Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

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Sei bereit zum Kampfe!

Als die beiden Männer gegen ihren Pfarrort kamen, schlichen sie von hinterwärts durch den Schachen zur Kirche hin und in die Sakristei, wo der Pfarrer sein Hirtengewand gegen die kirchliche Kleidung vertauschen konnte. Der Meßner spähte ringsum in die Gegend aus und da er nichts Verdächtiges bemerkte, ging er in die Taberne, wo bei Brot und Wein die Wallfahrer harrten, und zeigte ihnen an, daß der Pfarrer bereit wäre, die Beichte abzuhören.

Ein alter Mann und drei stattliche Matronen waren es, die fern aus dem Pusterthale hergekommen, um frommen Sinnes die Wallfahrt zu verrichten bei dem Bildnisse des heiligen Apostels Jakobus. Sie waren in würdiger dunkler Gewandung mit Bündeln und Pilgerstäben und um ihre knochigen, sonnenverbrannten Hände hatten sie den Rosenkranz gewunden. Zwei der Frauen hatten über das Gesicht lange Schleier, wie Klösterinnen. Der alte Mann hatte bei seiner Ankunft die bestaubten Stiefel zusammengebunden über der Achsel getragen, um in barfußem Wandern Sünden abzubüßen. Sie mußten an Seelenlast schwer aufgepackt haben, denn sie waren gar wortkarg und zerknirscht, und als jetzt die Nachricht kam, der Pfarrer sei schon bereit, schlürften sie noch rasch den Rest ihres Trunkes aus und eilten in die Kirche.

Der Priester saß, immer noch ohne ordentliche Fußbedeckung, mit Chorhemd und Stola am Leibe, im Beichtstuhl, dessen offene Vorderseite durch einen blauen Vorhang verhüllt war, und an dessen beiden Nebenseiten die mit gekreuzten Holzflechten vergitterten Fensterchen waren, durch welche das Beichtkind knieend mit dem Gesalbten, der da drinnen anstatt Gottes saß, verkehren konnte. Der Beichtstuhl war mit mancher Zierat versehen und über demselben, an der Kirchenwand, hing das Bild des heiligen Johannes, der einst von der Prager Brücke gestürzt worden war, weil er das Beichtgeheimnis nicht verraten wollte. Die Kirche atmete ihren kühlenden Weihrauchduft und es dämmerte schon, so daß man die Altäre und die zahlreichen Bildnisse nur in dunkeln Umrissen sah. Die rote Ampel vor dem Hochaltar flackerte ein wenig, weil draußen sich ein Wind erhoben hatte, der vom Etschlande kam und manchmal jetzt durch eine Fensterfuge winselnd hereinpfiff.

Die vier Wallfahrer gingen, vor lauter Demut fast schleichend, in der Kirche zwischen den Sitzstuhlreihen hin bis an den Beichtstuhl; der alte Mann ließ den Frauen den Vortritt. Während die eine Wallfahrerin schon vor dem Gitterfensterchen kniete, flüsterten die übrigen miteinander, als machten sie ihre Bemerkungen über die reiche und kunstvolle Ausstattung der Kirche, über die Darstellungen aus der heiligen Geschichte, die, wenn auch nicht mehr deutlich gesehen, doch immerhin die Bewunderung der Wallfahrer erregen mochten.

Das erste der Beichtkinder war ohne weiteres absolviert worden; es ging mit langsamen Schritten hinweg und kniete nieder vor dem Hochaltare, um im Stande der Gnade nun andächtig zu beten. Beim zweiten Beichtkinde wurde der Beichtvater laut; seine Worte waren weiterhin zu verstehen. – »Ich kann dich nur absolvieren, wenn du als Tiroler den heiligen Glauben hältst, wie es unsre Vorfahren immer gethan haben im Lande Tirol!« Die Beichtende gab das Versprechen, erhielt den Segen und kniete dann ebenfalls hin vor den Altar.

Ungewöhnlicher ging es beim dritten Beichtkinde her. Da sagte der Pfarrer ein- um das andremal: »Du mußt lauter sprechen, ich verstehe dich nicht.«

Hierauf sprach die Beichtende freilich so laut, daß es auch die andern hören konnten: »Aber mein Gewissen, Hochwürden! Wie soll ich mich denn zurechtfinden? Die Oesterreicher haben Frieden gemacht und das Tirolerland an Bayern abgetreten und der König von Bayern ist jetzt unsre von Gott eingesetzte Obrigkeit. Und in Tirol heißt's, wir sollen gegen die Bayern aufstehen und sie aus dem Lande vertreiben. Und jetzt sagt mir mein Gewissen: das ist Empörung, der von Gottes und Gesetzes wegen aufgestellten Obrigkeit sollst du unterthan sein. Jetzt, Euer Hochwürden, wie soll ich das halten?«

Darauf antwortete der Priester dann auch so verständlich: »Als die Pharisäer den Herrn versuchten, fragend, ob sie dem Kaiser die Steuer zu zahlen hätten oder nicht, antwortete er: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist. Ist da von einem Könige die Rede? Nein, nur von Kaiser und Gott. Auch in unserem Falle ist die Sache so sonnenklar, daß ein Zweifel dran schon an Gottlosigkeit grenzt. Der von Gotteswegen aufgestellten Obrigkeit sollst du unterthan sein. Ganz recht, wer aber ist die von Gott über uns katholische Christen aufgestellte Obrigkeit? Ist es der durch den gottlosen Empörer Bonaparte abtrünnig gewordene Bayernkönig? Nein, es ist Seine apostolische Majestät, des heiligen römischen Reiches Kaiser. Oder wem hast du den Eid geschworen? Dem Bayernkönig? Nein, dem hast du nicht geschworen. Und hättest du es thun müssen, so wäre es ein erzwungener Eid gewesen, und ein solcher gilt nicht vor Gott und gilt nicht vor dem irdischen Gesetz. Den Eid hingegen hast du geschworen bei der heiligen Taufe der katholischen Kirche, die nun von den Bayern verfolgt wird, den Eid hast du wie deine Vorfahren geschworen deinem rechtmäßigen Landesherrn, dem Kaiser Franz. Was uns Tiroler jetzt von ihm trennt, ist nicht die freie Entschließung, sondern die Gewalt Wenn der Räuber dir die Herde aus dem Stalle führt, gehört sie deshalb schon ihm? Nimmermehr, sie gehört dein und deine Sache ist es, sie mit Gewalt wieder zurückzunehmen. Ich sage dir: sei bereit zum Kampfe!«

Darauf entgegnete das Beichtkind völlig verzagt: »Ich verstehe es wohl, ich verstehe es, aber wir sind ganz ohnmächtig. Das kleine arme Tirol kann den allmächtigen Franzosen und allen andern großen Völkern, die mit ihm vereinigt sind, nicht widerstehen. Es ist ja lächerlich, wir werden zertreten wie ein Wurm.«

»O kleingläubiger Christ!« rief der Beichtvater. »Also kleinmüthig sind auch die Jünger gewesen auf dem Schifflein Petri, als der Sturm war; aber der Herr hat dem Meere geboten. Nur dürfen wir die Hände nicht in den Schoß legen. Hilf dir selbst, so hilft dir auch Gott!«

»Es ist alles recht, Hochwürden, aber wie angreifen?«

»Weib, du bist eins und redest auch wie ein solches,« sagte der Pfarrer und setzte leise bei: »Es wird schon vorbereitet und wir sind nicht allein. Ich sag's euch zum Troste, Oesterreich ist mit uns. Der Kaiser Franz hat uns sagen lassen, wir wären seine lieben Tiroler und würden es bleiben. Kommt's zum Kampf, so wird er da sein. Der Erzherzog Johann ist schon im Anzug mit einer großen Armee; es ist alles verabredet, sobald das Zeichen gegeben wird, geht's los. Da wird jeder Tiroler zum Stutzen greifen und zum Messer. Gott selbst hat uns das Bergland Tirol gebaut als eine unüberwindliche Feste, und wer in diesem heiligen Kampf für Gott, Kaiser und Vaterland fällt, der kommt vom Mund auf in den Himmel. Weib, wenn du einen Gatten hast, oder Kinder, oder andre, mit denen du schaffen kannst, schicke sie in den Kampf, der Herr wird mit ihnen sein. Geh selber mit, trage ihnen Erfrischung zu, lade die Gewehre, rolle Steine nieder von den Bergen auf die Heeresstraße, wo der Feind marschirt. Keiner und keine bleibe daheim, dieser Streit ist verdienstlicher als alle Wallfahrt und alle Buße. Wer in diesem Streite steht, der hat keine Sünde mehr. Weib, du kniest jetzt als arme Sünderin vor dem Priester und der spricht zu dir im Namen Gottes: Keine andre Buße und Genugthuung als die: sei bereit zum heiligen Kampfe!«

Als der Beichtvater so gesprochen, stand das Beichtkind rasch auf und gleichzeitig erhoben sich auch jene am Altar, kamen herbei und sagten: »Wir haben es gehört. Selbst der Beichtstuhl wird benützt zur Volksaufwiegelung. Was soll es weiter, wir führen den Befehl aus.«

Der Pfarrer war nicht wenig überrascht, als er anstatt der Matronen drei wohlgerüstete feindliche Häscher, vor sich stehen sah, welche die Vermummung von sich geworfen hatten und nun den Priester aus dem Beichtstuhl rissen.

»Pfaffe, du bist uns in die Falle gegangen!« lachten sie und banden seine Hände, »du sollst es wohl natürlich finden, wenn man dich und deinesgleichen erschießen wird!«

»Ich finde es ganz natürlich,« gab der Pfarrer ruhig zur Anwort. »Und ihr müßtet es wohl natürlich finden, wenn wir katholische Priester gegen eine Gewaltherrschaft protestieren, die das christliche Gewissen so grob beleidigt, der nichts und gar nichts mehr heilig ist, die ihre Spione frevlerisch in Kirche und Beichtstuhl schickt, um die Diener des Herrn zu belauern. Erschießet mich nur. Ihr ohnmächtigen Kriegsknechte, die ihr nur den Leib töten könnt, der Geist wird euch doch besiegen, ich sage es euch.«

»Wir werden dich vor den Richter bringen,« sagte nun das alte Männlein, »dort wirst du uns alles erzählen, was du von den Vorbereitungen zum Aufstande, von den Oesterreichern und dem Erzherzog Johann weißt.«

Auf solches Wort hatte der Pfarrer nichts als ein mitleidiges Lächeln.

»Du wirst scharf befragt werden, Schwarzer!« sagte einer der Häscher.

»Ich kann mir's denken,« gab der Priester gleichmütig zur Antwort.

»Lasset das,« versetzte nun wieder der Greis. »Der Mann that, was seines Amtes war. In der Kirche, im Beichtstuhl darf er nicht anders sprechen, die fanatischen Tiroler selbst würden ihn steinigen. Außerhalb seines Amtes ist es anders, da ist er Mensch und Staatsbürger, der auch seinen und seines Landes greifbaren Vorteil nicht unterschätzen wird. Unser Herr ist nicht bloß mächtig, er ist auch gütig und großmütig. Der geplante Hochverrat muß aufgedeckt werden. Und der Seelsorger kann seiner Gemeinde keinen christlicheren Dienst erweisen, als wenn er ein Verbrechen vereitelt, das sie im Begriffe ist zu begehen.«

Nun hob der Pfarrer erregt die gebundenen Arme gegen den Sprecher und schrie: »Beschimpfe mich nicht! Ich bin ein Tiroler und ihr sollet noch erfahren, was das heißt.«

Auf dem Turme schlug die Glocke an in heftigen, unregelmäßigen Schlägen. Der Meßner hatte die Gefahr bemerkt und läutete Sturm. Als die Häscher mit ihrem Fang zur Kirche hinaus wollten, war das Thor verschlossen. Draußen tobte der Lärm nahender Bauern, denen der Meßner vom Turme herab mittheilte, daß der Pfarrer von Spionen gefangen sei und daß mitsammt dem Pfarrer auch diese in der Kirche glücklich gefangen seien.

Drang ein wildbärtiger Bursche vor und führte mit seinem Knüttel einen Schlag gegen das Kirchenthor. Der Schlag wurde von innen heftig erwidert. Das Thor gab keiner Seite nach und nun entspann sich folgende Verhandlung.

»Macht auf, im Namen des Königs!« schrieen sie drinnen.

»Aufmachen? Das werden wir schon gewiß nicht thun,« sagten sie draußen.

»Wenn ihr nicht öffnet, so machen wir euern Pfarrer auf der Stelle kalt,« schrieen sie drinnen.

»Dann werdet ihr die warme Sonne nimmer sehen,« sagten sie draußen. »Wohlfeil geben wir unsern Pfarrer nicht.«

Als die Häscher merkten, es wären ihrer draußen viele und die Gefahr nicht gering, riefen sie: »Wenn ihr das Thor öffnet und ruhig eures Weges geht, so soll der Pfarrer wieder euer sein.«

Und von draußen: »Wir glauben euch nichts. Wer vermaschkeriert wie ein Komödiant in Häuser und Kirchen einschleicht und in Altweiberkittel kriecht, um ehrliche Leut' zu überlisten, das ist ein Schelm und dem glaubt man nichts.«

Hierauf von drinnen: »Das wäre auch was Neues, daß der Tiroler keinen Spaß verstünd'! Machet nur auf, wir gehen als gute Freunde auseinander.«

Und nun rief von innen der Pfarrer: »Machet nicht auf, Leute, sie haben Waffen und würden euch niedermachen. Mir kommt bei dieser Zeit das Sterben nicht sauer an und meine Haut ist jetzt vier Feinde wert.«

»Wir werden ihm das Sterben schon sauer machen,« setzte drinnen einer der Häscher bei.

»Thut es nur,« rief einer von draußen, »wie ihr ihm, so wir euch!«

Mittlerweile hatte der Meßner vom Turmfenster den Schlüssel herabgeworfen. Während einer der Bauern den Schlüssel ins Loch steckte, stellten sich die andern sechs oder sieben mit ihren Knitteln und Hacken hart an die Thür, um sofort einzudringen, die Feinde niederzumachen und den Pfarrer zu befreien. In demselben Augenblick knallte ein Schuß und der bärtige Bauernbursche sank lautlos nieder an der Kirchenwand.

Vom Thale herauf rückten Truppen, da meinten die Bauern, sie wollten sich auf etwas Besseres sparen, als hier niedergepfeffert zu werden, und der Pfarrer hätte doch nichts davon. Sie eilten hinterwärts der Kirche den Berg hinan, nachdem einer noch den Kirchenschlüssel aus dem Schloß gerissen und zu sich gesteckt hatte. Die anrückenden Soldaten schleuderten den Toten beiseite, brachen das Thor auf unter dem Jubel der »frommen Wallfahrer« drinnen, und der würdige Pfarrer, zu halb noch im Hirtenkleide und zu halb im kirchlichen Gewand, wurde davongeschleppt und entgegengeführt dem Gerichte. Der Meßner blickte vom Turmfenster aus dem Zuge nach, dann hub er an zu läuten, als ob es ein Leichenzug wäre . . .



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