Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Peter, du bist unser Vertrau! Verlaß uns nicht!

Daß Peter auf dem Wallfahrtsweg zum Heiligen Kreuz ein schweres Herz hatte, das wissen wir schon. Und daß es durch den Wortwechsel mit Kulber nicht leichter geworden war, das wissen wir auch. Und daß der Auftritt vor der Franziskanerkirche die Sache noch schlimmer gemacht hatte, können wir uns denken. Sein Weh ward so heiß und wild, daß er hineinlief in den nächtigen Wald und dort seine beiden Fäuste sich an die Stirn schlug: Es ist ja nicht möglich! – Im Beten hatte er Trost suchen wollen, jetzt war ihm auch das zerstört. Nach Waffen zuckten seine Arme, doch er durfte kein Hochverräter werden. Er hatte gekämpft, aber diese zwecklosen Kämpfe waren dann ja ebenfalls Rebellion und Mord gewesen! Wie? – Der arme Wirt an der Mahr mußte es erfahren, daß eine starke That und ein zartes Gewissen miteinander keine Gemeinschaft haben können. – Seit der Friede im Lande geschlossen war, hatte er den Krieg in seinem Herzen.

Bisher in diesen schweren Tagen hatte er die Priester als Verkünder der Kaisertreue, der Vaterlandsliebe und des Kampfesmutes, um Gotteswillen angesehen. Und jetzt hatte er eine Stimme gehört, daß man des Irdischen wegen keine Hand rühren solle, daß man fremder Tyrannen geduldiger Knecht sein müsse, nichts und gar nichts im Sinne, als ein besseres Jenseits. Jetzt kam er zu sich, jetzt war es ihm klar: Wenn dieser Geist Verbreitung findet, dann ist alles verloren. –

Gehetzt von solchen Gedanken eilte er tiefer in die Waldungen hinein. Zwischen Felshängen eine finstere Schlucht war's, durch die er hinaufging. Der Mond am Himmel wurde mit Wolkenfetzen verhüllt oder vom Walde verdeckt. In den alten Baumkronen zauste und brauste der Wind; die Tannen und Fichten standen starr, aber die jungen Lärchen bogen sich rauschend nieder und ihre dürren Nadeln flogen dem Wanderer an die heißen Wangen. Wohin wollte er? Daran dachte er nicht, nur immer weiter und aufwärts ins Gebirge. Er ging über blasses rauhes Gestein, er wand sich zwischen Busch und Knieholz, er kletterte an Runsen empor und also trieb er's die ganze Nacht. Müde ward er nicht. Doch als in einer hohen, Felswüste die Morgensonne über ihn kam, blieb er stehen, fuhr mit der Hand über die nasse Stirn und fragte sich: Was ist das? – Eine Art Beschämung war in ihm darüber, daß er so planlos und unsinnig umherirre, und siehe, ganz plötzlich war ein vernünftiger Grund da: Er sucht den Hofer, oder den Speckbacher, oder irgend einen der Flüchtlinge, vielleicht kann er ihnen nützen. – Also ging er weiter und weiter und schaute nicht um, und er ging über Schutt und über Schnee und über Eis, und er stieg in ganz fremder Gegend nieder, dann wieder bergwärts auf eine Alm, wankte einer öden, verfallenden Hütte zu, dort auf Stroh und Moos sank er um.


Als Peter wach wurde, wußte er weder, wie lange er geschlafen hatte, noch wo er war, noch was er wollte. Vor der Hütte stand er lange und starr wie ein Strunk. Erst besann er sich, daß er der Mahrwirt sei bei Brixen. Oder war er ein Bandenhäuptling? War er vor den Bayern geflohen? – Nein, das ist nicht, das ist nicht, vor meinen eigenen Landsleuten bin ich geflohen. Was will ich nun da? Die Bergspitzen ringsum tragen Schnee, es ist ja späte Herbstzeit. Zwar scheint die warme Sonne, aber der Reif hat alle Rasen versengt zwischen den Steinen. Reif liegt in allen Schatten, Eiskrusten hat der Quell. – Wie wird es dem Sandwirt ergehen? Ich wollte was geben drum, wenn ich wüßte, in welchem Gebirge ich bin. Von allen Bergen, die da sind, habe ich noch keinen gesehen. Aus tiefen Gräben schaut ein Wald herauf, blau vor lauter Ferne. Wo sind denn die großen Thäler, daß man keines sieht? – Daß es gar so tot sein kann in solchem Birg! Mein Weib, meine Kinder unten in der falschen Welt. Wären sie da heroben, ich wollte ihnen Wurzeln graben aus dem Schnee, Raben schießen aus der Luft. Nur daß sie diesen Lügenhunden nicht unterthan wären! – Sollte das der Schlern sein, der dort so starr und finster aufsteigt aus weiten Almen! O Landsmann, wenn ich dich lebendig machen könnte, daß du dieses Gezücht zermalmtest, das fremde und das – andre. Und dort! Weite Eisfelder! Sollten das die Stubaier sein? Oder Oetzthaler Ferner? Mein Lebtag, wie ist das schön! Fernerland, ureigenes Land Tirol, dich erobern sie nimmer. Wir flüchten zu dir hinauf, lieber im Eis, als da unten . . .

So jagten sich die Gedanken im Haupte des weltflüchtigen Mannes, den die Ereignisse der nächsten Vergangenheit so unheimlich erregt hatten. Nun saß er auf einem Stein, blickte hinaus ins sonnige Alpenland, so groß und schön, wie seinesgleichen nimmer zu finden. – Er weinte. – Dann ward ihm leichter. Er dachte nicht daran, ob er dableiben, und nicht ob er weitergehen werde, ganz gedankenlos machte er sich die Hütte zurecht, daß man zur Noth darin wohnen konnte. Er bereitete aus dürrem Zirm Brennholz, er schlug Feuer mit Stahl und Stein, er that aus seinem Wallfahrerbündel die Nahrung hervor, die auf mehrere Tage reichen konnte.

Also blieb Peter in der Alpenhütte. Das Wetter war mild und lau und am folgenden Morgen hatte sich Nebel niedergesenkt mit feinem, weichem Regen, als wäre hochsommerliche Zeit. Da hatte sich aller starre Reif gelöst und zwischen den moosgrauen stumpfkantigen Steinen sproßte junges Gras. Der Mahrwirt strich zwischen Felsblöcken, Wänden und Knieholzbeständen umher, kam hier an einen Abgrund, wo er nicht weiter konnte, weil sich der Absturz in bodenlosen Nebel verlor, kam dort an eine Wand, wo er auch nicht weiter konnte, weil sie senkrecht aufstieg in den spinnenden Nebel. Eine sich sachte niedersenkende Matte war da, über die ging er nicht, denn von dort war er gekommen. Dann kam wieder der frühe Abend, er kehrte in die Hütte zurück, machte Feuer, hing schweren Gedanken nach und wußte nicht, was er wollte und sollte.

Denn einer, der sein bisheriges Leben als Wirt an belebter Straße verbracht, ist in einsamem Fürsichhindenken gar unbeholfen; bei solchen Leuten wird der Gedanke erst klar und brauchbar in dem Augenblicke, wo er für Zuhörer in Worte gesetzt werden kann. Ohne den Körper des Wortes sind ihre Gedanken gleichsam Gespenster, die arg irre führen können. Ein Mensch, der rührige Arbeit gewohnt ist, soll nicht grübeln.

Manchmal las er in seinem Gebetbuche Stellen aus der Heiligen Schrift, die ihn anmuteten wie Klänge aus der Jugendzeit, da er in Schule und Kirche solche Sprüche sagen und singen mußte.

Eines langen Abends, während draußen der Regen rieselte und an vielen Stellen die Tropfen niederklatschten in der verwitterten Alpenhütte, dachte Peter: Oft habe ich gemeint, ins heilige Land möchte ich einmal reisen. Jetzt thäte ich's. Dieser verschwefelte Franziskaner hat mir meinen Glauben höllisch in Fetzen gepredigt, ich muß ihn wieder ausflicken. Im heiligen Stall zu Bethlehem, beim Flusse Jordan, auf dem Berge Tabor und auf dem Berg Calvari möcht's wohl wieder besser werden. Und wenn's richtig ist, daß jeder Mensch sich beim Grabe unsres Herrn eine Gnade erbitten könnte . . . für Tirol wollte ich beten . . .

Und in der darauffolgenden Nacht war seine Seele eine Pilgerin nach dem Morgenlande. Nicht die heidnischen Stätten der Griechen, der Römer, der Aegypter berührte er, wie es andre Reisende zu thun pflegen; auf blauen sonnigen Wässern fuhr er schnurgerade der Küste zu, hinter welcher der Libanon steht. Er fand im bethlehemitischen Stalle die Krippe, in welcher das Jesuskind gelegen war. Der Mahrwirt sank auf die Knie und begann so inbrünstig zu beten, so selig zu schluchzen – – daß der Mann, welcher jetzt in der Alpenhütte vor dem Schlafenden stand, nicht wußte, was da vorging.

Kulber! Der war nicht zufrieden gewesen mit seinen neuen Erfolgen unten im Thale, der hatte den Mahrwirt gesucht und so lange gesucht, bis er nun vor ihm stand; da in diesem öden Gebirge, unter zerrissenem Dache lag der Vermißte erschöpft, im Schlummer noch erregt und schluchzend. Als Kulber am Abende zuvor unten vom Bergjoche aus durch den Regenschleier das Licht gesehen, hatte er seine Schritte heraufgelenkt. Mit einem Freudenschrei wollte der leidenschaftliche Mann den Gefundenen wecken, besann sich aber doch, und bei dem Scheine der verglimmenden Herdglut blickte er still auf ihn hin. Aber dieses scharfe Hinblicken weckte den Schlummernden auf, er öffnete die Augen, richtete sich empor, und stieß im Schreck mit heiserer Stimme die Worte aus: »Wer ist da? Wer ist da?«

»Mahrwirt,« sagte Kulber in traulichem Tone, nach dessen Hand langend. »Ich bin's, dein Freund Kulber, kennst du mich nicht?«

Peter erhob sich schweigend vom Lager, schaute zur halb offenen Thür hinaus in die Nacht, rieb sich die Stirn, trat dann zur Herdglut, um an derselben einen Leuchtspan anzublasen.

»Kulber,« murmelte er endlich und rieb sich immer wieder die Stirn. »Was willst von mir? Du weißt es ja, du weißt es ja!«

Anstatt darauf zu antworten, fragte der Genannte: »Haben sie dich verfolgt, daß man dich da heroben in der Wildnis suchen muß?«

»Wer hat mich denn zu suchen?« sagte Peter, den Span in der zitternden Hand haltend. – »Ach, Freund,« setzte er in weicherem Tone bei, »ich bin herb, sei mir nicht böse. Nur zu einer andern Stunde hättest du kommen sollen. All mein Lebtag ist mir nicht so wohl gewesen, als zu dieser Stund', und du verdirbst mir alles.«

»Hast du so süß geschlafen?«

»O Gott, dieser Traum!«

»Bist du just etwa dabei gewesen, wie sie den Bonaparte zu Innsbruck auf den Rathausturm hängen? Bei dieser Belustigung möchte ich dich freilich nicht gern gestört haben.«

»Mensch, was weißt du,« sagte nun Peter, »ich gehe ins heilige Land.«

»Ah, was du da schwatzest! Unser heiliges Land ist Tirol.«

»Ich kann mir nicht helfen, ich muß fort,« sagte Peter. »Erstens das große Unglück, und zweitens dieser Franziskaner.«

Da lachte Kulber auf: »Dieser verrückte Mönch! Wer wird solche Sachen so ernst nehmen!«

»Nimmst du die Religion nicht ernst? Ich sage dir's, ich habe gerade genug. Ich reise ins heilige Land.«

»Was willst du denn dort?« lachte Kulber. »Nein, nein, Kamerad, ich lache nicht über deinen Glauben, ich lache nur über deine Einfalt. Der Franziskaner, sagst du. Ich sage dir, das heilige Land thut mehr, als der Franziskaner. Wenn du deine kindlichen Vorstellungen aus der Heiligen Schrift zu Grunde richten willst, so gehe eilends in das heilige Land. Anstatt Christi Spuren findest du feilschende Heiden und zankende Sekten dort. Alles Schmutz, Selbstsucht, Schacher, das Land kahl, öde, räuberisch, alles und jedes anders, als du dir's nach der Bibel denkst; erst vor kurzem hörte ich es von einem Kapuziner zu Bozen, der dort gewesen. Geh' nur hin, Peter, bettelarm bis ins blutige Herz hinein kommst du wieder heim.«

Der Mahrwirt wendete sich ab, dann wieder zum Genossen und sprach: »Kulber, du bist schlecht. Weißt du es so sicher, so rede mir die Reise anderswie aus. Brauchst schon du keinen christlichen Trost, so braucht ihn vielleicht ein andrer. Warum alles so grausam zerstören, das ist ein Teufelsgeschäft, daß du's weißt!«

»Mahrwirt,« sagte hierauf Kulber: »Betrüge dich nicht selbst, du bist es ja nicht, was du jetzt sein willst, du bist es von Natur aus nicht, nur aus Verzagtheit kommt's dir so vor, aber du bist keiner, du bist kein Betbruder!«

»Das nicht,« murmelte Peter, »so einer bin ich nicht.«

»Also sei wieder der vernünftige Mensch, der du warst und höre mir zu. Umsonst will ich dir nicht nachgestiegen sein in dieses wilde Birg. Vielleicht ist's doch auch was Christliches, was mich wieder zu dir führt, und du magst mich von dir weisen wie du willst, es ist für Gott, Kaiser und Vaterland, da weiche ich nicht. Du bist ein Vorbild gewesen an Klugheit und Tapferkeit im Kampf und hast den großen Sieg mit errungen. Und du willst dem Herrgott und dem Vaterlande und uns allen wirklich untreu werden? Nein, nein, Peter, das darf nicht sein, sie rufen dich, die Brixner, die Grödner, die Sterzinger, alle rufen sie dich!« Er packte ihn am Arm: »Peter, du mußt mit mir!«

»Laß das gut sein,« sagte der Mahrwirt, sich frei zu machen suchend. »Ich habe meinen Mann gestellt und es ist alles aus.«

»Aus? Wer sagt denn das? O Freund, jetzt hebt's erst an!« rief Kulber; seine Arme zuckten, in seinen Augen glühten rote und grüne Funken. »Bei der Kreuzkirche ist's neu beschlossen worden. Wärst du doch dabei gewesen, wie wir die Bayern dort verjagt haben. Ein guter Anfang, alles ist begeistert. Es geht, Kamerad, es geht besser als das erstemal. Der Hofer kommt auch, der Speckbacher hat uns dasselbe sagen lassen. Der Johann Gruber, der Eisenstecken, der Thalguter mit ihren Leuten, sie sind alle bereit. Nur die unsrigen warten noch auf dich.«

»Der Hofer auch?« fragte Peter, »es hat geheißen, daß er im wilden Birg ist.«

»Hast du gehört, daß er bald in die Hände der Franzosen gekommen wäre?«

»Na, wär' nicht übel!«

»Verraten ist er worden, von einem Bauernknecht.«

»Das ist nicht wahr!« rief der Mahrwirt, »den Sandwirt zeigt kein Tiroler an.«

»Auf dem Dürnjoch. Ein Hirtenknabe, heißt es, soll ihn im letzten Augenblick noch gerettet haben. Und jetzt kommt er hinab und thut wieder mit. Und du kommst auch, du mußt, Peter, du mußt! Ich laß deine Hand nimmer aus, du bist unser aller Vertrau, verlaß uns nicht! Schau, die Pusterthaler sind alle auf, die Kärntner rücken an und haben bei Lienz eine siegreiche Schlacht geliefert. Große Kriegsbeute. Im obern Innthal haben die Bauern ein bayrisches Regiment zurückgeworfen und an zweitausend Mann sind von den Bauern gefangen worden. Dann muß ich dir noch was sagen, auch die Schweizer und die Spanier haben sich melden lassen, daß sie kommen. Im Zillerthal auf einer Alm ist einem Hirtenmädel die Muttergottes erschienen, dreimal nacheinander, und hat gesagt: Ehe sieben Samstage vergehen, ist mein liebes Land Tirol wieder frei. – Es geht, Kamerad, es geht!«

»Hunger wirst haben,« sagte Peter, auf Brotreste deutend, »nimm halt fürlieb.«

»Ich laß deine Hand nimmer aus.«

»Zusetzen kannst einem du! Schon höllisch zusetzen,« entgegnete der Mahrwirt. »Aber mit gehe ich jetzt nicht. Ich will mir's noch überlegen, will noch einmal darüber schlafen.«

»Noch einmal schlafen?« rief Kulber fast aufgebracht. »Wie lange willst denn noch schlafen? Wo oben am Inn alles voll Feinde ist. Alle Tage rückt ein neues Regiment herauf von Kufstein. Der Löw Befer will schon über den Brenner.«

»Der Löw Befer? Wer ist denn der?«

»Das ist der französische General, der gesagt hat, die Straßen müßten für die französische Reiterei mit geknebelten Tirolern gepflastert werden! Ja, mein Mensch, das ist derselbe. Und du willst schlafen!«

»Morgen früh wollen wir noch davon reden. Leg dich jetzt aufs Stroh.« Also der Mahrwirt, und weiter sagte er nichts mehr. Er warf sich auf das Lager. Dem andern blieb nichts übrig, als sich auch hinzulegen, und nun lagen sie nebeneinander auf dem morschen Stroh, jeder schwieg, keiner schlief.

Als es ein wenig zu dämmern begann, stand Kulber schon aufrecht und öffnete die Thür ins Freie. Es war ein klarer Morgen und in rotem Golde stieg der Tag auf über den fernen Hochzacken der Tauern.

»Mahrwirt, es ist Zeit!« rief Kulber.

»So geh hinab. Ich will heute noch einmal mit mir Rat halten. Ich will mir selber zureden, kann es sein, so komme ich morgen nach.«

»Deine Hand drauf, Kamerad!«

Der Mahrwirt reichte ihm die Hand.

»Richtig ist's,« sagte Kulber mit kräftigem Handschlag, »Peter Mayr, wir sind bereit und warten nur auf dich!« –

Kurze Zeit später und der Mahrwirt war wieder allein auf der öden Alp.



 << zurück weiter >>