Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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13.

Unser Anlauf soll sein wie die rollende See,
Unser Kampf wie das Ringen der Gebärerin,
Wie das Meer im Sturme, so sei er!
Wie das Meer, gehoben von Unwetters Macht!
Die Häupter der Menschen fanget wie Fische im Netze!
Lasst uns stehn wie der Fels von Korallen,
Aber schrecklich uns bewegen wie das Stachelschwein!
Unsere Ausdauer sei wie die der Scharen der Vögel,
Die auf den Wellen schlafen in der Mitte des Sturms!
Kriegslied von Otaheiti.

Indem wir noch einmal den Vorhang ziehen, damit der letzte Akt unserer Geschichte vor den Augen des Lesers sich abspiele, geben wir mit wenigen Worten die Szenerie des ersten Auftritts an.

Es ist eine Felsschlucht oder vielmehr ein von unten nach oben sich erweiternder Spalt in dem mehrfach erwähnten kolossalen Felsblock, welcher durch irgend eine Laune der Natur isoliert auf seinen Platz gestellt worden war und zwar zu jener Zeit, wo die uralte Mutter Erde nach den ungeheuersten Revolutionen in ihrem Innern und nach den bizarrsten Wandelungen ihres Äußern ihre jetzige Physiognomie erhalten hatte. Die äußere Form des Felsens haben wir bereits gelegentlich beschrieben. Die Sohle des Spaltes mochte etwa zwanzig bis dreißig Fuß in die Länge und zehn bis zwölf Fuß in die Breite messen. Rechts und links tieften sich in ihre Seitenwände höhlenartige Räume ein, die ebenfalls nur der geheimnisvoll wirkenden Kraft, welche den Block hierher geschleudert hatte, ihre Entstehung verdankten. Die Eingänge zu diesen Höhlen verschwanden fast ganz hinter den natürlichen Gardinen, welche Efeu und andere Schlingpflanzen um sie gewoben hatten. Tannen und wilde Wallnußbäume wurzelten da und dort in dem Spalt, hatten ihre Stämme aufwärts dem Lichte zugezwängt und ließen durch ihre Äste und Kronen hindurch nur ein spärliches Licht hereinfallen. Die unteren Äste der Bäume gewährten ein Mittel, zu den Rändern des Felsenspaltes emporzuklimmen. Von drei Seiten war derselbe nach außen geschlossen; unfern von da, wo er sich auf der vierten nordwärts gegen den Wald hin öffnete, lehnte eine plump zusammengefügte Leiter an der Felswand.

Mittels dieser Leiter, welche von Ischähkohnih, zufolge der Abrede mit Groot Willem, im entscheidenden Augenblicke von außen an den Eingang des Spaltes gelegt worden, waren der alte Trapper und der dem Tode entrissene Thorkil gestern in diese natürliche Festung gelangt und hatte Willem nicht gezaudert, das wohltätige Instrument sogleich in dieselbe heraufzuziehen, so daß eine augenblickliche Verfolgung unmöglich gewesen, auch wenn eine solche versucht worden wäre.

Sie aber war nicht versucht worden.

Der Indianer ist von Natur vorsichtig und rennt nur im äußersten Paroxysmus der Leidenschaft blindlings in die Gefahr. Sonst liebt er es, jeden seiner Schritte wohl zu bemessen und keinen Weg anzutreten, ohne zugleich an den Rückweg zu denken.

Nun war allerdings bei dem plötzlichen Erscheinen Groot Willems die Überraschung der Krieger alsbald dem Zorne gewichen, und dem Impuls desselben gehorchend, waren sie dem Felsen zugestürzt, um dem grauen Bären seine mit unerhörter Kühnheit errungene Beute wieder abzujagen. Allein mitten auf dem Wege hatte sie ein gellender Schrei des Sachems stehen und dann umkehren gemacht. Metakom war durch das Gekrach von Willems Roer aus seinem Wigwam, wohin er seine Schwester gebracht hatte, hervorgerufen worden. Er hatte noch mit einem Blick die hinter dem Felsen verschwindende Riesengestalt des Trappers erhascht, welcher Thorkil wegtrug. Das Verschwinden des letzteren bedurfte also keiner weiteren Erklärung, nicht einmal der, welche Mortons am Boden liegender Leichnam gab.

Der Häuptling kannte Mato, dessenungeachtet aber war er im ersten Augenblick geneigt zu glauben, daß derselbe keineswegs allein ein solches Wagnis unternommen hätte, sondern daß er mit einer Streifpartei der Blaßgesichter dem Lager unbemerkt sich genähert haben müßte, während aller Aufmerksamkeit auf die Vorgänge der Okippe gerichtet war.

Diese Ansicht, verbunden mit der ihr anklebenden wohlbegründeten Besorgnis für die Sicherheit der Seinigen, dann der Ingrimm, daß der junge Jäger seinen Händen entronnen, endlich die zornige Verwunderung, wie es zugegangen, daß Mato dem Marterpfahl der Nipmuken entgangen – das alles ging dem Sachem blitzschnell durch den Kopf und wäre wohl imstande gewesen, ein weniger kräftig organisiertes Gehirn, als das seinige, zu verwirren, zumal ihn die Szene mit Hih-lah-dih keineswegs unbewegt gelassen hatte.

Metakom faßte jedoch in diesem Augenblicke mit bewunderungswürdiger Selbstbeherrschung seine Pflicht als Oberhaupt seines Stammes ins Auge, um zu tun, was dieselbe ihm vorschrieb.

Ein Ruf seines Mundes machte die Krieger stehen, ein zweiter machte sie umkehren, ein dritter säuberte wie mit Zaubergewalt den freien Platz von Männern, Weibern und Kindern.

Nach Verfluß von wenigen Minuten hätte man glauben können, nicht nur der Platz, sondern auch das Lager sei von allen menschlichen Wesen verlassen, so still und tot lag es an der Seeküste da.

Nur die geöffnete Medizinhütte und der neben dem Eichenstumpf ausgestreckte Leichnam, welchen ein Schwarm von Bussards gierig krächzend umflatterte, zeugte von dem, was hier vorgefallen war.

Die Sonne stieg höher und höher und näherte sich dem Zenit. Zugleich aber verdüsterte sich das Wetter. Ein heftiger Nordostwind brauste über die Landzunge von Montaup herab, jagte die zu Wolken geballten Herbstnebel am Himmel vor sich her und peitschte die Gewässer der Bai zu hochgehenden Wellen.

In dem Felsspalt, unfern des Eingangs zu demselben, stand der alte Trapper, auf sein treues Roer gelehnt, und an seiner Seite hielt sich der Filibustier, die Arme solchergestalt über der Brust kreuzend, daß seine rechte Hand leicht auf dem Griff seines Säbels ruhte.

Weiter zurück und auf der andern Seite des beschränkten Raumes saß der ältere der beiden Obersten, welche wir seit dem Überfalle von Swanzey nicht wieder gesehen haben, am Fuß einer Tanne. Neben ihm bemerkte man seinen Schwiegersohn, welcher unter den buschigen Brauen hervor von Zeit zu Zeit finstere Blicke auf De Lussan warf, dessen kühnes Auge sich jedoch dadurch nicht im geringsten einschüchtern ließ.

Die beiden Obersten waren mit Büchsen und Degen bewaffnet.

Im Hintergrunde der Höhlung lehnte ein weiteres Gewehr an der Felswand, welches Thorkil gehören mochte, der in das Geäste eines Wallnußbaumes hinaufgeklettert war, um Späherdienste zu verrichten.

Aus der Öffnung der höhlenartigen Eintiefung rechts vom Eingange des Spaltes sah man den Kopf Lovelys hervorlauschen, und man konnte wahrnehmen, daß die Augen des Mädchens voll Beklemmung und ängstlicher Teilnahme auf die Gruppe der vier Männer gerichtet waren.

Zwischen dem jüngeren der beiden Obersten und dem Flibustier hatten Erklärungen von sehr zarter Natur stattgefunden, Erklärungen, die von der einen Seite mit grollender Bitterkeit gefordert, von der andern mit stolzem Freimut waren gegeben worden.

Es standen sich hier zwei Charaktere gegenüber, die in ihrer ganzen Anlage himmelweit voneinander verschieden und trotzdem durch die Laune des Schicksals in eine wechselseitige Beziehung zueinander gebracht worden waren, welche die innigste hätte sein sollen.

Ihre Unterredung, welche nur durch die besonnene und würdevolle Einmischung des älteren der beiden Flüchtlinge in den Schranken der Mäßigung war erhalten worden, hatte zu keinem befriedigenden Resultate geführt.

Der alte Trapper, dessen instinktartige Kenntnis guter Sitte das Waldleben nicht verwischt hatte, war zartfühlend genug gewesen, bis dahin jeder Einmischung in das Gespräch sich zu enthalten. Auch jetzt gab er nur dem Drange der Umstände nach, indem er das Wort ergriff.

»Man hat, denk ich,« sagte er, »dem Groot Willem nie nachsagen können, daß er sich unaufgefordert in anderer Leute Angelegenheiten mische, aber zu dieser Stunde kommt es mir, vermut' ich, einigermaßen zu, ein Wort mitzureden.«

Die drei Männer, froh, der peinlichen Spannung des vorhin eingetretenen Stillschweigens überhoben zu werden, blickten zumal den alten Waldläufer an, als wollten sie ihn auffordern, fortzufahren. Er tat dies, indem er bemerkte:

»Die Rothäute, wenigstens die besseren darunter, denn von den Hunden von Pequoden will ich nicht reden, haben nicht gezögert, ihre Feindschaften untereinander aufzugeben, als es sich darum handelte, das Kriegsgeschrei gegen die Kolonisten zu erheben. Ein gutes Beispiel aber, vermut' ich, ist nachahmungswert, mag es gegeben werden, von wem immer es wolle. Unserer Feinde sind viele, wir sind wenige: falls wir nicht fest zusammenhalten, wie ein wohlgeschnürtes Pfeilbündel, so sind wir verloren.«

»Ihr glaubt also, die Heiden werden uns angreifen?« fragte der ältere Oberst.

»Das werden sie, oder ich müßte mich schlecht auf den indianischen Charakter verstehen, und es wird gar nicht lange währen, bevor wir ihr Kriegsgeschrei hören. Wir sind zwar durch die hilfreiche List Ischähkohnihs mit Waffen und Munition versehen, und der Fels da gewährt uns eine vortreffliche Verteidigungsstellung, aber um sie gegen die Angriffe der listigen Feinde zu halten, bedarf es vereinter Kraft.«

»Es ist besser unterzugehen, als durch einen Bund mit den Gottlosen nach Rettung zu trachten,« murmelte der jüngere Oberst.

Sein Schwiegervater warf ihm einen mißbilligenden Blick zu und sagte mit Nachdruck:

»Wenn der Allmächtige uns in seiner Güte die Mittel verleiht, der roten Heiden uns zu erwehren, so darf, und wäre es auch nur um des Kindes willen, seine Gnade nicht undankbar vernachlässigt werden. Alter Jäger, Ihr habt recht. Wir müssen zusammenstehen und zu dieser Stunde unseres Zwistes mit jenem Manne dort vergessen, um so mehr, da er für die Rettung Lovelys sein Leben gewagt hat.«

»Das heiße ich vernünftig gesprochen,« entgegnete der alte Trapper. »Wir werden unserer vereinten Kräfte benötigt sein, vermut' ich. – Ja, hört, da singen sie schon ihren Kriegsgesang. – He, Thorkil, sag uns, Junge, kannst du nichts von den Roten zu Gesichte kriegen?«

»Nein,« gab der Gefragte von seinem Luginsland herab zur Antwort. »Aber ich höre sie ganz gut. Sie sind dort hinter dem Waldausläufer offenbar mit den Vorbereitungen zu einem Angriffe beschäftigt.«

»Ja, ja, ohne Zweifel,« sagte Groot Willem. »Sie hauen mit dem Tomahawk in den roten Pfahl und singen dazu ihren Kriegsgesang. Ich bin oft genug mit dabei gewesen, um zu wissen, was diese Töne zu bedeuten haben. Der Sachem weiß zu gut, daß sein ganzes Ansehen und alle seine Macht auf dem Spiele steht, wenn es ihm nicht gelingt, den Streich, den ich ihm mit seinem Gefangenen gespielt, für seinen Stamm wieder zum Vorteil zu wenden.«

Der alte Waldläufer hatte völlig recht.

Keine Regierungsgewalt kann von der Despotie weiter entfernt sein als die unter den Stämmen der Eingeborenen Nordamerikas herkömmliche. Zwar pflegt die Häuptlingswürde vom Vater auf den Sohn zu vererben oder auf einen andern nahen Verwandten, allein nur persönliche Tüchtigkeit und persönliches Glück sichern den Häuptling im Besitze seiner Macht. Das Prinzip der Legitimität, welches in Europa für heilig ausgegeben wird, würde von den Indianern verlacht werden. Bei ihnen gilt das Wort: »Selbst ist der Mann!« im vollsten und strengsten Sinne. Metakom konnte sich nicht darüber täuschen, daß seine Autorität durch die unglückliche Wendung, welche in letzter Zeit der Krieg gegen die Blaßgesichter genommen, einen gewaltigen Stoß erlitten habe. Er erkannte ferner, daß die Rettung Thorkils durch Mato dem abergläubischen Sinne der Seinigen als ein Zeichen von übelster Vorbedeutung erscheinen müßte, als ein Zeichen, welches leicht dahin gedeutet werden könnte, daß das Glück ganz von ihm, dem Sachem, gewichen wäre und daß demnach der Stamm wohl daran täte, einen von dem Manitu so offenbar Verlassenen von seiner Spitze zu entfernen. Er mußte daher, falls er nicht geradezu verzweifelnd sich selber aufgeben wollte, alles daran setzen, den der Opferkeule entrissenen Gefangenen wieder in seine Gewalt zu bekommen und an den sämtlichen Blaßgesichtern, welche zweifelsohne für das Goldhaar Partei ergriffen, Rache zu üben. Dies drängte alle andern Absichten und Rücksichten entschieden in den Hintergrund.

Daher hatte er keinen Augenblick gezögert, seine Maßregeln zu ergreifen. Er hatte den ganzen Stamm hinter dem Waldvorsprunge versammelt, welcher an der Ostseite des Lagers fast bis zur Seeküste hinabreichte. Nachdem Späherposten ausgestellt worden, welche die etwaigen Bewegungen der Blaßgesichter beobachten sollten, hatte man das Beratungsfeuer angezündet und die Ratspfeife kreisen lassen. Die Energie des Sachems drängte aber zur Abkürzung der Beratungen, und da weitaus die Mehrzahl der Krieger mit ihm der Ansicht war, daß die dem Stamme durch Unterbrechung des Opfers zugefügte Schmach auf der Stelle zu rächen sei, so waren die nötigen Beschlüsse rasch gefaßt worden. Die Ausführung derselben knüpfte sich jedoch an eine Zeremonie, welche schlechterdings nicht unterlassen werden durfte.

Dem Beratungsfeuer zur Seite war ein starker, seiner Rinde entkleideter und rotangestrichener Pfahl in den Boden gerannt worden. In einer indianischen Reihe, das heißt ein Krieger einzeln hinter dem andern, stellten sich die Wampanogen neben diesem Kriegspfahl auf, völlig zum Kampf bemalt und gerüstet. Metakom, an der Spitze der Reihe, nahm den Tomahawk aus dem Gurt, stimmte das Kriegslied des Stammes an, näherte sich dem Pfahl und führte mit dem Beil einen Streich auf denselben. Sämtliche Krieger folgten seinem Beispiele, den Pfahl im Kreise umschreitend und einfallend in den Gesang:

»Am Tage, als unsere Helden gefallen,
Als unsere Helden gefallen,
Da focht' ich mit ihnen und dacht', eh' wir sterben,
Bring' unsere Rache dem Feinde Verderben,
Bring' unsere Rach' ihm Verderben!

Am Tage, als unsere Häuptlinge sanken,
Als unsere Häuptlinge sanken,
Focht' ich Mann gegen Mann und kühn war mein Mut
Und vorn aus der Brust, da floß mir das Blut,
Da floß aus der Brust mir das Blut!

Und nimmer die Häuptlinge wiederkehren,
Und nimmer sie wiederkehren!
Und ihre Kameraden, die Narben nicht tragen,
Die sollen wie Weiber ihr Schicksal beklagen,
Wie Weiber ihr Schicksal beklagen!

Gar schöne Winter woll'n wir verjagen,
Gar schöne Winter verjagen!
Wenn unsere Knaben die Schlachten bestehen
Und wir zu unseren Vätern gehen,
Zu unseren Vätern wir gehen!«Dieses Lied, wie das oben bei Schilderung der Okippe eingeflochtene, ist wirklich indianischen Ursprungs. Die Übertragung ins Deutsche rührt von Talvj her.

Der Gesang und das tanzartige Umwandeln des Pfahles wurden fortgesetzt, bis die Tomahawkhiebe den letzteren in Splitter verwandelt hatten. Dann wurde das Lied mit einem furchtbaren Aufschrei abgebrochen.

»Seht nach euren Waffen, ihr Männer!« sagte Groot Willem, als dieser Schrei waldherüber in die Felsspalte drang. »Seht nach euren Waffen und vergeudet keinen Schuß. Sucht Schutz hinter den Vorsprüngen des Felsens und hinter den Bäumen. Es wäre Narrheit, den Pfeilen und Kugeln, welche nicht lange auf sich warten lassen werden, sich bloßzugeben. Aber verwendet dabei kein Auge von der Öffnung des Felsens gegen den Wald zu. Mögen sie auf den drei andern Seiten den Stein umheulen, nur von dieser kann der Angriff erfolgen.«

Der erfahrene Grenzkrieger war mit seiner Warnung kaum zu Ende, als von allen Seiten das gellende Kampfgeschrei der Wampanogen erscholl.

Offenbar wollte Metakom zuerst es versuchen, die Blaßgesichter vermittelst Entfaltung seiner Übermacht zu schrecken. In einem weiten Kreise den Felsen rings umzingelnd, gehorchten seine Krieger einem von dem Häuptling ausgestoßenen Signalruf und stürmten, den Kreis verengernd, allwärtsher auf die von der Natur erbaute Burg los.

Ihr Anlauf war in Wahrheit wie der Anlauf der »rollenden See«, welche mit Wogengedonner auf einen in ihrer Mitte sich erhebenden Fels anstürmt.

Sein Hauptaugenmerk hatte jedoch der Feind, wie natürlich, auf den Zugang zu dem Felsspalte gerichtet. Hinter den Stämmen des Waldes hervor krachten Büchsen, Kugeln schlugen in die Äste der Bäume, welche in der Vertiefung des Steins wurzelten, und eine Wolke von Pfeilen schwirrte darüber hin. Die Belagerten ihrerseits verhielten sich bis jetzt ganz passiv.

Dieser Umstand versetzte die Belagerer in eine Täuschung hinsichtlich der Verteidigungsmittel der Blaßgesichter und trieb sie an, einen entschiedeneren Versuch zur Gewinnung des Zugangs zum Felsen zu machen.

Der Versuch blieb aber nicht unbeobachtet.

Thorkil, welcher noch immer seinen Platz in dem Geäste des Wallnußbaumes behauptete und sich nur seine Büchse hatte hinaufreichen lassen, rief dem alten Trapper zu, daß eine Anzahl von Feinden die Rotbuchen und Schwarzkiefern am Waldsaume erklettert habe, während sich andere unter dem Schutze des Dickichts sammelten.

»Ich sehe sie, Junge, ich sehe sie,« versetzte der Alte. »Sie wollen sich sozusagen der Bäume als Sturmleitern bedienen.«

»Ihr habt recht, Freund Willem,« bemerkte De Lussan. »Freilich erfordert es, um solches zu unternehmen, eine größere Sprungfertigkeit, als selbst der beste Springer an Bord der Gloria besitzt.«

»Ja, solche Sprungfertigkeit, wie hier erforderlich ist, gibt's aber in den Wäldern, Kapitän,« entgegnete Willem. »Habt acht, Freunde, und laßt das Kind ganz in den Hintergrund der Höhle zurücktreten. Wir kriegen 'ne Salve. – Deckt euch, deckt euch!«

Die Aufforderung war sehr am Platze, denn kaum hatte der Trapper sie gegeben, als, begleitet von dem aufs neue losbrechenden Schreien und Fistulieren der Angreifer, wieder Bogen und Feuergewehre vom Walde herauf ihre Ladungen nach dem Felsspalt entsandten.

»Hat nichts zu sagen,« äußerte der Trapper, nachdem sich der Tumult etwas gelegt hatte. »Laßt sie ihre Kugeln und Pfeile an diesem Stein verschwenden, der sich blutwenig darum kümmern wird. Aber die lauernden Satanasse dort auf den Bäumen müssen herunter. Ihre Schüsse könnten uns verteufelt molestieren. – Ha, diese Kugel war nicht übel gezielt! – Thortil, hol mir doch den Kerl herunter, der dort in der Stammgabel des Hickorybaumes hockt und sich gerade zum Feuern fertig macht. – Paff, so ist's recht! Der Bursche hat genug, vermut' ich. Und jetzt, Freunde, wollen wir zeigen, daß auch wir eine Salve aufzuwenden haben. Wir sind unserer vier Büchsen, wohl, das wird's tun. Wollen einmal die Vormänner der Baumkletterer dort wegputzen. Die beiden Obersten mögen dort die zwei vorwitzigen Kerle auf der Tanne und der Schwarzkiefer aufs Korn nehmen. – Thorkil, mein Junge, siehst du den Krieger, welcher in dem dichten Wipfel der Blutbuche die Kriegsmalerei seines Gesichtes nicht völlig zu verbergen vermag? Ja? Gut, Junge, auf ihn, auf ihn! Ich selber will dem langen Gesellen dort zeigen, daß der Ast einer Eiche, mag er auch noch so stark sein, unter Umständen nur die Brücke zum Tode ist. – Alle fertig, he? Wohl, also Feuer!«

Die Büchsen knallten zumal, und die zu Zielpunkten ausersehenen vier Krieger stürzten von den Bäumen.

Ein klägliches Geheul erhob sich unten, die Klagerufe, welche die Indianer auszustoßen pflegen, wenn sie im Gefechte einen Verlust erleiden.

Es mischte sich diesen Schreien auch der Ausdruck der Überraschung über den Umstand, daß die Blaßgesichter so wohl mit Feuergewehr versehen waren.

Wie es ihr Brauch, wann sie auf dem Kriegspfad auf ein unerwartetes Hindernis stoßen oder eine unvorhergesehene Schlappe erfahren, zogen sich die Wampanogen plötzlich zurück.

Das Getöse verstummte gänzlich, aber die demselben mit einmal folgende Stille hatte etwas Unheimliches. » Foi de gentilhomme,« sagte der Flibustier, »mir deucht, sie haben genug für einmal.«

»Für einmal, ja,« erwiderte Groot Willem. »Aber verlaßt Euch darauf, Kapitän, sie werden wiederkommen.«

Und sie kamen in der Tat bald genug wieder.

Der neue Angriff erfolgte ganz so wie das vorige Mal. Während von unten eine Anzahl Schützen den Zugang zu dem Felsen bestrich, erkletterten ein Dutzend und mehr Feinde die dem Felsspalt zunächststehenden Bäume. Sie gingen hierbei mit solcher rücksichtslosen Entschlossenheit zu Werke, daß augenscheinlich war, sie würden sich diesmal nicht so leicht zurückschrecken lassen.

»Ha,« sagte der Trapper, »auf der Eiche dort ist Annawon. Freunde, wir werden einen harten Strauß haben. Gebt euch nicht bloß und feuert kaltblütig.«

Das Feuer der Belagerten brachte wieder einige der Indianer von den Bäumen zu Boden, aber es wurde nicht mit einem Klageruf, sondern mit wütendem und herausforderndem Geschrei erwidert.

Ein starker Ast der Eiche reichte bis auf wenige Schritte zu dem Eingänge des Felsspalts. Mit eichhornhafter Geschwindigkeit und Sicherheit sprangen mehrere der Indianer, Annawon unter ihnen, auf diesen Ast, sowie die Weißen ihre Gewehre losgebrannt hatten, und schwangen sich von dem Ende desselben mit einem mächtigen Satz in die Felsspalte.

Während dies geschah, schrie Willem:

»Thorkil, bleib, wo du bist, und säubere mit der Büchse die Eiche!«

Dann riß er sein Messer aus dem Gurt und warf sich den Eindringenden entgegen. Der Flibustier und die beiden Obersten folgten seinem Beispiel, und sofort entspann sich in dem engen Raume ein schreckliches Ringen.

Lovely, die demselben von ihrem Schlupfwinkel aus in Todesangst zusah, konnte später nur mit Schauder von dieser Szene sprechen.

Einen Augenblick schien es ihr, als wären ihre Freunde rettungslos verloren.

Sie sah Degen, Messer und Tomahawks erhoben und im Schwung und Stoß durcheinander zucken, sah ihren Großvater, durch einen Beilschlag auf die Brust betäubt, zu Boden stürzen, ihren Vater nur mit Mühe der Messerstöße eines riesenhaften Wilden sich erwehren und Groot Willem von den Armen Annawons umklammert. Dann änderte sich der bedrohliche Anblick. Der Flibustier hatte den Indianer, welcher ihn angefallen, niedergehauen, ein zweiter Streich seiner Damaszenerklinge befreite ihren Vater von seinem Bedränger, und mit seinem Schlachtruf: »Gloire und Desdemona!« rannte er den guten Stahl Annawon in die Seite, in dem Augenblick, als es diesem gelungen war, sein Messer zu erheben, um es dem Trapper in den Rücken zu stoßen; der vierte der eingedrungenen Indianer suchte jetzt sein Heil in der Flucht. Er wandte sich, um wieder auf den Ast der Eiche zurückzugelangen, aber im Sprunge erreichte ihn Thorkils Kugel und warf ihn leblos von dem Felsen hinab.


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