Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

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Mahrwirt, ich möcht' nit in deiner Haut stecken!

Der Mahrwirt auf der Flucht hatte in Nacht und Nebel die Steinwänd glücklich erreicht. Der Stadel, welcher zwischen den Felsen im kleinen bewaldeten und tiefverschneiten Hochthale stand, war in der Eile von den Bauern so hergerichtet worden, daß ein Mensch zur Not ein paar Wochen drin leben konnte. Es fehlte nicht an einem rohgemauerten Kochherde, nicht an Brennholz, nicht an Brot und Wildfleisch, nicht an Heu, um sich zu bergen. Sogar mehrere Eschenholzklötze waren vorhanden und Schnitzwerkzeuge dabei, damit der Flüchtling sich mit etwas beschäftigen konnte. Tags über war es recht frostig in dem dunkeln Raume, denn heizen und kochen durfte der Einsiedler erst, wenn es Abend ward und der aufsteigende Rauch nicht zum Verräter werden konnte.

Aber trotz aller Vorsicht sollte des Verbleibens an diesem versteckten Orte nicht lange sein. Schon in der vierten Nacht seines Aufenthaltes im Stadel bemerkte Peter, daß unten bei dem etwa eine halbe Stunde entfernten Steinwändhäusler der Kettenhund ununterbrochen bellte, was in den vorhergehenden Nächten nicht so gewesen. Bald nach Mitternacht waren dort ein paar Flintenschüsse abgefeuert worden. Der Mahrwirt ahnte nichts Gutes, eilends machte er sich fertig, band Schneereifen unter seine Sohlen, hing den Rucksack über und den Stutzen und flüchtete hinan ins hohe Gebirg. Anfangs ging es leidlich über den Schnee; als der Morgen anbrach, war er schon auf den Steinboden. Hier über gefrorenem Schnee war bei einiger Achtsamkeit auch ein leichteres Vorwärtskommen als im Sommer über das klobige Gestein. Peter dachte an die Hütte, in welcher er etliche Wochen früher Zuflucht gefunden hatte. Aber wie sollte er dahin kommen?

Um die Mittagszeit, als er rastete und hinausschaute in die blendende Schneelandschaft der hohen Berge, und hinab in die Thäler, die mit rostbraunem Nebel vollgestopft waren, bemerkte er zu seinem Schreck eine schwarze Kugel, welche aus den Tiefen über die Schneefelder sich gegen ihn heranbewegte. Peter eilte weiter und erreichte einige Stunden später das Plankhornkar, eine Gegend, die er von früher her kannte und wo mehrere Alpenhütten gestanden waren. Diese Hütten standen jetzt nicht mehr, aber die feuergebräunte Mauer eines Kochherdes ragte aus dem Schnee hervor. Abgebrannt. Der Mahrwirt wanderte weiter, trotzdem seine Kraft fast erschöpft war, er mußte zu den Hütten der Oberthalalm gelangen. Aber auch hier fand er nur Brandstätten.

– So heißt es hier umkommen, weiter kann ich nicht mehr. Mit diesem Gedanken ließ der Flüchtling sich nieder auf den Schnee. Da kam die Lehne heran jene schwarze Kugel ganz langsam auf ihn zugeschwebt. – In Gottesnamen, sie sollen mich haben! so gab er sich drein. Aber bald zeigte es sich, daß die schwarze Kugel kein Verfolger war, sondern daß unter derselben ein alter kleiner Tiroler Bauer herankeuchte. Ein großer Ballen war es, den der kleine Alte trug und der ihn vorhin auch völlig verdeckt hatte, so daß es schien, er gleite auf der Schneefläche ganz allein daher. Ein Kleinhäusler aus Schalders mit einem breitkrempigen Rundhute und einem mageren Maulwurfsgesichtlein; er war genannt der Möselgugu und als ein höchst freimütiger Mann bekannt.

»Auff – auff – auff – Warum willst denn du mich umbringen, Mahrwirt?« rief der Alte schnaufend dem Flüchtlinge zu. »Alleweil hab' ich geschrieen: Wart, Wirt, ich komm' dir nit mehr nach! Aber rennen wie ein Berghas. Daß du vor den Bütteln laufst, die richtig schon in der Steinwänd sind, muß man dir wohl verzeihen, aber daß dir vor mir altem Hascherl 's Herz in die Hosen rutscht, das ist wild. Auff – auff! Kotzen und Speck hab' ich da.«

»Bist mir nachgeschickt, Mösel? Vergelt' dir's Gott!« So der Mahrwirt, sonst sprach er wenig.

Weil's nun schon dumper wurde über den weiten Schneehöhen, so gingen die beiden Männer gegen die Felswand, suchten Unterschlupf und krochen in eine Spalte, die der Schnee mit einem Vorwall fast verschlossen hatte. Dort verbrachten sie die Nacht.

Am nächsten Morgen hielten sie Rat, was nun zu beginnen sei. Der kleine Möselgugu mußte dabei immer so steil zum großen Mahrwirt aufschauen, daß er deswegen ganz mißmutig wurde und anhub, den großen Menschen von oben herab zu behandeln. »So groß sein, das ist auch nit schön!« schnauzte der Möselgugu, »achten hab' ich dich immer müssen, weil du soweit ein braver Mensch bist, Mahrwirt, aber extra gern hab' ich dich nie gehabt. Jetzt spielen sie dich gar, was weiß ich, auf einen Heldenmann aus. Andre haben auch was geleistet, kümmert sich keine Katz' um sie. Aber halt der Mahrwirt! Bitt' dich schon um Verzeihung, ich bin aufrichtig.«

Ja, das wußte Peter schon lange, daß der Möselgugu immer darauf aus war, den Leuten Unangenehmes ins Gesicht zu sagen, was aber nicht hinderte, daß er im Rufe stand, es mit jedermann im Grunde gut zu meinen.

»Mahrwirt, ich möcht nit in deiner Haut stecken,« fuhr der Möselgugu in etwas träger Redeweise fort zu sprechen, »du wirst nimmer viel Gutes haben auf der Welt. So ein Gewissen! Hast doch viel Leut' umgebracht. Die armen Seelen derer von den Eisackschluchten werden dir auch zusetzen, na ich glaub's. Will schon beten für dich, wirst es nötig haben.«

»Trösten kannst einen du aber schon sehr gut!« lachte der Mahrwirt etwas unglatt auf.

»Mußt verzeihen, ich red' halt, wie ich mir denk'.«

»Daß du mir mit Pelz und Loden nachgekommen bist, werd' ich dir nie vergessen,« sagte der Mahrwirt.

»Glaubst du, daß ich's gern gethan hab'?« schrie der Alte mit scharfem Stimmlein in die Luft hinaus, »so weit geht die Nächstenlieb' nit, daß ich den Flüchtlingen meinen Speck nachtrage. Vom Steinwändhäusler und den andern bin ich geschickt. Haben mich ja zum Aufpasser gemacht, die Racker, unten beim Stadl, daß die Schergen nit haben können anschleichen. Gefroren dabei wie ein Eiszapfen. Als ob unsereines Leben weniger wert wär', als das eines andern. Aber ich brauch' halt einen Verdienst. Und du mußt jetzt ins Passeier hinüber, daß ich wieder heimgehen kann.«

Ins Passeier hinüber. Das war ein weiter, im Winter kaum passierbarer Weg, um so sicherer jedoch vor den Verfolgern. Der Mahrwirt band die Sachen zusammen, um sich auf die Wander zu machen. Dabei fragte er den Möselgugu, ob er keine Nachricht vom Mahrwirtshause habe.

»Nix!« rief der Alte. »Wird viel sein, wenn's noch steht, dein Haus. Gestern hat's wieder recht viel Rauch gegeben unten bei Brixen herum. Gewisses weiß ich nit. – Aber mach, mach, Mensch, daß du weiter kommst.«

»Du kannst schon heimgehen, Mösel,« sagte der Mahrwirt. »Ich werde schon auch allein weiterkommen. Nimm dir ein Stückel Speck mit auf den Rückweg.«

»Behalt' du deinen Speck nur selber, wirst ihn schon brauchen, bist eh hundsmager.« So der Alte und dann machte er sich davon.

Der Mahrwirt atmete fast auf, als er wieder allein war. Dieser Möselgugu, dachte er, ist doch ein bissel stark aufrichtig. Bei dem seiner Wahrheitsliebe möchte ich für nichts gutstehen, wenn ihn die Büttel nach dem Mahrwirt fragen. Und wenn man's nimmt, er hat recht; für einen armen Teufel gibt's selten Gelegenheit, was zu verdienen. Aber ich will mich lieber sicherstellen. Den Feinden jetzt in die Hände zu fallen, das wäre so das Richtige! Möchten nachher dem Lande alles Mögliche mit mir herauspressen wollen. Den Spaß machen wir ihnen nicht.

Als der Möselgugu aus seinem Gesichtskreise verschwunden war, änderte Peter die Richtung. Nicht dem Jaufnerjoche und nicht dem Passeiergebirge strebte er zu, sondern links über die weiten Höhen hin wanderte er gegen den Ritten hinaus. Besonders beunruhigt hatte ihn das vom Rauch in der Brixner Gegend. Ein heftiges Verlangen, wenn auch nur aus der Ferne sein Haus zu sehen, kam über ihn. Er wanderte unter mannigfaltigen Beschwerden über das Gebirge hinaus und niederwärts, bis er vom waldigen Pfeffersberg hinabsehen konnte auf die Mahr. Sein Haus stand friedlich unter der Felswand.

In seiner Rocktasche hatte er mehrere Schriftsachen stecken gehabt, die ihn ängstigten und die er auch nicht gerne vertilgen wollte. Es waren Briefe von andern Bauernführern, darunter auch einer von Dörninger. Nun er der Gefahr näher kam, war es unaufschiebbar, dieselben zu verbrennen, was er in einer Holzerhütte auch that. Dann stieg er thalwärts. Oberhalb der Ortschaft Velthurns stand ein unbewohntes Kleinhäusel, dessen eine Dachseite schon so zerrissen war, daß überall die Sparren des Dachstuhls bloßlagen. Bei einer solchen Lücke kroch Peter hinein und durch ein mit Lappen schlecht verstopftes Fensterchen guckte er hinaus, gegen die Mahr hin. Um zum Fenster hinauszuschauen, mußte er auf einen Strohhaufen knieen, der an der Wand lag, und dabei spürte er unter demselben etwas wie einen lebendigen Körper. Im Augenblick bohrte aus dem Stroh ein struppiger Bauernkopf hervor: »Mahrwirt, du bist es? Um aller Heiligen willen bitt' ich dich, verrat' mich nit!«

»Das ist ja der Kerschbaumer!« sagte Peter, »suchen sie auch dich?«

»Schon seit zwei Tagen lieg' ich in diesem Streuhaufen. Oben in Schnauders hab' ich einen Welschen erschlagen, der just beim Brandlegen gewesen. Jetzt das ist den Herren nit recht und wollen mich ein bissel henken. Gestern hat einer bei der Dachlucken hereingeschaut. Ins Talfererthal wollt' ich hinüber, aber der ganze Ritten soll voller Schergen sein.«

»Helf Gott. Ein Stück Brod und ein Trum Speck kann ich dir dalassen. Weiter muß ich auf mich selber schauen,« so der Mahrwirt, und bald darauf eilte er draußen durch den Wald gegen Klausen hinab. Wenn der Ritten besetzt ist, so muß er auf die andre Seite hinüber, dem Ampezzo zu, von dort ist Kärnten erreichbar. – Das war nun sein Reiseplan. Auf einmal sah er sich in der Nähe französischer Soldaten, welche in den Wäldern streiften. Der Mahrwirt ließ sein Bündel, das er seit dem Möselgugu zu schleppen hatte, sachte zur Erde gleiten, stand in seinem braunen Gewande zwischen braunen Kieferstämmen und blieb unbeweglich dort stehen bis zur Abenddämmerung. Mehrmals waren die Büttel nur wenige hundert Schritt von ihm entfernt, sie spähten immer durch das Gestämme, bemerkten ihn aber nicht, denn er stand still wie ein Baumstrunk.

Als die Dunkelheit eingetreten war, übersetzte er nächst der Klamm den Eisack und ging durch das enge Villnößerthal hinauf gegen das wilde Gebirge. Die wenigen Waldleute, die ihm begegneten, konnten ihn für einen übersiedelnden Taglöhner halten. Wo der ausgetretene Pfad aufhörte, verwischte er mit einem Fichtenaste, den er hinter sich nachzog, die Spuren seiner Füße im Schnee, damit es aussah, als habe ein Bauer Reisig vom Berg herabgezogen. Er hatte Zuversicht, denn weit und breit war hier nichts als die Wildnis und der öde Winter. War er nur erst drüben in den weißen Bergen, dann konnte er hoffen, Innerösterreich zu erreichen.

Tagsüber lag er in irgend einer Wald- oder Alpenhütte, in den sternhellen Nächten wanderte er. Eines Tages, bevor er noch das Uebergangsjoch erreicht hatte, kam Peter in ein Felsenkar, das eingeschlossen war von Wänden und nirgends eine Stätte zum Rasten zu bieten schien. Er kletterte das terrassenförmige, theilweise schneefreie Gewände hinan, um sich in einer Felsenspalte niederzulassen. Da fand er eine Kluft in den Berg, eine größere Höhle, deren Eingang mit Eiszapfen vergittert war. Peter brach mit dem Gewehrkolben dieses Gitter, daß er sich hineinzwängen konnte. Da drinnen war es ziemlich trocken, aber ganz finster und die Fußtritte widerhallten wie in einem großen Gewölbe. Der Boden war rauh und spießig, allein die Luft war nicht so kalt wie draußen, daher beschloß Peter, in dieser Höhle die folgende Nacht zuzubringen. Nach seiner Berechnung war es die Weihnacht. Er zündete mit Mühe den Rest einer Talgkerze an und holte etwas Nahrung hervor aus seinem Rucksack, der schon bedenklich zusammengeschrumpft war. Während des Mahles betrachtete er die Steingebilde, welche im Halbdunkel gespenstisch aufragten und niederhingen und hinter welchen manchmal ein Geräusch war, als husche und flattere manches Gethier umher. Der Flüchtling bereitete sich in einer niedrigen Nische ein Lager, that ein Gebet zum Kinde Jesu, dessen Geburt zur Stunde gefeiert wurde in allen Kirchen des Landes, dann sank er nach den vielfachen Strapazen in einen tiefen Schlaf. Kaum eine Stunde hatte dieser gedauert, als Peter jählings emporfuhr. – War nicht eine Muhre niedergegangen? Nein, ein Traum ist's gewesen. – Aber er konnte nicht mehr recht zur Ruhe kommen. Du sollst aufstehen, so fiel es ihm ein, du sollst heute noch über das Joch. – Er blieb doch liegen und betete ein Vaterunser für die armen Seelen im Fegefeuer. Denn er hatte oft gehört, wer in seinem Bette nicht einschlafen könne, der solle der armen Seelen gedenken. Auch das war vergebens. Da sah er plötzlich einen zuckenden Lichtschein, der im Eisvorhange Regenbogenfarben spielte. War das auch ein Traum? – Peter sprang von seinem Lager auf, wollte hinaus, da krachte das brechende Eis und sie standen vor ihm.



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