Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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6.

Sein Auge kalt verdeckt, was heiß
Und stürmisch seine Brust erfüllt,
Wie wenn das erste dünne Eis
Des Meeres dunkeln Schlund verhüllt
Bis zu den nächsten Sturmesschauern.
Furchtbare Leidenschaft versteckt
In dieser stolzen Brust sich tief,
Wie Löwen in der Höhle lauern,
Bis sie ihr Opfertier entdeckt,
Und wild erwacht, was scheinbar schlief.
Schien wie ein Stein sein Herz zu sein:
Der Stahl lockt Funken aus dem Stein.
Michail Lermontoff.

Wir müssen unsere Leser, bevor wir sie auf neue Schauplätze und zu neuen Szenen unserer Geschichte führen, zunächst noch auf der Stätte der Zerstörung und Trauer, welche das Dorf Swanzey durch den Überfall der Wilden geworden war, festhalten.

Der Kampf war schon seit mehreren Stunden beendigt. Der Sieg der Wilden, die Niederlage der Kolonisten war vollständig. Mit Ausnahme von einigen wenigen, denen es, als der Kampf um die Palisadenpforte her wütete, gelungen, abseits den Rain aufwärts in den Wald zu entkommen, war die ganze Dorfbevölkerung der Mordlust der Sieger zum Opfer gefallen.

So bildete der Überfall von Swanzey durch die Eingeborenen am 24. Juni 1675 das schreckliche Vorspiel zu einem Kriege auf Leben und Tod, zu einem Kriege, in welchem es sich ganz ernstlich um die Ausrottung der Weißen durch die Roten oder aber um ein bleibendes Übergewicht der ersteren über die letzteren handelte. Mit blutigen Zügen ist dieser Kampf oder diese Reihenfolge von Kämpfen in den Annalen der Staaten von Neuengland verzeichnet, und wir werden im Verlaufe unserer Erzählung noch manches Blatt voll Schrecken und Entsetzen aufzuschlagen haben.

Für jetzt kehren wir auf den Hofraum von Eatons Haus zurück.

Es geht gegen Abend zu. Die Sonne nähert sich schon dem unermeßlichen Wäldermeere im Westen; aber ihre Kugel strahlt nicht hell und voll auf den Schauplatz, sondern steht weißlich trübe hinter den grauen Dünsten, womit die immer noch rauchenden Brandstätten des Dorfes die Atmosphäre erfüllten. Die Brunst, welche sämtliche Wohnstätten, das Haus des Richters ausgenommen, erreicht und verzehrt hatte, war mächtig genug gewesen, den ganzen Dunstkreis der Niederlassung mit einer erstickenden Hitze zu schwängern, welche jetzt erst unter der Einwirkung der abendlichen Brise nachzulassen begann. Das furchtbare Getöse, welches kurz zuvor hier geherrscht hatte, war verstummt. Der Boden des Hofes war mit Blut bedeckt. Die gefallenen Indianer waren von den Ihrigen bereits weggeschafft und sorgsam im nahen Walde bestattet worden. Dagegen lagen die Leichen der Weißen unordentlich über den ganzen Raum hin zerstreut, da, wo der Tod sie erreicht hatte, und es ist schrecklich zu sagen, daß das Messer der Sieger nicht einmal der Toten geschont hatte. Alle, selbst Weiber und Kinder waren der Hirnhaut beraubt worden, und diese gräßlichen Siegeszeichen schmückten, von geronnenem Blute starrend, die Gürtel einer starken Horde von Indianern, welche zwei Seiten des viereckigen Platzes einnahm. Sie standen, saßen und lagen an verschiedenen Feuern, an welchen sie ihr Wildbret und ihren Kaves (Mais) geröstet hatten. Vor ihnen waren die erbeuteten Waffen in Haufen aufgeschichtet. Die meisten hatten sich mit Beutestücken europäischer Kleidung wunderlich herausgeputzt, sahen aber keineswegs grotesk-komisch aus, sondern glichen in der von Dampf und Schweiß verwischten weiß und schwarzen Kriegsbemalung ihrer grimmigen Züge einer Bande höllischer Dämonen. Das Haus des Richters selbst zeigte starke Spuren mutwilliger Zerstörungslust. Die Fenster waren eingeschlagen, das Mauerwerk vieler Orten zertrümmert, das Hausgeräte hatte die Kochfeuer der Wilden nähren müssen.

Abseits von dem Schwarm lehnte der Häuptling in der scharlachroten Tunika an der Lafette der eroberten Feldschlange. Er hatte den blutigen Tomahawk in den Gürtel gesteckt und die Arme im Nachdenken über die breite Brust gekreuzt. Zuweilen hob er den gesenkten Kopf und ließ seine schwarzen glühenden Augen über den Platz schweifen. Dann irrte momentan ein triumphierendes Lächeln über seine stolzen Züge, die wie aus Marmor gehauen erschienen wären, hätte ihnen die Natur nicht vielmehr die Färbung von Bronze gegeben.

Er stand in der Vollkraft des männlichen Alters. Seine ganze Erscheinung war edel, gemessen, würdevoll. Man sah ihm auf den ersten Blick an, daß er gewohnt sei, zu herrschen. Den Stempel des Genies, welcher seinem Antlitz aufgedrückt war, beeinträchtigte selbst der Umstand nicht, daß nach Art seiner Rasse seine Backenknochen weit mehr hervorstanden, als dies bei einem andern berühmten Helden seines Volkes, dessen Äußeres wir früher beschrieben, der Fall war. Zwischen den Brauen des Häuptlings lag eine tiefe Falte, wie wir sie oft bei Männern wahrnehmen, deren ganzes Leben ein großer Gedanke erfüllt und – verzehrt, jene von dem rastlos arbeitenden Geiste gezogene Furche, welche der Physiognomie einen finstern und zugleich rührenden Ausdruck verleiht.

In der Tat erfüllte und verzehrte ein solcher Gedanke das ganze Dasein von Metakom, dem großen Sachem der Wampanogen und Pokanoketen, denn diesen haben wir vor uns. Er hatte es sich, in richtiger Erkenntnis der Vernichtungsgefahr, welche seinem Volke, den indianischen Nationen überhaupt von seiten der weißen Eindringlinge drohte, zur Aufgabe seines Lebens gemacht, diese Gefahr durch Ausrottung der Weißen zu beschwören, und er setzte alle seine Gaben und Kräfte, er setzte das Leben selbst an die Erfüllung dieser Aufgabe. Er hatte es zur Erreichung seines Zweckes sogar nicht verschmäht, bei den Verhaßten, welche sein Volk Schritt für Schritt aus den Jagdgründen der Väter verdrängten, in die Schule zu gehen. Er hatte ihre Sprache erlernt, mit ihren Sitten und Gebräuchen sich bekannt gemacht. Lange Jahre hatte er, im geheimen unaufhörlich mit den Vorbereitungen zur Ausführung seines großen Planes beschäftigt, mit der ganzen Schlauheit seiner Rasse die friedlichen und freundlichen Gesinnungen geheuchelt, welche sein beschränkter Vater Massasoit, wie wir gesehen, wirklich gegen die Kolonisten gehegt. Mit unendlicher Mühe war es ihm gelungen, die alte Erbfeindschaft zwischen den zwei mächtigsten roten Nationen von Neuengland, den Pokanoketen und Naragansettern, beizulegen und sie zu einem Schutz- und Trutzbündnis gegen die Weißen zu vereinigen, und dieses diplomatische Meisterstück war ihm zur nämlichen Zeit geglückt, als der Verrat Sasamons ihn nötigte, die Maske des Friedens und der Freundschaft abzuwerfen.

Metakom oder König Philipp ist von den älteren Annalisten der Kolonien von Neuengland mit unbilliger Parteilichkeit und Härte beurteilt worden. Man kann diesen Männern, welche die Schrecken des Krieges, womit der große Sachem die Pilger der Wildnis heimsuchte, als Augenzeugen erlebten, ihre leidenschaftliche Hitze in Beurteilung eines ihnen rein unverständlichen Charakters, den sie geradezu für einen Sohn des Teufels ansahen, zugute halten; allein die Nachwelt war einsichtig und gerecht genug, einen andern Maßstab an Philipp zu legen. Es ist wahr, daß er mit manchem Gebrechen seines Volkes, wie zum Beispiel mit Hinterlist und grausamer Rachelust stark behaftet war, aber der größte Autor, welchen Amerika bis jetzt hervorgebracht, Irving, hat mit Recht auch die Lichtseiten seines Wesens dargelegt, indem er sagt, daß Metakom ein kräftiges Gemüt, einen großen Reichtum von Hilfemitteln, Verachtung aller körperlichen Leiden und Beschwerden und unbesiegbare Entschlossenheit bewiesen habe, und dann hinzufügt: »Mit den heldenmütigen Eigenschaften und der kühnen Tapferkeit begabt, welche einem Krieger aus der gebildeten Welt Ehre und ihn zum Gegenstande der Dichtung und Geschichte gemacht haben würden, war König Philipp ein Wanderer und Flüchtling in seinem Geburtslande und ging wie eine einsame Barke in der Dunkelheit und im Sturme unter, ohne daß das Auge des Mitleids seinen Fall beweint oder eine Freundeshand seinen letzten Kampf aufgezeichnet hätte.«

Zur Zeit jedoch, von welcher wir hier sprechen, schien der Sachem eher der Erreichung seines Zieles als einem so tragischen Ausgange nahe zu stehen, besonders in der Stunde, wo ihm der erste offene Schlag gegen die Ansiedler so vollständig gelungen war. Er stand auf den Trümmern einer zerstörten Ansiedlung da als Sieger, als Träger einer großartigen Idee, wie sie nach ihm nur noch ein Mann seiner Rasse, der kühne Tekumseh, Häuptling der Shawanesen, hegen und verfechten sollte (in den Jahren 1810–1813).

Es herrschte unter den Indianern, welche sich auf dem Hofraume gelagert hatten, durchaus nicht die lärmende Fröhlichkeit, zu welcher der Rausch des Sieges naturgemäß verleitet. Einesteils mochte der starke Verlust, welchen sie erlitten hatten, die Freude der Krieger dämpfen, andernteils hielt die Anwesenheit und strenge Haltung ihres angebeteten Führers sie in gehörigem Respekt. Keiner wagte ihn in seinem Sinnen zu stören; die meisten gaben sich, nachdem sie ihr frugales Mahl verzehrt, der apathischen Ruhe hin, welche dieses Volk nach heftigen Strapazen so sehr liebt.

Jetzt glitt durch die Öffnung des aus seinen Angeln gerissenen Hoftors herein einer der Untersachems Metakoms, welcher von diesem befehligt worden war, die Bestattung der indianischen Toten zu beaufsichtigen. Er kommt, dem Häuptling zu melden, daß dessen Anordnungen vollzogen seien, bleibt aber, der indianischen Etikette getreu, stumm vor seinem Chef stehen, bis dieser die Worte an ihn richtet:

»Mag Annawon reden, meine Ohren sind offen.«

»Unsere Brüder,« versetzte Metakoms Vertrauter, an dessen linkem Oberarm ein Verband von Kräutern zeigte, daß er am Tage zuvor den wackern Standish nicht ungestraft gereizt habe, »unsere Brüder sind in die glücklichen Jagdgründe gegangen. Der Grabhügel ist getürmt und die Totenklage angestimmt worden.«

»Gut. Die Skalpe an den Gürteln der Wampanogen werden den Müttern und Squaws meiner gefallenen Krieger bezeugen, daß diese nicht ungerächt gestorben.« Annawon schaute mit einem grimmigen Lächeln der Befriedigung auf seinen eigenen Gurt herab, an welchem drei der schrecklichen Trophäen hingen.

Nach einer Pause sagte der Häuptling zu ihm:

»Bring die gefangenen Blaßgesichter hierher.«

Annawon ging in das Haus und erschien binnen kurzem wieder unter der Tür, deren einer Pfosten umgestürzt worden war, gefolgt von fünf Personen, welche beim Ende des Kampfes statt raschen Todes das vielleicht noch schrecklichere Los getroffen hatte, die Gefangenen erbarmungsloser Feinde zu werden.

Es waren Eaton, Standish, der Vater und Großvater Lovelys und diese selbst.

Von den vier Männern war keiner ohne Wunde: dem Richter hatte ein Pfeil den Ballen der linken Hand zerrissen, dem Kapitän ein Beilschlag die rechte Schulter getroffen, dem älteren Oberst ein Lanzenstoß die Rippen der rechten Seite tief gestreift, dem jüngeren ein Messerstoß den linken Vorderarm durchdrungen.

Die Gefangenen hatten Zeit gehabt, der ersten namenlosen Betäubung des Schmerzes Herr zu werden, eines Schmerzes, dessen Heftigkeit sie zuerst hatte bedauern lassen, daß sie das Schicksal ihrer Glaubensgenossen nicht geteilt. Aber selbst in der leidenvollsten Brust waltet mit geheimer Macht des Daseins süße Gewohnheit, wie unser großer Dichter den gewaltigen Lebensdrang des Menschen so treffend bezeichnet hat. So hatten sie es sich denn gefallen lassen, daß, während sie in einem der halbzerstörten Gemächer des Hauses bewacht wurden, ihre Wächter ihnen, auf höheren Befehl, nicht nur Wasser zur Stillung ihres heißen Durstes reichten, sondern daß auch einer derselben, der sich auf die Heilkünste seines Volkes verstand, ihnen ihre Wunden untersuchte, wusch und verband. Sie hatten verwundert fragende Blicke über diese Sorgfalt getauscht, und der Kapitän hatte mit der Resignation eines auf alles gefaßten Mannes geäußert: »Ich denke, ich weiß, was das zu bedeuten hat: sie wollen uns einstweilen am Leben erhalten, um den Glanz eines ihrer höllischen Siegesfeste durch die Martern, welchen man uns unterwerfen wird, zu erhöhen.«

Annawon führte die Gefangenen vor den Sachem und sagte, einen Blick wilden Hasses auf Standish schießend, absichtlich in englischer Sprache:

»Es ist noch Platz, viel Platz für Skalpe an den Gürteln der Krieger der Wampanogen.«

Metakom erwiderte nichts auf diese rachsüchtige Insinuation, sondern bedeutete nur den Sprecher mit einer gebieterischen Gebärde sich zu entfernen. Dann erhob er den Kopf und betrachtete einen seiner Gefangenen nach dem andern mit marmorkaltem und marmorfestem Blicke.

Lovely, welche sich krampfhaft am Arme ihres Großvaters festhielt, schlug die verweinten Augen vor diesem Blicke entsetzt zu Boden, die Männer aber erwiderten denselben jeder in seiner Art mit Festigkeit. Zwar hatte der Anblick der verstümmelten Leichen ihrer Brüder und der Blutgeruch, welcher gleichsam die ganze Atmosphäre erfüllte, ihnen die Schrecklichkeit ihrer Lage von neuem so recht klar gemacht, aber alle fühlten, daß das geringste Zeichen von Schwäche in diesem Augenblicke entehrend für sie wäre. Eaton schaute den Sachem an, als sähe er den bösen Feind leibhaftig vor sich; in den Augen des Kapitäns blitzte ein Zorn, als könnte er sich kaum enthalten, dem Sieger an die Kehle zu springen; der jüngere Oberst ballte krampfhaft die Rechte, als hielte er noch den Schwertgriff in derselben; nur der ehrwürdige Greis tat es in angemessener Haltung dem Indianerfürsten gleich und schaute ihm mit ruhiger Würde in die Augen.

Metakom ließ seinen Blick von den Männern langsam auf das todbleiche Mädchen gleiten.

»Junges Blaßgesichtmädchen,« redete er dann mit klangvollem Organ und in vollkommen verständlichem Englisch Lovely an, »du hast noch nicht genug Sommer gesehen, um in der Lügenkunst deines Volkes erfahren zu sein. Sage mir, wer hat dir das Kinderspielzeug gegeben, welches du um den Hals trägst?«

»Ein Indianermädchen, Hih-lah-dih geheißen,« erwiderte Lovely mit bebender Stimme, aber belebt durch einen schwachen Hoffnungsschimmer. »Sie traf gestern mit mir im Walde zusammen und, ach, wir haben es schwer gebüßt, daß wir ihrer warnenden Stimme nicht größere Beachtung schenkten!«

»Hih-lah-dih?« fragte der Sachem. »Hih-lah-dih hat dich und die Blaßgesichter gewarnt und gestern noch?«

Ein finsterer Schatten flog über sein Gesicht, verschwand aber ebenso schnell wieder, als er gekommen.

»Hih-lah-dih warnte mich im Namen eines – eines fernen Freundes und riet mir, mit den Meinigen« – die Sprecherin faßte dabei die Hände ihres Vaters und Großvaters – »nach Providence zu gehen, weil die roten Krieger den Tomahawk wider mein Volk erheben wollten.«

Das blasse Mädchen errötete bis zur Stirn hinauf, als sie des fernen Freundes erwähnte. Dem Falkenblick des Sachems entging dieses Erröten nicht.

»Jung Blaßgesichtsquaw Freund haben, der Hih-lah-dih als Botin schicken,« sagte er forschend. »Sein Name welcher sein?« Lovely besann sich einen Augenblick, hielt es aber für das Beste, die Wahrheit zu sagen, und erwiderte leise:

»Das Goldhaar.«

Ein kaum merkliches Lächeln kräuselte für einen Augenblick die Lippen Metakoms.

Lovely erriet mit dem Instinkt eines liebenden Weibes die Bedeutung dieses Lächelns und glaubte vor jungfräulicher Scham vergehen zu müssen. Aber zugleich ließ ihr kindliches Gefühl sie erkennen, daß der Moment, wo der furchtbare Häuptling von einer menschlichen Regung erfaßt worden sei, nicht ungenützt vorübergehen dürfe. Sie trat daher einen Schritt vorwärts, ließ sich auf ihre Knie nieder, umfaßte die des Sachems und flehte mit ihrer süßen Stimme zu ihm empor:

»O, König Philipp, du hast Eltern gehabt, bei ihren Gebeinen beschwöre ich dich und bei den Häuptern deiner Kinder, schone meines Vaters und Großvaters, schone unserer Freunde, und der Herr, unser Gott, soll es dir und den Deinigen vergelten tausendfach.«

»Stehe auf, Kind,« rief ihr Vater in streng verweisendem Tone der Flehenden zu. »Es ist Sünde, schwarze Sünde, vor einem blinden Heiden das Knie zu beugen, und gälte es, tausend Leben zu erbitten.«

Der Indianerfürst achtete dieser Worte nicht, sondern hob Lovely vom Boden auf und sagte ruhig, aber nicht ungütig:

»Nicht weinen, junges Mädchen. Wer Hih-lah-dihs Halsband trägt, sicher sein vor dem Skalpiermesser meiner Krieger. Aber warum Vater und alter Vater nicht ruhig in der Höhle bleiben im Walde dort? Warum kommen in das Dorf und meine Krieger töten mit Donnerrohr da und langem Messer?«

»Häuptling,« entgegnete der Greis auf diesen Vorwurf, »es ist nicht die Sitte christlicher Krieger, das Schwert in der Scheide zu lassen, wenn der Feind ihren Brüdern an Leib und Leben geht.«

»Gut,« versetzte der Sachen ruhig und mit all der gemessenen Höflichkeit seines Volkes. »Meines Vaters Haar und Bart ist sehr weiß, er hat viele Sommer gesehen, er ist sehr weise und ein großer Krieger. Er hat vormals im Rate der Häuptlinge seines Volkes gesessen, und sein Wort, wie das seines Sohnes, klang laut und wurde gehört, als es sich darum handelte, eines großen, großen Sachems Skalp zu nehmen. Ist es so?«

»Ja, Häuptling,« erwiderte der Greis mit Würde. »Mein Sohn und ich waren mit im Rate an jenem großen Tage des Gerichts, welchen ich trotz aller Leiden, die er mich gekostet hat, noch immer für den schönsten meines Lebens halte!«

»Gut,« sagte Metakom abermals mit Nachdruck. »Weiser alter Krieger nicht lügen, Zunge geradeaus gehen wie ein wohlgerichteter Pfeil. Eine Krähe von jenseits des Salzsees hat in Metakoms Ohr geflüstert, sie wolle die Hände der Wampanogen mit Silber füllen, wenn Metakom die beiden Häuptlinge aus dem Lande der Blaßgesichter ihr, der Krähe, in die Hände lieferte.«

Die beiden Obersten wechselten einen bedeutungsvollen Blick.

»Metakom,« fuhr der Indianerfürst fort, »jagte die Krähe aus seinem Wigwam und verbot seinen Kriegern, die Spur derer zu verfolgen, für welche seine Freunde, der graue Bär und das Goldhaar, an der Bucht des Salzsees gefochten.«

Hier brach der Sachem ab, und es entstand eine lange Pause, welche endlich der feurige Standish ungeduldig unterbrach, indem er sagte:

»Wo will das alles hinaus, Heide? Sicherlich steckt eine indianische Teufelei hinter deinen Worten, aus welchen ich nicht klug werde. Doch was mich angeht, so begehre ich weiter nichts, als dir mit meinem guten Degen in der Hand auf Schwerteslänge gegenüberzustehen, um Rache zu nehmen für alle deine Verräterei.«

»Der kleine Feuerspeier ist ein tapferer Krieger, ich weiß es,« erwiderte der Sachem nachlässig; »aber Metakom weiß kleine und große Feuerspeier zum Schweigen zu bringen.«

Und so sprechend klopfte er mit dem gekrümmten Zeigefinger seiner Rechten leicht an das Geschützrohr, an welchem er lehnte.

»Mörderischer Heide, eingeborener Sohn Belials,« rief Eaton aus, unfähig, die kochenden Gefühle seiner Brust länger zu dämmen, »prahle nicht mit deinem heutigen Tun, das verflucht ist vor Gott und vor den Menschen.«

Und seine Augen auf die verstümmelten Leichen umher werfend und dann sie zum Himmel aufhebend, fuhr der Richter mit den Worten des Psalmisten fort:

»O, Gott, Herr, dessen die Rache ist! Gott, dessen die Rache ist, erscheine! Erhebe dich, du Richter der Welt, vergilt den Hoffärtigen nach ihrem Tun! Herr, wie lange sollen die Gottlosen, ja, wie lange sollen die Gottlosen frohlocken? Wie lange werden sie trotzige Reden ausschütten und ihrer Übeltaten sich rühmen? Herr, sie zerschlagen dein Volk und Plagen dein Erbteil. Sie erwürgen die Witwen und töten den Fremdling und morden die Waisen und sagen: Der Herr siehet es nicht und der Gott Jakobs achtet es nicht. O, Gott, Herr, du, dessen die Rache ist, erscheine!«

»Alter Mann, der Manitu, zu welchem du rufest, hört dich nicht. Er hat sein Angesicht von dir und deinem Volke gewendet. Er ist kein starker und eifriger Manitu, wie die Powows der Blaßgesichter sagen; sonst hätte er heute die Skalpe auf den Schädeln deiner Brüder festgehalten.«

»Heide,« versetzte der Richter mit dem Ton düsterer Drohung, in welchem etwas Prophetisches lag, »es wird ein Tag kommen, wo dir dieser gotteslästerliche Spott wie geschmolzenes Blei auf dem Herzen brennen wird. Die Vergeltung des Gottes der Christen wird über dich kommen, und es wird kein Entrinnen für dich sein.«

Der Häuptling ließ diese Drohung mit kalter Ruhe über sich ergehen, aber als ergötzte es ihn, den glaubenseifrigen Richter, dessen Eigenheiten er wohl kannte, an der verwundbarsten Stelle zu treffen, riß er einen der Knöpfe, welche seine Tunika am Halse zusammenhielten, ab, nahm ihn zwischen die Finger, schnellte ihn durch die Luft und sagte: »So viel, so viel gerade macht sich der Sachem der Wampanogen und Pokanoketen aus deinem Christentum, so viel wie aus diesem Knopfe.«

Dann aus der nachlässigen Stellung, welche er bisher behauptet hatte, zu seiner vollen Höhe sich aufrichtend, kam er der heftigen Entgegnung Eatons zuvor, indem er mit dem der Redeweise seines Volkes so natürlichen Pathos fortfuhr:

»Alter Mann, laß deine Ohren offen sein und achte meiner Worte. Metakoms Herz ist von Stahl und fürchtet weder kaltes noch geschmolzenes Blei. Er hat mit dem Manitu seines Volkes, welcher den roten Kindern dieses Landes gnädig war Jahrhunderte lang, bevor die Blaßgesichter auf ihren großen Kanoes über den Salzsee kamen, geredet, und der gute Geist hat sein Wollen gebilligt und seinen Arm stark gemacht zu dem Werke, welches er zu vollbringen hat. Dies Werk war der Traum Metakoms, als er noch ein Knabe war, jetzt, da er ein Mann geworden, wird er es zur Wirklichkeit machen. Er will die Pfade seines Volkes säubern von dem weißen Gewürm und Ungeziefer, welches allwärts darüber kriecht, er will die Jagdgründe der roten Männer wieder vorrücken bis zum östlichen Ufer des großen Salzsees. Er hat die roten Nationen zu Brüdern gemacht und den Tomahawk erhoben, um ihn nicht wieder zu begraben, bis die Brut der räuberischen Fremdlinge erschlagen und in dem Gewässer des Meeres ersäuft ist. Er hat Waffen gesammelt und Bundesgenossen geworben, er hat geheuchelt und sich gedemütigt, bis seine Zeit kam. Und sie ist gekommen. Metakom hat seinen Kriegsruf angestimmt, und dieser wird durch die Wälder rollen bis zu den großen Strömen gegen Mittag und Mitternacht. Seine Brüder werden ihn hören und wiederholen allüberall und sich erheben zu einem Kampfe auf Leben und Tod gegen die weißen Eindringlinge. Die Wampanogen sind hervorgebrochen aus ihren Wäldern wie Blitze aus Wetterwolken. Der erste Schlag ist gefallen und hat gut getroffen. Die Listen und krummen Reden der Blaßgesichter, durch welche sie Massasoit, der jetzt in den seligen Jagdgründen wandelt, so lange und arg betrogen haben, verfangen nicht mehr. Mein Volk fordert das ganze und volle Erbteil seiner Väter von den Blaßgesichtern zurück, die es um dasselbe betrogen haben. Metakom wird seinen Brüdern die erbeuteten Skalpe zeigen, er wird ihnen seine Gefangenen zeigen und ihnen sagen: Seht, die Blaßgesichter sind besiegbar trotz ihrer kleinen und großen Donnerrohre, trotzdem daß große Krieger an ihrer Spitze stehen. Sein Volk wird frohlocken, es wird den Tomahawk ausgraben und Tausende werden ihn erheben und den Kriegsruf anstimmen, und für euch, ja für euch wird kein Entrinnen mehr sein.«

So sprechend schüttelte der Sachem den Arm gegen Eaton mit einer Gebärde, welche etwas Erhabenes hatte, und schritt dann, ohne sich weiter auf eine Gegenrede einzulassen, hinweg zu seinen Leuten.

Eine Stunde darauf verließ der ganze Trupp das zerstörte Dorf. Metakom selbst stellte sich an die Spitze des größeren Haufens, welcher die fünf Gefangenen in die Mitte nahm. Was aber auch der Sachem mit ihnen vorhatte, sie wurden für jetzt nicht hart behandelt und sogar behufs schnelleren Fortkommens mit den aus Eatons Stalle geraubten Pferden versehen.

Bevor die Indianer, welche unter Annawons Führung den Nachtrab bildeten, im Dunkel der Wälder verschwanden, machten sie noch einen Augenblick Halt, wandten sich und ließen einen letzten Schrei des Frohlockens über das Tal hingellen. Dann ward es still, tiefstill über der dunkelnden Gegend. Der Mond ging auf und blickte ebenso klar und mild auf das verwüstete Dorf und die Leichen seiner Bewohner herab, wie er gestern die Sommernachtsruhe der blühenden Ansiedlung bestrahlt hatte. Zuweilen unterbrach ein heiser melancholischer Ton das unheimliche Schweigen. Es war der Vogel der Nacht, der über der einsamen Stätte des Mordes und der Verwüstung sein klagendes Lied anstimmte.


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