Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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Drittes Buch.

1.

Gewiß, Diana, der Keuschheit Göttin,
Sie wählte sich, der Glieder Duft zu frischen,
Verständiger den Grottenquell nicht aus.
Hier hätt' Aktäon sie, der Menschen ärmster,
Niemals entdeckt und seine junge Stirn
Wär' ungehörnt bis auf den heut'gen Tag.
Wie einsam hier der See den Felsen klatscht!
Und wie die Ulme hoch vom Felsen her
Sich niederbeugt, von Schlee umrankt und Flieder,
Als hätt' ein Eifersücht'ger sie verwebt,
Daß selbst die Sonne nicht das holde Weib,
Wie schön es Gott der Herr erschuf, kann sehn.
Heinrich von Kleist.

Die rote Abendglut eines heißen Julitages lag auf den Wäldern von Neuengland. Die Sonne ging zur Rüste, doch schwebte ihre rötlich angeglommene Kugel noch über dem unendlichen Grün der westlichen Forste und goß eine Flut von warmen Lichtern über die östlichen Gestade der Naragansettbai aus. Die See lag in ruhigem Frieden, kaum daß eine leichte Abendbrise ihre Oberfläche kräuselte und mit leisem Klatschen spielende Wellenlinien an das schweigende Ufer trieb. Der Waldsaum seiner zackigen Einschnitte und Vorsprünge war, soweit das Auge reichte, nur an einer Stelle unterbrochen, da, wo ein ziemlich bedeutender Fluß in die Bai mündete. Dies geschah ohne Geräusch, denn der Fluß strömte tief und still über ebenen Waldboden daher, und die See empfing seine Wasser ohne Ungestüm. Schickte man die Blicke von der Mündung aus den Lauf des Flusses entlang landeinwärts, so verloren sie sich in der Dämmerung eines dunkelgrünen Gewölbes, welches der üppige Baumwuchs mit seinem Rankengeflechte über der sanft hingleitenden Strömung bildete, so daß diese wie aus einer geheimnisvollen Grotte hervorzukommen schien.

Aber bewegte sich nicht dort etwas zwischen der Wölbung dieser Grotte und dem Wasser? Nein, es war weiter nichts als das leise Schwanken einer Liane, die aus der Wipfelverschlingung hinabflatterte, als wollte sie sich im Flusse tränken. Und doch – klang dorther nicht etwas wie ein Ruderschlag? Ja, jetzt kam es näher, und aus dem grünen Düster hervor schoß der Schnabel eines Rindenkanoes. Dann wurde die ganze Barke sichtbar, welche geräuschlos rasch der Mündung des Flusses zuglitt. Erst als sie die Salzflut erreicht hatte und über den Waldschattenkreis hinaus war, konnte man die Gestalt, welche die Bewegungen des leichten Fahrzeugs lenkte, deutlich erkennen.

Es war ein Indianermädchen und zwar kein anderes als die anmutige Hih-lah-dih, welche wir bei ihrer Zusammenkunft mit Lovely kennen gelernt haben.

Die schöne Tochter des Waldes brachte mit einer geschickten Wendung des Ruders, welches sie, aufrecht im Stern des Kanoes stehend, in den Händen hielt, den Nachen zum Stehen, so daß er sich nur noch langsam um sich selber drehte. Sie strich sich die von der Natur gelockten Haare aus der Stirn zurück, atmete hoch auf und ließ mit Wohlgefallen den frischen Seehauch um ihren halb sichtbaren Busen spielen. Dann, nachdem sie die Erhitzung einer eilfertigen Fahrt einigermaßen gekühlt, tauchte sie das Ruder wieder ins Wasser und trieb ihre Barke linkshin in südlicher Richtung am Ufer hinab.

Kaum aber hatte der flaumleicht über den Wasserspiegel hinwippende Nachen einige Knoten zurückgelegt, als die Schifferin dessen Lauf abermals hemmte. Das angestemmte Ruder fest gegen ihren Leib drückend, ließ sie den spähenden Blick auf einem Gegenstande haften, welcher innerhalb einer schmalen, tief in das Ufer schneidenden Bucht in ihren Gesichtskreis getreten war. Nur das scharfe Auge einer Eingeborenen vermochte in diesem Gegenstände die Bugspitze eines zu zwei Dritteilen unter dem Ufergebüsch versteckten kleinen Bootes von europäischer Bauart zu bemerken, nur ein solches Auge vermochte sogar zu unterscheiden, daß diese Bugspitze mit meergrüner Farbe bemalt war und in einen zierlich vergoldeten Schwanenhals auslief.

»Ih-nis-kin!« flüsterte Hih-lah-dih vor sich hin, und ein schalkhaftes Lächeln umspielte ihre dunkelroten Lippen. Mit äußerster Vorsicht lenkte sie ihr Kanoe in die kleine Bucht hinein, ließ es ans Land treiben, legte das Ruder nieder, betrat das Ufer und zog den Stern der Barke so achtsam auf die Küste, daß die Kieselerde kaum merklich unter dem Kiele knirschte. Hierauf warf sie noch einen spähenden Blick auf den Hintergrund der Bucht, wo der fremde Nachen die Anwesenheit eines menschlichen Wesens zu verraten schien, duckte sich nieder und glitt mit der lautlosen Behendigkeit einer Elfin in das Gebüsch. Ihre Tunika eng um sich faltend, schlüpfte sie geschmeidig durch die Sträucher und Ranken. Kein dürrer Zweig knackte unter ihren schwebenden Tritten, denn ihre zierlichen Mokassins schienen den Boden kaum zu berühren. So wand sie sich durch das wuchernde Dickicht, welches die Bucht umsäumte, bis sie, nahe am Ende derselben angelangt, plötzlich mehr in den Wald einbog und unter den Stämmen desselben einen kleinen Halbkreis beschrieb, dessen Ausgangspunkt sie zu einem mit Moos und Eppich überzogenen Felsblock führte, auf welchem zwei ungeheure Schirlingstannen ihre schweren Äste herabsenkten. Mit sorgsamer Hand die Eufeuranken prüfend, kletterte sie mittels derselben an dem Felsen empor, und als ihr Kopf über die abgeplattete Spitze desselben wegsah, blieb sie in halb schwebender Stellung unbeweglich und lauschte mit angehaltenem Atem in das Versteck unter ihr hinab.

Der reizendste Anblick bot sich ihren Blicken dar.

Der Fels, über welchen sie herabsah, setzte sich unter dem Wasser, das ihn bespülte, bis zum entgegengesetzten Ufer der kleinen Bucht fort, so daß sein unterseeisches Gestein eine Art Muschel bildete, welche die von draußen hereinleckenden Wogen allmählich ausgehöhlt hatten. Ringsher, nur die Felswand ausgenommen, war die Muschel von der saftigsten Vegetation so um- und überbaut, daß die Abendsonnenstrahlen nur spärlichen Zugang fanden und ihr gebrochenes Licht den lauschigen Raum mit einem sanftrötlich dämmernden Schein erfüllte. Es war ein Badeplatz für eine Göttin und – die Göttin fehlte ihm in der Tat nicht.

Mitten in der natürlichen Badewanne lag ein wunderschönes Weib, die weiße Pracht der Glieder unter dem durchsichtigen Schleier des klaren Wassers halb verbergend.

»Sie stützt ihr Haupt wie sinnend mit der Rechten
Und sieht mit träumerisch gesenktem Lid,
Wie ihres Haars gelöste dunkle Flechten

Die Welle wogend auf und nieder zieht.
Bald schweift ihr Blick, die eigne Schönheit fühlend
Entlang des Leibes Formenmelodie,
Bald legt die Hand, im weichen Haare wühlend,
Die Enden spielend auf das weiße Knie.
Als ob ein Andachtsschauer sie beschleicht,
Daß sie der Blüte Mittelpunkt erreicht,
Umfliegt ihr Antlitz jetzt ein Wehmutshauch,
Verratend die geheime Frage:

›So bin ich heute, bin ich's morgen auch?
Was bringen mir die künftigen Tage?‹
Als ob der Augenblick sich halten ließe,
Wenn man die Augen fest verschließe,
Deckt sie sie zu mit ihrer Hand,
Um ganz der Außenwelt entwandt
Sich selber einzig zu empfinden
Im vollsten höchsten Daseinsschwung,
Bevor das erste leise Schwinden
Gemahne: Fühlst nun minder jung!«

Wir möchten nicht behaupten, daß der Dichter, welchen wir zur Hilfe gerufen, in seinen melodischen Versen die Stimmung der schönen Badenden vollständig dargelegt habe. Es lag noch mehr, als er geschildert, in den Zügen dieses griechisch edlen Gesichtes: eine gedankenvolle Energie, der Ausdruck eines Geistes, welcher weit über die Sphäre gewöhnlicher Weiblichkeit und ihrer Sorgen hinausreichte. Während sie scheinbar ganz der Wonne des erfrischenden Bades hingegeben war, flog doch manchmal ein leichter Schatten der Trauer über ihre prächtig geformte Stirn, und wenn sie die tiefbraunen großen Augen öffnete, kam zwischen den dunkeln Wimpern hervor ein so seelenvoller Strahl, wie wir ihn nur in den Augen von Frauen wahrnehmen, welche schon viel Lust und viel Weh erlebt. Die marmorfesten, herrlich gerundeten Glieder, das Kinn mit seinem reizenden Grübchen, der sinnlich schön gebildete Mund, dessen Unterlippe etwas vorstand, als wollte sie Küsse auffangen, hatten etwas Wollüstiges, und doch war über diesen Leib von belebtem Alabaster eine Grazie der Keuschheit ausgegossen, die selbst dem verwegensten Blick imponieren mußte. So lag sie da, ein vollendetes Kunstwerk der Natur, dessen leise sich andeutende Widersprüche von der lauten Harmonie des Ganzen völlig aufgehoben wurden.

»Auf einmal fährt sie auf – ein Rascheln und ein Rauschen!
Ist es ein Menschenfuß? – Sie lauscht mit bangem Lauschen;
Ihr Antlitz sinkt aufs Knie.
Rot wird sie wie die Frucht des welschen Maulbeerbaumes,
Sie biegt zusammen sich und in des Wellenschaumes
Gekräusel zittert sie –«

Bald erhob jedoch die schamhaft in sich Geschmiegte das Antlitz wieder. »Es ist nur ein hüpfendes Eichhorn,« murmelte sie und richtete den Blick aufwärts in das grüne Rankengeflecht, aus welchem jetzt das Pfeifen des genannten Tierchens herabkam.

Während aber das Auge der Badenden suchend nach oben gerichtet war, schwirrte seitwärts her ein Ton wie das Zischen einer Schlange.

Mit wundersamer Elastizität schnellte sich die aufs neue Erschreckte aus der Bademuschel auf, erreichte mit leichtem Sprung das Ufer, wo ihre Kleider lagen, raffte ein großes weißes Tuch vom Boden auf, und im nächsten Augenblick war die Pracht ihrer Glieder vom Halse bis zu den Knöcheln sittsam verhüllt. Nachdem so dem ersten Instinkt des Weibes genügt war, bückte sich die Aufgescheuchte abermals rasch, und als sie sich wieder aufrichtete, ward in ihrer rechten Hand eine blitzende Waffe sichtbar, eine Art türkischen Yatagans, dessen etwas gekrümmte Klinge in einem kunstreich ziselierten Goldgriffe stak. Diese Waffe fest mit der Rechten fassend und mit der Linken die Falten ihrer Verhüllung über dem Busen zusammenhaltend, so daß nur die rechte Schulter und der rechte Arm sichtbar waren, blickte sie über das Wasser nach dem efeuumsponnenen Fels hinüber, mit so kühnem Ausdruck, als erwartete sie furchtlos den von dorther kommenden Angriff des zischenden Gewürms.

Das Gezisch erneute sich, aber plötzlich schlug es in ein silberhell tönendes Lachen um. Die Spannung wich aus den Zügen der überraschten Schönen, sie gewahrte das über den First des Felsens schelmisch lachend herüberblickende Gesicht der Indianerin, ließ den Yatagan fallen, drohte dem Mädchen lächelnd mit aufgehobenem Finger und sagte mit einer prächtigen Altstimme:

»Warte, böses Kind! Wie hast du mich erschreckt!«

In der nächsten Sekunde lag Hih-lah-dih in den Armen der Weißen, deren Antlitz sie mit Küssen bedeckte.

»Ih-nis-kin nicht zürnen auf Hih-lah-dih,« bat die Tochter des Waldes schmeichelnd und in einem Tone, welcher der Verzeihung zum voraus gewiß war.

Dann rührte sich das geschmeidige Kind geschäftig, um der Freundin bei ihrer Toilette behilflich zu sein. Der Eifer der Indianerin ließ sie hierbei jedoch mehr als einen Mißgriff begehen, was dem Gegenstand ihrer Bemühungen ein wohlwollendes Lächeln entlockte, welches dann von Hih-lah-dih mit herzlichem Lachen erwidert wurde. Endlich war der Anzug der Weißen so weit beendigt, daß nur noch ihre Füße mit den Schuhen – und allerliebste blausammetene, mit zierlichen roten, fast zollhohen Absätzen oder vielmehr Stelzchen versehene Schuhe waren es – bekleidet werden mußten. Hih-lah-dih kauerte in jener anmutigen Stellung, wie sie nur ein indianisches Mädchen annehmen kann, auf die Fersen nieder, um der Weißen den angegebenen Dienst zu leisten, und diese ließ sich denselben mit dem Anstand einer Königin gefallen.

Es war überhaupt etwas Königliches in ihrer Haltung und all ihrem Gebaren, vorausgesetzt, daß man mit dem Worte königlich eine durchaus edle, vollendet harmonische persönliche Erscheinung bezeichnen will. Ihrerseits war auch die Indianerin, wie schon früher berührt worden, eine Musterschönheit ihres Stammes, und so bildeten die beiden Frauen, die eine der kaukasischen, die andere der amerikanischen Rasse angehörend, unter der Wölbung der Laubgrotte, überrieselt von den roten Abendsonnenstrahlen, eine Gruppe, deren märchenhafter Zauber dem Malergenie eines Tizian einen Ausruf des Entzückens entlockt haben würde.

»Aber,« fragte jetzt die Weiße, »wie fand meine Schwester dieses mein Badegemach, welches, wie ich glaubte, keines Menschen Auge außer dem meinigen bekannt war?«

»O, rote Leute scharfe Augen haben; sehen durch das hohe Präriegras, sehen durch das Gebüsch, sehen über die Wolken hinaus,« versetzte die Indianerin nicht ohne einen leisen Anflug jenes Hanges zur Prahlerei, welcher ihrem Volke eigen war und ist. »Hih-lah-dih das Salzwasser herunterkommen in Kanoe, Ih-nis-kin nicht gut verbergen im Strauchwerk ihr Schwanenkanoe, Hih-lah-dih es sehen und denken, Schwester nicht weit sein.«

»Meine Schwester kommt aus dem Norden? Sie war in dem Wigwam des großen Sachems der Wampanogen auf der Landzunge von Mount Hope?«

Die Indianerin schüttelte das Haupt und erwiderte mit einem Anklang von Trauer in ihrer Stimme:

»Der Wigwam Metakoms steht öde. Hih-lah-dih war weiter landeinwärts, in den Wäldern um die Wigwams her, welche die Blaßgesichter Swanzey nennen, nein, nicht nennen, aber nannten.«

»Nannten?«

»Hih-lah-dih hat es gesagt. Der große Sachem hat den Tomahawk erhoben. Wo sein Schlag hinfallen, Blaßgesichter zu Boden stürzen; wo sein Kriegsgeschrei tönen, Flammen die Wigwams der Blaßgesichter fressen, wie Jägerfeuer zur Herbstzeit das Gras der Prärie verzehren. Hih-lah-dih noch jetzt riechen Brand von Swanzey an kleinem Fluß im Tale. Wampanogen tapfere Krieger, Herzen von Eisen, Metakom großer Häuptling!«

Die Indianerin hatte diese Worte mit dem ganzen Pathos des wilden Stolzes ihrer Rasse vorgebracht. Ihre Augen funkelten, und ein triumphierendes Gefühl machte ihre Nasenflügel schwellen.

Die Weiße war sehr aufmerksam geworden.

»Also ist der Kampf zwischen deinem Volk und den Kolonisten losgebrochen?« fragte sie.

»Ih-nis-kin sehr weise, gut verstehen roter Leute Zunge. Häuptling des großen Donnerkanoes sich freuen, wenn hören, daß der Kriegsruf durch die Jagdgründe der Pokanoketen, der Wampanogen und Naragansetter geht. Metakoms Wampum überall mit Frohlocken empfangen, rote Männer sich sammeln in den Wäldern, hauen mit Tomahawk in den Kriegspfahl, Kriegstanz tanzen um Ratsfeuer, junge Krieger ihre Gürtel mit Skalpen füllen, Blaßgesichter erschlagen, fangen, in großen Salzsee jagen.«

Die Weiße war von dieser Nachricht offenbar tief bewegt. »So ist denn,« sagte sie leise für sich, »die Kriegsfackel in die friedlichen Dörfer der Pilgrime getragen worden. Und es sind Engländer, Engländer, auf welche diese wilden Horden losgelassen wurden! – O, Raoul, ich fürchte, dein Tatendrang ist auf eine schlimme Bahn geraten!«

»Was sagen Schwester?« fragte die Indianerin.

»Nichts, Mädchen. Aber komm, die Sonne ist im Begriffe zu verschwinden und wird uns kaum noch bis zum Schiffe leuchten. Du begleitest mich doch?«

»Hih-lah-dih will mit dir gehen. Sie hat eine Botschaft zu tragen.«

»An den Häuptling des Donnerbootes?«

»Nein, eine Botschaft von dem grauen Bären an das Goldhaar.«

»An Thorkil? Wußtest du, daß er sich auf dem Schiffe befindet?« fragte die Weiße und warf im Vorwärtsschreiten einen gutmütig forschenden Blick auf ihre Begleiterin.

Hih-lah-dih senkte die Augen, und ihre braune Wange färbte sich mit dunklerem Rot.

Ein wohlwollendes Lächeln umspielte die Lippen der Weißen. Schüchtern unter den Lidern hervoräugelnd, bemerkte es die Indianerin, und blitzschnell den Gedanken der andern erratend, warf sie sich ihr an die Brust und flüsterte, in Tränen ausbrechend:

»Nichts sagen dem Goldhaar! – Hih-lah-dih ihm sein eine treue Schwester – nichts wollen weiter.«

»Armes Kind,« versetzte die Weiße, indem sie mit dem Ausdruck inniger Teilnahme die Haare der Indianerin streichelte und ihr die Tränen von den Wimpern küßte, »sei unbesorgt, ich werde nicht verraten, was sich ja ohnehin selbst verrät. Ach,« fuhr sie fort, mehr zu sich als zu ihrer Gefährtin redend, »ich sehe, daß der kleine große Gott in den Wäldern der neuen Welt nicht minder allmächtig herrscht als in den Hütten und Palästen der alten.«

Die Indianerin verstand den Sinn der letzten Äußerung nicht. Sie faßte bloß das Wort Gott auf und sagte, mit dem raschen Empfindungswechsel des Naturkindes dem jähen Anfall von Schmerz sich entreißend:

»Ih-nis-kin spricht von dem Gotte der Blaßgesichter, aber Hih-lah-dih erfahren, daß er kein mächtiger Manitu sein.«

»Was sagst du, Kind?«

»Blaßgesichter von Swanzey gehen in Beratungswigwam, anzurufen ihren Manitu, aber Manitu taub sein oder machtlos. Roten Mannes Manitu hören mit offenen Ohren Kriegsgesang der Wampanogen; mächtig sein, viel mächtig roter Manitu. Metakom Kriegsgeschrei erheben, Beratungshaus umzingelt sein, Dorf voll von roten Kriegern. Kommen silberhaariger Krieger mit Sohn aus Höhle im Wald, Blaßgesichter zu warnen. Aber zu spät sein. Medizinmann von Blaßgesichtern rufen aus großem Medizinbuch zum Manitu, aber Manitu taub sein, Medizinmann von Wampanogenpfeil getroffen. Sohn von silberhaarigem Krieger aus großem, großem Donnerrohr unter rote Krieger blitzen, fallen viel, Blaßgesichter in Häuptlings von Swanzey großes Wigwam sich retten, aber Wampanogen mutig sein, viel mutig, stürmen Palisaden, Blaßgesichter sein tot oder gefangen alle.«

Dieser Bericht von der Katastrophe von Swanzey, welche wir im vorigen Buch erzählt haben, war freilich zu indianisch, um von der Zuhörerin Hih-lah-dihs in allen seinen Einzelheiten verstanden zu werden, obgleich jene mit der Sprachweise der Eingeborenen so ziemlich vertraut war. So viel jedoch wurde ihr klar, daß die Indianer den Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen ihnen und den Ansiedlern mit einem blutigen Sieg bezeichnet hätten. Ferner entnahm sie dem Berichte des Mädchens, daß der Überfall von Swanzey stattgefunden hätte, während die Bewohner in ihrem Bethaus versammelt waren, und daß der Prediger eins der ersten Opfer gewesen sein müßte. Sie wußte nämlich, daß die Eingeborenen ihre Zauberer und Beschwörer, die Träger ihrer vagen, religiösen Verrichtungen, Powows oder Medizinmänner nannten und diesen Namen auch auf die christlichen Prediger übertragen hatten, wie sie überhaupt alles Außerordentliche, Geheimnisvolle, ihnen Rätselhafte mit dem Begriffe Medizin bezeichneten.

Während sich die Weiße in dieser Art die erhaltene Neuigkeit zurechtzulegen suchte, war die Indianerin mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, bis sie dieselben kundgab mit dem Ausruf:

»O, was für große Freude es machen dem Goldhaar, wenn hören, daß der Häuptling von Swanzey gefangen!«

»Der Häuptling von Swanzey?«

»Ja, der Häuptling von Swanzey. Blaßgesichter ihn nennen Richter Eaton. Mato sagen zu Hih-lah-dih: Geh, es sagen dem Goldhaar.«

»Ich verstehe, der Feind von Thorkil und Groot Willem befindet sich in den Händen der roten Krieger.«

»Ja, und auch kleiner Feuerspeier und silberhaariger Krieger und sein Sohn und schönes junges Blaßgesichtmädchen – o, der Sachem der Wampanogen großer Krieger, sehr großer!«

»Ein schönes junges Blaßgesichtmädchen?« fragte die Weiße, ohne sich etwas Besonderes bei dieser Frage zu denken, indem sie in die zierliche leichte Gondel trat, bei welcher sie inzwischen angelangt waren, und mit kundiger Hand das Ruder faßte.

»Junges Blaßgesichtmädchen, ja,« entgegnete die Indianerin; schön, viel schön, Wuchs wie junge Zypresse, Augen blau wie der Himmel, nein, wie Veilchen.«

»Hatte denn meine Schwester Gelegenheit, der jungen Gefangenen so nahe zu kommen? War Hih-lah-dih mit im Getümmel des Kampfes?« fragte die Weiße und bewegte ihre Barke mit leisem Ruderschlag der Mündung der kleinen Bucht zu.

»Hih-lah-dih nicht mit im Getümmel des Kampfes sein, rote Krieger die Squaws nicht mitnehmen, wenn auf den Kriegspfad gehen. Aber Hih-lah-dih in den Wäldern von Swanzey im Versteck, haben gute Augen, gute Ohren, sehen viel, hören viel. Hih-lah-dih dorthin gegangen, um Botschaft zu tragen von Goldhaar an junges Blaßgesichtmädchen; treffen es im Wald an der reinen Quelle, wo Hih-lah-dih geboren worden. Dort junges Blaßgesichtmädchen füllen Krug für Vater und alten Vatervater in der Höhle. Junges Mädchen gut, sehr gut. Aber,« fügte die Sprecherin leiser hinzu, »zu schön, zu weiß, alles schön an jungem Mädchen, auch Name sehr schön, denn heißen, was in roten Mannes Zunge sein lieblich, in englisch Zunge Lovely.«

Und das arme Kind legte die Hand auf den Busen, um einen schweren Seufzer zurückzudrängen, und eilte, ihre Verlegenheit zu verbergen, der Stelle zu, wo das leichte Rindenkanoe halb auf dem Ufer lag. Sie schob es ins Wasser, trat hinein und lenkte den Nachen ebenfalls dem Ausgange der Bucht zu.

Vielleicht um sich von einer quälenden Erinnerung loszureißen, erhob sie hierauf ihre Stimme und rief, ohne rückwärts zu blicken, der Weißen zu:

»Will meine Schwester wettrudern mit Hih-lah-dih, zu sehen, ob Schwanenboot schneller geht als Rindenkanoe?«

Als sie keine Antwort erhielt, schaute sie sich um und bemerkte mit Schrecken, daß ihre Begleiterin das Ruder hatte fallen lassen und wie ohnmächtig auf den Sitz im Stern der Gondel niedergesunken war, das erblaßte Antlitz mit den Händen bedeckend.

Wir hatten bereits an zwei Stellen dieser unserer Geschichte Gelegenheit, die rätselhafte Wirkung zu beobachten, welche manchmal der Schall eines Namens hervorzubringen vermag. Man erinnere sich der nächtlichen Szene, deren Zeugin Kordelia in der Ruine auf Rhode-Island gewesen, sowie der Bewegung, welche der Kapitän Standish bei einem gewissen Wort in dem Bericht des alten Blackstone an Eaton verraten hatte. Zu beiden Malen hatte der Name Desdemona wahrhaft elektrisch gewirkt.

Auch andern Namen schien eine solche geheimnisvolle Macht innezuwohnen. Denn kaum war das Wort Lovely den Lippen Hih-lah-dihs entflohen, so schrak die Führerin der Schwanenbarke heftig zusammen, das Ruder entsank ihr, sie warf sich auf die Bank nieder und verhüllte ihr Gesicht, aus welchem alles Blut gewaltsam zum Herzen zurückströmte, mit den Händen.

»Lovely! Lovely! Wäre es möglich?« flüsterte sie tonlos in sich hinein.

Im Augenblick war das Kanoe Hih-lah-dihs an der Seite der Gondel.

»Was fehlen meiner Schwester?« fragte die Indianerin mit besorgter Hast und legte ihr die Hand auf die Schulter.

Die Weiße raffte sich zusammen und sagte aufstehend: »Es ist nichts – ein augenblicklicher Schwindel befiel mich – er ist vorüber.«

Allein das Beben ihrer Stimme bezeugte ein tiefes Ergriffensein, und sie gab demselben nach, indem sie die Hand der Indianerin ergriff und hastig fragte:

»Lovely, sagtest du? Wirklich Lovely? Besinne dich, Mädchen! War der Name Lovely?«

»Lovely der Name des jungen Blaßgesichtmädchens sein, ja. Hih-lah-dih ihn gut behalten. Junges Blaßgesichtmädchen bei der Quelle im Wald sagen, daß es heißen Lovely.«

»Weiter, weiter!« rief die Weiße mit krampfhafter Spannung. »War dies der ganze Name?«

»Junges Blaßgesichtmädchen haben langen Namen, viel langen, längeren als größter Krieger; langen Namen Hih-lah-dih sagen, aber Hih-lah-dih wissen nur Anfang.«

»Und – und,« sagte die Weiße wieder, sichtbar mit einer außerordentlichen Bewegung kämpfend, »das Mädchen hatte blaue Augen?«

»Blau wie Veilchen, wenn Schnee vergangen.«

»Und die Haare? Die Haare?«

»Braun und glänzend wie das Fell der Antilope im Winter und weich wie das Gefieder des Eisvogels.«

»Das trifft zu, das trifft zu. – Und sprachst du nicht von einem Vater und Großvater des Mädchens?«

»Hih-lah-dih sprechen von jungen Blaßgesichtmädchens Vater und Vatervater, die in der Höhle im Walde bei Swanzey verborgen waren.«

»Im Walde bei Swanzey? In der Höhle?« fragte die Weiße mechanisch.

»Ja, in der Höhle,« erwiderte die Indianerin. »Hih-lah-dih denken, die beiden Blaßgesichtkrieger sich verbergen, weil haben jenseits des großen Salzsees den Skalp eines großen Sachems genommen und ihnen die jungen Krieger als Bluträcher auf der Spur.«

»Seltsam, seltsam!« murmelte die Weiße. »Auch das träfe zu. – Mein Gott, mein Gott! – Doch was zaudern wir hier? Sagtest du nicht, Mädchen, du hättest eine Botschaft von Thorkil an das Blaßgesichtmädchen, welches Lovely heißt, besorgt? Thorkil muß also mehr von diesem Geheimnis wissen, als ich erraten kann. Fort, fort, damit wir zur Fregatte kommen!«

So sprechend ergriff sie das Ruder, senkt es mit Energie ins Wasser und machte die leichte Barke pfeilschnell aus der Bai in die offene See hinausschießen, wo sie die Spitze des Fahrzeugs südwärts kehrte, daß es am Ufer hinabzufliegen begann. Das Kanoe der Indianerin folgte, hielt bald gleichen Schritt mit der Gondel, und da war es schön anzusehen, wie die beiden Schönen, in hastiger und doch anmutiger Bewegung wetteifernd, ihre Nachen über die spiegelglatte, von den letzten Strahlen der im fernen Westen hinabsinkenden Sonnenscheibe bepurpurte Meeresfläche hintrieben.


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