Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

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Was gibt's denn?

Am heiligen Christtage war's, nach dem Gottesdienst, Die kleine Familie des Mahrwirtes saß in der Oberstube beim Festmahl. Der Platz, wo sonst der Hausvater zu sitzen pflegte, war leer; hingegen saß neben der Magd Hanai, die ja auch zur Familie gezählt wurde, jemand, dem dieses Mahl und dieser Platz sehr wohlthat. Der Spielmann, der Gurglertoni! Und zwar heute so nett herausgeputzt, daß er, wie es der Magd vorkam, recht appetitlich anzusehen war.

Das Mahl wurde auch in diesem Jahre aufgetragen und abgehalten nach altem Brauch: neun Schüsseln mit Fleisch, Krapfen, Sulzen und andern leckeren Gerichten. Die Stimmung war eine dem heiligen Feste angemessene, fast fröhliche, und die Kinder führten ein heiteres Geklapper mit Löffel und Gabel. Die Erwachsenen sprachen über den Gottesdienst, den die neue Regierung nun doch nach alter Sitte gestattet hatte. Selbst die feierliche Mitternachtsmette war abgehalten worden in der Stadt und in den umliegenden Kirchen. Nur begegneten die Kirchengeher überall bewaffnetem Militär; das sollte, wie es hieß, die Ordnung aufrecht erhalten und im Falle einer Feuersbrunst, denn die Kirchleute von den Bergen her hatten lodernde Fackeln bei sich, sogleich rettend zur Stelle sein.

»Es ist erbaulich, wie sie jetzt auf einmal den heiligen Florian spielen, und vor kurzer Zeit haben sie selber die Häuser angezündet,« so bemerkte Bruder Augustin.

Ferner war bei Tische davon die Rede, daß die Franzosen unten in Bozen ihr Hauptquartier aufgeschlagen hätten, und daß ihr General ein seltsamer Mann sein solle. Er sei überaus streng, und doch hätten sogar die Bozner vor ihm Achtung, denn er wäre stets auch gerecht. Er habe schon mehrere seiner eigenen Soldaten auf offenem Platz erschießen lassen, die in den entlegenen Höfen geplündert hätten. Aber auch einen Terlaner Schänker hätte er auf der Stelle an den Nußbaum knüpfen lassen, weil derselbe einigen Franzosen ein ungutes Tränklein gemischt.

»Es ist ja alles gut,« sagte Frau Notburga. »Nur kein Unrecht. Das ist das Schrecklichste auf der Welt.«

Derlei wurde bei Tische gesprochen. Dazwischen keifte die Hanai manchmal ein wenig mit dem Tonele, ließ sich aber nicht wiederholt mahnen, als Frau Notburga sie aufforderte, beim Zugreifen in die Schüssel auch ihres Nachbars nicht zu vergessen.

»O nein, Frau Wirtin, die vergißt nit!« fiel der Bursche drein, da hatte er eins unten an den Beinen; sie trug leider etwas grobgenagelte Schuhe.

Die kleine Marianna wollte statt der unheimlichen Soldatengeschichten lieber vom krauslockigen Christkinde etwas hören, ein Wunsch, welchem der geistliche Herr Vetter recht gern Bescheid that. Der Hans war ernsthaft und schweigsam; vielleicht hätte er es doch lieber mit den Kriegssachen gehalten als mit dem holdseligen Jesus. Für diesmal begnügte er sich, mit Messer und Gabel das Lämmerne auseinanderzureißen.

Als der Schweinsbraten mit den bräunlich geschmorten Speckschwarten kam und in Zimmtwein gebeizte Semmelschnitten zur Zuspeise erschienen, sagte der Knabe: »Was wird der Vater jetzt essen?«

Darauf entgegnete keines ein Wort, Frau Notburga legte sachte die Gabel aus der Hand und ging in die Nebenstube.

Um doch etwas zu sagen, sprach nun die Magd: »Das ist wohl ein unglückseliges Jahr gewesen. Wie wird's sein, bis wieder der Christtag kommt?«

»Da wird's schon wieder lustiger sein,« meinte der Tonele und berührte mit seiner Fußspitze ein wenig ihren Schuh.

»Gott geb's!« sagte sie und versetzte ihm einen erklecklichen Tritt auf die Zehen.

Die übrigen merkten nichts von den kleinen Scharmützeln, die sich unter dem Tische abspielten, und Bruder Augustin sprach fromm die Zuversicht aus, für die Länge könne der allmächtige Gott seine Tiroler nicht verlassen.

Als das Mahl vorüber und das gemeinsame Tischgebet gesprochen war, ging jedes hinein zu Frau Notburga, um nach der Sitte Vergeltsgott zu sagen für die christliche Mahlzeit. Die letzten waren die Hanai und der Tonele. Als sie wieder heraus wollten, winkte die Wirtin mit der Hand und sagte: »Bleibet noch ein wenig da, ihr zwei, ich habe ein paar Worte mit euch zu reden.«

Dabei machte sie die Thür zu und trat gegen den Tisch hin. Die zwei Leute standen unbeweglich da und die Hanai schaute mit schreckbar feindseliger Miene auf den Burschen.

»Ich weiß es, meine lieben Leute, wie es mit euch steht,« begann Frau Notburga, »und ist ja auch weiter kein Unglück. Wenn sich zwei junge Leute gern haben, so sollen sie treu und brav zusammenhalten und trachten nach dem heiligen Ehestand. Jedes fleißig und arbeitsam, das muß wohl sein; nun, die Hanai kenne ich dafür und sie hat auch Lidlohn bei uns liegen; und der Musikantenstand wird wohl auch just nichts Unbraves sein.«

»Vergelt's Gott. Frau Mutter!« unterbrach sie der Tonele, glücklich darüber, daß endlich sein Treiben einmal ein gutes Wort fand.

»Jeder Stand ist ehrenwert,« fuhr die Wirtin fort, »wenn er nur brav und redlich gehalten wird. Weil das Spielmannsgeschäft aufs Heiraten nicht langt, so mag man's nur nebenbei betreiben. Soweit alles recht. Aber was anders ist nicht recht, meine Leut'! Daß ihr jetzt alleweil im Stall draußen Zusammenkunft habt, das kann ich nicht leiden, das darf nicht sein, das darf mir von heut' an nimmer geschehen, ich sag's euch!«

Die Hanai zuckte am ganzen Leibe ein und knurrte etwas, als hätte der Tonele angefangen. Dieser stand ganz demütig da und schaute auf die Dielen, auf denen nichts zu sehen, als daß sie sehr blank und rein waren.

»Ist gleichwohl der Herr nicht daheim,« sagte Frau Notburga, »das Haus bleibt in Ehren, dafür stehe ich gut. Ihr habt nachher noch Zeit und Weil' genug zum Zusammenkommen und werdet es wohl erwarten, denke ich! Gar lange wird's ja mit Gottes Hilfe nicht mehr dauern. Drin in Vahrn ist, habe ich gehört, ein Angütel ledig, das könnt ihr ja wohl pachten. All zwei brav schaffen, braucht keine Dienstleut', und wenn der Toni zur Faschingzeit einmal mit der Klampfen ausgeht, so wird deswegen wohl auch der Himmel nicht herabfallen. Ein Groschen Nebenverdienst wird im Haus gut zu brauchen sein. Später das Gütel mit Fleiß und Gottessegen zu eigen erwerben wird wohl auch keine Unmöglichkeit sein.«

Nachdem die Wirtin so gesprochen hatte, hob die Hanai natürlich ihren Schürzenzipf ein wenig und versetzte in gar bescheidener Weise: »Gesagt ist das leicht, meine liebe Frau Mutter, das Gütel pachten! Wüßt' heilig nit, wie sich das sollt' schicken.«

Frau Notburga machte die Tischlade auf, nahm ein in Leder gebundenes Gebetbuch heraus und zog aus demselben ein beschriebenes Blatt Papier hervor.

»Der Toni,« sagte sie nun leise, »hat eine kleine Sach'. Wenn's auch nicht viel ist, so wird gewiß der Gottessegen dabei sein. – Wegen dessen, daß er im Hochgebirg so brav und herzgetreu zu unsrem armen Hans gestanden ist, wo das Kind sonst wohl hätt' verderben müssen, hat mein Mann dem Toni ein kleines Stück Geld verschrieben. Zweihundert Gulden sind's, damit, meine ich, läßt sich was anfangen.«

Jetzt war's zum Handküssen, beide drängten sich dazu, aber Frau Notburga entzog die Hände rasch und setzte bei: »Wenn wir auch nicht reich sind, so geht's uns doch nicht schlecht, und ihr könnt die Sach' mit gutem Gewissen nehmen, zumal uns auch du, Hanai, seit sieben Jahren arbeitsam gedient hast. – Das Geld könnt ihr haben, sobald ihr anfangt, und anfangen könnet ihr, sobald ihr wollt; nur ein paar Wochen früher wissen muß ich's, von wegen einer andern Magd.«

»Frau Mutter,« sagte darauf der Tonele, »ich denk', die Frau Mutter schaut sich gleich um eine andre um, wir fangen geschwind an.«

Die Hanai wollte schon mit einer schicklicheren Rede dazwischen fahren, da sprach noch die Wirtin: »Ich wünsche euch für den Ehestand kein andres Glück, als was ich selber hab' gefunden mit meinem Mann. Mehr kann ich nicht sagen. Der allmächtige Gott führe mir ihn glückselig wieder heim.«

Diese Worte waren kaum gesprochen, als draußen auf der Straße sich eine seltsame Unruhe erhob. Ein gedämpfter Lärm, ein Ab- und Zulaufen von Leuten, ein Hinrecken aller Köpfe nach der Richtung gegen die Brücke. Frau Notburga öffnete ein Fenster, um zu sehen, was es gebe. Die Leute flüsterten und wichen zurück.

»Was gibt's, denn?« fragte die Wirtin hinab.

»Derwischt haben sie wieder einen!« antwortete jemand herauf: Und eine grelle Stimme schrie es hin: »Sie haben ihn! Den Mahrwirt haben sie!«



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