Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

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Zweiter Teil.

Unrecht leiden ist sündig.

Gut ist's,« sagte der Totengräber und warf die letzten Schaufeln Erde auf ein Grab. »Da drinnen steckt wieder einer. Mehr Leute als Regenwürmer – unter diesem Rasen. Und was für Leute! Lauter junge, starke Männer. Stark, wohl, stark! Jetzt schon gar, jetzt kann ihnen der Bonaparte nicht mehr an. Aber schade ist's um die schönen Leut'! Jeden Tag einer, der draufgeht an der Blessur. Als ob sie vergiftet wären, diese wellischen Bleikugelbestien. Wer weiß es! Kann's nit wissen. Und alles wegen diesem gottvermaledeiten Landkrieg. Soll ihnen's lassen, den Bayern, dieses Tirol, ist eh schon ein alter Scherben, wo droben und drunten ein Trum fehlt. Sollen sich sattfressen an den Steinfelsknödeln, die überall umeinand liegen, daß eh nichts Rechtes mehr wachsen will. Wegen so einer Bergkrippen da Leut' umbringen! Ist mir auch das dümmste. – So, 's letzte Liebstatscherl drauf! So!« Dabei klatschte er mit der flachen Schaufel ein paarmal auf den Erdhügel.

Hinter dem Kirchhofszaun lehnte ein alter Hirt. Auf dem Rücken ein Bündel, im Ellbogenwinkel einen langen Stab, im Munde eine kurze Pfeife, die längst nicht mehr zu brennen schien und nur aus Vergeßlichkeit drin stecken geblieben war. Um den sehr breitkrempigen Hut hatte er einen bauschigen Kranz aus blauem Enzian und andern Alpenkräutern gewunden, denn er war eben beim Heimtriebe seiner Herde von der Alm. Die buntscheckigen Rinder trotteten mit ihren Blechglocken ruhig wegshin. Der Hirt hatte sich mit der Brust an den Zaun gelehnt, um zu fragen, wen der Totengräber wieder in die Wiegen Gottes gelegt habe.

Als Antwort gab der Schaufler die obigen Worte, die aber keine Antwort waren.

»Bist du denn kein Tiroler?« fragte der alte Hirt.

»Ich? Wieso? Wer denn sonst?«

»Weil du den Bayern unsre Steinknödeln lassen willst, und den ganzen alten Scherben Tirol.«

»Geht mir weg,« schnarrte der Totengräber. »Es hat uns auch bei den Bayern nichts gefehlt. Mehr Geld, wie unter den Österreichern!«

»Vielleicht für dich. Weil sie mehr Leut' umgebracht haben.«

»Wenn uns die Bayern so gern haben, und die Oesterreicher mögen uns nit.«

»Wer sagt denn das!«

»Haben sie uns nit im Stich gelassen? Haben wir nit alles allein machen müssen? Und wie wir alles haben gemacht gehabt, haben sie uns verschenkt. Und solchen Leuten sollen wir uns an die Rockschösseln hängen? Ich sag' alleweil nur, s' is schad' um die Leut'.«

»Laß nur Zeit, die Oesterreicher werden uns ja zu Hilf' kommen. Hab' erst wieder gehört, daß der Kasteller schon sechsspännig durchs Pusterthal herabfährt.«

»Ja mit sechs Schnecken leicht! Zu Bruneck sind sie schon gewesen, dort haben sie die Kassen mitgehen lassen und sind wieder umgekehrt.«

»Geh, geh,« verwies der Hirt, »es wird nit alles so sein, wie du dir denkst. Es wird viel geredet, was nit wahr ist, und daß wir alles glauben, das ist ja unser Unglück.«

»Mensch, du wirst mir den Zaun noch niederdrucken mit deiner Stierbrust!« schnauzte der Totengräber. »Du, der just vom Gebirg kommt, wirst es gewiß besser wissen. Ist wohl auch nit wahr, daß die Bayern wieder da sind und alleweil ihrer noch mehr anrucken in die Aemter herein, in die Schlösser und Kloster; ist wohl auch nit wahr, daß Innsbruck schon wieder bayrisch und französisch ist! Gelt, Almjodel, das ist alles nit wahr!«

»Leider Gottes, daß es wahr ist!«

»Ist ja gar nit wahr, daß unsre Führer und Schützen alle verjagt sind; daß der Landeskommandant sich hat flüchten müssen, ich glaube, gar ins Eisgebirg' hinauf, und der Speckbacher auch, und die andern, und daß dem Sandwirt sein Kopf besser bezahlt wird, wie zwei Paar Pinsgauer Hengste, wer ihn bringt, auf dem Rumpf oder im Sack, ist alles eins. Na, na, ist ja nit wahr.«

Eine höhnische Gebärde, dann stieß er die Schaufel in den Boden, daß sie aufrecht stehen blieb, hernach nahm er vom Rückengurt herüber den Tabaksbeutel und steckte sich daraus einen Knollen in den Mund.

»Hörst, Totengräber, unterhaltlich ist's bei dir nit,« sagte der Hirt völlig kleinlaut. »Nit weil du Leut' eingrabst, wohl aber, weil du Tirol eingrabst.«

»Ich Tirol eingraben? Was du spaßig daherredest!«

»Wenn du verzweifelst, das ist so viel als eingraben. Daß der Feind wieder kommt mit Haufen, sieht man freilich wohl. Daß die Helden auf der Flucht sind, hört man. Aber schrecken thut uns das schon lang nit! Was du voreh gesagt hast, ist doch derlogen, der Tiroler laßt sich nit verschenken und nit verschachern. Wir wehren uns, mein Lieber!«

»Noch einmal?«

»Noch einmal. Brauchen uns andre nit, um so besser, so gehören wir uns selber. Wir nehmen uns selber wieder zurück, paß einmal auf! Das erstemal haben wir sie hinausgejagt, aber jetzt, wenn's wieder losgeht, jetzt kriegst alle du, alle! Siebenundsechzig Jahre hab' ich auf dem Buckel, mein Lieber, aber ich thu' auch mit. Den Stutzen kann ich noch tragen.«

»Thu du, was du willst,« entgegnete der Gräber, »ob Oesterreicher, ob Bayer, am Ende gehört ihr doch mir – alle miteinander.« –

Wie dieser Totengräber und dieser Hirt, so war nun, nach dem unseligen Friedensschlusse, ganz Tirol uneinig. Es standen zwei Parteien gegeneinander: die Totengräberpartei, die sich dumpf und stumpf fügen wollte, und die Hirten-Partei, die bereit war zu neuem Kampf bis auf den letzten Blutstropfen. Diese Partei war anfangs die kleinere gewesen, wuchs nun aber Tag für Tag. Die zu ihr gehörigen arbeiteten ohne Unterlaß, aber heimlich. Während sie sich für den Tag äußerlich zu fügen schienen, während sogar von den Kanzeln überlaut die Unterthanenpflicht gegen die »rechtmäßige Regierung« gepredigt wurde, kochte in den Herzen ein wütender Mut, der sich nur schwer bändigen ließ.

Rastlos war Kulber. In den Bergwirtshäusern machte er die Bauernburschen betrunken und warb sie zu Landesverteidigern. Er bildete sich heimlich eine Garde, er verstand es, überall Waffen und andere Kriegsgeräte vorzubereiten und sein erstes wie sein letztes Wort war: Oesterreich will es! Oesterreich kommt uns zu Hilfe.

Mittlerweile fluteten in Nordtirol zu allen Pässen Feinde herein, mehr und immer mehr und allerorts wurde von Amts wegen nach den »Rebellen« gefahndet. Im Innthale hatte man ein paar Bauernführer bereits ergriffen, die waren sofort kriegsrechtlich erschossen worden. Von Speckbacher erzählte man, daß er sich in einer Felsenhöhle der Zillerthaler Alpen versteckt halte; Hofers Spur war eine Zeit lang ganz verloren, dann hörte man, er halte sich im Oetzthaler Hochgebirge auf. Von Haspinger, Dörninger und andern wußte man gar nichts. Waren sie auf der Flucht? Oder in Gefangenschaft? Oder tot?

Der Kreuzwirt von Brixen, der Rampesbauer, der Griesacher machten sich in dieser Zeit viel auf ihren Almen zu thun, obschon es da oben winterlich zu werden begann. Auch dem Mahrwirt legte man nahe, nicht in seinem weitberufenen Hause an der Straße sitzen zu bleiben, sondern einstweilen eine entlegenere Gegend aufzusuchen.

»Warum denn?« hatte Peter auf solchen Vorschlag geantwortet. »Ich habe nichts Unrechtes gethan. So lang der offene Krieg war, hab' ich mich gewehrt, und wenn Fried' ist, so werde auch ich Fried' geben. Was geschehen ist, bedauere ich und des Kaisers Willen achte ich jetzt wie voreh. Will mich um die Welthändel weiter nicht mehr kümmern.«

»Aber sie werden sich um dich kümmern, mein Lieber!« gab der vorsichtige Nachbar zu bedenken, »sie werden dich niederlegen!«

»Meinetwegen,« brauste Peter auf, »gibt's kein Tirol mehr, braucht's auch keinen Tiroler.«

Eines Tages, als sie gerade beim Mittagsmahl saßen im Mahrwirtshause, der Peter, sein Weib und die kleine Marianna, trat Kulber ein.

»Rauchfleisch und Plenten, wenn du magst!« Mit diesen Worten lud Peter den Ankömmling ein und rückte ihm am Tische einen Platz.

»Schön Dank,« sagte Kulber, »wie man jetzt noch ans Essen denken kann, verstehe ich nicht.«

»Mein Gott!« versetzte Frau Notburga, »was will man denn machen! Essen muß der Mensch ja doch was.«

»Ich habe keinen Appetit,« murmelte der schwarze Steuereinnehmer. »Eine solche Veränderung in kurzer Zeit!«

»Wirst wohl doch nicht geglaubt haben, daß die Bauern sitzen bleiben werden in der Innsbrucker Kaiserburg?« sprach Peter, ein Stück Plenten aus der Schüssel stechend.

»Aber daß sie vor einer Lüge davonlaufen!« schrie Kulber. »Oder glaubst auch du's, daß der Frieden geschlossen ist, daß wir Tiroler von Oesterreich den Bayern zugeworfen sind?«

Peter legte die Gabel aus der Hand und entgegnete leise: »Kulber, du hast es ja selber gesagt.«

»Vom Papier habe ich's gelesen und die Bayern haben es hinaufgedruckt und es ist alles falsch!«

»Hast du nicht gesehen, daß auch in der Stadt drin die kaiserliche Kundmachung angeschlagen ist?«

»Auch gefälscht. Alles erlogen! erlogen! erlogen! Höllisch verraten sind wir, mein lieber Mahrwirt!«

Peter schob den Holzlöffel von sich, nun war auch ihm der Appetit vergangen.

»Jetzt heißt's noch einmal dran, auf Leben und Sterben!« sagte Kulber.

Der Mahrwirt verdeckte sein Gesicht mit beiden Händen: »O Gott im Himmel, was sind das für Zeiten!«

»Peter, ich bin um dich da!«

»Laß mich in Fried,« antwortete der Wirt und wendete sich ab. »Ich will nichts mehr hören und sehen davon. Das schreckliche Brennen und Morden! Jesus, Maria! Lieber alles Unrecht leiden, als noch einmal anfangen.«

Kulber schwieg ein Weilchen, dann legte er dem Mahrwirt die Hand auf die Achsel: »Peter, ich kenne dich gar nicht mehr. Unrecht leiden! Weißt du, Kamerad, Unrecht leiden ist sündig! Unrecht muß man tapfer zurückschlagen, und wenn man gleich dabei selber zu Grunde geht. – Wir müssen aufstehen, und du mußt voran, Peter!«

»Nein!« schrie der Wirt und sprang auf.

»Du mußt voran,« wiederholte Kulber gelassen. »Da hilft dir nichts, du bist der Mann dazu. Du hast das Herz und du hast das Vertrauen. Auf deinen Ruf stehen in ein paar Tagen tausend Schützen da. Also Mahrwirt, sei ein Tiroler!«

Peter stand schweigend da. – Unrecht leiden ist sündig! Ein Tiroler! – – Der Mahrwirt hob schon seine Hand. In demselben Augenblicke stieß die kleine Marianna einen gellenden Schrei aus.

»Kind, was ist dir, was ist dir!« fuhr die Mutter auf.

»Der Schuß!« schrie das Mädchen.

»Der Schuß? Was für ein Schuß? Was kommt dir vor, Marianna?«

Das Kind strebte dem Vater zu, umschlang mit beiden Armen seinen Hals, barg das blonde Köpflein an seiner Brust und schluchzte: »Vater, bleib bei uns!«

»Es geht ihr nicht anders als uns,« sagte Frau Notburga, »das viele Schießen alleweil hat uns ganz schreckig gemacht.«

»Also!« drängte Kulber mit der noch immer hingehaltenen Hand.

Jetzt winkte Peter heftig ab und rief: »Macht ihr, was ihr wollt, ich bleib' daheim!«

»Diese Antwort nehme ich nicht.«

»Willst sonst noch was? Nicht? Dann ist's mir lieber, du gehst.«

Also der Mahrwirt und Kulber ging, ohne noch ein einziges Wort zu sagen, zum Hause hinaus.

Peter atmete auf. So war's vorbei. Seinen Mann hatte er gestellt. Auf der Welt kann man es einmal nicht machen, wie man will. Und für seine Familie leben, das ist auch eine Pflicht. Sie sollen es sein lassen, es ist alles umsonst. – So wehe war sein Herz geworden.

Es stärkte sich aber noch an demselben Nachmittage. Drei französische Ordonnanzen kamen geritten. Sie hielten vor dem Mahrwirtshause, stiegen aber nicht vom Pferde, sondern ließen den Wirt vor sich rufen. Die Rösser strampften auf dem Boden und schnoben, die Reiter thaten nicht weniger unwirsch, der eine sprudelte allerhand Wüstes hervor, man verstand's aber nicht. Nur ein einziges Wort verstand Peter, obzwar es auch nicht deutsch war, er hatte es nur schon so oft gehört: Kontribution! Der andre Reiter redete schon deutlicher. Der Mahrwirt Peter Mayr, als einer der Angesehenen in der Gegend, habe binnen drei Tagen zweihundert Fuder Heu und achtzig Stück Schlachtvieh zu liefern, widrigenfalls es seinen Kopf koste.

Der Wirt verneigte sich ganz ruhig, gleichsam als wäre die Forderung eine Kleinigkeit. Dann trabten sie davon, daß der Staub sprühte unter den klingenden Hufen. Peter schaute ihnen nach und dachte: Es kostet ja bloß den Kopf. Wer wird jetzt den Welschen Lebensmittel liefern! Und selbst wenn solche in Ueberfluß da wären, die Herren kriegen keinen Halm und keinen Bissen, sie kriegen nichts und gar nichts als den Kopf und damit Punktum!

Am Abende desselben Tages war eine Versammlung im Saale des Domhofes. Sie entwarfen einen neuen Erhebungsplan. Der Mahrwirt erschien nicht, man beklagte sich über die einreißende Mutlosigkeit.

»Den Mut werden wir schon wieder wecken,« sagte ein Domherr.

Draußen erschollen Trompetenstöße. Ein bayrischer Offizier forderte auf offenem Markte die Auslieferung aller Waffen.

»Aller Waffen!« redete ein Bauer unbedacht zum Fenster hinaus. »Nehmt die Felsblöcke von ganz Tirol, nehmt sie nur!«

»Wer dem Befehle Seiner Majestät des Königs nicht auf der Stelle nachkommt,« so rief jener draußen, »der wird als Rebell behandelt! Was das heißt, weiß jeder.«

»Das sollen wir uns gefallen lassen!« schrien mehrere im Saale und drängten mit geballten Fäusten zu den Fenstern. Mit Mühe konnten die Hitzigen von den Besonneneren zurückgehalten werden.

»Tollkühnheit ist so schlimm wie Mutlosigkeit,« sagte der Domherr. »Beten wir um die Gabe des heiligen Geistes. Mit Mut werden kleine Siege gemacht, die größern erringt man mit Klugheit, die größten mit Geduld. Liefert ihnen das Gewehr aus, aber behaltet das Kreuz. In drei Tagen halten wir die Bittprozession. Gehet hin und rufet alle dazu auf.« –

Und an dem Morgen, als das Volk zusammenströmte auf den weiten Domplatz zum großen Bittgange, meldeten sich beim Mahrwirt die Franzosen.

Die Magd Hanai trat herfür und fragte scharf, was sie wollten.

Ob der Wirt zu Hause wäre?

»O du liebe Zeit, der Wirt!« rief die Hanai. »Wie kann der Wirt denn zu Hause sein, wenn er ins Etschland gefahren ist, Wein kaufen!«

Ob sie die Wirtin wäre?

»Na freilich, die bin ich. Was schaffen S' denn?«

Wo die Kontribution wäre?

»Wellisch versteh ich nit.«

Wo das Heu und das Schlachtvieh wäre?

»Das Heu ist gleich da draußen auf der Wiesen und das Vieh lauft eh überall um, thut's halt zusammenfangen.«

Ob sie wisse, daß der Wirt den Kopf verliere?

»Mein Gott, wer verliert denn nit den Kopf jetzund!«

Die Herren schauten einander an. Da wird nicht viel zu machen sein, das Haus ist leer und die Weibsperson ist schrecklich dumm. – Zum Glücke war die Kontribution nicht allzu dringend, weil die Truppen nach einer neuen Wendung der Ereignisse nicht an dem Eisack heraufkamen, sondern den Weg gegen Meran und über den Jausen nehmen wollten. Vielleicht hing die Gnädigkeit der Exekution auch mit einem merkwürdigen Gerüchte zusammen. Es hieß, daß Bonaparte den Tirolern hätte sagen lassen: wenn die Tiroler schon nicht bayrisch sein wollten, so sollten sie sich den südlichen Nachbarn, den Italienern, anschließen und französisch werden. Also war gegen das Volk eine gewisse Milde geboten. Kurz, die Exekution zog ruhig ab, nachdem sich die Herren vorher einen Krug Wein hatten geben lassen. Zur Verwunderung der Magd bezahlten sie den Wein. Sie rührte das blinkende Silbergeld nicht an, ließ es liegen auf dem Tisch, bis Frau Notburga mit den Kindern heimkam von der Kirche.



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