Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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5.

Kein Staat in der Welt kann sich einer so rein moralischen Basis rühmen als diejenigen Staaten der nordamerikanischen Union, welche unter dem gemeinsamen Namen von Neuengland begriffen werden. Ruhmsucht, Herrschbegierde und der edle Drang nach Unabhängigkeit haben Reiche gestiftet, Ehrgeiz und Gelddurst neue Regionen entdeckt; aber keins dieser Motive hatte Anteil an dem Entschluß des Häufleins heldenmütiger Männer, die das Vaterland mit der Wildnis vertauschten, um dem Herrn einen Tempel zu bauen. Eng verwoben, wie in ihrer Überzeugung das Diesseits und Jenseits des Christen, ward dieser Tempel zugleich auch die Grundfeste ihres bürgerlichen Daseins.

Talvj.

In keinem Lande, nicht einmal Deutschland oder Schweden ausgenommen, war die Reformation von so positiven und bedeutsamen politischen Folgen begleitet wie in England, wo die religiösen Zerwürfnisse zu einer staatlichen Revolution führten, welche, nachdem sie eine lange Reihe von Jahren hindurch das Land mit Bürgerkrieg erfüllt, König Karl I. Thron und Leben genommen, unter dem Protektorate des gewaltigen Cromwell den Grund zur weltbeherrschenden Größe Großbritanniens gelegt hatte, scheinbar durch die Restauration Karls II. beschlossen wurde, aber nur, um unter seines Nachfolgers, des starrköpfigen zweiten Jakob tyrannischer Regierung mit ungeschwächter Kraft, jedoch größrer Milde wieder aufzuleben, und mit der Vertreibung der verblendeten Stuarts, mit der Thronbesteigung Wilhelms des Oraniers und mit der Festbegründung der englischen Verfassung zu endigen im Jahre 1689. Es ist nicht unsre Aufgabe oder Absicht, den Verlauf dieses großen Kampfes hier des nähern zu beleuchten. Allein wir dürfen, um dem in den Einzelheiten der Geschichte Englands und Amerikas weniger bewanderten Leser das Verständnis der vorliegenden Erzählung zu erleichtern, nicht unterlassen, wenigstens eine rapide Skizze der geschichtlichen Ereignisse zu entwerfen, welche England vom Beginn des sechzehnten Jahrhunderts an bis weit in das siebzehnte hinein bewegten.

Wie bekannt, regten sich in England schon früh reformistische Bestrebungen, unter denen die Wikliffes (im vierzehnten Jahrhundert) voranstehen. Zu einem wirklichen Bruche mit der römischen Kirche und der päpstlichen Autorität kam es jedoch erst unter König Heinrich VIII., und man muß ohne Umschweife gestehen, daß dieser Bruch zunächst auf den unlautersten Motiven beruhte. Heinrich VIII. war ohne Frage einer der gewalttätigsten und grausamsten Menschen, welche je einen Thron verunziert haben. Seine lange Regierung (1509-1547) war nur eine ununterbrochene Kette von Torheiten, Willkürlichkeiten und groben Verbrechen. Jederzeit seine persönlichen Launen und Grillen zur Basis seiner Politik machend, trat er anfangs gegen die auch in England vielfach verbreiteten lutherischen Ansichten ebenso leidenschaftlich auf, als er später das Papsttum befehdete. Die Veranlassung zu letzterem war eine rein persönliche. Der König wollte seine Geliebte, Anna Boleyn, heiraten und verlangte zu diesem Zwecke, daß der Papst seine Ehe mit Katharina von Aragonien, welche ihm mehrere Kinder geboren hatte, für ungültig erklären und trennen sollte. Die Kurie verweigerte dem Könige, welcher nachmals verschiedene Frauen heiratete, um dieselben meist auf die nichtigsten Vorwände hin hinrichten zu lassen, in dieser unehrlichen Sache ihren Beistand. Hierüber erbost, beschloß Heinrich, sich und sein Reich der geistlichen Oberhoheit des Papstes zu entziehen. Durchaus selbstisch und überzeugungslos in ihrer Idee, war demnach die Reformation in England, wie der König sie betrieb, in ihrer Ausführung ebenso oberflächlich als gewalttätig. Von dem Enthusiasmus der Überzeugung, welcher anderwärts die Geister gegen Rom in den Kampf trieb, konnte natürlich bei dem herzlosen Wollüstling keine Rede sein. Seine Reformation bestand daher auch nur darin, daß er den Supremat des Papstes auf sich selber übertrug, die reichen geistlichen Güter und Stiftungen einzog, die Abteien unwürdigen Günstlingen verlieh und die Liturgie einer nicht sehr wesentlichen Änderung unterwarf. Der Episkopat, die hierarchische Verfassung, welche der römischen Kirche so viele und leider oft begründete Vorwürfe zugezogen, blieben auch in der anglikanischen, um eine reichliche Quelle der Sektiererei zu werden, weil redlichere und entschlossenere Geister ihre religiösen Ansichten und Bedürfnisse nicht nach den willkürlichen Satzungen des Königs regeln wollten. Unter dem Nachfolger desselben, Eduard VI., wurde die Dogmatik und Liturgie der anglikanischen Kirche in entschiedener protestantischem Sinne, als bisher der Fall gewesen, ausgebaut und festgestellt. Der junge König war reformatorischen Grundsätzen eifrig ergeben. Unter seiner Regierung wurde das berühmte, nachher nur unwesentlich modifizierte »Allgemeine Gebetbuch« ( Common Prayer Book) publiziert, dessen Inhalt im anglikanischen Gottesdienste noch heutzutage die größte Rolle spielt. Die Gebete dieses Buches sind wirklich meist schön, einfach und würdig, allein sie erregten unter den strenger protestantisch Gesinnten, welche von Genf her, dem Hauptsitze des Calvinismus, ihre Anregungen empfingen, schon darum Widerwillen, weil sie, wie die ganze anglikanische Liturgie, ihnen mit Gewalt aufgezwungen wurden. Gewalt war und blieb überhaupt das vornehmste, fast einzige Überzeugungsmittel der englischen Episkopalkirche. Aber sie selber sollte die Bitterkeit dieses Mittels schmecken, als Maria, Heinrichs VIII. ältere Tochter ihrem Bruder Eduard auf dem Throne folgte (1553). Schon als Tochter der verstoßenen Katharina war Maria feindselig gegen den Protestantismus gesinnt und zögerte nicht, ihren Katholizismus dem Lande ganz in der Manier aufzuzwingen, in welcher ihm ihr Vater seinen Protestantismus aufgezwungen hatte. Sie verfuhr bei dem Versuche, den alten Glauben wiederherzustellen, mit einer Grausamkeit, welche es vollständig rechtfertigt, daß man ihr den verhaßten Namen der »blutigen« Maria beigelegt hat.

Vor den Flammen der allwärts entzündeten Scheiterhaufen entwichen viele Protestanten, denen ein günstiges Geschick die Flucht noch ermöglichte, nach dem Kontinent. Protestantische Städte, wie Frankfurt, Basel, Straßburg, Zürich, Genf, nahmen diese Flüchtlinge gastfreundlich auf. In Frankfurt am Main, wohin sie in größter Anzahl gekommen, bildeten sie eine Gemeinde, deren Verfassung und Kultus sich möglichst der Einfachheit der ersten Zeiten des Christentums näherten. Der Gottesdienst wurde mit einem allgemeinen Sündenbekenntnis begonnen, dann sang die Gemeinde einen Psalm, hierauf folgte die Predigt des Geistlichen, welcher das Vaterunser und die Verlesung der Glaubensartikel sich anschlossen. Endlich sang die Gemeinde wieder einen Psalm, und der an die Mitglieder derselben gespendete Segen des Predigers beschloß das Ganze.

In diesem von dem zeremoniösern Gottesdienste der anglikanischen Kirche, bei welchem der Geistliche in priesterlichen Gewändern fungierte, abweichenden Kultus der Frankfurter englischen Gemeinde haben wir den Ursprung jener englisch-protestantischen Sekte zu suchen, welche unter dem Namen der Puritaner so berühmt geworden ist.

Inzwischen ließ sich daheim in England alles zu einer Veränderung an, welche den Puritanismus bald nachher zu einer verhängnisvollen Rolle auf der Bühne der Weltgeschichte berief.

Als die blutige Maria im Jahre 1558 gestorben war, zeigte es sich deutlich, daß sie mit ihrem blindwütenden Fanatismus gerade das Gegenteil von dem, was sie gewollt, erreicht hatte. Mit Klugheit und Milde wäre vielleicht der Katholizismus in England wiederherzustellen gewesen, der maßlose Eifer seiner Verteidigerin hatte ihm nur neue Feinde geworben. Kaum war Marias Halbschwester Elisabeth, die Tochter Heinrichs VIII. von der hingerichteten Anna Boleyn, zur Regierung gelangt, so erhob der unterdrückte Protestantismus wieder kühn das Haupt. Die neue Königin hielt es mit ihm, nicht aus Überzeugung, denn sie war innerlichst dem Katholizismus zugetan und liebte dessen Pracht und Formen, wohl aber aus Politik. Ihr Anrecht an den Thron war ein nicht unbestrittenes; sie erkannte, daß sie dasselbe nur mit Hilfe der öffentlichen Meinung, welche sich vorwiegend dem Protestantismus zuneigte, zu behaupten vermöchte. Erbin jedoch des hartnäckigen, tyrannischen Sinnes ihres Vaters und in höchstem Grade für die Machtvollkommenheit ihrer Krone und des damit verbundenen kirchlichen Supremats eingenommen, war Elisabeth keineswegs geneigt, die Konsequenzen der protestantischen Lehre irgendwie zuzulassen. Sie war demnach Protestantin bloß so weit, als es ihrem politischen Vorteil entsprach. Sie verfolgte die Katholiken hauptsächlich deshalb, weil sie ihr den Supremat streitig machten und dadurch ihre königlichen Prärogative zu schmälern drohten; sie verfolgte aber zugleich auch die Anhänger der strengeren Protestantischen Lehre, die Kalvinisten, die Puritaner, und zwar verfolgte sie diese mit bitterstem Hasse und rücksichtslosester Härte, weil sie mit Grund befürchtete, aus dem religiösen Puritanismus würde sich, falls er geduldet würde, mit Notwendigkeit auch ein politischer entwickeln. Sie verabscheute insbesondre die sogenannte Prophetenfreiheit, das heißt, die Freiheit der Kanzelvorträge, nach welcher die puritanischen Prediger trachteten. Diese Kanzelfreiheit war in der Tat damals das, was jetzt die Preßfreiheit ist, und schon fingen die Geistlichen der Puritaner an, als Volkstribunen aufzutreten.

Während der Regierung Elisabeths gingen die beiden großen kirchlichen Parteien Englands, die Episkopalen (Bischöflichen) und die Kalvanisten allmählich immer weiter und feindseliger auseinander. Beide stimmen zwar darin überein, daß die Bibel die vollkommenste Richtschnur des Glaubens sei, außerdem aber folgten sie entgegengesetzten Meinungen. Die Bischöflichen ließen die Kirche Roms als eine wirkliche christliche Kirche gelten, die Puritaner dagegen erklärten folgerichtig den Papst geradezu für den Antichrist und alle Gemeinschaft mit ihm und seinen Anhängern für sündhaft und götzendienerisch. Die Bischöflichen lehrten, daß solche Dinge, welche an sich gleichgültig und in der heiligen Schrift weder geboten noch verboten seien, wie kirchliche Zeremonien, Priesterkleider u. dgl. m., durch die bürgerliche Obrigkeit eingeführt werden dürften; die Puritaner ihrerseits behaupteten, daß durch Menschensatzungen das nicht für notwendig ausgegeben werden dürfte, was Christus für gleichgültig erachtet oder gar verworfen habe, und ferner, alle Zeremonien, welche unschriftgemäß seien, müßten als sündhaft angesehen und aufgegeben werden. Hierzu kam noch, daß beide Parteien das wirkliche Leben von ganz verschiedenen Standpunkten betrachteten. Der Bischöfliche war und blieb ein echter Sohn des lustigen Altengland ( merry Old-England), ein Freund und Pfleger geselligen Vergnügens, lustiger Aufzüge und muntrer Volksfeste, ein Liebhaber von bunten Farben, von Ale und Sekt, Tanz und Rundgesang; der Puritaner dagegen war ein finster blickender Gesell, der aus dem alten Testament, seinem Lieblingsbuch, seine Anschauungen und seine Sprachweise schöpfte, in einer jüdisch nüchternen und tristen Auffassung des Menschenlebens sich gefiel, geselliger Heiterkeit mürrisch auswich, theatralische und ähnliche Belustigungen für Fallstricke des Satans ansah, seine Seele mit düsterer Schwärmerei erfüllte und seinen Leib in die Farbe der Trauer kleidete. Schon die Art, sein Haar glatt am Kopfe zu scheren, so daß die Ohren lang und unschön hervorstanden und der Spitzname Rundkopf, welchen ihm die Gegner gaben, nicht ungerechtfertigt war, unterschied den Puritaner auffällig genug von dem Anhänger der bischöflichen Staatskirche, welcher es liebte, sein Haar in langen Locken auf die Schultern niederfallen zu lassen.

Bedürfte die traurige Wahrheit, daß gerade das Unwesentliche und Einfältige den heftigsten Hader unter den Menschen zu entzünden pflegt, überhaupt noch eines Beweises, so würde der Punkt der englischen Reformationsgeschichte, bei welchem wir jetzt angelangt sind, diesen Beweis liefern.

Die Puritaner hatten einer Vereinigung mit der Episkopalkirche viele Jahre lang entschieden sich geweigert. Endlich ließen sie sich doch herbei, den Supremat der Königin anzuerkennen und das Glaubensbekenntnis der Bischöflichen zu unterschreiben. Aber Äußerlichkeiten, das heißt, die Bestimmungen über die Gebräuche des Kultus, hintertrieben eine vollständige und feste Einigung. Die Konformität oder Gleichförmigkeit des Gottesdienstes im ganzen Königreiche ward von der Königin befohlen, damit nicht, wie es in einer Akte des Jahres 1564 heißt, »in einigen Kirchen der Kommuniontisch im Schiffe, in andern an der Mauer im Chore stehe, damit er nicht in diesen mit einem Teppich versehen, in jenen ohne Teppich sei; damit nicht einige Prediger Chorhemd und Barett, andre bloß das Chorhemd, wieder andre auch dieses nicht tragen; damit nicht hier das Abendmahl sitzend, dort kniend, wieder anderswo stehend empfange werde.« Aus dem Streit über diese und andre dergleichen hochwichtige Dinge entwickelte sich das große Schisma in der protestantischen Kirche Englands immer unheilbarer und bedrohlicher. Der Konformitätszwang rief die ganze Kraft ihres Glaubenseifers in den Puritanern wach. Diese Kraft begann sich sofort als unbesieglich zu erweisen, wenn auch vorerst nur im Dulden. Die hochfahrende Handlungsweise der Königin, die Intoleranz der servilen und eigensüchtigen Bischöfe führten die Trennung der Sektierer von der Staatskirche herbei. Die puritanischen Kirchen wurden geschlossen, die puritanischen Prediger verjagt. Allein die standhaften Gläubigen versammelten sich auf Heiden, in Wäldern und Privathäusern, um unter den allereinfachsten Formen sich zu erbauen. Einkerkerung, Pranger, Verbannung wurden vergebens gegen sie in Anwendung gebracht; die Verfolgung vermehrte nur ihre Zahl und erhöhte ihre Beharrlichkeit. Königin Elisabeth hatte übrigens richtig gesehen, wenn sie hinter der religiösen Opposition der Puritaner auch eine politische erblickte. Aber indem sie um dieser willen jene nur um so schärfer verfolgte, vergaß sie, daß fortgesetzter Druck zuletzt immer einen Gegendruck hervorruft. Wirklich bildete sich denn auch unter den Verfolgten während der letzten Dezennien des sechzehnten Jahrhunderts eine Fraktion, welche ihre reformistischen Forderungen nicht mehr auf die Kirche einschränkte, sondern auch auf das Gebiet des Staates ausdehnte. Das waren die Separatisten, welche die bischöfliche Kirche Englands als ein Institut der Abgötterei verabscheuten und mit derselben zugleich auch den Staat niederreißen wollten, um ihn nach ihren eignen biblisch-demokratischen Grundsätzen wieder aufzubauen. Diese Sektierer waren der Kern des Puritanismus und bestimmt, im folgenden Jahrhundert unter dem Namen der Independenten ihren König zu besiegen, zu richten, zu verurteilen.

Im Jahre 1603 führte der Tod Elisabeths den Sohn der unglücklichen Maria Stuart, Jakob I., auf den Thron von Großbritannien. Wenn aber die Puritaner sich der Hoffnung überlassen hatten, unter dem neuen Könige, welcher in dem streng kalvinistisch gesinnten Schottland erzogen worden, größere Duldung zu erfahren, so sahen sie sich bald bitterlich getäuscht. Jakob war in eben dem Grade für seine königlichen Prärogative eingenommen, als er dieselben von den unwürdigsten Günstlingen mißbrauchen ließ. Er machte demnach mit der bischöflichen Kirche und Partei gemeinschaftliche Sache und unterdrückte die Nichtkonformisten, das heißt die Gegner der Konformitätsakte, die Puritaner, ebenso streng, wo nicht strenger, als seine Vorgängerin es getan.

Das Fehlschlagen ihrer Hoffnungen, die Erneuerung der Verfolgung scheint in den Unterdrückten zuerst den Gedanken angeregt zu haben, fern überm Meer ein Asyl für ihren Glauben zu suchen. Sie wollten, wie sie sich in ihrer biblischen Sprachweise ausdrückten, aus dem »Gosen der Knechtschaft«, wozu die Heimat ihnen geworden, ausziehen, um das »Kanaan der Befreiung« zu erreichen. Die Wanderungen der Pilgrime begannen, denn Pilger nannten sich, mit einem ihrer Geschichtschreiber zu sprechen, die strengen, frommen Männer, die ersten Ansiedler Neuenglands, welche den Wanderstab ergriffen, das Land der Verheißung aufzusuchen, wo ihnen vergönnt sein sollte, ihren Gott in Formen zu verehren, wie sie allein ihrem asketischen, allen sinnlichen Schmuck verschmähenden Sinne gemäß waren. Die Auswanderung der Puritaner schlug jedoch nicht den direkten Weg ein. Eine Anzahl von Separatisten hatte sich im Jahre 1602 im Norden von England zu einer Gemeinde zusammengetan und einen feierlichen Glaubensbund (Konvenant) geschlossen. An dem Prediger John Robinson hatte die Gemeinde einen trefflichen Führer und Berater gefunden. Männer von Rang, Vermögen und Bildung schlossen sich hier an. Als der weltliche und geistliche Druck immer unerträglicher wurde, wanderte die Gemeinde 1608 nach Besiegung von mancherlei Plackereien und Gefahren nach Holland aus, wo sie sich in der Stadt Leyden niederließ. Hier lebten die Ausgewanderten elf Jahre, während welcher sie ihre kirchliche Verfassung vollständig ausbildeten. Die Bestimmungen derselben sind von Interesse und haben nachmals auf die Entwicklung der Kolonien von Neuengland großen Einfluß geübt. Vorbild war die primitive Kirche der apostolischen Zeit. Dem Eintritt in die Gemeinde mußte ein öffentliches Glaubensbekenntnis des Eintretenden und die Prüfung desselben durch die Gemeinde vorangehen. Jede Gemeinde ist eine unabhängige Körperschaft und wählt ihre Kirchenbeamten selbst. Diese bestehen aus dem Prediger und dem »lehrenden Ältesten«; ferner aus dem »lenkenden Ältesten«, welcher den weltlichen Teil der Kirchenangelegenheiten zu besorgen hat; drittens aus Diakonen, das heißt aus Laien, welche das Vermögen der Kirche zu verwalten, für die Armen zu sorgen und für des Pastors Unterhalt einzusammeln haben. Auf die strenge Kirchenzucht, welche mit dieser Verfassung sich verband, werden wir weiter unten zurückkommen.

Im Jahre 1617 begann die Leydener Gemeinde mit allem Ernste an die Verwirklichung ihres Plans zu denken, nach Nordamerika auszuwandern. Die Engländer besaßen bereits einige unbedeutende Kolonien. Die Regierung König Jakobs hatte durch den ungeheuren Landstrich, welchen englische Seefahrer für die Krone Englands in Besitz genommen und der damals unter dem Gesamtnamen Virginien bekannt war, eine imaginäre Linie gezogen und die beiden Teile des Landes zwei Londoner Handelsgesellschaften zur Benutzung und Besiedlung überlassen. Die Leydener Gemeinde schickte Agenten nach London, um mit der Kompagnie von Virginien betreffs einer Niederlassung daselbst zu unterhandeln, und diese Agenten erwirkten ihr ein Patent, welches ihr das Recht auf das anzubauende Land und die Freiheit einräumte, sich dort zu einer staatlichen Gemeinschaft zu gestalten. Auf dieses hin verließ der erste Wanderzug der Pilger, gleichsam die Vorhut, hundertundzwanzig Personen an der Zahl, am 5. August 1620 von Southampton aus, wohin sie von Holland gesegelt, die vaterländische Küste und ging auf dem Schiffe Mayflower (Maiblume) nach der neuen Welt unter Segel, um dort den Grund zu einem Gemeinwesen zu legen, dessen reinem Ursprung sein glorreiches Wachstum entsprach.


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