Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

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Wo will das hinaus?

In den Wolken kam der Wagen herangezogen. Aber es waren nur Staubwolken der Straße und es war ein kümmerlicher Bettelwagen. Die Straße von Klausen kam er dahergeklappert; bespannt war er mit einem schiefwinkeligen Esel und einem rotborstigen Manne, der fast zu einem rechten Winkel abgebrochen schien, weil er den Oberkörper wagrecht vorstemmen mußte, um mit Hilfe des grauen Kameraden das Fahrzeug weiter zu bringen. Der Wagen hatte zwei Räder mit recht dünnen Speichen und ohne Eisenreifen, er war überspannt mit einer viel beflickten, verwitterten Plache. Im Kobel kauerte, auf den Beinen hockend, ein sonnengebräuntes Weib, das weder angezogen noch nackt war. Eine feigengrüne Bettdecke hatte sie nicht unmalerisch um den Leib gewunden. Um dieses Weib, unter Lappen und Maisstroh, regten sich allerlei Wesen, als kleine Kinder, fuchsrote Dachshunde und ein langschweifiger Aff', welcher sich mit den Kindern unterhielt, dergestalt, daß er sie bei den struppigen Haaren zauste und sie ihn mit Gekrächze am Schweife hin und her zerrten.

Als solches Fuhrwerk gegen das Wirtshaus an der Mahr kam und von der Magd Hanai bemerkt wurde, rief diese aus: »Hui, jetzt sollt' der Tonele dasein! Das wär' was für den Tonele! Ein solches G'schloß will er ja alleweil haben.« Ihre Futtersichel warf sie weg, wischte sich mit der Schürze die feuchten Grasblättchen von den Händen, nestelte in den Kittelsäcken herum, fand aber nichts, als eine halb eingedorrte Brotrinde. Damit ging sie zum Wagen, aus dem sich ihr schon alle Hände entgegenstreckten, und sagte: »Ich hab' halt nichts, ihr armen Leut'. Wenn ihr mit diesem Brotkrümel zufrieden sein wolltet!« Sie warf das Stück hinein und im Nest erhob sich darüber ein heftiges Gebalge; der Affe erwischte das Brot, hüpfte damit auf das Plachendach, wo er schaukelnd es mit mancherlei Mätzchen verzehrte. Die Kinder im Neste wimmerten, die auf ihre Pfoten getretenen Hunde heulten, das braune Weib keifte und die beiden ungleichen Rösser vorn am Wagen troffen vor Schweiß und zogen vergeblich an.

– Mein Gott! dachte die Hanai bei sich, und so möcht's der Tonele auch haben!

Das Weib war aus dem Wagen behendig auf die Straße gesprungen, wobei der Deckenzipf im Staube strich; barfuß wie sie war, hatte sie ein paar große Sprünge gemacht gegen die Magd hin und haschte nun nach ihrer Hand.

»Was willst denn noch?« fragte die Hanai.

Das Weib versicherte, es könne unmöglich vorüberfahren, ohne ihr das Glück zu sagen, das ihr höchst wahrscheinlich bevorstünde

»Mir ein Glück?« lachte die Magd, »wüßt' nit, zu was ich ein Glück thät brauchen, mir geht's eh gut. Dummheiten!« Aber schon im nächsten Augenblick war sie willfährig, man müsse alles probieren auf der Welt.

»Sag mir halt wahr. Aber geschwind, lang hab' ich nit Zeit.«

»Ho Hott, alter Bär!« schrie die Vagabundin dem Rotbärtigen zu, da blieb das Gefährte ganz stehen.

»Welche denn?« fragte die Hanai, ihre Hände hebend.

»Bist verheiratet, so ist's die Rechte.«

Die Magd reichte die Linke.

An dieser begann das Dörcherweib auf der innern Fläche nun die Linien zu betrachten.

»Es ist eine deutliche Schrift,« murmelte sie dabei, »gegen den Zeigefinger neigt sie sich stark und zwieselt ab, zwieselt zweimal ab. Nicht bald wird man eine solche Herzlinie sehen!«

»Steht's 'leicht nit gut?« fragte die Magd nicht ganz ohne Spannung.

»Gott ja, häufig gut steht's, häufig gut,« versicherte das Weib mit hastig hervorgefauchten Worten. »Das klein bissel Verdruß da, das löschen wir.« Mit ihrer fleischigen Hand strich sie mehrmals darüber hin. »In Geldsachen wird's sein. Du hast wohl recht viel?«

»Geld hab' ich gar keins,« lachte die Hanai.

»Dann ist's die Liebe,« sagte die Vagabundin wichtigthuerisch. »Eine Kümmernis steht dir bevor. Dein Herzliebster!«

»Na, was ist's mit dem?« fragte die Magd lustig.

»In einer Gefahr ist er.«

Nun horchte die Hanai auf. »In einer Gefahr? In welcher Gefahr?«

»Kann ich nicht recht erkennen. Es lauft die Leberlinie dazwischen. Ein gutes Herz hast du. Zweimal zwieselt sie ab. In kurzer Zeit wirst du eine große Freude erleben.«

»Was du alles weißt! Was denn für eine?«

»Vom Herzliebsten!«

»Wenn du schon alleweil vom Herzliebsten redest, so sag mir doch auch einmal, wo er ist, dieser Herzliebste?«

»Schau her da!« murmelte das Dörcherweib, dieweilen fuhr es mit dem Zeigefinger auf der Handfläche herum, wie es Leute machen, die beim Lesen die Zeilen mit dem Finger schieben, »schau her da, gerade auf die Daumenwurzel sticht diese Linie. Er kann nicht weit von dir sein. Mit seinen Gedanken bei dir.«

»Ich möcht' nur wissen, wo er sonst ist?«

»Das ist im Nebel,« antwortete die Vagabundin. »Da müssen mir einen Liebfrauenthaler darauf legen, daß es klarer wird.«

»Ist schon recht«, sagte die Hanai, »wenn ich nur wüßt', was ich dir jetzt schenken sollt'.«

Das Weib tupfte mit dem Finger auf das rote Busentuch Hanais: »Das da. Für die Würmeln. Husch, 's ist schon kalt bei der Nacht.«

– Ein gutes Herz, das stimmte. Die Magd zog rasch das Tuch von der Achsel und gab es der Bettlerin. Dann ging sie wieder zu ihrer Futterarbeit auf dem Wiesenrain.

– So ein Wahrsagen, dachte sie ins Gras hinein, ist doch auch zu etwas gut. Jetzt hat sie mein Tuch. Soll den Würmeln vergunnt sein. Gegen die Daumenwurzel sticht die Linie, und der Strolch ist nit zu finden. Auf der ganzen Hand nit. Wohin er sich denn verlaufen hat! Suchen ist er gegangen; jetzt kann man ihn suchen gehen. Das heißt, wer ihn haben will. Ich nicht, wegen meiner mag er umzeggern, wo er will. Die Franzosen thun ihm nichts, dem nit. So lang ist er schon lang nit mehr ausgeblieben. Daß er wo abgewalgen ist im Gebirg, und liegen geblieben! Dumm genug wär' er dazu. Den Hansel will er suchen! zum Lachen ist's. Ein kleines Kind das andre. Mein himmlischer Vater, wie ein Wickelkind, so notwendig braucht dieser Mensch wen, der auf ihn acht gibt. Manchmal thut's mir leid, daß ich ihm so scharf muß zusetzen. Wie ich vorher den Bettelwagen kommen seh, hab' ich heilig geglaubt, er ist drangespannt oder sitzt drin. Dann wollten wir's einmal gesehen haben, dann hätt' ich ihm wahrgesagt, und schon auch mit der flachen Hand! Ei ja, vielleicht fahren wir alle noch einmal auf dem Vagabundenkarren. Wer weiß, wie es wird auf der Welt; es thut alleweil brandeln, mir will's gar nit gefallen. Wenn nur der Tonele da wär'! Heißt das, nit der Tonele, was geht mich der dalkete Bursch an! Der Hans, wenn er daheim wär'! Der Wirtin blutet 's Herz aus und sie sagt nichts. Daß er denn gar nit fürkommt, der Hansel! . . .

Solche Sachen dachte die Hanai ins grüne Gras hinein.

Aus der Hauptstadt und aus andern Gegenden des Landes kam mittlerweile eine gute Botschaft um die andre, es kamen die Leute zurück von den Schlachtfeldern und es kamen die Leute zurück aus den Verstecken. Selbst der Pfarrer von Sankt Jakob saß wieder auf der Pfründe und erzählte von seiner Gefangenschaft, bei welcher er auf das »Gehenktwerden« wartete, manch drolliges Stücklein. – So gut sei es ihm sein Lebtag nicht ergangen, als in diesen letzten Wochen. Der bayrische Oberst Hoisel sei ein wahrer Wüterich, der habe alle katholischen Priester, deren er habhaft werden konnte, zusammenfangen und in ein Kloster unterhalb Trient stecken lassen. Natürlich dreifach eingeschlossen und sechsfach bewacht. Und fast an jedem Abende sei der Oberst gekommen, um sich persönlich zu überzeugen, ob die strengen Maßregeln wohl auch scharf eingehalten würden. Mit seinem Schleppsäbel habe er einen höllischen Lärm geschlagen auf dem Steinpflaster, sein graues Auge habe er furchtbar wild umherrollen lassen, seinen martialischen Schnauzbart habe er mit beiden Händen nur so zornig auseinandergeworfen, dann habe er sich klirrend und polternd zu den Gefangenen gesetzt und die halbe Nacht scharf mit ihnen gezecht. Landpfarrer wissen allerhand lustige Geschichtlein, der Oberst ließ sich erzählen und gröhlte vor Lachen, brachte dann auch selber eins ums andre vor, wobei er aber nicht selten die Leiter verlor und fast immer das Türmlein, das ist den Schlager, vergaß, so daß die armen Gefangenen nicht recht wußten, wann gelacht werden solle, bis er endlich doch allemal selber durch einen heiseren Lachschrei dazu das Zeichen gab. Dabei rauchte er aus plumper Pfeife ein elendes Kraut und alle mußten mitrauchen, was eine Begünstigung sein sollte, was aber die Gefangenen wie eine Verschärfung ihres Arrestes empfanden. Und eines Abends nach heißem Tage, als sie sich wieder so recht leidlich erquickten, teilte der Oberst den Priestern mit, daß Hoffnung sei auf baldige Erlösung. Es würde in der Armee nämlich der Befehl erwartet, daß alle Hochverräter, die hochwürdige Priesterschaft (damit verneigte er sich) natürlich voran, gehenkt werden sollen. Da hätten wohl die geistlichen Herren etwas unsicher dreingeguckt. Der Oberst Hoisel habe jedoch seine Grausamkeit noch gesteigert. Die geweihten Männer, habe er gesagt, kämen als Märtyrer ja vom Mund auf in den Himmel. Aber den verdienten sie gar nicht, sie guckten allzugern tief in den Krug, von den zwei Gottesgaben Sauerkraut und Rauchfleisch hätten sie das letztere verzehrt und das erstere großenteils stehen gelassen. Auch andre Geständnisse hätte er ihnen abgelauscht, kurz, er könne sie nicht für würdig erachten, den Märtyrertod zu sterben, und deshalb hätte er sie zusammenbringen lassen in die festen Klostermauern, damit ihnen später doch die Gelegenheit nicht benommen sei, sich zu bessern oder als alte, womöglich sehr alte Sünder zu sterben. Die Gefangenen fanden, daß solches der beste Witz war, den der Oberst je gemacht. – Und als dann die Siege der Tiroler laut wurden, lachte der alte Haudegen sich in die Faust und bevor er selbst mit seinen Truppen abzog, verjagte er – wie einst Kaiser Josef, aber nur viel stürmischer – die Priester aus dem Kloster, ballte ihnen auf offener Straße die Faust nach und knurrte: »Pfaffen, ihr sollt noch an mich denken!« Die also Verjagten kehrten auf ihre Pfarreien zurück und werden – so schloß der Pfarrer von Sankt Jakob seine Erzählung – den alten Obristen Hoisel mit seinen schlechten Witzen und seinem guten Herzen wohl in ihrem Leben nie vergessen.

Um die Zeit, als es anhub zu herbsteln, kam aus Innsbruck ein zweiter Brief an Peter Mayr. Wieder war er vom Leibschreiber des Kommandanten von Tirol, und sein Inhalt lautete also:

»Lieber Kamerad!

»Wir sind von dem vielen Blutvergießen zwar ein wenig abgehärtet, wie Du Dir denken kannst, aber das Unglück mit Deinem Sohn ist uns doch zu Herzen gegangen, und der Kommandant hat auf der Stelle Befehl gegeben an alle Aemter und Patrouillen, nach dem Knaben zu forschen.

Daß Du jetzt nicht zu uns kommen willst, ist fürs erste ein Unding. Du hast die Not und Gefahr mit uns geteilt, Du solltest auch die Ehre mit uns haben. Denn Ehre gibt es hier in Ueberfluß, haben aber nicht viel Zeit dafür. Arbeiten müssen wir wie die O– hätte ich bald gesagt. Regierungsgeschäfte, und Du siehst ja, daß ich nur mehr per ›wir‹ schreibe, wie die hohen Herren. Du solltest es aber nur einmal sehen, wie die Herren Minister und anderen Höflinge in der Kaiserburg zwischen Gold, Marmor und Seide herumstapfen in ihren blodrigen Knielederhosen und Bergschuhen. Und wenn hoher Rat ist, da sitzen sie um dem grünen Tisch herum in ihren rupfenen Hemdärmeln, unterm Schnauzbart das Pfeifel; die Reden sind zwar bisweilen ein wenig ungefüg, aber im Grunde so klug wie bei den Studierten. Haben sie Zeit, so wird Karten gespielt, gejodelt oder gerangelt, wobei gerade die Stärksten fallen, weil der glatte Boden, der schon viele Kratzer hat, so falsch ist. Ein paar sind, die wollen heim, wir brauchen sie aber. Es ist unglaublich, was die bayrische Wirtschaft überall angerichtet hat, viel wird's brauchen, bis wir wieder ganz in Ordnung sind. Der Anderl bleibt sich gleich, nicht bloß das Licht, auch die Nase putzt er sich noch mit der Hand. Des Abends sitzen wir auf Holzstühlen beisammen, die der Hofer aus dem Gasthause hat holen lassen, weil die pfühligen Samtsessel nicht zu brauchen sind; plaudern von dem und dem, erzählen uns Geistergeschichten und eh wir schlafen gehen, wird der Rosenkranz gebetet oder ein geistliches Lied gesungen, wobei Gott wahrscheinlich nicht so sehr auf die Stimme als auf die Meinung achtet. Den Kommandanten wollte man in eine österreichische Generalsuniform stecken, er ist aber aus seinem Leder nicht herauszukriegen. Er geht ins Wirtshaus essen und sein ganzer Hofstaat kostet dem Land des Tages keinen ganzen Gulden. Das Regieren aber kann er Dir, daß es eine Freude ist und wirst wohl auch schon einen ›Sandwirtzwanziger‹ gesehen haben. Der Hofer sagt, das wären Dummheiten, er wolle nicht sein Bild, sondern den Kaiseradler drauf haben. Alle Angelegenheiten kommen geradeswegs zu ihm, er braucht nicht viel Umzieherei und Schreiberei, thut's kurz ab. Gestreng ist er gegen Liederlichkeit und Vergnügungssucht, die in der Stadt einreißen will, und die Innsbrucker schimpfen schon über die ›Roßhändlerdynastie‹; sie dürfen nicht Theater spielen und keine Bälle abhalten; der Hofer sagt, für so was wäre jetzt kein Wetter; gescheiter brav arbeiten und sparen und fleißig beten. Kann wohl sein, daß er recht hat. Alte österreichische Beamte, die noch da herumsitzen, möchten auch gern spotten über den ›Roßhändlerkönig‹, trauen sich aber nicht recht. Kritisieren ist halt leichter, wie selber machen.

Muß Dir auch schreiben, daß jetzt meine Eltern aus dem Oetzthale, wo sie sich kümmerlich aufgehalten, heimgekehrt sind auf ihr angestammtes Bürgerhaus in Innsbruck, so daß ich wieder meine Lieben und mein altes Heim habe. Alle kommen jetzt wieder zurück, auch solche, die uns in der Not verlassen haben und nach Kärnten, Steiermark und Wien gegangen sind, um, wie sie sagten, nachzuschauen, ob nicht endlich die Oesterreicher schon bald erscheinen. Jetzt, weil's uns gut geht, finden sie ihr Heimatland accurat wieder an. Die Oesterreicher sind nun wirklich gekommen. Zwei seidene Herren in einem schönen Wagen! Sie haben dem Hofer eine goldene Kette gebracht, zum Umhängen. Der Kaiser Franz hat sie geschickt. Aber nichts weiter dazu sagen lassen, was Oesterreich in Zukunft mit uns thun will. Kein Wörtel. Der Hofer ist daher über das Geschenk eher verstimmt als erfreut und fragt: ›Wo will das hinaus?‹ Es gibt auch Leute, die ihm schlechten Rat geben und sagen: den Oesterreichern scheine an Tirol nicht mehr viel zu liegen, so sollten wir die Lostrennung doch bewilligen und den Hofer zum erblichen Fürsten des Landes machen. Derlei Reden können ihn schauderhaft wild machen, also sagte er gestern: ›Der Kaiser Franz kann schlecht berichtet sein, aber gern hat er uns und verlassen thut er uns nit, und wenn mir noch einer vom Lostrennen redet, so laß ich ihn niederschießen!‹ – Wir hoffen immer, die Verwaltung recht bald in die Hände Österreichs zurücklegen zu können, daß jeder wieder kann heimkehren an seinen Herd und als friedlicher Bürger leben. Immer einmal, wenn ich ins Nachdenken komme, wird mir aber doch ein bissel bang.

Ein andres Mal mehr. Bishin ade, ihr herzlieben Leute bei einander, haltet in gutem Andenken euern

Josef Dörninger,              
Leibschreiber des Kommandanten
von Tirol.«                  



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