Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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9.

... Er sieht vom Uferrand,
Wie lüstern, schwätzig in den Wassern kreisen
Die Mädchen lachend, scherzend, vielgewandt,
Bald spritzend, neckend sich in tollen Weisen,
Wettschwimmend bald nach einem Ziel am Strand;
Bald tauchen sie, bald zeigen sie die Glieder
Nach lang verdecktem Schwimmen glänzend wieder,
Der Reiz der schönen nackten Schwimmerinnen
Rührt wohl des Kriegers Brust, so hart wie Erz.
Er steht und schaut. Noch lachend, froh von Sinnen,
Verfolgen jene Lust und Spiel und Scherz.
Tasso.

Groot Willem kannte das Terrain, auf welchem er sich bewegte, genau und so sehen wir ihn schon am Abend des zweiten Tages, nachdem er mit Standish zusammengetroffen war, in der Umgebung von Montaup angelangt. Er hatte auf den Umstand, daß Hih-lah-dih im Lager ihres Bruders anwesend war, sowie auf das, was ihm der Kapitän in Beziehung auf Ischähkohnih mitgeteilt, einen Plan zur Befreiung der Gefangenen gebaut, welcher ihm freilich erst in sehr allgemeinen Umrissen vorschwebte. Seine Erfahrung mußte ihn lehren, daß er, so wie die Sachen standen, mit äußerster Behutsamkeit zu Werke gehen müßte. Er selbst konnte sich, seit sein Roer beim Fort Tabor unter den Indianern gewütet hatte, von ihrer Seite nur des Schlimmsten versehen, aber wenn er, dessen Herz keine Furcht kannte, davon auch ganz absah, so wußte er doch, daß jeder unbesonnene Versuch nur zum Verderben derer, welchen er Beistand bringen wollte, ausfallen würde. Er machte sich keine Illusion darüber, daß die indianische Moral den Sachem der Wampanogen abhalten könnte, sein dem Kapitän Standish in Bezug auf Thorkil gegebenes Versprechen zu erfüllen, und er zitterte bei dem Gedanken, daß der brüllende Tom, welcher die Zerstörer des lustigen Berges richtig erraten und ihre Spuren bis in die Umgebung von Blackstones Einsiedelei verfolgt hatte, nicht verfehlen würde, den Häuptling zur Beseitigung eines Mannes anzutreiben, welcher wie Metakom durch Annawon unzweifelhaft erfahren hatte, jenem gegenüber nicht mehr die Stellung eines geschätzten Freundes einnahm, sondern die des Trägers einer Rache, welche nach dem Sittengesetze der Weißen und der Roten gleich sehr geheiligt war. Der alte Trapper gestattete jedoch seiner Angst, die wohl eine väterliche genannt werden darf, keinen lähmenden Einfluß auf sein Gemüt. Melancholisches Brüten oder gar ratloses Klagen konnte hier wenig helfen. Man mußte Sinne und Geist straff beisammenhalten auf einem Boden, wo jeder falsche Tritt in einen Abgrund führen konnte.

Willem hielt es für eine glückliche Vorbedeutung, daß der Zufall am Morgen nach seiner Ankunft in der Umgegend von Montaup den Bogen und Köcher in die Nähe seines mit der ganzen Schlauheit eines alten Waldläufers gewählten Versteckes geführt hatte. Er hatte diesen Zufall benutzt, indem er sich mit Erfolg des Losungswortes Hahnih bediente, und seine Kenntnis des indianischen Charakters überzeugte ihn, daß Ischähkohnih nicht heuchelte, als er die Zusage der Mitwirkung bei dem Vorhaben des grauen Bären gab. Worin diese Mitwirkung bestehen sollte, war freilich noch unbestimmt genug. Alles, was der rachedurstige Krieger vorderhand tun konnte, war, daß er den Jäger seines Beistandes versicherte und ihm eine genaue Beschreibung von den Verhältnissen des Lagers entwarf. Eine zweite Zusammenkunft, die bei herannahendem Abend stattgefunden, hatte nicht viel weiter geführt.

Der Ort dieser Zusammenkunft war eine schmale, tiefe Waldschlucht, von Sassafrasstauden und Brombeergestrüppe über und über so umwuchert, daß ihr Dasein selbst indianisch scharfen Blicken leicht entgehen konnte.

In dem engen Raume dieses Schlupfwinkels, welcher dem Licht nur spärlichen Zugang gestattete, saß der Trapper auf einem Steine, sein Roer zwischen den Knien und seinen Hund zwischen den Füßen. Mit seiner Skalplocke an dem Geranke über seinem Haupte anstoßend, stand Ischähkohnih vor ihm, harrend, ob der graue Bär noch etwas zu sagen habe.

Groot Willem war in tiefes Nachdenken versunken, indem er die Tatsachen, welche ihm der Indianer mitgeteilt, sowie die mögliche Benutzung derselben erwog.

Endlich unterbrach der Bogen und Köcher das lange Schweigen, indem er mittels einer leichten Bewegung zu verstehen gab, daß die Zusammenkunft abgebrochen werden müßte.

»Wein Bruder will fort,« sagte der Trapper leise im Dialekt der Pokanoketen. »Ich will ihn nicht aufhalten, aber er wird morgen, bevor die Sonne aufgegangen, noch einmal hierher kommen, mir zu sagen, wie es dann im Lager aussieht. Will er?«

»Ischähkohnih wird kommen.«

»Gut. Ich weiß für jetzt weiter nichts zu sagen – doch halt, eine Frage noch. Kann mir mein Bruder angeben, wo sich zu dieser Zeit Hih-lah-dih befinden mag?«

»Wenn mein Vater an den Fluß und am Ufer desselben hinabgehen will, wird er wohl die Schwester des Sachems treffen. Ischähkohnih sah sie mit den jungen Squaws zum Bade gehen.« »Gut. Mein Bruder vergesse nicht, dem Goldhaar, wenn nur immer möglich, ins Ohr zu raunen, daß Mato am Leben und in seiner Nähe sei.«

»Ischähkohnih wird es nicht vergessen.«

So sprechend schlug der Indianer seinen Büffelmantel um sich und glitt hinweg.

Willem blieb noch einige Minuten regungslos sitzen, dann erhob er sich, bog die Ranken von der Öffnung weg, durch welche der Rote verschwunden, und spähte vorsichtig in den Wald hinaus.

Prinslo steckte den Kopf zwischen den Beinen seines Herrn durch, zog schnüffelnd den Waldgeruch ein und blickte mit einem Ausdruck zu dem Greise auf, als wollte er sagen: Alles sicher.

Willem verließ die Schlucht, sah nach dem Schloß seines Roers, warf das Gewehr schußgerecht in die Ellenbogenhöhlung seines rechten Arms und schritt geräuschlos durch den Forst dahin, unter dessen dunkelgrünem Gewölbe es schon zu dämmern begann, obgleich die Abendsonne noch die Wipfel rötete.

Er war aber nicht weit gegangen, als sein geübtes Ohr einen Ton auffing, welcher ihn stillstehen machte.

Es klang wie das Rauschen eines Flusses, dem sich jedoch ein verworrenes Summen wie von Menschenstimmen beimischte.

Prinslo stutzte, schnobberte und ließ ein leises Knurren hören.

»Still, alter Hund,« sagte der Trapper zu dem Tiere, welches im Begriffe war, vorzuspringen. »Still, hierher! Es werden die Mädchen sein. Bst, mache deiner Erziehung Ehre und muckse nicht. Hinter mich, hinter mich!«

Prinslo befolgte die Weisung und hielt sich hinter seinem Herrn, welcher ruhig weiterging. Er erreichte das dicht umbuschte Ufer eines munteren Flusses, welcher sich in niedrigen Kaskaden durch sein enges steiniges Bett drängte und südwärts der See zueilte.

Willem untersuchte mit den Augen die Umgebung des Wassers und verfolgte dann den Lauf desselben abwärts, indem er acht hatte, so durch das hohe Gebüsch sich durchzuwinden, daß er weder vom Walde her, noch von der Flußseite aus wahrgenommen werden konnte.

Wie er vorschritt, drangen die Laute menschlicher Stimmen, welche er schon vorhin vernommen hatte, deutlicher zu seinen Ohren. Es waren helle, fröhliche Töne, es war jenes anmutige Geräusch, welches die Stimmen lachender Mädchen zu verursachen pflegen.

Nachdem Willem noch ein paar Büchsenschüsse weiter vorgedrungen war, stand er still, griff mit den Händen in die grüne Wand, welche das Wasser verbarg, brachte vorsichtig eine Öffnung zuwege und blickte hindurch.

Eine Szene voll Anmut und malerischen Reizes bot sich seinen Augen dar.

Der Fluß machte hier eine Krümmung nach links hin und breitete sich zu einem weiten Becken aus, in dessen Raum das Wasser, wie ermüdet von den Sprüngen, die es auf seinem bisherigen Laufe gemacht hatte, gleichsam ausruhte. Von drei Seiten umgab undurchdringliches Dickicht dieses Wasserbecken, aber von einer Seite her, von der südwestlichen, hatte die rote Abendsonne Zugang und überströmte den glatten Spiegel mit goldener Glut.

Der Ort wäre schon in seiner gewöhnlichen Waldeinsamkeit reizend gewesen, aber die menschlichen Wesen, welche ihn zu dieser Stunde bevölkerten, machten ihn ohne Zweifel noch reizender.

In dem Wasserbecken tummelte sich eine Gruppe von einem Dutzend und mehr indianischen Mädchen, welche alle in jenem Alter der Jugendfrische und Harmlosigkeit standen, in welchem das Weib ihrer Rasse so lieblich in Gestalt, so graziös in Gebärden und Bewegungen zu sein pflegt.

Die Badenden überließen sich ganz der Fröhlichkeit ihres Alters. Sie teilten schwimmend die ruhige Flut, peitschten sie mit den Händen zu Schaum, überspritzten sich mit Wasserstrahlen, entzogen sich untertauchend der Verfolgung, erhoben sich, faßten sich bei den Schultern, rangen miteinander, verschlangen ihre Arme ineinander, um wassertretend einen Rundtanz zu versuchen, bis eine Mutwillige die Tänzerinnen unter dem Wasser bei den Beinen faßte und sie niederzog, worauf dann alle mit schallendem Gelächter in das lauwarme Element hinabsanken, um, wieder emporschnellend, den reizenden Wechsel ihrer Spiele von neuem zu beginnen.

Es war ein Schauspiel, das bei all dem Verführerischen, welches der Anblick dieser schönen schlanken Gestalten haben mochte, dennoch von einem Dufte der Unschuld und Züchtigkeit überflogen war.

Der alte Trapper betrachtete es, aber keineswegs mit den Blicken und Gefühlen eines Fauns, welcher badende Nymphen belauscht.

»Arme Kinder,« flüsterte er traurig bewegt in sich hinein, »ihr ahnt nicht, daß es mit euren unschuldigen Freuden wohl bald und für immer zu Ende sein wird; ihr ahnt nicht, daß ein schreckliches Los über eurem Volke schwebt, daß sein Untergang beschlossen und besiegelt ist. Ja, nach dem, was ich diesen unseligen Sommer her erlebt habe, weiß ich, daß die rote Rasse der weißen weichen muß. Es kommt die Zeit, und mit raschen Schritten kommt sie, wo die Flußufer dieses Landes nicht mehr vom fröhlichen Gelächter indianischer Mädchen widerhallen werden, wo kein roter Jäger mehr den Bogen in diesen Wäldern spannen wird. Dann wird es hier herum auch aus sein mit dem freien schönen Waldleben. Die Kolonisten werden jeden Winkel von den Jagdgründen der ausgerotteten Eingeborenen in Besitz nehmen, sie werden die Forste niederschlagen, das Wild vertilgen, den Büffel dem fernen Westen zutreiben, den jungfräulichen Boden mit dem Pfluge quälen und da, wo an den Ratsfeuern der Häuptlinge das Kalumet die Runde machte, ihre betrügerischen Kramläden und ihre von Psalmengenäsel gellenden Bethäuser aufschlagen. Dann wird es sehr trübselig aussehen in Neuengland. Und daß ich selber noch mithelfen muß, die wahren und echten Eigentümer dieses Bodens zu vertilgen, das ist bitter, sehr bitter. Hätte wahrlich nie gedacht, daß es dazu kommen könnte. Aber wenn es Menschenkräfte nicht übersteigt, muß der Mord in der Ruine auf der Insel gesühnt, muß der arme Junge befreit werden, und hernach, ja hernach will ich mich aufmachen gen Westen zu, wo es noch Wälder gibt, in welchen die Axt des Ansiedlers nicht klingt.«

Der mit neuer Kraft unter den braunen Wassernixen losbrechende fröhliche Tumult zog den Greis von seinen düsteren Betrachtungen ab.

Eins der Mädchen war ans Ufer geeilt, wo ihre leichten Kleider lagen, und hatte von dort eine mit Luft gefüllte Blase geholt, die es mit der flachen Hand wie einen Ball mitten in das Getümmel der Badenden schlug.

Sogleich entspann sich der anmutigste Wettkampf. Springend, schwimmend, lachend und jubelnd mühten sich alle, die Blase zu haschen, welche bald hoch in der Luft schwebte, bald auf das Wasser niederklatschte, um sogleich wieder aufgegriffen und von einer Hand in die andere geschleudert zu werden. In diesem Augenblicke fiel Willems Auge auf einen Gegenstand, welcher ihn das allerliebste Schauspiel vergessen machte.

Auf der rechten Seite des Wassers, auf der er selber sich befand, sah Willem an der Krümmung des Ufers eine weibliche Gestalt im Grase sitzen, ein Mädchen, welches die Kleider nicht abgelegt hatte und an der lärmenden Unterhaltung seiner Gespielinnen keinen Anteil nahm, sondern, die Hände unter den aufwärts gebogenen Knien gefaltet, bald mit teilnahmlosen Blicken in das gegenüberliegende Waldesdunkel starrte, bald regungslos vor sich nieder sah.

»Es ist Hih-lah-dih, ja wahrhaftig,« sagte der Trapper bei sich. »Ich glaubte schon, Ischähkohnih hätte mich falsch berichtet, aber er hat nicht. Ich muß ihr ein Zeichen geben.«

Er wartete, bis das lustige Getöse, welches die Mädchen im Wasser machten, einen Augenblick stiller wurde. Dann hielt er die Hand vor den Mund und brachte einen Ton hervor, welcher mit täuschender Kunst die Stimme des Whip-poor-will nachahmte, wenn er zu schlagen anheben will.

Man mußte glauben, der genannte Vogel sitze in dem Gezweige einer der Eichen, welche das Ufer beschatteten.

Willem blickte am Wasser hinab, um zu sehen, ob sein Signal von der, welcher es galt, gehört worden sei.

Hih-lah-dih saß unbeweglich.

Der Greis wiederholte das Zeichen etwas lauter.

Das Mädchen hob fast unmerklich den Kopf, ließ ihn aber sogleich wieder sinken.

»Sie hat mich gehört,« dachte Willem. »Wollte, diese lärmenden Kinder wären weit von hier. Aber ich muß Geduld haben.« Die lärmenden Kinder jedoch schienen sich an dem Orte, wo sie sich befanden, so zu behagen, daß sie keine Miene machten, denselben zu räumen. Mit der Beharrlichkeit, womit die indianische Rasse, wie ihre ernsten Angelegenheiten, so auch ihre Ergötzlichkeiten zu betreiben pflegt, lagen die Badenden ihrem Ballspiel ob, welches so lange dauern zu wollen schien, als die Blase aushielt. Zum Glück wurde jetzt dieselbe durch einen ungeschickten Schlag weiter stromabwärts geführt. Das ganze Rudel stürzte ihr nach. Die vorderste haschte die Blase vom Wasser auf, eine andere wollte sie ihr streitig machen, jene aber lief weiter hinab, alle eilten watend und hüpfend hinterdrein, bald war die Verfolgte umringt, sie wollte den Ball nicht loslassen, und da sie keinen andern Ausweg fand, schleuderte sie ihn über die Köpfe der Schar hinweg auf das gegenüberliegende Ufer, wohin sich der ganze Schwarm eilends wandte.

In diesem Augenblick sah der Trapper Hih-lah-dih aufstehen und in das Ufergebüsch hinter ihrem Rücken schlüpfen.

Ihr den Ort zu bezeichnen, wo er stand, brachte er wieder die hohle Hand vor den Mund und ließ abermals den Vogelruf hören.

Das Gebüsch längs des Wassers bewegte sich mit leisem Rascheln. Prinslo stand auf und spitzte die Ohren, duckte sich aber auf einen Wink seines Herrn sogleich wieder.

Die Zweige der Weiden wurden auseinandergebogen, und in der Öffnung erschien Hih-lah-dih.

Der Trapper trat auf sie zu.

Sie aber legte den Zeigefinger der linken Hand auf die Lippen, winkte mit der rechten waldeinwärts und glitt dem alten Jäger lautlos in die Tiefen des Forstes voran.


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