Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

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Franzosengeneral, gib uns unsern Vater!

Als an demselben Tage General Graf Baraguay nach Hause kam, war er übel gelaunt. »Dieses verdammte Kriegshandwerk!« weiter sagte er nichts, verzehrte schweigend und mürrisch die Speisen. Seine Gemahlin war eifrig darauf bedacht, daß sein Trinkbecher nicht leer stand. Roten Magdalenerer, wie er oberhalb Bozen an den sonnigen Berghängen gedeiht, trank der General gern, und von diesem vertilgte er heute – ohne es eigentlich selbst zu merken – eine ganze Flasche. Das stimmte ihn sachte ein wenig gemüthlicher und die Gräfin that auch so unbefangen heiter, daß die finstere Soldatenstirn nach und nach sich entwölkte. Nach dem Mahle zog er den Rock aus und in puren Hemdärmeln legte er sich auf die Polsterbank.

Seine Frau bereitete ihm wie gewöhnlich eigenhändig das mit Silber beschlagene Tabakspfeifchen vor, brannte es an, wobei sie selbst die ersten Züge daraus that und steckte es ihm in den Mund. Hernach setzte sie sich ihm zu Häupten auf einen Sessel und begann mit zarten Fingern sein Haupt zu streicheln, was ihm allemal sehr wohl behagte. Soldatenleben ist hart und rauh, wie wohl thut da die milde Frauenhand auf der heißen Stirn, hinter welcher sich immer nur Belagerungen, Eilmärsche, Ueberfälle und Schlachten planen.

»Ist es denn noch nicht bald zu Ende?« fragte die Gräfin wie nebenhin.

»Mit Tirol sind wir fertig,« antwortete der General. »Ein paar Rebellen sind noch abzuthun und dann punktum.«

»Immer noch?« fragte sie, »immer noch?«

»Entschuldige, Elisabeth, das ist keine Unterhaltung für dich. Du sollst jetzt fröhlich sein.«

»Fröhlich sein!« entgegnete sie und that einen Seufzer. »Wie kann man fröhlich sein, wenn man nichts mehr hört, als Pulver knallen.«

»Was sagst du doch, Liebste? Du bist hier ja ganz geschützt vor jedem Lärm!«

»Ich höre es Tag und Nacht,« sagte sie, »Louis, du weißt nicht, was ich leide.«

Der General setzte sich rasch auf und blickte sie besorgt an.

»Du schläfst so gut in der Nacht,« fuhr sie fort, »und ich danke Gott, daß kein grauses Bild dich beunruhigt. Aber ich –«

»Du erschreckst mich, Weib, bist du krank?«

Da fiel sie ihm um den Hals und laut schluchzend rief sie: »Nur dich nie verlieren, du mein Alles!«

»Elisabeth, was soll das? Wie kommst du auf derlei? Nein, nur erregt bist du – dein Zustand. – Diese Unruhen werden endlich ja vorübergehen, dann, du weißt es, dann danke ich ab und wir gehen auf unser Landgut. Ich will auch noch einmal im Frieden mein Leben genießen.«

»Wenn du wüßtest?« schluchzte Gräfin Elisabeth.

»Was wissen? was, was?«

»Daß sie dich hinausführen. Daß sie dich Nacht für Nacht hinausführen auf den Richtplatz – vor meinen Augen. Gefesselt, geschlagen stehst du auf dem Sande. Die Trommeln wirbeln. Du blickest noch auf mich, auf unser Kind . . .« Sie barg ihr Haupt an seiner Brust, umschlang ihn heftig: »Nein, mein Louis, nur das nicht, nur nicht sterben.«

Er suchte sie zu beruhigen.

»Ich weiß es wohl,« fuhr sie fort, »du bist unschuldig, du hattest nur deine Pflicht als Soldat gethan, deines Kaisers wegen und um dein Vaterland zu schützen, und deine Familie. Du hattest viele Feinde vernichtet, endlich wurdest du gefangen und auf der Stelle zum Tode verurteilt.«

Der General stutzte. »Sprichst du von mir, Weib?« fragte er, »oder von – von diesem Bauernwirt aus Brixen, der –«

»Der erschossen werden soll. Ja, mein Herz, ich weiß von ihm, er geht mir in der Seele um Tag und Nacht und es mag wohl dieser Mensch sein, der mir die quälenden Träume verursacht. – Louis! – Muß er denn sterben?«

Der General stand auf, schritt rasch über den Boden hin und sagte: »Der Mann ist ein Rebell. Er hat den Frieden gebrochen.«

»Er hat ein Weib – drei Kinder . . .«

»Ich weiß es, ich weiß es.«

»Sie sind aus Brixen gekommen. Sie wollen zu dir, sie wollen dich bitten um sein Leben.«

»Ich will sie nicht sehen.«

Ein wenig wartete sie jetzt, bis sie fortfuhr: »Mein lieber Mann. Denke nach, Tausende, die schuldig geworden sind in dieser Zeit, sie leben. Warum soll der Unschuldige sterben?«

Darauf entgegnete der General: »Tausende, die unschuldig waren, haben ihr Leben lassen müssen in dieser Zeit, und der Schuldige soll frei ausgehen?«

»Ich glaube,« sprach die Gräfin leise, »nur Gott kann es sehen, wer schuldig ist, und wer unschuldig im Kriege.«

»Er hat den Frieden gebrochen,« sagte der General kurz und hart.

»Das mag ja sein, aber wir, das heißt, der Feind, der in Tirol eingefallen ist, hat ihn zuerst gebrochen.«

»Ich bitte dich, Elisabeth, mache mich nicht unsicher!« rief der General aufgeregt, »mich selbst dauert der Mann. Ich gestehe, er ist ein sympathischer Mensch, ich habe noch keinen gesehen, der sein Geschick so stolz ertragen hätte, wie dieser Peter Mayr. Nicht einen Zoll knickte er ein, als ihm das Urteil verkündet wurde. Aufrecht und würdevoll, als ob er der Richter wäre, und wir die Verurteilten, so schritt er aus dem Saale. – Wer ändert's. Es ist geschehen.«

Das war nicht übel berechnet. Die Gräfin hatte schon früher ein Zeichen für ihre Kammerzofe gegeben und nun kam Frau Notburga mit den Kindern zur Thür herein und warf sich vor den General auf die Kniee. Sie konnte kein Wort hervorbringen, in den Armen das Kind, faltete sie die Hände und bebte am ganzen Leib. Das Mädchen schaute mit seinen großen Augen voll Kindlichkeit auf zu dem gewaltigen Herrn; der Knabe stand trotzig da, als wollte er sagen: Franzosengeneral, gib uns unsern Vater!

Eine Weile schaute der Feldherr sprachlos auf diese Gruppe, dann sagte er mit harter Stimme: »Kann es sein, so soll's geschehen. Geht hinaus.«

Ohne ein einziges Wort gesprochen zu haben, wankte Frau Notburga zur Thür hinaus. Der General war unwirsch. Er ging schweigend im Zimmer auf und ab. Er hatte sich überrumpeln lassen. Nicht einmal auf ihre Bitte hatte er gewartet, so sehr war in ihm der Gnadenspruch schon locker gewesen. Aber nun sagte er zu seiner Frau: »Elisabeth, das hättest du mir ersparen können, du weißt, daß ich kein weinendes Weib sehen kann. Ich könnte ein Wortbrüchiger werden, solcher Leute willen. Habe ich etwas gesagt? Ich will nichts gesagt haben.«

Bittend, stand sie vor ihm: »Louis, du hast ein gutes Herz. Des lieben Friedens willen, den auch wir von Gott erflehen für unser Kind – gib ihn frei!«

»Des Friedens willen den Friedensbrecher begnadigen!« lachte der Graf ärgerlich über seinen unzeitigen Weichmut.

»Aber immer und immer das! Dieser Bauer, hat er's denn wissen können, daß zu Wien der Frieden geschlossen worden war?«

Der General wendete sich rasch zu ihr: »Was sagst du? Nicht wissen können? Nicht wissen können? – Weib, das ist ein Gedanke. Peter Mayr kann gerettet werden.«


Die Mahrwirtin genoß an demselben Nachmittage die glücklichsten Stunden ihres Lebens. Die Gräfin hatte ihr sogleich mitteilen lassen, sie möge getrost sein – es sei so viel als gewonnen. Sie würde ihren Mann schon am nächsten Morgen sehen können.

An dem Glücke theil nahm auch ein alter Bekannter, den sie auf der Gasse begegnet hatten, Josef Dörninger. Er war abgemagert bis auf die Knochen und was er zu erzählen hatte, war ein schwerer Schatten neben dem süßen Lichte, das in dem Herzen der Mahrwirtin leuchtete. Dörninger erzählte die Leiden der Flüchtlinge und Hofers Gefangennahme. Hoch oben im Gebirge in einer schlechten Hütte halten sie gelebt wochenlang. Dann waren sie von einem geldgierigen Menschen verrathen worden und von den Franzosen überfallen. »Kein Bitten von Hofers Weib und Kindern hat geholfen, der Anderl hat ihrem Jammern noch mit der Hand abgewunken und sich geduldig ergeben. Ins Welschland hat er fortmüssen und es schaut schlecht aus. Auf den Kaiser hofft es noch immer, das alte Kind.« – Solches und vieles erzählte Dörninger, auch wie sie ihn bis Meran mit herabgetrieben, sich dort aber weiter nicht mehr um ihn gekümmert hätten. So irre er nun herum ohne Ruh' und Rast und glaube, er müsse dem Anderl nach ins Wälschland.

In Hinblick auf Hofers Schicksal fühlte Frau Notburga die Wendung ihrer Angelegenheit doppelt tief, sie ging in die Kirche, die auf dem großen Platze steht, und weinte ihren Dank aus. –

Wenn nun diese schon so fröhlich war, wie sollte es erst der Tonele nicht sein! Zu essen und zu trinken hatte er ja auch bekommen, er und sein andrer Teil, der Esel. Mit diesem empfand er sich eins. Den prächtigen Trab von Schrambach her konnte er ihm nicht vergessen: der Reiter hatte unterwegs sogar eine Weile geschlafen auf dem Rücken des Grauen, dieser marschierte unverdrossen voran; nur an Wassertrögen, die seine Wirtshäuser waren, gab es manchmal ganz bescheidenen Aufenthalt.

»Mein herzallerliebster Gespons, dich laß ich nimmer!« flüsterte ihm der Bursche einmal ins schöne Ohr, den Hals des Tieres umschlingend; da fiel es ihm jäh ein, der graue Freund gehöre gar nicht ihm, der sei nur ausgeliehen, aus eigenem Antriebe vom Karren gelöst und mitgenommen worden, genau betrachtet, eigentlich ein bißchen gestohlen.

Darum sagte er nun zum Grauen: »Bruder, laß dich nit lumpen! So weit ist es mit dir noch nit gekommen, daß du dich stehlen ließest. Ich will mich um deine Ehre bekümmern. Du sollst kein gestohlenes Rabenvieh sein. Ich will dich redlich taufen. Ich habe ja Geld, nur muß ich's erst kriegen. Jetzt, weil ich endlich doch mit meiner Klampfen dem Franzosengeneral das Tigerherz weich gesungen habe, daß er den Mahrwirt wieder laufen laßt, jetzt geht es mir nachher gut. Alsdann kaufe ich dich wie ein Graf das arabische Reitpferd, damit ich zu meiner Hanai kann reiten. Du, die Hanai! Das ist eine, wenn du die wirst kennen lernen!

»Ein gar, ein gar ein feins Dirndel,
Ein gar ein lieber Schatz,
Ein gar, ein gar ein rotes Wangerl,
Ein weiches Handerl hat's.
Ein gar, ein gar ein frommes Lamperl,
Ein heitres Temp'rament!
Und keiner weiß, was ein Engel ist,
Der mein Schatzerl nit kennt.«

Der Esel schrie grell auf. Das war ihm denn doch zu stark. Er war auch nicht ganz fremd in der Gegend bei Brixen herum.



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