Namen,« sagte Kellond zu seinem Gefährten. »Wir sind, fürcht' ich, etwas unvorsichtig in eine häklige Lage hineingerannt. Der riesenhafte Lümmel und sein Kamerad, der dort am Blockhaus lauert, haben den Vorteil des Terrains für sich. Also con sagitad y con prudencia, wie die Spanier sagen.«

Nach dieser Zwischenbemerkung wandte sich Master Kellond wieder zu dem Trapper und sagte oder rief vielmehr:

»Wir wollen einen unnützen Streit nicht verlängern, Fremder. Ich gebe Euch auch die Versicherung, daß wir nicht hierher gekommen sind, Euch oder Euer Eigentum irgendwie zu schädigen oder zu beeinträchtigen. Ich frage Euch nur, wo die Leute hingekommen sind, welche wir vor wenigen Minuten in diese Bucht einfahren sahen und deren Boot ich dort am Ufer bemerke?«

»Hm, diese Leute sind vermutlich nicht weit von hier.«

»Vermutlich? Ei, Ihr wollt mich schrauben? Wißt Ihr auch, wer diese Leute sind?«

»Dermalen sind sie meine Gäste.«

»An denen Ihr Euch garstig die Finger verbrennen könntet, glaubt mir. Es sind zwei der –«

»Halt, kein Wort mehr, Mann! Wer immer sie seien, dermalen sind sie meine Gäste und genießen den Schutz meines Daches. Ihr sollt sie in Frieden lassen, solange meine Hand noch mein Roer regieren kann.«

»Aber bedenkt, Fremder, was Ihr tut. Auf der einen Seite, das heißt auf der unsrigen, könnt Ihr, so Ihr Vernunft annehmt, eine Handvoll der schönsten Nobels verdienen, welche je den Prägstock verlassen; auf der andern Seite macht Ihr Euch des Hochverrats an König Karl schuldig.«

»Zum Duivel mit Euren Nobels, zum Duivel auch mit Eurem König Karl!«

»Nehmt Euch in acht, sag' ich, nehmt Euch in acht! Ich führe den königlichen Befehl in der Tasche und die Vollmacht der Kolonialregierung von Massachusetts, aufzuspüren, zu ergreifen, festzunehmen, einzuliefern tot oder lebendig die –«

»Holla, schont Eure Lunge und laßt mich mit all dem Gesetzeskram in Ruhe. Und sag' Euch, Mann, scheint mir unser Gespräch jetzt gerade lange genug gedauert zu haben. Rate Euch daher –«

»Genug des Palavers und verdammt sei Euer Rat!« schrie der ungeduldige Tom Kirk erbost, riß seine Büchse an sich, zielte und im nächsten Augenblick brach der Schuß aus der Mündung des Gewehrs und warf sein Gekrach dem endlosen Widerhall der Wälder zu.

Als der Pulverdampf sich verzogen, zeigte es sich, daß die beiden Trapper von ihrem vorigen Standpunkte verschwunden waren. Auch der Hund war weg und die Blockhütte lag wie von allen lebenden Wesen verlassen auf der steilen Uferbank.

»Ich habe sie weggeblasen,« schrie Tom Kirk frohlockend. »Die großsprecherischen Schufte haben sich auf die Socken gemacht. Drauf, ihr Burschen, rührt die Ruder, damit wir ans Land kommen.«

»Ja, streicht aus, streicht aus!« rief Kellond. »Es läßt sich jetzt schon nichts andres mehr tun,« setzte er leise hinzu, »obgleich ich fürchte, daß es mit dem Wegblasen nicht ganz richtig sei.«

Die Matrosen stemmten ihre Ruder ein, und das Boot schoß vorwärts dem Ufer zu. Allein sein Lauf sollte bald gehemmt werden.

Der Indianer, welcher im Bug des Bootes zusammengekauert lag, erhob vorsichtig seinen Kopf über den Rand der Barke, ließ ihn jedoch schon im nächsten Augenblick wieder verschwinden. Er hatte die beiden Trapper in schußfertiger Stellung hinter zwei Baumstämmen erblickt. Mit der einen Hand rückwärts fassend ergriff er, ohne seine Lage zu verändern, eine der im Boote liegenden Feuerwaffen, untersuchte tastend das Schloß, zog den Hahn auf, brachte den Kolben an die Wange und richtete den Lauf über die Bootwand weg nach der Stelle, wo das linke Ellbogengelenk des Groot Willem kaum bemerkbar hinter dem Schwarzkieferstamm sichtbar war. Aber bevor er abdrücken konnte, verschwand sein Zielpunkt, und rasch wie der Blitz kam die Mündung des Roers hinter dem Stamm hervor und entsandte Feuer, Dampf und Donner.

Der Pequod hatte im Eifer des Zielens die Oberfläche seines Schädels dem Gegner einen Moment preisgegeben, und schon hatte der Tod ihn erfaßt, denn die Kugel des Trappers zerschmetterte ihm Stirn und Schläfe, daß das warme Gehirn des Getroffenen die Kleider der zunächstsitzenden Matrosen überspritzte.

Schaudernd ließen sie die Ruder fahren, allein Kellond und Kirk, welche wohl erkannten, daß jetzt das Äußerste gewagt werden müsse, trieben mit wildem Geschrei vorwärts.

»Voran, voran!« riefen sie. »Wir müssen ans Ufer und können nicht zurück. Hussa, für König Karl, für König Karl!«

Ihrem herausfordernden Rufe antwortete sogleich ein anderer.

Ihre Waffen schwingend stürzten die beiden Obersten aus der Blockhütte auf die Terrasse.

»Verderben über die Söhne Edoms!« rief der eine.

»Schlagt sie mit der Schärfe des Schwertes, wie Josua den Adoni-Zedek bei Gideon schlug!« der andere.

»Fahrt zur Hölle, zu eurem Meister, dem alten Noll, und –«

Der junge Tom Kirk, welcher die Worte ausstieß, während er auf den ältern der beiden Flüchtlinge anlegte, konnte die Verwünschung nicht vollenden.

Ein Schuß des jüngern Trappers streckte ihn nieder.

Er taumelte, tödlich getroffen, riß im Fallen seinem Gefährten, an welchem er sich zu halten suchte, das Gewehr aus den Händen und schlug schwer auf den Boden des Fahrzeugs nieder, welches er dadurch in bedrohliches Schwanken brachte.

»'s ist aus, Master,« röchelte er. »Verdammt! – Effie wird nun –«

Ein Blutstrom, der ihm aus dem Munde brach, erstickte seine Stimme für immer.

Sobald Kellond wieder fest auf seinen Füßen stand, ließ er einen Schrei der Wut hören, raffte seine Büchse auf und fuhr die Matrosen, welche zu rudern aufgehört hatten, mit einem rohen Fluche an.

»Ei, ja doch,« murrte Bill. »Ihr glaubt wohl, Master, wir wollten uns auch noch totschießen lassen, wie wilde Gänse?«

So sprechend erhob er sich von der Ruderbank und schrie den Verteidigern des Ufers zu:

»Hoiho! ihr Männer! Auf Seemannswort, meine Kameraden und ich sind gewillt, die Sache aufzugeben, denn es wäre Narrheit, länger gegen eine Bastion, wie die eurige da, anzurennen. Gewährt uns freien Abzug, und wir wollen euch, so wahr ich Bill heiße, unser Leben lang nicht mehr belästigen.«

»Nein, nein, Hundesohn!« schrie Kellond, dessen Wut ihren Kulminationspunkt erreicht hatte. »Ich will meine Leute tot oder lebendig haben!«

Und er schlug an und drückte ab, aber das Gewehr versagte.

Lästernd warf er es weg und riß eine Pistole aus dem Gürtel.

»Du willst es, Tor,« rief die tiefe grollende Stimme des jüngern der Flüchtlinge vom Ufer her. »So fahre denn hin in deinen Sünden!«

Die Büchse des Sprechenden richtete sich auf die Brust Kellonds und im nächsten Augenblick würde sie sich ihres todbringenden Inhalts entladen haben, wenn nicht dem Schützen der zielende Arm und die Waffe mit sanfter Gewalt niedergedrückt worden wären.

Die Einsprache kam von Lovely, welche aus der Hütte getreten war und ihren Vater in der angedeuteten Weise verhinderte, seine Drohung zu erfüllen.

»Vergieße nicht unnützerweise Blut, Vater,« bat sie mit ihrer sanften Stimme. »Der Herr hat uns wunderbarlich beschützt, und wir sind ihm Dank schuldig.«

»Wohl, mein Kind,« versetzte der Vater widerstrebend. »Aber steht nicht geschrieben: Aug' um Auge, Zahn um Zahn?«

»O, Vater, ich weiß einen bessern Spruch, und der lautet: ›Liebet, die euch hassen, und tut Gutes denen, die euch verfolgen.‹«

»Lovely hat recht,« nahm der Großvater das Wort mit einem Ausdruck von Autorität, welche gewohnt ist, Gehorsam zu finden. »Die Anschläge der Bösen sind zuschanden geworden, wir aber bedürfen des Blutes jenes übelberatenen Mannes nicht.«

Alles, was von dem Augenblicke an, wo der unglückliche Tom Kirk zuerst sein Gewehr losgebrannt, vorgegangen war, hatte sich schneller ereignet, als es erzählt werden kann. In solchen Lagen, wo um Sein oder Nichtsein gespielt wird, drängt sich viel in die Zeitspanne eines Moments zusammen.

Als die Erscheinung Lovelys auf der Terrasse die Feindseligkeiten unterbrach, hatte Thorkil sogleich den Kolben seiner Büchse zur Erde gesenkt, wie um anzudeuten, daß wenigstens er ihrer Friedfertigkeit nicht ungehorsam sein wolle. Sein älterer Gefährte murmelte zwar in den Bart: »Hm, es wäre besser, die Sache ein für allemal abzumachen« – wollte jedoch auch seinerseits der schönen Friedensstifterin nicht entgegenhandeln. Er trat daher an den Rand des Abhangs und rief denen im Boote zu:

»Macht, daß ihr fortkommt, und laßt euch nie wieder einfallen, dem Jagdgrund Willem Kloppers nahezukommen, sonst –«

Ein derber Schlag an den Lauf seines Roers vervollständigte den Satz auf eine sehr verständliche Weise.

Kellond war seiner unmächtigen Wut noch nicht Meister geworden, obgleich es seinem Blicke nicht hatte entgehen können, daß nur die mutige Dazwischenkunft des Mädchens ihm das Leben gerettet. Er hielt den Griff der Pistole noch immer krampfhaft fest, stampfte mit dem Fuße und murmelte Drohungen und Verwünschungen. Allein der alte Bill wollte sich die Mahnung des Trappers nicht zweimal sagen lassen. Er entriß dem Erbosten ohne weiteres die Waffe, indem er sagte:

»Genug jetzt, Master, und wenn Ihr noch irgend einen feindlichen Versuch gegen die Leute dort macht, so renne ich Euch mein Messer in den Leib, sollte ich darum auch unter die Bukanier gehen müssen.«

Dann schob er Kellond beiseite, trat in den Stern des Bootes, faßte das Steuer, wandte die Barke und rief seinen Kameraden zu, die Ruder einzusetzen.

Sie gehorchten eifrig, und das kleine Fahrzeug, dessen Boden mit Blut bedeckt war, trug seine lebende und tote Bemannung rasch aus der kleinen Bucht in die Bai hinaus.


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