Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

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Das Kriegsgericht Seiner Majestät des Kaisers der Franzosen

Fast die ganze Nacht und einen halben Tag lang waren sie mit ihm auf dem Wege gewesen herab vom Gebirge. Der rauschenden Alfers entlang hatten sie ihren Weg genommen, und, endlich ins Thal gelangt, rechts gegen Brixen hin. Unterwegs bei den Ortschaften hatte sich auch Besatzungsmannschaft dem Zuge angeschlossen, um einem etwaigen Aufruhr in der Bauerschaft vorzubeugen. Das bayrische Gericht zu Brixen hatte noch festgestellt, daß der gefangene Flüchtling richtig Peter Mayr, der Wirt an der Mahr ist, welcher die Muhre in den Eisackschluchten gemacht hat. Also eilends fort mit ihm nach Bozen.

So mußte der Zug am Mahrwirtshause vorüber. Von diesem aus sah man zuerst den Trupp schwer bewaffneter Soldaten, mindestens an sechzig Mann, die raschen Trabes die Straße herankamen. Voran auf hohem Roß ein Offizier. Als dieser den aufgeregten Volkshaufen sah, der vor dem Wirtshause sich zusammengewirbelt hatte, rief er schmetternd: »Platz da! Platz für den Rebellen!«

Die Gewehre rasselten, die Säbel funkelten, die Leute wichen zurück. Nun zogen sie heran und mitten unter ihnen der Mahrwirt. Er ragte fast über die Söldner hervor, obzwar er gebeugten Hauptes ging. Der spitze, verwitterte Filzhut saß ihm so windschief, daß man wohl merkte, er hätte sich ihn nicht selber auf den Kopf gestülpt. Haar und Bart waren lang und verwildert, Eis und gestocktes Blut hingen dran. Das Angesicht des sonst so frischen und kräftigen Mannes war eingefallen und blaß zum Herzbrechen. Einmal, zweimal war sein Blick hingezuckt an das Haus, an welchem sie vorbeimarschierten. Dann schaute er zu Boden, nicht trotzig, sondern ergeben. Seine Hände, auf den Rücken gebunden, waren vor Kälte und der strammen Fesselung ganz blau angelaufen. Um den breiten Ledergurt, sowie auch um den Hals waren ihm Stricke gelegt, an denen ihn zwei Mann führten und deren Schlingen jeden Augenblick zusammengezogen werden konnten. Die kurze braune Joppe war an mehreren Stellen zerrissen, ein Aermel blutig, Zeichen, daß er sich freiwillig nicht ergeben hatte.

Die umstehenden Leute flüsterten nun erschreckt und zaghaft untereinander. »Wohin schleppen sie ihn?« – »Nach Bozen.« – »Dann ist es aus mit ihm.« Auch ergingen sie sich in Mutmaßungen, wo und unter welchen Umständen er denn aufgegriffen worden sein mochte. Auf einmal wurde es laut: »Hinter dem Hochkofel haben sie ihn ertappt, in der Roßhöhlen haben sie ihn abgefangen!«

Das hörte der Spielmann, der an der Hausthür stand. Er hörte es und wurde leichenblaß.

»Was? Was haben sie gesagt?« Den Nebenstehenden fragte er in einem Tone, als würde ihm die Kehle zugeschnürt.

»Ah, da steht er ja, der ihn verraten hat!« riefen jetzt mehrere und zeigten mit ausgestreckten Fingern auf den Tonele. »Der hat's gethan!«

Nun eilte Frau Notburga herbei, warf sich vor dem Offizier auf die Kniee und bat, daß man den Gefangenen eine Stunde rasten lasse in seinem Hause.

»Nehmt Abschied von ihm!« Das war der Bescheid.

Das Weib stürzte sich an die Brust des Gefesselten und voll des Jammers rief sie aus: »So sehen wir uns wieder!« Das Busentuch riß sie sich herab und reinigte damit sein Angesicht. »Du armer Mensch!« sagte sie im Tone innigster Milde und Zärtlichkeit, wie man zu einem Kinde oder zu einem Sterbenden spricht. »Du mein armer Mensch! Wie hat denn das können sein?«

»In's Kärntnerische wollte ich hinüber,« gab er zur Antwort. »Am Hochkofel oben, in einer Höhlen habe ich wollen rasten – dort haben sie mich abgefangen.«

»Daß wir so unglücklich müssen werden!« klagte Frau Notburga, in helles Weinen ausbrechend. »Was hast du denn gethan, als was nicht deine Pflicht ist gewesen und die andern all nicht auch gethan haben! Was wollen sie denn mit dir? Jesus, was wollen sie denn mit dir?«

Peter sagte kein Wort darauf. Voll unendlicher Betrübnis schaute er sie an. Sie war zu Boden gesunken und krampfhaft umspannte sie seine Kniee. Da rief der Mahrwirt: »Weib, zu dem schau auf!« Sein Auge leuchtete gen Himmel.

Die Leute stöhnten vor Mitleid, selbst die Soldaten waren bewegt, die Pferde trabten ungeduldig auf der klingharten Straße. Peter wendete sein Haupt gegen das Haus hin; die er suchte – sie waren nicht zu sehen.

Er beugte sich nieder: »Notburga lebe wohl. Und die Kinder . . .«

Das Wort, er vermochte es kaum hervorzubringen.

»Vorwärts!« kommandierte der Hauptmann. In demselben Augenblicke sprang in wilden Sätzen der junge Spielmann aus der Menge heran und mit einem markdurchdringenden Schrei warf er sich hin vor den Mahrwirt.

»Tritt mich tot!« rief er kreischend, »wie einen Giftwurm tritt mich tot!«

»Toni!« sagte der Mahrwirt, »sei nicht kindisch.«

»Ich hab' dich verraten!«

»Was sagst du?«

»Ich hab' dich verraten!«

Peter lachte traurig auf: »Das wäre nicht leicht möglich. Kein Mensch hat's gewußt, wo ich umgeh'. Gott allein hat es gesehen.«

»Hör' mich, Mahrwirt. hör' mich!« rief der Bursche mit vor Aufregung bebenden Lippen. »Im Wirtshaus zu Albeins. Sie haben mich gefragt und gefragt, und ich müßt' wissen und ich sollt's sagen. Da denk' ich: Er ist in der Steinwänd, aber sie lassen mir eher keine Ruh', ich muß sie anfoppen. Der Hochkofel fällt mir ein und die Roßhöhlen, und dort ist er, sag' ich. – Jesus, himmlischer Vater, und dort bist gewesen!«

Wimmernd preßte der Bursche sein Angesicht in den Schnee.

Da sagte der Gefangene herb: »Toni, hättest du geschwiegen davon, was du nicht weißt, oder die Wahrheit gesagt nach deinem Wissen – ich ginge jetzt nicht diesen Weg.«

»Vorwärts!« donnerte das Commando. Der Gefesselte wurde von den Bütteln vorangezerrt und weiter ging's den Marsch gegen Bozen.

Der arme Spielmann blieb liegen am Straßenrand; einer aus der Menge sprang hin und versetzte ihm Fußtritte an Haupt und Rücken, der Tonele ließ es geschehen und blieb liegen. –

Als der Trupp mit dem Gefangenen gegen Klausen kam, war es schon finster und Peter erschöpft zum Umsinken. Der größte Theil der Begleitung verlor sich hier, vier oder sechs Soldaten und der Hauptmann walteten ihres Amtes. In der Ortschaft nahmen sie einen Bauernwagen, warfen den Gefesselten hinauf, banden ihn fest an den eisernen Ringen, deckten ihn zu mit einem alten Lodenmantel, und also fuhr Peter Mayr, der Bauernhäuptling, dahin den schauerigen Kuntersweg. Er lag auf dem Rücken, so daß sein Gesicht dem Sternenhimmel zugekehrt war. An beiden Seiten ragten die finstern Schroffen auf, in der Tiefe toste der Eisack. – Dieses Wasser erinnerte ihn an mancherlei. An das Weidenflechten und Fischfangen in der Kindheit; an das Hirtenleben in den Auen; an das Mädel, welches einmal am Eisackufer gesessen ist, die Füße ins Wasser gehalten und mit emsiger Hand die nußfarbenen Zöpfe geflochten hat um das Haupt. Als er plötzlich hinter ihr stand, der junge Mensch, war sie so sehr erschrocken, daß sie aufsprang und durch den Fluß lief gegen das andre Ufer. Mitten im Wasser glitschte sie aus, fiel hin und wallte davon. Der junge Mensch sprang nach, zog sie ans Ufer – und aus diesem Mädel ist später die Frau Notburga geworden. Das war bei den Auen gewesen, wo der Eisack in die Etsch rinnt. – Aber noch andres rauschte dieses wilde Wasser. Von der Muhre und von den anderthalbtausend Menschen . . . Hier waren sie ja herabgeronnen, die Todten, so wie jetzt der Wagen dahinrollte, der Stadt Bozen zu – dem Kriegsgerichte.

Die Felszacken des Rosengartens leuchteten kalt und rot in der aufgehenden Sonne, als der Wagen, stets umgeben von den wachsamen Bütteln, durch das Stadtthor rasselte und zwischen den Lauben der hohen Häuser hin die engen Gassen. Sprachlos blieben die Leute stehen, als sie hörten: das wäre der Peter Mayr, der Mahrwirt bei Brixen, der die große Muhre gemacht in den Eisackschluchten. Peter grub sein Gesicht ins Stroh, er wollte nicht hinschauen auf die Leute, er hatte in dieser Stadt manchen guten Bekannten. Er hörte es, wie jemand sagte: »Gott, der Mensch ist ja schon tot!«

Der Wagen rollte voran und endlich in den düsteren Hof eines burgähnlichen Hauses. Die Mauern waren klafterdick, die Fenster schwer vergittert, die Thore mit Eisen beschlagen, und überall Soldatenwache mit aufgesteckten Spießen. Das war die alte Fronfeste Sankt Afra. Peter wurde vom Wagen gehoben, durch lange Gänge hin in ein kellerartiges Gemach geführt und dort seiner Fesseln entlastet. Er spürte keine Hand mehr an seinen Armen, die Finger waren steif und dunkelblau und wie abgestorben, die Beine waren wie aus Holz und er konnte kaum aufrecht stehen auf dem Pflaster. Man setzte ihm Speise vor und ein Krüglein Wein, er rührte nichts an, sondern legte sich auf den Strohbund und sank bald in Schlaf.

Aus holdem Traume, wie er daheim im blühenden Garten mit den Kindern scherzt, ward er unwirsch aufgerüttelt. Er möge sich bereit machen, er würde vor den General geführt.

Peter zuckte die Achseln, er war ja bereit. Er wußte recht gut, was das bedeutete: vor den General. Es war der französische Graf Baraguay, von dem es hieß, daß er in sein Wappen den Spruch habe schreiben lassen: »Gerechtes Gericht, und wenn Himmel und Erde bricht!« Und Verbrecher in den Augen der Franzosen waren ja die aufständischen Tiroler alle.

Als Peter über den Platz dem Gerichte zugeführt wurde, läutete auf dem Turme der Stadtpfarrkirche die Glocke. Marktleute entblößten ihre Häupter, der Gefesselte konnte seinen Hut nicht abziehen, doch betete er still für sich das Ave Maria.

Ein Herrenhaus war es, in welches der Mahrwirt geführt wurde. Die breite Steintreppe war an beiden Seiten bestanden mit rötlichgesprenkelten Marmorbrüstungen und schneeweißen Steingestalten aus dem alten Heidentume. Die Flügelthür, die jetzt aufging, war freundlich weiß angestrichen und ebenso weiß auch die Wände des lichten und geräumigen Saales, in den der Gefangene eintreten mußte. Die Fensternischen, die Gesimse und die Wandeinfassungen waren mit goldenen Leisten und schelmisch geschlungenen Schnörkeln üppig geschmückt. Die Decke war bemalt: bunte Jünglings-, Frauen- und Engelsgestalten, mit Rosenranken spielend in heiterem Reigen. Aus den Wänden standen goldene Armleuchter hervor, untenhin standen rotseidene Ruhebänke und Sessel, dann lichtfarbige Tische mit gebogenen Füßen und darauf große Blumenvasen, in welchen sogar frische rote und weiße Rosen staken. Die Täfelung des Fußbodens war so glatt und glänzend, daß man in derselben alle Gestalten des Saales sich spiegelnd nach abwärts stehen sah. – Also war der Raum, in welchem der arme Bauernwirt nun sein Schicksal erwartete.

Im Saale waren viele französische Offiziere anwesend, alle in voller Uniform: die meisten mit hohen Stiefeln, weißen Hosen und Röcken, die blauen Schärpen leicht um den Leib geschlungen; an der Seite den Degen mit zierlichem Griff, an den Achseln schwere goldene Quasten. Aber auch andre Uniformen waren da, und mancher trug an der Brust ein Kreuz, ein funkelndes Sternlein. Die Häupter hatten sie entblößt. Es waren Greise darunter mit buschigen Eisbärten und kahlen Schädeln, es waren stattliche Männer mit feingedrehten Schnurrbärten. Und einer war unter ihnen von nicht großer aber gedrungener Gestalt, wohlgenährtem bartlosem Gesichte, welches durch die gebogene Nase und das rundlich hervortretende Kinn auffiel. Unter den sehr buschigen Brauen blitzten ein Paar graue Augen, mit denen er lebhaft um sich schaute. Die noch dunklen Haare des Hinterhauptes waren nach vorn gelegt. Die ganze Erscheinung war würdevoll und jugendlich zugleich. An der Brust hatte dieser Mann zahlreiche Ehrenzeichen, darunter einen großen Stern.

Das war der Obergeneral, Graf Baraguay, der wegen seiner Strenge in Tirol der »welsche Löwe« genannt wurde. Doch gab es Leute, die wissen wollten, daß dieser Löwe nicht jeden zerreiße, den er anknurre, und man erzählte von ihm manchen Zug menschlicher Güte.

Als der Mahrwirt in den Saal geführt wurde, trat ihm der General rasch einige Schritte entgegen und blickte ihn forschend an. Dann wendete er sich um, trat zurück zu den übrigen Offizieren und sagte in französischer Sprache: »Das wäre also das Ungeheuer? Den Mann habe ich mir anders gedacht.«

Ohne eine Entgegnung abzuwarten, schritt er einmal, die Hände auf dem Rücken, quer durch den Saal und wieder zurück, dann gegen die Offiziere: »Meine Herren, ist es dringend?«

Einer antwortete, daß keine Zeit zu verlieren sei.

Der General befahl mit leisen raschen Worten, daß man dem Gefangenen die Fesseln abnehme. Als das geschehen war, konnte Peter erst seinen Hut vom Kopfe ziehen; er that's und wischte sich mit der flachen Hand das Haar über die Stirn herab; das that er mit gelassener Ehrerbietung, als stünde er vor seinem Pfarrer. Alsbald begann der General selbst in deutscher Sprache das Verhör. Die Worte sagte er in ruhigem, aber scharf entschiedenem Tone.

»Wer sind Sie? Wie heißen Sie?«

Peter stand aufrecht, nur mit etwas vorgeneigtem Haupte da, blickte dem Herrn offen ins Gesicht und antwortete nicht laut aber deutlich, ohne sichtbare Erregung und ohne Trotz: »Ich heiße Peter Mayr, bin der Wirt an der Mahr – bei Brixen.«

»Wie alt?«

»Zweiundvierzig Jahre.«

Der General machte wieder seinen Marsch durch den Saal und murmelte: »Das ist jung, mon Dieu, das ist noch jung!« Dann zum Gefangenen: »Haben Sie Familie?«

»Ein Weib und drei Kinder.«

Wieder ein Gang durch den Saal. Dann vor dem Mahrwirt stramm stehen bleibend: »Sie waren schon während des Sommeraufstandes unter den Rebellen?«

»Herr,« antwortete Peter, »Rebellen sind wir nicht. Es war Krieg, wir sind für unsern Kaiser, für unser Land gestanden.«

»Bien. Ich gebe das zu. Damals. Sie haben bei der Mühlbacher Klause ein Gefecht geliefert?«

»Ja.«

»Und sich tapfer dabei gehalten. Ich achte den Mann auch im Feinde. – Was aber später?«

Der Gefangene schwieg.

»Später folgte der definitive Friedensschluß und das Land war neuerdings besetzt von dem rechtmäßigen Herrn, Seiner Majestät dem Bayernkönig. Die Empörer waren geflüchtet, das Land kam zur Ruhe, nicht wahr?«

Peter schwieg.

»Hernach eines Tages,« fuhr der Feldherr fort, »als vom Norden französische und bayrische Truppen herabmarschierten gegen Italien, ging in dem Engthale, genannt die Eisackschluchten, eine große Muhre nieder und tötete gegen eintausendfünfhundert Mann!«

Peter stand ruhig und schwieg.

»Eintausendfünfhundert Mann!« wiederholte der General nachdrücklich. »Brave Soldaten! Auch Familienväter! Nicht als Feind zogen sie durch, sondern als Freund und Beschützer. Vom Hinterhalte her tückisch getötet!«

Mit durchdringendem Blick schaute er auf den Angeklagten. Dieser zuckte nicht mit den Wimpern.

»Mehr als einen Freund,« fuhr der General fort, »habe ich verloren bei diesem beispiellosen Meuchelmorde. – Sie schweigen. Wissen Sie von der Sache?«

»Ja.« sagte Peter.

»Was glauben Sie, ist die Muhre zufällig niedergegangen?«

Nach einigem Zögern antwortete der Mahrwirt: »Das glaube ich nicht.«

»Rebellen haben sie vorbereitet! Diesmal werden Sie mir die Rebellen verzeihen! – Peter Mayr! Wußten Sie um die Vorbereitung?«

»Ja,« antwortete Peter.

»Waren Sie mit dabei?«

»Ja.«

»Haben Sie mit Hand angelegt?«

»Ja.«

»Waren Sie einer der Rädelsführer?«

»Ich kann es nicht leugnen.«

»Wohl gar der Hauptanführer?« –

Peter schwieg.

»Wissen Sie, wer anfangs den Plan für eine solche Muhre gefaßt hat? Und ganz besonders für diese Muhre, mit der Absicht, viele Hunderte von Menschen meuchlings zu töten? – Sprechen Sie, wer hat den Plan gemacht, geleitet, ausgeführt?«

Peter stand unbeweglich da und schwieg.

Der Feldherr nahm einem nebenstehenden Offiziere Schriften aus der Hand: »Hier steht alles geschrieben. Wir haben zehnfache Zeugenschaft.«

»Sie ist nicht nötig,« sagte Peter.

»Also gestehen Sie es ein, Peter Mayr, daß Sie die Muhre ausgedacht haben und ausführen ließen?«

Jetzt hob Peter langsam sein Haupt und sagte: »Ja.«

Unter den Offizieren, die das Verhör aufmerksam verfolgt hatten, entstand eine Bewegung. Der General schritt wieder durch den Saal, noch schärfer als vorhin. Plötzlich wieder zum Angeklagten mit lauter Stimme: »Und als Sie das thaten, haben Sie die Folgen bedacht?«

Peter nickte mit dem Haupte.

»Geben Sie acht auf das, was Sie sprechen. Haben Sie die Verheerung in ihrer ganzen Größe wirklich im vorhinein bedacht?«

Nun antwortete Peter: »Ich habe sie wohl bedacht, gewünscht und erwartet.«

Zornig stieß der General seinen Fuß auf den Boden, daß es dröhnte.

Nach einer Weile, da es still gewesen war, that der französische Feldherr einen tiefen Atemzug, dann sprach er, und leise zitterte seine Stimme: »Peter Mayr! Sie haben auch ein menschliches Herz in der Brust. Sie haben ja Weib und Kind und wohl noch andre Menschen, die Ihnen nahe stehen. Haben Sie nie um einen gebangt, wenn er in Gefahr war? Als Sie durch Ihre That so namenloses Leid verursachen sollten, hat sich da Ihr Herz nicht geregt?«

»Wohl doch, wohl doch!« murmelte Peter.

»War dieses Herz denn ein verfluchter Kieselstein in jenen Tagen?«

»Herr, der Krieg!« versetzte der Gefangene.

»Zum Henker, der Krieg!« rief der General, wieder den schweren Fuß auf die Dielen stampfend. »Friede war! Von den Völkern ersehnter, von Kaiser und König unterzeichneter Friede. Gesegnete Zeiten sollten wieder kommen. Der Bayernkönig begann dem Lande seine Huld zuzuwenden, es sollten auch die alten Sitten und Gesetze eurer Grafschaft wieder zu Rechte kommen. Eure alten Freiheiten waren neuerdings gewährleistet, eurer Väter Glauben war geschützt, für die Aufständischen eine allgemeine Amnestie in Aussicht gestellt, überall und überall keimte der liebe goldene Frieden, den ich, ein alter Soldat, nach allem Elende, weiß Gott, selbst mit Freuden begrüßte. – Da geschah diese unerhörte That. Alles ist wieder aus Rand und Band und mit einem einzigen Schlage von eigenen Landeskindern das arme Land Tirol unvergleichlich tiefer ins Verderben gestürzt, als es je durch einen Feind geschah. – Peter Mayr! Sie stehen vor uns als die verkörperte Empörung. Wohl kaum einen Schimmer von Hoffnung haben Sie mit hereingetragen in dieses Haus.«

Gesenkten Hauptes stand der Angeklagte da.

Der General sagte: »Tirol müßte Sie langsam zu Tode steinigen. Wir wollen es gnädiger machen.«

Und Peter stand immer unbeweglich da. Mehrere der anwesenden Offiziere haben es später erzählt, daß sie eine seltsame Beklemmung gefühlt, als der Tiroler Bauer so hilflos und so reuelos und so ungebrochen vor ihnen gestanden.

Der General fragte nun gemessen und fast gedämpft: »Angeklagter, haben Sie noch etwas vorzubringen?«

Der Gefangene schüttelte das Haupt.

»Sie haben nichts zu sagen. Gut.«

Der General wendete sich zu den Offizieren. Einer derselben schien die Aufgabe gehabt zu haben, den Angeklagten rechtlich zu vertreten, denn er sagte: »Nach dem, was wir gehört, ist jede Verteidigung nutzlos. Der Angeklagte verzichtet wohl selbst darauf.«

Hierauf redete der General eine ganz kurze Zeit in französischer Sprache mit den Offizieren, dann traten diese zurück. Der General Graf Baraguay blieb mitten im Saale stehen, zog seinen Degen, und diesen blank auf den Fußboden stemmend, sprach er mit lauter und feierlicher Stimme: »Peter Mayr, Gastwirt an der Mahr bei Brixen in Tirol, ist überführt und geständig, nach vollzogenem Friedensschlusse mit Vorbedacht und Absicht die Bergmuhre in den Eisackschluchten, wobei eintausendfünfhundert Soldaten ums Leben kamen, veranlaßt und ausgeführt zu haben. Das Kriegsgericht Seiner Majestät des Kaisers der Franzosen verurteilt den Rebellen Peter Mayr zum Tode durch Pulver und Blei.«



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