Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

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Peter, du sollst kommen und uns regieren helfen!

»Mir brauchen enk nit! Aus ist's!« Was bedeutet das? Ist alles hin? Oder ein großer Sieg? Friedensschluß? Oder nur ein trotziges Ablehnen, weil sie so spät gekommen? Das Grödnerthal liegt fernab, seine Berge sind hoch. Ein harter Marsch war's gewesen für den Mahrwirt. Und nun abgewiesen? – nach langem Zögern, und nachdem er von mehreren fliegenden Boten das Gleiche gehört, kehrte er unmuthig um und zurück an die Mahr. Abgelehnt bei dem großen Ringen ums Heimatland! Peter Mayr hatte in diesen Tagen freilich noch keine Ahnung davon, daß er mit seiner Person noch einen viel gewaltigeren Heldenkampf werde auszuringen haben. – Nun diesmal war's vorbei, seine Leute aber hielt er beisammen.

Da kamen schon Nachrichten. Die Leute waren fast atemlos vor Freude. Sie wußten Unglaubliches zu berichten. Voller Kraft und Frische kamen die meisten zurück, voller Fröhlichkeit auch solche, die verwundet auf dem Strohkarren lagen. Peter schaute nur so drein und hörte zu, und wenn sie besonders Großes erzählten, da murmelte er: »Und ich nicht dabei gewesen!«

Kaum war er allein, so machte er sich Vorwürfe seines eitlen Denkens wegen. – Sei doch froh, sagte er zu sich selbst, daß es geschehen ist, ohne daß du noch einmal deine Hände mit Blut beflecken mußtest! Oder werden die Siege erfochten, damit die Helden sich prahlen können? Nein, des Vaterlandes wegen werden sie errungen und jeder soll seinem Gott in Demut danken, der ohne Streiten zum Frieden kommt.

Frau Notburga horchte auf jedes Wort, das da in der Wirtsstube gesprochen wurde; voller Herzensjubel war sie, und doch dürstete sie nach einer Botschaft, die nicht kam. Alles sprach von Sieg und Sieg; von einem Knaben, der aufgefunden worden und etwa auch bei den Helden gewesen, sprach niemand. Die Freude theilte sie redlich mit allen, mit dem Leide mußte sie allein fertig werden. Der Name Hans kam nicht mehr von ihren Lippen.

Drei nach Klausen heimkehrende Schützen sprachen beim Mahrwirte zu. Der eine hatte einen verbundenen Arm, der andre einen durchschossenen Hut, der dritte hatte nichts, als einen großen Durst. Dieser sprach zum Wirte, er hätte ein Schreiben zu übergeben.

»An wen?«

»An den Mahrwirt Peter Mayr.«

»Von woher?«

»Aus Innsbruck.«

»Das nimmt mich wunder,« sagte Peter.

»Vom Minister,« versetzte der Bote und zog aus der Brusttasche langsam und bedächtig einen Brief.

»Vom Minister? Geh, foppe deinesgleichen, zu Innsbruck gibt es gerade Minister!«

»Lies halt einmal.«

Das Schreiben lautete klar: »Zu Händen des Peter Mayr, des Wirtes an der Mahr bei Brixen,« und war von Josef Dörninger. – »Ah, der Dörninger! Der läßt auch einmal von sich hören! Der ist jetzt zu Innsbruck! – Darf ich wohl ein bissel Botenlohn bringen?« fragte der Wirt die Eingekehrten.

»Ei freilich! Eine Maß wird der Brief schon wert sein.«

Dieweilen sie bei Tische saßen und wohlgemut dem Kruge zusprachen, war Peter in seine Stube gegangen, um dort den Brief mit Ruhe zu lesen.

Das Schreiben lautete also:

»Lieber Kamerad!

»Du magst mich für undankbar halten, daß ich Dir nicht geschrieben habe seit Wochen, als wir auseinander gegangen sind vor Deiner Hausthür. Und hast mir dazumal in meiner Verlegenheit doch so viel Gutes erwiesen, wie es ein Bruder dem andern nicht besser thun kann, obwohl ich Dir fremd gewesen und Du es nicht hast wissen können, mit wem Du es zu thun hast.

»Ich meine aber, Du wirst das Säumen entschuldigen, weil Du recht gut weißt, daß jetzt keine Zeit zum Schreiben ist; wir haben etwas andres zu thun. Jetzt muß es doch sein und ich will Dir danken, lieber Peter, wie noch kein Mensch gedankt hat zu Innsbruck über den Brenner hinüber in Dein freundliches Haus an der Mahr.

»Freund! wer hätte das gedacht! Noch heute kann ich es nicht glauben und fürchte von Stunde zu Stunde das plötzliche Erwachen aus diesem wundersamen Traum. Daß wir gesiegt, wirst Du freilich gehört haben, hast ja selber stark dazu beigetragen. Aber wie groß der Gewinn ist, das kannst Du noch nicht wissen, das wissen auch hier noch die wenigsten und der Andreas Hofer hat selbst keine Ahnung davon, was er geleistet hat, was er heute bedeutet. Andreas Hofer! Dieser Name wird mit unauslöschlicher Schrift stehen, solange es ein Tirol gibt, und ein Tirol wird es geben, solange die Welt steht, das darf man feierlich sagen vor dem, was dieses Volk jetzt geleistet hat.

»Die Schlacht kann ich Dir nicht beschreiben, die mußt Du Dir erzählen lassen mit heißen Worten, von einem, der dabei gewesen ist und Dir ins Gesicht schauen kann, während er's sagt. Fast drei Tage hat es gedauert, halb Tirol war beisammen auf dem Berge Isel, und die andre Hälfte war im Anrücken von allen Seiten. Pulver und Blei im Ueberfluß, nichts hat uns gefehlt, am wenigsten Kurasche. Jeder einzelne Mensch war ein Held, ich hätte es nie geglaubt, daß ein einfältig Bauernvolk sich so begeistern kann für Vaterland und Freiheit. Für den heiligen Glauben! Das haben sie wohl am lautesten gerufen. Die allergrößte Kraft steckt im Glauben, das hat sich jetzt wieder bewiesen.

»Anfangs war's ein Angriff aus dem Hinterhalt gewesen auf den Feind, der in hellen Haufen in der Stadt und um die Stadt gelagert hatte. Aber er wollte nicht recht dran, das wurde endlich langweilig, und so brachen die Leute mit Geschrei und Jauchzen hervor aus Büschen und Wäldern, stürzten sich in die offene Schlacht, ins Handgemenge. Wir erschraken zuerst, den ungelenken Bauersmann mit dem geschulten Soldaten im offenen Gefecht zu sehen, aber unsere Leute rangen wie die Löwen. Es war auch keine Ordnung aufgestellt für die Feldschlacht. Jeder that was er wollte und erschlug Bayern und Franzosen, so lange bis der Feind wich, oder er selber tot war. Der Feind machte einen großen Lärm, aber eine bayrische Kanone that nicht viel mehr, als ein tirolischer Stutzen. Viele Hundert Tiroler müssen wir beklagen, aber vieler Tausend gefallener Feinde dürfen wir uns rühmen. Des Welteroberers ruhmreiche Soldaten gegen ein simples Naturvolk, es ist beispiellos. Eines aber war, mein Freund! Mitten unter uns standen drei herrliche Männer! Ja, nur diese drei Merkwürdigsten nenne ich. Du kennst sie alle drei. Der Josef Speckbacher, der Bauer am Judenstein bei Hall – er sagt, er kennt Dich – listig ist Dir der wie ein Fuchs und wild wie ein Tiger. Man hat gemeint, ein Recke aus der alten Germanenzeit wäre aufgestanden, wie er mit dem Gewehrkolben dreinsaust. Und hat Dir der einen Feldherrnkopf! Aber das Anführen allein ist dem nicht genug gewesen, überall selber hat er mitgethan; ein Bauer muß selber sein bester Knecht sein, hat er gesagt, und nur so dreingedroschen auf die Bayern- und Franzosenschädel. Zweimal habe ich es selber gesehen, wie er mitten in einem Rudel Blauhosen ist; gute Nacht, Seppel, mit dir ist's aus! hab' ich mir gedacht, da ist er Dir schon durch, aber nicht nach hinten, sondern nach vorn. Der Speckbacher bleibt auch stehen in Tirol. Dann der Haspinger! Kannst Du dir diesen kleinen Kapuziner anderswo gut denken, als auf der Kanzel? Freund, auf dem Streitroß macht sich der noch besser! In der einen Hand das Kreuz, in der andern das Schwert, inmitten der Streiter zündende Gottesworte rufend, so in den Kampf hinein, wo er am heißesten entbrennt. Und endlich der dritte, der Passeier Sandwirt, der Anderl! Das ist ein Erzmensch! Sie folgen ihm, wohin er will. So fest, so gescheit und dabei einfältig wie ein Kind. Ihm vor allem ist es zu verdanken, seiner klugen Vorbereitung seit Monaten, seinen Verbindungen und still getroffenen Anordnungen, seinem unerschütterlichen Glauben an das Recht Tirols und an den ewigen Anwalt des Rechtes im Himmel. O, was ein einziger Mann zu leisten vermag mit starkem Willen und treuem Herzen! Die Männer, mitten im Schlachten, in der Gefahr des Unterliegens und in dem Jubel des Sieges, zum Anderl blickten sie auf, wie zu einem Gott. Man konnte glauben, der Erzengel Michael habe in ihm Gestalt angenommen. Dabei ist er voller Demut und sagt, er sei nur ein unwürdiges Werkzeug Gottes. Am Himmelfahrtstag, als der Feind zurückgeworfen, geschlagen und vernichtet war – die Stunde wird keiner vergessen, der dabei gewesen –, ist der Hofer niedergekniet, an seiner Seite der Haspinger und der Speckbacher, und haben laut ein Vaterunser gebetet. Die hohen Berge ringsum, zu unsern Füßen die befreite Hauptstadt, über unsern Häuptern der blaue Sonnenhimmel – so ist das Heldenvolk in Demut auf den Knieen gelegen vor dem Herrn der Heerscharen. Selbst gefangene Feinde, darunter Lutheraner und Heiden, sind zur Erde gesunken und haben mitgebetet, so ist's über sie gekommen. Von den Feinden waren nur die Gefangenen, Verwundeten und Toten unter uns, alles andre in wilder Flucht das Innthal hinab gegen Bayern. – Und dann der Einzug in die Stadt! Unter dem Geläute aller Glocken, unter Kriegsmusik und Alpenschwegelpfeifen, unter Jauchzen und Vivatgeschrei sind wir ins schöne Innsbruck eingezogen. Dieser Freudenlärm der Bewohner, dieser Jubel aus den Fenstern! Dieser bunte Blumengruß, dieses Umarmen und laute Lachen und Aufweinen! o Freund, das war ein Fest! So haben wir den Napoleonstag gefeiert!

»Den Hofer wollen sie hineinführen in die kaiserliche Burg, aber er reißt aus. Das gebührt nicht! sagt er und kehrt bei seinem Stammwirtshaus ›Zum Adler‹ ein. Vom Fenster aus hat er dann etliche Worte gesprochen vor dem versammelten Volke, weil es ihn immer wieder zu sehen verlangt hat. Nachher ist ein grenzenloser Jubel gewesen und überall hat man gehört, und nicht etwa im Spaß, ganz im vollen Ernste: Der Anderl muß Graf von Tirol werden! Der muß uns regieren, weil sich die Oesterreicher eh nit um uns kümmern. Und der Anderl muß in die Burg! Ich sage es Dir, mit Gewalt haben sie ihn vom Gasthofe weg ins Kaiserschloß geführt, diesen Dorfwirt, diesen Roßhändler aus dem Passeierthal. Jetzt sind die abgedankten österreichischen Beamten da und die sagen es auch, der Hofer wäre der Mann dazu, der wieder Ordnung machen könnte im Land und er solle sich einstweilen nur getrost obenan stellen. So sehr hat alles auf ihn eingedrängt, daß er heimlich fliehen hat wollen, bis ihn der Pater Haspinger und der Speckbacher und andere Kameraden frisch aufgefordert: So eine Demütigkeit solle der und jener holen, und jetzt, da er die fremden Herren hinausgejagt, sei es seine Pflicht und Schuldigkeit, daß er selber Ordnung mache im Land. Und er solle jetzt keine Letfeigen sein. Da hat er mit der flachen Hand auf den Tisch geschlagen: ›Sakra seids! So will ich kommandiren!‹

»So ist es hergegangen und jetzt sitzen wir auf der Burg. Ich bin ja auch dabei. 's ist schon hübsch ausgemacht, was jeder von uns zu thun hat. Genau stimmt es wohl nicht, aber beiläufig, wenn ich sage: der Anderl ist Fürst, der Kapuziner ist Minister für Kirche und Schule, der Speckbacher ist Kriegsminister, andre Köpfe haben auch ihre hohen Stellen, und ich – wenn Du mich schon den Kanzler von Tirol nicht nennen willst, so thust Du mir doch wenigstens mit einem ›Landessekretarius‹ nicht zu viel Ehre an. In Wahrheit bin ich des Kommandanten Schreiber, denn bei ihm selber geht's wirklich nicht so recht in dieser Kunst.

»Mit Zeit und Weil werden doch die Oesterreicher kommen und uns ablösen, bishin aber müssen wir regieren und da hilft uns alles nichts. Und da brauchen wir ihrer noch mehr und der Hofer will derweil die verläßlichsten Männer des Landes beisammen haben. Also komme ich endlich zur Hauptsache dieses Schreibens. Andreas Hofer, der Kommandant von Tirol, laßt Dich, den Peter Mayr, Wirt an der Mahr, durch mich auffordern, daß Du nach Innsbruck sollst kommen, Peter. Deine Wirtschaft sollst derweil liegen und stehen lassen, wie es ja auch die andern so machen, und sollst bedenken, daß jetzt jeder dem Land gehört, und sonst niemandem. Und Du mußt kommen, Peter, und uns regieren helfen. Wir haben die Suppen eingebrockt, sagt der Hofer, wir müssen sie auch ausessen. Wir müssen jetzt feststehen. Wenn sie uns noch einmal hereinkämen, nachher – nein, mit Gottes Hilfe werden wir uns halten, und endlich werden sie sich ja doch einmal anschauen lassen, die Schwarzgelben.

»Komm also fein bald, alles Weitere wirst da dann hier selber hören und sehen. Ich schließe dieses Schreiben mit Gott, der unser Beistand sei. Und in Dankbarkeit grüßt Dich, Deine Ehewirtin und Deine Kinder

Dein treuer Freund
Josef Dörninger. 

Innsbruck. August 1809.«

Als Peter diesen Brief gelesen hatte, ging er etlichemal in der Stube auf und ab. Alle Fasern und alle Nerven zitterten in ihm, aber was nun seine Person selber betraf, da brauchte es kein langes Bedenken. Gerade so viel Zeit, als man braucht, um mit einem Taschenmesser den Gänsekiel zu spitzen und zu versuchen, ob die Tinte nicht eingetrocknet ist, bedurfte er zur Ueberlegung, was er da antworten sollte. Und er antwortete folgendes, genau im Wortlaute wiedergegeben:

»An den Herrn Josef Dörninger, derzeit bedienstet beim Herrn Andreas Hofer, Kommandanten von Tirol, in Innsbruck.

»Lieber Josef Dörninger!

»Im Anfang meines Schreibens muß ich Gott dem Allmächtigen Dank sagen, daß es so gekommen ist. Die rechten Worte kann ich freilich nicht finden, wie es mir ums Herz ist, und im Schreiben geht's mir nicht viel besser, wie unsrem Kommandanten zu Sprugg, den ich schön grüßen lasse. Was mir wohl bis zum Totenbett leid thun wird, das ist, daß ich nicht dabei gewesen bin auf dem Berg Isel. Ich habe von Gröden nicht früher zurückkommen können mit den Schützen, wir sind wohl eh schon auf dem Weg gewesen zu euch, da heißt's, wir wären nimmer von nöten und haben zurück müssen. Jetzo hab' ich in Innsbruck nichts mehr zu thun und regieren helfen kann ich nicht. Der Anderl hätt's auch nicht annehmen sollen, aber er wird's schon recht machen. In unsrem Thal sind die Bayern und Franzosen wie weggeblasen und wieder alles beim alten, Gott sei Dank. Jetzt kommen von Kärnten her auch die Oesterreicher angerückt, wie man hört. Wenn der Hofer das jetzt den Oesterreichern sagen lassen möcht', was er mir und den Grödnern Post geschickt hat! Hat uns wohl recht gekränkt. Aber gottlob, daß es so gekommen ist, wir dürfen uns nicht versündigen.

»In meiner Familie hat sich ein Unglücksfall zugetragen, der uns recht nahe geht, obgleich er nichts ist im Vergleich zu dem, was bei jetziger Zeit so viele Leute erdulden müssen. Mein Gott, viele Eltern haben ihre hoffnungsvollen Söhne verloren im Krieg. Nach dem Gefecht bei Mühlbach ist uns mein ältester Sohn Hans, mit dem Du immer Bolzen geschossen hast, verloren gegangen und nicht mehr zu finden. Wenn wir nur fürs wenigste Gewißheit hätten, daß er tot ist. Aber so in der Vorstellung: wer weiß wie's ihm geht, was er leiden muß! Das ist das Allerärgste. Nun in dem großen Glück, das unsrem Tirol widerfahren ist, wollen wir den Schmerz Gott zu lieb aufopfern. Aber meine Familie verlasse ich jetzt nicht, ihr werdet schon Bessere finden und mich leicht graten (entbehren). Lieber Josef, wir gefreuen uns recht über Dich und lassen Dich alle schön grüßen.

Dein aufrichtig gesinnter Freund
Peter Mayr.              

An der Mahr im August 1809.«



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