Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ich gehe zum General!

Also war es geschehen zur Weihnachtszeit im Lande Tirol. Aber was zu Bozen geschah, das war noch unbekannt an der Mahr.

An demselben Christtage, als sie den Mahrwirt vorübergeführt hatten bei seinem Hause, lag der junge Spielmann am Straßenrande im Schnee. Und als die Leute längst sich verzogen hatten, um in ihren Häusern das neue Ereignis zu besprechen, und als es dunkel geworden war und die Winterdünste im Thale blauten, lag der Tonele noch immer am Straßenrande im Schnee.

Aus dem Hause, das in tiefster Trauer war, kam nun die Hanai, um ihn hereinzuführen. Zwei Schritt vor ihm blieb sie stehen, machte einen langen Hals und schaute hin. Die Hände und der Kopf waren in den Schnee hineingebohrt. – Wenn er tot wäre! dachte sie. Wenn er so viel Glück gehabt hätte, daß er jetzt gestorben wäre! – Dann packte sie ihn an den Armen, riß ihn empor und schleppte ihn in den Stall. Dort, wo es warm war, wo er zugedeckt war mit ihrem Bettgewande, hub er an zu frösteln. Am ganzen Körper schüttelte es ihn, die Fäuste ballte er, die Zähne scharrte er aneinander und die Worte stieß er hervor: »Hanai, warum hast du mich nit liegen lassen? Für mich gibt's nix mehr!«

Die Magd, als sie gehört hatte, der Spielmann habe den Aufenthalt des Mahrwirtes verraten, war wohl gleich darüber im reinen gewesen: Das ist aus Dummheit geschehen! Schlecht ist er nicht. – Aber die Dummheit, das hatte sie sich vorgenommen, die wollte sie ihm jetzt ordentlich einsalzen! Ein Liedel wollte sie ihm ins Ohr singen, desgleichen kein Spielmann je gesungen und kein Tonele je gehört hat! Sie wollte thun, als ob sie glaube und überzeugt davon wäre, daß er den Verrat wegen der zweitausend goldenen Gulden ausgeführt hätte; sie wollte ihn einen Judas und Herodes nennen und ihm ins Gesicht schreien, daß alle Bayern und Franzosen zusammengenommen nicht so sumpflacken schlecht wären, wie dieses grundfalsche Spielmandel mit dem Heuchlergesicht. – Nun aber, da der Bursche vor ihr lag, gebrochen und ohnmächtig, und in seinen todblassen Zügen die grause Seelenpein zuckte, da vergaß sie freilich all der schönen Vorsätze, kein einziges Wort brachte sie hervor. Geduldig und schweigend begann sie ihn zu pflegen.

Aber schon um Mitternacht stand der Tonele auf von dem ihm angewiesenen Bette, und ohne ein Wort zu sagen, kletterte er die Leiter hinan in den Dachraum, wo er sich hinwarf auf sprödes Stroh. Hatte er sich daran erinnert, daß Frau Notburga das Zusammensein im Stalle verboten? Oder hielt er sich nicht mehr für würdig, in der Nähe der Hanai zu sein?

Am nächsten Morgen, als die Magd nachsehen ging, wie es mit ihm stehe, schlief er ruhig. Sie stand neben ihm im dunkeln Gelaß, erwog, ob ein Mensch mit bösem Gewissen so schlummern könne, legte dann ihre Hände zusammen und betete ein Vaterunser auf die Meinung, daß sein Schutzengel im Traum ihn trösten möge. Daß sie selber dieser Engel sein konnte – wann fiele das einem trutzigen Weibe ein? Als der Bursche aufwachte und traurig um sich schaute, war sie herb und sagte ihm kein gutes Wort.

Er aber sagte eins: »Hanai,« sagte er und hob ein wenig die schmale Hand, als ob er bei einigem Entgegenkommen sie ihr reichen möchte. »Hanai, du bist gut auf mich gewesen in dieser kurzen Lebenszeit. Aber jetzt mußt du mich ganz vergessen. Nit fluchen sollst du meiner, Hanai, nur vergessen, als ob alle Wasser über mich wären hingeronnen!«

Sie langte nicht nach seiner Hand, sie warf zornig die Strohschaube hin und her, als ob sie notwendig Ordnung machen müsse in der Scheuer.

»Wenn ich dir gefolgt hätte, Hanai,« fuhr der Bursche völlig tonlos fort, »und wenn ich fleißig gearbeitet hätte, und nit so in den Wirtshäusern herum – so hätt's nit können geschehen. Und daß der Teufel so mit mir sein Spiel hat gehabt!«

Sie that, als ginge sie dem Burschen sein Reden gar nichts an und warf die Strohschaube durcheinander. Ihm war's doch darum zu thun, ihre Stimme noch einmal zu hören. »Hanai,« sagte er ganz geschmeidig, »sind sie nit schon dagewesen? Haben sie nit schon gefragt nach mir? – Nit? – Nachher geh' ich ihnen entgegen.« Er stand rasch auf, schleuderte die Strohhalme von seinem Gewand.

»Wem willst du entgegengehen?« fragte sie scharf.

»Den Tiroler Schützen. Vielleicht hat doch einer gleich die Barmherzigkeit . . .«

Rasch stieg er die Leiter hinab in den Stall. Unten an der Thür stand ein Amtsbote und klirrte mit seinem bayrischen Säbel.

»Sie haben mich schon,« murmelte der Tonele und blieb stehen mitten im Stalle.

»Ich such' den Spielmann Toni,« schnarrte der Bote unter seinem Bartwisch hervor.

»Mach keine Umständ', da bin ich,« antwortete der Bursche und trat ihm entgegen.

»Ja. ja,« knurrte der Bote, den Toni mit mißtrauischem Blicke musternd, »da bin ich! Das ist leicht gesagt und das könnt jeder sagen. Muß schon um die Aufweisung bitten!«

»Uh Narr!« rief die Hanai, die auch schon herabgekommen war, »Aufweisung, das ist doch zum Lachen.«

»Ich muß die Aufweisung haben, sonst ist's nichts.«

»Wenn er sagt, er ist's,« rief sie vom Futtertroge her, »so wird's wohl richtig sein. Für den Spielmann Toni gibt sich jetzt wohl gewiß keiner aus, der's nit ist!«

»Wer weiß!« meinte der Bote, mit einem Auge zwinkernd. »Wenn's Geld gibt! – Mit dem Botenlohn, hoff' ich, wirst mir nit zu sparsam sein, Spielmann. So eine Post bringt dir nit so bald wieder einer. Außer du sagst uns auch den Andre Hofer. Wenn du wahrhaftig der Spielmann bist –«

»Ich will dir gleich eins aufspielen!,« rief der plötzlich herlebig werdende Bursche. »Was willst denn?«

»Zum Gericht sollst!« sagte! der Bursche.

»Dazu brauch' ich dich nit.«

»Dein Geld holen.«

»Was für ein Geld?«

»Die zweitausend goldenen Gulden.«

Das Wort zu hören, und der Bursche wurde rasend; durch den Stall schoß er von einem Winkel zum andern; an der Wand lehnte die dreispießige Gabel mit dem langen Stiel, er faßte sie und lief damit gegen den Amtsboten. Dieser, als er in den Händen des wutschäumenden Menschen den gezückten Dreispitz sah, eilte so schnell, als ihn die Füße trugen, über den Hof, die Gabel sauste ihm nach und fuhr in den Zaunpflock, wo sie stecken blieb. Der Bote lief auf die Straße hinaus und derselben entlang gegen das schützende Brixen.

Die Hanai hatte solchem Auftritte vom Hinterhalt her zugesehen. Nun der Tonele regungslos vor Wut wie ein Baum dastand, genau noch in der Stellung, wie er die Gabel geschleudert hatte, trat sie hervor und die Arme in die Seiten gestemmt, sprach sie: »Jetzt hab' ich gesehen, daß auch du die Mistgabel brauchen kannst.«

Der Bursche wußte sich noch immer nicht zu fassen. Kein Franzose hatte ihn je so in Aufregung gebracht, als dieser allergrößte Feind – der Judaslohn.

»Toni,« sagte die Hanai, »ist's wie der Will, wir wollen jetzt miteinand gute Kameraden sein. –«

Das Mahrwirtshaus, welches knapp vor seiner Sperre stand, war an diesen Tagen vom Morgen bis zum Abend besetzt mit Gästen. Von der ganzen Umgebung kamen die Leute zusammen, um bei einem Krüglein Wein stundenlang dazusitzen und zu rauchen! sie hofften etwas zu erfahren über den Wirt, aber es scheute sich jeder, davon zu reden. Frau Notburga war gar nicht zu sehen. Der geistliche Herr Augustin zeigte sich manchmal und erging sich unter leisen Gesprächen mit den Nachbarn in Mutmaßungen, was geschehen würde.

»Wenn's der Sandwirt wäre,« meinte da der Stauker einmal, »ja da möcht' ich nit einen Hosenknopf wetten! Aber der Peter kommt wieder. Erstens können sie's ihm nit beweisen, und zweitens ist's für den Kaiser geschehen, und drittens soll überhaupt ein Patent herausgekommen sein, daß keiner mehr hingerichtet wird.«

»Wenn's wahr ist!« versetzte der Rampesbauer zweifelnd. »Ich fürcht', der französische General zu Bozen wird sich seinen Kameraden, den Löw Befer, gut bezahlen lassen.«

»In aller Weis,« sagte der Stauker, »wollen wir derweil auf seine Wirtschaft schauen, daß nichts fehl geht dahier. Und sollt er länger aus sein, seine Familie verlassen wir nit.«

Frau Notburga besorgte die Küche, wartete die Kinder, gebot Ordnung unter ihren Leuten. In ihrem Gemüte neben dem düsteren Kummer stand die helle fröhliche Hoffnung. – Was können sie ihm den machen? Wenn man einen Menschen, der im Krieg Leute getötet hat, hinrichten wollte, da müßte man auch den Bonaparte hinrichten. Der Peter hat nur seine Pflicht gethan. – Dabei blieb sie.

Da war es, als Bruder Augustin einmal von seiner Messe zurückkam, die er im Dome der Stadt zu lesen pflegte, daß er gar verstört umging und seiner Schwester auswich. Ihr fiel das gleich auf, und als er in seine Kammer trat, ging sie ihm nach.

»Du, Augustin,« sagte sie, »du kommst mir heut nicht recht für. Es ist was, du weißt was!«

Der Priester wehrte mit der Hand unwillig ab: »Man sollte gar nicht darauf hören, es sind halt Gerüchte.«

»Bruder,« sagte Frau Notburga und preßte ihre Hände an die Brust. »Weißt etwas von ihm, so sag's.«

Augustin hatte sich an den Tisch hingesetzt, den einen Ellbogen stützte er darauf, mit der andern Hand faßte er die Ecke an, als ob er sie umbiegen wollte. Der Tisch zitterte ein wenig.

»Der General Baraguay soll streng gewesen sein,« murmelte er.

Frau Notburga wankte nicht.

»Das Urteil – soll ausgesprochen sein,« sagte der Bruder ganz plötzlich. »Es ist gewiß nicht wahr, wenn auch die Leute drinnen in der Stadt von nichts andrem reden.« Er griff mit beiden Händen an die Halsbinde, als ob er sie lockern wollte: »Es ist besser, Notburga, du hörst es von mir, als von andern, die es immer noch mehr entstellen und aus einer Lüge neun machen. – Sie sagen zum Tode . . .«

»Das ist freilich nicht wahr!« lachte Frau Notburga überlaut auf. Dann aber war sie still. Sie ging in ihre Stube und nach kurzer Zeit kam sie, in Sonntagsgewand gekleidet, wieder heraus.

»Was thust du, Schwester?«

»Ich reise nach Bozen.«

Nun kamen schon die Leute. Es kam der Kreuzwirt aus Brixen, es kam der Moser vom Bergl, es kam mancher Flüchtling aus seinem Unterschlupf hervor, es kam der Pfarrer von Sankt Jakob, es kamen andre Geistliche, sogar Beamte aus der Stadt, um mit Frau Notburga des Rates zu pflegen.

Rat brauche sie freilich wohl keinen, meinte die Wirtin, sie wisse recht gut, was zu thun sei. Sie reise nach Bozen und werfe sich dem General zu Füßen.

Das sei unmöglich, sagten mehrere, eher lasse der heilige Petrus den Luzifär in den Himmel, als der welsche Löwe einen bittenden Tiroler vorlasse.

Sie antwortete: »Ich gehe zum General!«

Nun räusperte sich der Forstamtsschreiber, ein Bayer, und der brachte folgendes vor: »Ich kenne ihn nicht näher, den General Baraguay, aber was man so von ihm hört, von den schlechtesten soll's keiner sein. Ich weiß nur, daß seine Gemahlin eine Deutsche ist, eine deutsche Edelfrau, die er sehr brav behandeln soll, wie man hört. Und ein Mensch, der sein Weib gut hält, ist auch sonst kein Spitzbub'. Seine Frau soll ja bei ihm sein, in Bozen, und da hätte ich gemeint, wenn die Mahrwirtin mit dieser Frau wollt' reden, das wäre vielleicht das Gescheiteste.«

»Das ist eine Red'!« sagten die Bauern und nickten mit den Köpfen.

Der Pfarrer von Sankt Jakob brachte auch etwas vor. Der war mit einer Frau von Giovanelli bekannt, und von der wußte er, daß sie eine gute Freundin der Frau Generalin sei, und von der müsse die Mahrwirtin ein Empfehlungsbriefel haben, daß sie vorgelassen werde. »Bei so einem Nebenthürl kommt man hinein.«

So wurde beraten und Frau Notburga war ganz frisch und munter geworden. Ihr Peter wird ja bald wieder daheim sein. Gegen Abend desselben Tages hatte der Pfarrer auch schon das Empfehlungsschreiben der unweit Klausen wohnenden Frau von Giovanelli zu Handen und des Kreuzwirtes Pferde standen mit der Kutsche vor dem Wirtshaus.

Notburga war fertig. Das Wirtshaus hatte sie gesperrt, das übrige kleine Hauswesen der Hanai übergeben. Den kleinen Peter auf dem Schoß, neben ihr die Marianna und der Hans, ihr gegenüber der treue Bruder Augustin, alle wohlverwahrt in Loden und Kotzen, so saßen sie in der geschlossenen Kutsche, und so fuhren sie mit einem aufseufzenden »In Gottesnamen« davon.

Zur selben Stunde hatte es auch der Tonele erfahren, wie es mit dem Mahrwirte stand, und daß die Frau mit den Kindern nach Bozen fahre, um für den Verurteilten einen Fußfall zu thun. Zwar hatte ihm der Achel-Schuster zu verstehen gegeben, ein Toter könne nicht mehr lebendig gemacht werden und ein solcher von den Franzosen Verurteilter sei so viel als tot. Diesem schrecklichen Schuster schleuderte der Spielmann den Stock vor die Füße. Dann hub er ihn aber wieder auf und lief gegen das Mahrwirtshaus.

»Ich muß mit nach Bozen!« rief er, zur Thür hineinstolpernd.

»Der Wagen ist schon davongefahren,« hieß es.

»Und wenn ich mir die Füße ablaufe bis auf die Knie, ich will auch zum General!«

Hatte schon die Wirtin wenig Vorbereitungen gemacht für die Reise, der Tonele machte gar keine. Seine surrende Klampfen an der Seite, einen Stock in der Hand – da war er's. Wieder flink und frisch, als ginge es zu einer Hochzeit, wanderte der junge Spielmann die Straße entlang gegen Bozen.

Fast bis zur Erstarrung verblüfft war die Magd Hanai. Jetzt, da er etwa ein bißchen den Herrn hätte spielen können im Hause unter ihrer Botmäßigkeit, jetzt rennt er fort. Und keine Wegzehrung von ihr und kein »Behüt' Gott« für sie – gerade, als ob er für sich allein jemand wäre! Sie wünscht ihm nichts Schlechtes, aber wenn er unterwegs verhungert und erfriert und bei stockfinsterer Nacht in den reißenden Eisack fällt, so geschieht ihm recht!



 << zurück weiter >>