Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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6.

Wie oft sie drängen wollten die Feinde von der Burg
Mit Werfen und mit Schießen, drang Wate doch hindurch
Und nahm im Sturm die Feste. ...
Gudrun, Abenteuer 29.
Das Feld floß vom Blute,
Als der Kampf sich erfüllte:
Doch ging über alles gar,
Was die Giukungen wirkten.
Solange sie lebten, ließen sie
Die Schwerter schwirren,
Die Brünnen schwinden,
Hieben Helme durch
Nach Herzensgelüsten.
Atlamal (Ältere Edda).

Das Spiel, zu welchem die Nipmuken auf der Prärie sich geschart hatten, ist noch in unsern Tagen die aufregendste, mit außerordentlicher Lebhaftigkeit, ja mit Leidenschaft betriebene Unterhaltung der Indianer Nordamerikas. Sie spielen es tagelang ununterbrochen und setzen es sogar die Nacht hindurch bei Fackelschein fort.

Auf dem freien Platze, wohin der Zug der Indianer von ihrem Lager aus gegangen war, sah man zwei aufrecht stehende, etwa fünfundzwanzig Fuß hohe und sechs Fuß voneinander entfernte Stangen, die oben durch eine dritte Stange verbunden waren. Ein ganz gleiches Malzeichen erhob sich dem geschilderten gegenüber in einer Entfernung von etwa fünfzig Ruten. In der Mitte zwischen beiden war eine einzelne Stange errichtet, um den Ort zu bezeichnen, wo der Ball ausgeworfen werden sollte. Die beiden Spielparteien ordneten sich um die erwähnten Malzeichen. Jeder Spieler hielt in jeder seiner Hände einen Stock, dessen kurzer Stiel am Ende zu einem länglichen, mit einem Netz überzogenen Reifen umgebogen war. Die Kunst des Spiels bestand darin, daß der Spieler hochaufspringend den Ball zwischen den Netzen seiner Stöcke auffing und weiter schleuderte, wobei er ihn aber nicht schlagen oder mit den Händen fangen durfte.

Der Truthahn, welcher durch Abschießen eines Pfeils in die Luft das Zeichen zum eigentlichen Beginn des Spieles geben sollte, nahm mit den vier Powows, die mit dem Auswerfen des Balles und mit dem Richteramt beauftragt waren, Platz bei der mittleren Stange und zündete das Kalumet an, welches zwischen ihm und den Medizinmännern etwa eine Viertelstunde lang die Runde machte. Inzwischen führten die Squaws auf dem zwischen den beiden Trupps offen gelassenen Raum einen Tanz auf und stimmten einen Gesang an den großen Geist an. Dann zogen sie sich zurück und stellten sich ganz nahe an dem Tore des Forts in einem dichtgedrängten Haufen auf, scherzend und lachend und zum voraus mit der Geschicklichkeit ihrer Gatten oder Liebhaber gegeneinander großtuend.

Sofort begannen auch die beiden Spielparteien, jede um ihr Malzeichen her, im Kreise zu tanzen, wobei sie die Stöcke heftig über ihren Häuptern zusammenschlugen und einen schreienden Gesang hören ließen, welchen die Powows mit ihren den Tamburins ähnlichen Rasseln begleiteten. Nachdem dies ebenfalls ungefähr eine Viertelstunde lang gewährt, erhob sich Ah-ton-wi-tuck, spannte den Bogen und schoß rückwärts gewandt einen Pfeil hoch über den Köpfen der Schar hinweg in die Prärie hinaus.

Augenblicklich warf einer der Medizinmänner den Ball hoch in die Luft.

Hunderte von Netzstöcken wurden ausgestreckt, um den Ball zu fassen.

Jede Partei strengte alle Kräfte an, den Ball zu fangen und zwischen die Stangen ihres Malzeichens zu werfen.

Gelang dies, so zählte es für sie eins, und es trat eine Pause ein.

Dann wurde der Ball wieder in die Luft geworfen, und so sollte das Spiel fortgehen, bis es der einen oder andern Partei gelungen wäre, den Ball hundertmal in ihr Malzeichen zu werfen.

Der Kampf zwischen den beiden Parteien, ein Kampf, wobei alles lief, sprang, sich tummelte, einander drängte und stieß und jeder mit Aufbietung aller Kraft seiner Lunge schrie und fistulierte, bot ein höchst belebtes Schauspiel dar, und das Durcheinanderwimmeln von Hunderten schlanker Gestalten, die in unermüdlicher Beweglichkeit die mannigfaltigsten Gruppen bildeten, war voll malerischen Reizes.

Hüben und drüben wurde mit der gleichen Geschicklichkeit und Hartnäckigkeit gespielt, und die Szene war vollauf geeignet, die Aufmerksamkeit der Zuschauer vollständig zu fesseln.

»Nun, wie gefällt's Euch, Mann?« rief der Major in rosenfarbener Laune dem alten Jäger auf der Warte zu. »Die Kerle haben eine pompöse Gelenkigkeit, das muß man sagen – Passateremtetem!«

»Ich habe das Spiel schon hundertmal gesehen, Major,« entgegnete Groot Willem, »und wenn's Spiel bleibt, so hab' ich gar nichts dawider einzuwenden. Die Rothäute haben eine merkwürdige Gabe dafür, und es sieht sich ganz hübsch an.«

»Ja, beim Bart des Propheten, ganz hübsch, und will ich deshalb zum Schluß den Kerlen eine Gallone Feuerwasser, wie sie's nennen, zum Besten geben, so will ich, und will ihnen zeigen, wie man das Ding braut, was die Seeleute einen steifen Grog nennen. Amüsieren uns die Burschen, so wollen wir sie wieder amüsieren, damit sie nicht sagen können, die Hände der Blaßgesichter seien zugeleimt.«

Die kurze Pause, welche Moseley benutzt hatte, um seinem Wohlgefallen an dem Schauspiel Luft zu machen, war vorüber, und das Spiel begann von neuem.

Bis jetzt hatte keine der beiden Parteien einen wesentlichen Vorteil über die andere erlangt; nun aber gelang es der einen, den Ball fünfmal hintereinander in ihr Malzeichen zu werfen und dadurch den Gegnern einen Vorsprung abzugewinnen. Die letzteren verdoppelten daher ihre Anstrengungen, um den Nachteil wieder auszugleichen, und das Spiel nahm einen immer aufgeregteren Charakter an. Die Augen der Spieler funkeln, die Muskeln ihrer Arme und Beine schwellen an, ihre Wangen bedecken sich mit dunklerem Rot, ihr ganzes Wesen entzündet sich. Der Ball schwebt einen Moment in der Luft, alle drängen sich mit heftigem und jubelndem Geschrei heran, ihn zu ergattern, die Schnellfüßigsten rennen voran, treiben den Ball geradeaus, senden ihn seitwärts, es waltet in dem Gewirre eine unablässige leidenschaftliche Tätigkeit, welche durch die je nach den Umständen ertönenden Triumphschreie oder Hohnrufe der Squaws noch mehr befeuert wird.

Nur ein Mann behauptet in dem tobenden Gewirre seine kalte Haltung, der Truthahn, welcher sich erhoben hat und seine Blicke unbeweglich auf dem Fort haften läßt.

Der alte Trapper seinerseits kann sich der steigenden Teilnahme, welche das Spiel in allen Zuschauern erregt, nicht völlig entschlagen. Indem er aber zufällig seinen Platz verändert, fällt sein Blick rückwärts auf das Fort, und er sieht aus den beiden Blockhäusern an der dem Fluß zugekehrten Fronte plötzlich zwei schwarze Rauchsäulen emporsteigen.

Eine instinktmäßige Ahnung von dem, was kommen würde, durchblitzt ihn.

In diesem Augenblicke stiegt, der Ball, einen weiten Bogen in der Luft beschreibend, aus dem Kreise der Spieler hervor und rollt gegen die offene Pforte hin.

Ah-ton-wi-tuck springt einige Schritte vorwärts, erhebt zielend seinen Bogen, der Pfeil schwirrt von der Sehne und zittert im nächsten Moment in der Brust des Majors.

Der ganze Schwarm der Spieler stürzt dem Balle nach, wie um denselben zurückzuholen, aber indem sie an den Squaws vorübereilen, reichen ihnen diese Tomahawks dar, welche sie unter ihren Tuniken verborgen hatten, und diese Waffen emporschwingend fallen die Wilden in das von dem Häuptling angestimmte Kriegsgeschrei ein und stürmen auf das offene Tor los.

»Feuer im Fort!« brüllt die Stimme Groot Willems von der Warte herab.

»Passateremte ...« schreit der unglückliche Major auf, aber sein Lieblingsfluch verschwebt unvollendet auf seiner Lippe, und mit durchbohrtem Herzen schlägt der sorglose Kriegsmann auf sein Angesicht nieder.

Wie ein Falke auf seine Beute schießt der Truthahn auf ihn los. Das Skalpiermesser blitzt in der Hand des Wilden, in einem Nu hat er dem Verröchelnden die Perücke abgerissen, mit einem Kreisschnitt die Hirnhaut gelöst und die blutige Trophäe gewonnen.

Er schwingt in der einen Hand den falschen, in der andern den wahren Skalp des Ermordeten hoch empor.

Aber der Triumphschrei, welchen er ausstoßen will, kommt nicht über seine Lippen, denn eine Kugel aus Willems Roer zerschmettert ihm das Gehirn.

Wie ein Echo folgt dem Knall des Roers das Krachen von Thorkils Büchse, deren Kugel den Indianer, welcher dem Tor am nächsten ist, niederwirft.

»Herein mit euch, Männer, und werft die Pforte zu, wenn euch euer Leben lieb ist!« ruft der Trapper den vor Schreck erstarrten Weißen zu.

Aber seine Mahnung verhallt in dem furchtbaren Tumult.

Einen Augenblick stutzen die Wilden beim Fall ihres Häuptlings, aber jetzt erschallt aus dem Innern des Forts das Kriegsgeheul der Wampanogen, und von den brennenden Blockhäusern her stürmt eine Bande in der Kriegsmalerei des genannten Stammes mit rasendem Geschrei gegen das Tor an, allen voraus der grimmige Annawon, welcher seinen listigen Anschlag, das verlassene Fort während des Spiels von der Fußseite her zu ersteigen, so glücklich ausgeführt und das Feuer angelegt hatte. »Ha, du bist's, Höllenhund?« schreit der Trapper und schlägt die wiedergeladene Büchse auf Annawon an.

Aber schon ist dieser in dem chaotischen Menschenknäuel verschwunden, welcher sich um die Pforte her gebildet hat.

Eine Szene wildester, unbeschreiblicher Verwirrung beginnt.

Das Feuer verbreitet sich mit reißender Schnelligkeit.

In das Geheul der Wilden, welche mit Tomahawk und Messer unter den wehrlosen Frauen und Kindern der Blaßgesichter wüten, in die Todesschreie der Schlachtopfer, in das Geprassel des Brandes mischt sich das Brüllen des Viehes, dessen Schuppen von den Flammen ergriffen worden ist.

»Thorkil, hab acht auf Lovely!« ruft Willem aus. »Wir müssen hinaus. Voran, Kapitän!«

De Lussan stürzt sich mit gezogenem Säbel die Leiter hinunter, ihm nach der alte Jäger und diesem Thorkil, seine Braut mit dem linken Arm umfassend, mit der Rechten die Büchse zum Kolbenkampf umklammernd.

Groot Willem jagt die Ladung seines Roers dem nächsten Indianer, der ihm vorkommt, in den Leib, kehrt dann die schwere Waffe um, schmettert einen zweiten mit einem Kolbenschlag nieder und wirft sich mit der ganzen Wucht seines riesenhaften Leibes auf den Knäuel der Wampanogen, welche von innen das Tor sperren.

Ihm zur Seite läßt De Lussan seine Damaszenerklinge blitzen, und wo sie hinfährt, stürzt ein Feind zu Boden. Sein Auge sprüht Flammen, seine Gestalt reckt sich in die Höhe, und er ist herrlich anzusehen in seiner todverachtenden Kühnheit.

Vor dem wütenden Ansturm der beiden Kämpfer stieben die Wilden auseinander. Der Platz vor dem Tore wird frei, aber schon im nächsten Augenblicke verstopft der Schwall von weißen Männern und Frauen, welche von den Nipmuken draußen hereingedrängt werden, die Öffnung wieder.

»Steht fest, ihr Männer!« herrscht der Flibustier den Milizen zu. »Sammelt euch um mich! Kämpft mit Fausten und Zähnen!«

Seine Löwenstimme, seine imponierende, Gebärde beherrscht für einen Moment den Tumult. Einige der Männer haben ihre Messer zur Hand, andere raffen die Tomahawks der erschlagenen Wilden vom Boden auf, sie scharen sich, bilden eine Phalanx um die Frauen her, in deren Mitte Thorkil seine Verlobte läßt, um sich mit seinen beiden Freunden an die Spitze des Haufens zu stellen.

»Wir müssen den Durchbruch nach der Prärie versuchen,« ruft Groot Willem aus, »denn das Feuer kommt uns auf den Nacken. Ha, es hat dort hinten den Pulverraum erfaßt!«

Ein entsetzliches Gekrach und Geprassel bestätigt seine Worte.

Eine ungeheure Flammengarbe wirbelt in die Luft und überschüttet die verzweiflungsvolle Gruppe mit einem Funkenregen.

»Haltet zusammen wie die Stränge eines Ankertaues!« donnerte De Lussan. »Vorwärts! Hussa, Glorie und Desdemona!«

Der Ausfall gelingt. Vor Willems und Thorkils Kolbenschlagen, vor De Lussans Schwertstreichen prallen draußen die Nipmuken zurück.

Die drei Männer scheinen gefeit und schreiten, des sie von allen Seiten umschwirrenden Pfeilhagels ungeachtet, vorwärts, jeden Feind, der sich in den Bereich ihrer Waffen wagt, niederstreckend.

So gelangen sie auf die Prärie.

Aber die Wampanogen heften sich an die Fersen der kleinen Schar.

Man hört in gellenden Tönen Annawon das Kriegsgeschrei seines Stammes wieder erheben, und das Geheul der Nipmuken gibt ihm Antwort.

Eine doppelte und dreifache Kette von roten Kriegern bildet sich um das Häuflein der Weißen her.

Bei jedem Schritt, welchen diese vorwärts tun, verengt sich die Kette mehr und mehr, den Ringen der Riesenschlange gleich, die stärker und stärker das von ihr umschlungene Opfer zusammenpreßt.

Ein Schauer von Pfeilen und Wurfspeeren bricht auf die Unglücklichen ein.

Das Gebrüll der Indianer steigert sich zur Raserei, sie stürmen, drücken und pressen allüberall heran.

Noch sieht man eine kleine Weile den Säbel des Flibustiers über dem schrecklichen Gewühle blitzen und die Büchsenkolben Willems und Thorkils im Schwünge kreisen – dann quillt und brodelt alles in einen wilden, wüsten Wirbel zusammen, und das Siegesgeschrei der Wilden erschüttert die Lüfte.


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