Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

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An deiner Hausthür kannst es lesen . . .

Wenige Tage später war es Winter geworden. Alle Auen voller Schnee, alle Dächer und Aeste bedeckt mit Schnee, und unaufhörlich sank es in zarten Flocken nieder vom grauen Himmel. Die Büsche am Eisack, von Schnee belastet und gebogen, hingen wie Trauerweiden über dem Wasser. Peter konnte nicht hinschauen. Er konnte den Fluß nicht mehr sehen und zur Nachtzeit verschloß er die Fensterläden, damit er das Rauschen nicht sollte hören können. Einmal sprang er aus dem Schlafe auf, weckte mit hellem Schrei Frau Notburga, riß die Kinder aus ihren Betten und rief: »Hinaus, hinaus! Die Mahr kommt! Hört ihr nicht das Krachen? Die Mahr kommt!«

Die Gattin zog ihn zurück, strich ihm mit warmer Hand das wirre Haar aus der Stirn und beruhigte ihn. Es war doch so still im Hause und über demselben.

Peter sagte nichts weiter und legte sich wieder hin.

Im Thale war's winterlich öde. Die Leute gingen ihren gewöhnlichen Beschäftigungen nach, allein der endgültige Friede, den sie in den Eisackschluchten zu sichern geglaubt hatten, stellte sich noch nicht ein. Vor allem war er nicht in ihnen selbst, jeder hatte Ahnungen, unheimliche Erscheinungen, aber sie sprachen nicht davon. Es war die Straße durch die Schluchten wiederhergestellt; die Einheimischen hatten es nicht gethan. Es verkehrten wieder Reisende und Postwägen, wenn auch nicht so regelmäßig wie sonst. Ein Postwagen aus dem Süden brachte zwei Briefe an den Mahrwirt. Der eine war von einem Freunde aus Bozen mit der Aufforderung, sich unverzüglich durch die Flucht zu retten. Das verstand Peter nicht. Fliehen? Vor wem? – Der zweite Brief trug den Stempel Meran, war aber ganz wo anders geschrieben. Wenn der erste zur Flucht mahnte, so berichtet der zweite, wie es auf der Flucht hergeht. Dieser Brief war von keinem andern, als von dem »Landessekretär« Dörninger. Er war mit Bleistift auf schlechtem Papier geschrieben und lautete also:

»Lieber Kamerad!

»Was ist geschehen, seit ich dir nicht mehr geschrieben? Alles vorbei, alles umsonst gewesen! Wir sind Flüchtlinge und leben wie die gehetzten Tiere. In einer mit Eis austapezierten Felsenkluft schreibe ich diese Zeilen; wie die Oertlichkeit heißt, darf ich dem Brief gar nicht anvertrauen. Wie froststarr die Finger sind, zeigt die Schrift. Morgen werden wir wieder anderswo sein, wo, das weiß ich nicht, weiß der Hofer nicht, weiß Gott allein. Einmal hätten sie den Anderl bei einem Haar schon gehabt. Auf dem Dürnjoch. Ein Bauernbübel hat's ihm noch rechtzeitig gesteckt, daß er den Bütteln entwischt ist. Auch seine Familie ist ihm jetzt nachgekommen. Was wir seit Innsbruck durchgemacht haben, ist nicht zu sagen. Das Körperliche wäre noch das wenigste. Aber diese Trauer vom Sandwirt! Daß alles und alles verloren sein soll! Es heißt, sie wollen wieder anfangen, aber Hofer sagt, er thut nicht mehr mit. Anfangs hat er's nicht glauben wollen, daß wir verraten sind und ist mit den Passeiern dreingefahren. Wieder einen Schippel Leut' hat's gekostet und wie der Speckbacher die Friedensurkund' gebracht hat, da hat der Hofer geweint wie ein Kind. Jetzt glaubt er's und läßt dir sagen, du sollst dich ja nicht verleiten lassen, um noch einmal zu den Waffen zu greifen, es ist alles Lug und Trug und der ganze Bettel ist nicht eines braven Tirolers Blutstropfen wert. Er läßt's auch den andern schreiben. Daß auf Hofers Kopf ein Blutpreis von 1500 goldenen Gulden gesetzt ist, wirst wohl schon wissen. Wir andern sind billiger angeschlagen, aber immerhin noch respektabel. Das hilft ihnen nichts, uns ist jetzt so heiß, daß wir es hoch oben in den Fernern recht gut aushalten. Im Passeierthal haben wir Freunde, die uns mit dem Notwendigsten versorgen.

»Das muß ich dir noch sagen, daß ich letztens als Grödner Schaftreiber verkleidet in Welschland drinnen gewesen bin, um zu kundschaften, was der Flüchtlinge wegen für Aussichten sind. Bonapartes Bruder, der zu Mailand sitzt, hat was dreinzureden und in Italien heißt's überall: die tirolischen Anführer werden ohne Barmherzigkeit erschossen. Als Kuriosum, daß ich dort unten die schöne Französin wieder gesehen, die ich im Sommer, wenn du dich noch erinnerst, durch den Kuntersweg begleitet habe. In einem Garten zu Verona war's, sie hat mich erkannt und gleich brühwarm auf mich zu, weil sie geglaubt hat, ich wäre in solcher Verkleidung ihr nachgelaufen. Ich habe sie bei dieser Meinung gelassen und durch sie manche Wissenschaft gesammelt; wie schlecht es mit uns steht. Dann wieder davon. Und seitdem habe ich dir ein dummes Herzweh.

»Der Sandwirt läßt dich grüßen und du sollst gescheit sein und dich nimmer einmischen und dich auch um uns nicht kümmern. Es wird geschehen, wie's Gott will, aber ich sage, es kann noch einen schauderhaften Tanz setzen. In Glück und Leiden herzgetreu

Josef Dörninger.«

Der Mahrwirt schob den Brief, als er ihn gelesen hatte, langsam in seine Tasche und murmelte: »Sie wissen noch nichts.«

Um jene Zeit faßte Peter den Entschluß, nach Neujahr sein Wirtshaus zu sperren: er wollte keine Leute mehr sehen. Das Geschäftliche ließ er Frau Notburga besorgen, er saß am liebsten in der Oberstube bei seinen Kindern. Das Poltern und Lachen der Kinder that ihm wohl, ihr Geplauder war ihm wie Balsam, und doch hörte er nicht auf das, was sie plauderten, seine Gedanken waren anderswo. Hans war soweit heil, daß er mit zwei Krücklein in der Stube umhergehen konnte, aber er spielte nicht mit den Geschwistern, er war schweigsam wie der Vater. Doch während in Peters Auge Kummer lag, zuckte in dem Blicke des Knaben Mut und Trotz.

Den Mahrwirt schien es zu beruhigen und zu erfrischen, wenn er hinausschaute in das winterliche Gestöber, in das lebhafte Schneetreiben, eine seltsame Sache in diesem Thale. Quer über die Straße häuften sich die Massen zu Hügeln und scharfkantigen Graten, so daß die Fuhrwerke stecken zu bleiben drohten. Der Winter ist auch ein guter Kamerad, dachte Peter.

Aber er täuschte sich. Der Schnee hatte nichts aufgehalten. Das Thal, die Nebenthäler und alle Gegenden, von denen man Nachricht erhielt, waren schon wieder besetzt von Franzosen und Bayern. In Unmassen waren sie wieder gekommen von allen Seiten; alle Festen, Pässe, Kirchplätze, Aemter, Straßen, Höfe, Brücken, Mauten waren besetzt mit schwerbewaffneten Soldaten. Fast über Nacht hatte sich das vollzogen, das Schneegestöber hatte ihr Anrücken nicht verhindert, nur verhüllt. Nun ließ endlich auch Oesterreich von sich hören, es ließ durch Ausrufer verkünden, daß Tirol zum Königreich Bayern gehöre und sich seinem rechtmäßigen Regenten zu unterwerfen habe. – Alles war traurig über die Maßen.

Und jetzt legte es Bruder Augustin, der wieder sein priesterliches Kleid trug und dessen Wort was galt, seinem Schwager nahe, sich zurückzuziehen auf einen sicheren Platz.

»Du meinst, ich soll fliehen,« sagte der Mahrwirt.

»Ja, Peter, das sollst du,« antwortete Augustin. »Wären sie nicht irregeführt worden, weil sie dich mit Kulber verwechselt, so hätten sie dich schon. Glaube mir, es ist eine Jagd durchs ganze Land nach den Anführern in den Eisackschluchten. Der Kreuzwirt, der Staucker und die andern sind alle fort; aber die größte Nachfrage ist nach dir. Vor etlichen Tagen waren es eintausend goldene Gulden, die sie für deinen Kopf boten, heute sind es schon zweitausend. Zu Brixen ist es angeschlagen, zu Klausen, zu Mühlbach, an allen Kirchthürmen und Posthäusern des Eisackthales, überall bist du schon ausgeschrieben. Die Leute reden all davon!«

»Die Leute reden gar viel,« entgegnete Peter, »so arg wird's ja nicht sein.«

Da kam der Hans auf seinen Krücken hereingestolpert und rief: »Vater, an der Hausthür draußen haben sie ein rotes Papier angenagelt. Zweitausend Gulden für den Häuptling von den Eisackschluchten!«

»Das ist es schon,« sagte Augustin, »Peter, auf deiner Hausthür kannst es lesen, wie teuer du den Bayern bist!«

»Also wird's doch ernst um mich?« fragte der Mahrwirt auf.

»Du mußt dem Hofer nach,« entgegnete der Schwager lebhaft. »Dieweilen ist unter dem Schrutthorn, drin in der Steinwänd, ein Sommerstadel für dich hergerichtet. Eine halbe Stunde vom Steinwändbauer hinauf im Walde. Der Steinwändbauer weiß schon davon und wird dich versorgen. Nachher, sobald es das Wetter thut, mußt du übers Gebirg.«

»Und mein Weib? Meine Kinder?«

»Schwager,« sagte Augustin und faßte seine Hand, »wenn ich auch priesterlich Kleid trage, ein bissel Mann bin ich doch noch. Ins Kloster kehre ich erst zurück, bis alles in Ordnung ist, so oder so. Ich bleibe in deinem Hause und werde die Deinigen hüten, so gut das ein Mensch nur kann, das meiste wird freilich der Herrgott thun müssen. Und sie sind sicherer, wenn du fort bist, glaube mir das. Aber gehen mußt auf der Stell', ich sag' dir's!«

Es war der Abend da und als Peter es seinem Weibe mitteilen wollte, daß er fort müsse, kam dieses ihm schon entgegen mit Mantel, Rucksack, Stock und Stutzen. Sie hatte schon alles bereitet, redete ihm liebreich zu, er solle auch jetzt noch Held sein, wo es gelte, sich selber für die Seinen zu retten.

Peter schaute sie an und sagte leise: »Wenn deine Zeit kommt?«

»Mensch!« rief sie, »bishin bist du längst wieder da! Die Bayern werden schon kühler werden, sonst ist für sie kein Leben dahier, das werden sie bald sehen. Und denke doch an den Kaiser. Glaubst du, er wird seine treuen Männer verlassen? Wir haben so lange Geduld gehabt, so wollen wir sie fürs letzte Eichtel Zeit auch noch nicht aufgeben. Wenn's aufs schlimmste sollt' kommen, es kommt aber nicht so weit, ich sage nur, dann ist dir der Pardon so sicher wie dem Sandwirt. Christi Heiland, sie müßten ja alle Männer erschießen im ganzen Land. Und das thun sie nicht und nachher gehst herfür und nachher haben wir uns wieder und nachher schiert uns kein Weltlauf mehr. So machen wir's, Peter, und jetzt geh in Gottesnamen. Das Abschiednehmen bei den Kindern laß sein, es zahlt sich nicht aus der paar Tage wegen. Gib nur Achtung auf deine Gesundheit. Feuerzeug und alles findest schon im Rucksack. Geh jetzt, mein Peter. Schau, ein Kreuz muß ich dir noch machen!«

Mit dem Daumen der rechten Hand zog sie über sein Gesicht das Kreuzzeichen. Dann schauten sie einander noch einmal in die Augen und dann ging er davon – ganz allein. Draußen war eine stürmische Nacht.

Als der Mahrwirt fort war, lehnte Frau Notburga ihr Haupt an die Brust des Bruders und hauchte: »Augustin, ich kann dir nicht sagen, wie mir ist!« und ließ ihrem lange zurückgedämmten Weinen freien Lauf. –

Im Thale begann das Verhängnis sich zu vollziehen.

Tagelang waren Soldaten beschäftigt gewesen, aus dem Eisack tote Kameraden oder Teile derselben hervorzuholen und zu bestatten. Oben an der Ausmündung der Schlucht wurde eine große Trauerfeierlichkeit veranstaltet, welcher wohl jeder Tiroler meilenweit aus dem Wege ging. Es war die Leichenfeier des Marschalls, der in den Schluchten mit zu Grunde gegangen, sie wurde sehr festlich begangen. In den Thälern, auf den Bergen, so weit das Auge reichte, brannten die Dörfer, die Höfe und Hütten. Ueber der Stadt Brixen stiegen zwei große Feuersäulen auf, die Dezembernacht war ein rosenroter Tag geworden. Halb wahnsinnig irrten die Leute auf den Gassen um und jede Brust fühlte auf sich eine feindliche Flinte gerichtet.

Ununterbrochen Tag und Nacht fahndeten Häscher nach dem Anstifter der gräßlichen Muhre in den Schluchten. Nun hieß es, der eigentliche Rädelsführer sei ein stattlicher Mann mit gelbrotem Haar, er sei, wie fast alle Häuptlinge der Empörung, ein Bauernwirt und würde von der Bevölkerung geheim gehalten.

Auch das Mahrwirtshaus hatte in der roten Nacht zu brennen angefangen rückwärts am Stalle, aber die Magd Hanai war schon mit einem Wasserkübel da und mit dem Ausruf: »Ich brauch' kein Nachtlicht, schlafen und den Buckel kratzen kann der Mensch auch im Finstern!« dämpfte sie das aufzuckende Feuerlein.



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