Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

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Kein Weib wollten sie nehmen, das gelobten sie dem himmlischen Vater.

Zu hinterst im Oetzthale, fast oben bei den Gletschern, liegt das Dorf Gurgl. Schon die größeren Bauern hatten dort zeitweilig nicht viel zu beißen, und erst die kleinen! Ein Elend ist's, wenn in der Familie mehrere Kinder sind. Und deren sind immer mehrere. Manchmal vergißt das Vaterland dessen, daß Kinder, besonders Knaben, sein größter Reichtum sind; in Zeiten, wie um das Jahr Achtzehnhundertneun, erinnerte es sich daran. Sonst hatte man dieses alte Bauerndorf Gurgl immer liegen lassen ganz hinten im Hochthale, wo die Ferner herabhängen, und die Gurglerburschen hätte man wahrscheinlich ebenfalls liegen lassen, wenn sie liegen geblieben wären. Diese sind aber allemal schon vor Sonnenaufgang aufgestanden, um auf ihren Sumpfhalden und an ihren Berglehnen als echte Adamssöhne im Schweiße ihres Angesichtes das karge Brot zu graben.

Und weil die Burschen von Gurgl echte Adamssöhne waren, so steckten ihnen die Eva – zwar nicht in den Rippen – jedoch aber im Kopf, und aus diesem Gelasse ist sie denn einmal sehr schwer herauszubringen. Verging doch selten ein Monat, da nicht ein Pärchen ganz bescheidentlich anklopfte beim Pfarrer, mit der schönen Bitte, er möchte sie halt zusammenthun. Der Pfarrer sah von kirchlicher Seite kein Hindernis, mußte sie noch loben, daß sie aus der Not eine Tugend, aus der Liebe ein Sakrament machen wollten, und that sie in Gottesnamen zusammen. Aber wie es denn mit den wirtschaftlichen Zuständen immer schlechter wurde, wie aus jedem Bauerngute seltsamer Weise drei Kleingütler geworden waren und aus jedem alten Paar drei Paar Junge, oder noch mehr – da kam es dem guten alten Pfarrer bedenklich vor.

Und eines Tages bei der Christenlehre, als er schon Amen gesprochen, sagte er zu seiner Gemeinde noch die folgenden Worte: »Und jetzt hätte ich freilich wohl noch ein Anliegen, meine lieben Kinder. Das liegt mir schon lange schwer und ich muß es euch doch einmal sagen, so hart es mir ankommt. Schaut, da kommt ihr immerfort zu mir um die heilige Ehe, und ihr habt auch das Recht dazu und es freut mich, daß ihr euch ehrsam wollet paaren, und ich gebe gern den Segen dazu. Aber das kann ich euch schon sagen, halten thut es nicht mehr lang. Wenn wir uns so fleißig multipliziren, ja meine lieben Leute, da werden wir bald nichts mehr zu essen haben. Ueberall kleine Kinder, daß man den Kirchplatz damit könnte pflastern. Aber sie kommen gar nicht her. Aus den Ringgräben ist seit Herbst keins mehr in der Kirche gewesen, weil sie kein Gewand anzulegen haben und sich daheim ins Strohnest vergraben müssen. In der Windwang sind ihrer vorig Woche zwei kleine Würmlein an der Auszehrung gestorben; der Bader sagt, sie wären zu schlecht ernährt worden. Man kann auch den Eltern keine Schuld geben, sind ja alle Bettler, seit über die Wiesen die Schuttlahn niedergegangen ist. Die Schleifermarie ist mit ihren Kindern – sie hat deren schon sieben – ins Innthal hinaus hausieren gegangen, hat aber keins angebracht, hat sie aus Verzweiflung wollen ins Wasser werfen. Die zwei größeren habe ich ihr derweil abgenommen, weil man der Person wahrlich nicht trauen darf. Sie ist oft arg verwirrt. Die Bübelen wären zum Viehhüten schon zu brauchen, wer sie nehmen wollte.«

»O heiliges Kreuz!« riefen die Bauern drein, »Kinder! Wir haben selber genug und mehr als wir brauchen. Wir wissen uns selber nit zu helfen mit dem vielen Gottessegen.«

»Ich weiß es, ich weiß es,« sagte der Pfarrer, »und doch kommen sie alleweil wieder, die jungen Leute, und wollen heiraten. Ich bitte euch, das ist zum Verrücktwerden! Was soll man nur sagen, wenn sie's schon einmal gar nit g'raten können! Frei auswandern müssen sie und in der Fremde ihr Fortkommen suchen; daheim ist keine Menschenmöglichkeit, daß es so weiter geht, ich sage es euch! Wenn wir noch betteln gehen könnten zu einander, aber das thut's auch nicht, weil keiner was hat. Und die armen Kinder, die Gott vom Himmel gibt, müssen bei uns in Gurgl verkommen und versterben oder in der Seele verderben und wir sind für ihr zeitliches und ewiges Unglück verantwortlich. Es ist ein rechtes Kreuz, meine lieben Leute!«

Die Hände hatte der Pfarrer gefaltet, während er so sprach, die Finger aneinander geklammert, und die Zuhörer thaten, einer wie der andere, seufzen. Weiter konnten sie nichts thun. Standen dann schwerfällig auf und gingen mürrisch heim. – Und also ist es beschaffen gewesen in manchem Hochthal von Tirol, die Jahre vorher, als der Feind kam.

Doch weiter. Nach dieser Christenlehre zu Gurgl im Oetzthale war es, daß an mehreren Sonntagen die Burschen des Thales zusammenkamen und sich besprachen. Aber nicht im Wirtshause machten sie Stelldichein, sondern in ihren Hütten oder auf freiem Anger unter den jungtreibenden Lärchen, denn es war Frühling. Drei Söhne vom Hammerhof, einem uralten, freien Bauerngute, waren dabei: es waren Bursche von vierundzwanzig bis dreißig Jahren, stramm wie Tannenbäume, aber auch des Wortes mächtig, da sie einst die Schule besucht hatten und schon ein wenig herumgekommen waren in der »Welt,« wie sie das Innthal und das Vintschgau und die Eisackgegend nannten. Also daß ihre Rede Gewicht hatte bei den Nachbarn, so unerhört das auch war, was sie nun sagten.

Auswandern, sagten die drei Hammerbuben, auswandern wollten sie nicht, da wollten sie lieber im Heimatsthale noch einmal so hart arbeiten und noch einmal so mager leben. Heiraten möchten sie freilich wohl, aber wenn es sei, daß sie daheim eine Familie nicht versorgen könnten, also daß die Kinder an Leib und Seele zu Grunde gehen müßten, dann wollten sie's lieber bleiben lassen und gar nicht heiraten. Um das Weib wollten sie die Heimat doch nicht vertauschen. Im Junggesellenstande wollten sie ehrsam leben und auf dem Erdenfleck bleiben, wo sie angestammt wären, und recht fleißig sein, bis Gott bessere Zeiten schicke – dann sei es immer noch früh genug.

So sprachen sie. Andre waren zuerst über solche Gesinnung empört. Die Hammerbuben lachten dazu und lachten sehr bitter. »Uns macht's gewiß auch keine Freude, daß es so ist!« riefen sie, »und wer einen besseren Rat weiß, der soll ihn sagen.«

Es sagte ihn keiner. Zwei oder drei heiratslustige Bursche entschlossen sich fürs Auswandern, aber als es dazu kommen sollte, meinten sie, es wäre doch gescheiter, daheim zu bleiben und mit den Weibsleuten zu warten, bis es besser werde. Was die Dirnlein dazu gesagt haben, soll man wahrscheinlich nicht wissen, denn es ist dem Manne, der diese Geschichte zu berichten hat, nicht hinterbracht worden.

Und eines Tages geschah denn etwas im Dorfe zu Gurgl, wie solches nicht oft geschehen sein wird, seit die Welt steht.

In ihrem Feiertagsgewande waren sie erschienen, die ledigen Buben zu zwanzig, zu dreißig, zu fünfzig Jahren, auch noch ältere. Steinbrech- und Rautensträußlein hatten sie auf ihren hohen Spitzhüten; wortkarg und ernsthaft waren sie, als hätten sie heute einen Richterspruch zu fällen über Leben und Tod. So schritten sie zu Paar und Paar den Platz hinauf zur Kirche; fast feindselig marschierten sie an den Weibsleuten vorbei, welche an der Kirchhofsmauer so herumstanden und den unheimlichen Zug betrachteten. Und stramm und stolz gingen sie zum Thore hinein. Schritten voran bis zum Hochaltare und stellten sich dort auf. Und als der Gottesdienst vorüber war und das Orglein aufgehört hatte zu blasen, empfingen sie die Kommunion. Dann erhoben diese Männer, einer wie jeder, ihren rechten Arm und thaten laut und einstimmig ein Gelöbnis. – Die Heimat wollten sie nicht verlassen in ihrer Not. Kein Weib wollten sie nehmen, solange die schlechten Zeiten dauerten, keins sehen und keins rufen und keins erkennen, dazu seien sie entschlossen und das gelobten sie dem himmlischen Vater, dem Sohne und dem heiligen Geist! –

Der Pfarrer im Chorhemde stand an des Altares Stufen und segnete diesen Bund, doch – wie er später frei eingestand – mit Zögern und Bangen.

Einige Weiber, die nicht erregt davongeeilt, sondern in den Kirchenstühlen noch sitzen geblieben waren, weinten in ihre roten Tüchlein hinein, und ob nicht eine oder die andre auf der Bank saß, der es schon versprochen war, was hier am Altare so grausam feierlich abgeschworen wurde, das kann man nicht erfahren. Zwar wollten einige sich damit trösten, daß die schlechten Zeiten nun ja bald aufhören würden, wo dann dieses unbegreifliche Gelöbnis seine Gültigkeit verliert. Es wird nun aber noch erzählt, daß sich hierauf auch die Jungfrauen von Gurgl zusammengethan hätten und einen Schwur ausgestoßen: Nachher, wenn sie wollen, werden wir nicht wollen! Denn sie fühlten sich verraten und verleugnet, unritterlich zurückgesetzt in der Zeiten Not.

Es hat sich also in diesem Hochthal ein großer Zwiespalt erhoben zwischen den Jünglingen und Jungfrauen, so daß kein Zusammensehen war, geschweige ein Zusammengehen. Unter den jüngeren Männern hatte keiner mehr die rote Schnur um den »Sternstecher,« die auf den Ehebund gedeutet hätte; jeder trug dreimal um den Hut gewunden die grüne Schnur, das Junggesellenzeichen. Demnach hatten auch die Weibsleute nicht rote, sondern grüne Schürzenbänder, und so war zu Gurgl Immergrün im Winter wie im Sommer, aber anders zu verstehen, als jenes im warmen Süden. In den Häusern hatte es sich so geordnet, daß in dem einen lauter Männer, in dem andern lauter Weiber wohnten, und so hoch steigerte sich der Widerwille, daß an den Festtagen der Heiligen männlichen Geschlechtes das Weibervolk nicht in die Kirche kam, was die Buben dann ihrerseits an den Frauentagen wettmachten.

Was der Pfarrer zu Gurgl gefürchtet, ist lange nicht eingetroffen. Kein ungerufenes Kind hat man ihm zum Taufbecken gebracht. Und da hat er gedacht: Wie das doch brav ist von den Gurglerleuten – ganz heldenhaft brav! Hätt's ihnen nicht zugetraut, daß sie es im stande sind. Da könnte sich mancher ein Beispiel dran nehmen, der alleweil glaubt, Kinder in die Welt rufen, wäre sein gutes Recht, auch wenn er sie nicht ernähren kann. – Das meinte der Herr Pfarrer. Nach etlichen Jahren war es schon zu merken, daß weniger halbverkommene Menschenwürmlein umherkrochen im Thale und deren noch weniger in die Gräber verscharrt wurden. Die Männer schienen auch völlig stolz darauf zu sein und die Weiber warteten vergebens auf einen Umschwung. Der Pfarrer aber, sei es nun von der Kanzel oder vom Beichtstuhl, lugte manchmal darauf aus, wie es ihnen bekomme. Er sah ihnen gerade nichts an, sie waren schwerfällig, ernsthaft wie sonst, fast ein wenig trüb gestimmt und nicht mehr ganz so aufgeweckt wie früher.

Nun trug es sich aber zu, daß eine junge Magd im Unterhuberhause – eine eingewanderte Italienerin – das Erstaunen der Leute weckte. Seit drei Jahren schon war sie da im Dienste und seit dieser Zeit nicht fortgewesen. Nun stand es so mit ihr, daß die Rede umging, man müsse ihr einen Strohkranz aufs Haupt setzen und sie mit dieser Zier am Sonntag durch die Kirche führen. Der Dorfrichter ließ sie zu sich kommen und that in ernstem die Frage, welcher von den Buben zu Gurgl an ihr das Gelöbnis gebrochen habe.

»Ja freilich, das werde ich dir just sagen!« lachte die Magd auf.

Und weil sie ihm so frech ins Gesicht gelacht hatte, drohte er, sie in die Totenkammer sperren zu lassen. Statt zu lachen begann sie nun zu weinen, doch den, welchen der Richter wissen wollte, verriet sie nicht.

Nun hörte es der Ferdinand Wildauer, ein junger Häusler auf der Windwang, daß der Dorfrichter seine schwere Hand legen wollte auf die Magd Sanna und daß sich der ganze Gemeindezorn zusammenziehe über die arme Dirn, weil sie nichts verraten wollte. So ging er trutzig hin und gab an, er wäre es. – Mehr brauchte er nicht zu sagen. Der Richter sprach nur: »Ich gunn dir nichts Schlechtes, Ferdinand, aber du wirst an dieser Suppe, die du dir eingebrockt hast, lang zu löffeln haben!« Er kannte den harten Bauernschlag, der da nahe dem Eise wuchs. In wenigen Tagen merkte es der Ferdinand schon, daß die Nachbarn sich von ihm zurückzogen, nicht mehr Gemeinsamkeit mit ihm hielten in Arbeit und Umgang, nicht mehr fragten, wie es ihm gehe, nicht mehr lachten, wenn er im Begegnen einen seiner heiteren Späße sagte. Denen er schuldig war, die forderten ihre Sache, die er um Beistand anging, zuckten ihre Achseln. Kein einziger machte ihm offenen Vorwurf, daß er das Gelöbnis gebrochen, jeder ging an ihm vorüber. Nun sah er, daß er allein war. Mit seiner Wirtschaft war's ohnehin schlecht genug, das Häuslein stand windschief und nicht ein Nagel in der Wand gehörte mehr sein. Das Arbeiten und Haushalten war seine starke Seite nie gewesen. Um diese Zeit starb sein alter Vater; die Nachbarn kamen nicht, um wie üblich an der Leiche zu wachen; sie weigerten sich, den Sarg zu tragen, so daß der Ferdinand denselben mit einem Schlitten zum Kirchhofe schleifen mußte. Ein paar alte Weiber umstanden die Grube, sonst war niemand da. Als das Grab zugescharrt war, ging der Ferdinand zum Pfarrer und gab an, daß es ihm im Oetzthale zu kalt geworden sei, daß er sein Gütel liegen und stehen lassen wolle, wie es liege und stehe, daß er die Sanna zusammenpacken und mit ihr in die Fremde gehen werde, daß er aber noch früher, daheim in der Pfarrkirche, mit der Seinigen christlich verbunden werden möchte.

Der Pfarrer dachte: 's ist schade um ihn! Um den thut's mir leid. Aber was soll er machen auf seinem abgewirtschafteten Häuslein, wenn ihm niemand helfen will! Mehr als zu Grunde gehen kann er auch draußen nicht. Und die Trauung soll er haben; lieber wäre es mir freilich gewesen, er hätte sie um etliche Monate früher verlangt.

Drei Tage später sind sie davongezogen. Was der Ferdinand Wildauer auf einer Kraxe tragen konnte an Gewand, Einrichtung und Werkzeug, das nahm er mit; es brauchte ihm nicht das Herz weh zu thun um das, was zurückblieb. Was die Sanna in einem Armbündel schleppen konnte, das war ihr Eigentum. Mit solchen Gütern wollten sie ein neues Leben anfangen in der Fremde. Ein rotes Hündlein winselte den beiden hinten nach, ein etwas schäbiges Köterlein, der letzte Hausgenosse des Ferdinand. Seine hängenden Ohrlappen waren ganz zerfranst von den Bissen der Nachbarshunde. Vielleicht hatte auch der etwas angestellt, daß sie ihn nicht dulden wollten zu Gurgl. Anfangs ging's heiter fürbaß. Von Innsbruck hatten sie gehört, der schönen, großen Stadt, viel größer als Imst oder Landeck; also nahmen sie ihren Weg gegen Innsbruck. Die Straße war steinig, der Ferdinand pfiff ein Liedel.

Daheim zu Gurgl wurde wenig gepfiffen und gar nichts gesungen zur selbigen Zeit, so daß der Pfarrer einmal zu seinem Freunde, dem Kurschmied, sagte: »Ich weiß nicht, wie sie mir vorkommen. So la la.«

»Die Musik geht ihnen ab,« antwortete der Kurschmied. »Sie haben schon lange keinen Hochzeitsmarsch und keinen Brauttanz mehr gehört, Und wenn die Imster Herren bei uns Soldaten ausheben, so schäme ich mich. Drüben im Pitzthal, im Stubai, im Passeyer die schönsten Landjäger, bei uns nichts.«

»Haben wir nicht auch Buben!« meinte der Pfarrer.

»Schau ihnen einmal in die Augen, Pfarrer. Mir will's nicht gefallen. Ich denke, du sollst derweil nicht mehr gegen den Ehestand predigen.«

»O Doktor, das thue ich schon lange nicht mehr!« sagte der Seelsorger, »ich sehe es wohl schon selber. Der Ehestand wäre bald abgebracht, auf das gingen sie gleich ein. Wir müssen umlenken. Schaut auch wirtschaftlich nichts heraus, wie es jetzt ist. Die Armut hat sie verzagt gemacht; keiner thut mehr, als er zu harter Not muß. Manch gutes Aeckerlein liegt brach, von den Wiesen tragen sie die Steine nicht mehr fort. Verkaufen wollen sie ihr Anwesen, Kinder hätten sie keine. Also bestreben sie sich nicht mehr. Früher haben sie auswandern wollen, weil zu viele, jetzt weil zu wenig Kinder sind. Ohne Kinder kein Heimatsgefühl, ich sehe es wohl ein, Kurschmied.«

»So wird der Wildauer Ferdel doch recht gehabt haben,« bemerkte der andre.

»Ich wage nicht zu sagen: nein,« antwortete der Pfarrer. »Aber kommen hätte er sollen.«

»Wir müssen ihnen ein gutes Beispiel geben,« meinte der Kurschmied, »müssen halt selber heiraten.«

»Du hast es ja schon gethan, Kurschmied.«

»Aber du noch nicht, Pfarrer.«

»Laß das gut sein.«

»Ich will doch den Anfang machen,« sagte hierauf der Kurschmied. »Mein Sohn, der Franzel, ist im vorigen Jahr Meister geworden. Dem gefällt schon lange, aber ganz heimlich, das Kogelbimsmoidle. Will trachten, daß er mich um Erlaubnis fragt, und mich nicht lange bitten lassen. Du kannst im Beichtstuhl nachhelfen, Pfarrer. Mit Gottes Hilfe wird's schon wieder gehen.«

So haben sie sich verabredet. Da gab es zu Gurgl im Oetzthale seit langem wieder einmal Hochzeit. Brautführer war der Richter, geladen war das ganze junge Volk und so lustig ging's dabei her, daß sich die Burschen und Dirndeln zu Dutzenden miteinander versprachen.

Seither ging es dort wieder, wie es überall geht. Ein frischer Menschenschlag stand auf, und als nachher der Sandwirt aus Passeyer kam, um Schützen zu suchen, nirgends fand er mehr und nirgends frischere, als zu Gurgl im Oetzthal.

Der Ferdinand Wildauer und sein Weib, die Sanna, sind nicht mehr heimgekommen. In einem Steinbruch bei Innsbruck bekamen sie ein kleines Kind. Auf den schönen Namen Anton ließen sie es taufen. Wenn man diesen Anton später fragte, wie er seine Kindheit und erste Jugend zugebracht hätte, da wußte er viel Possierliches zu erzählen. Seit im Steinbruch ein Felsblock dem Vater beide Arme abgeschlagen, gab es Musik, nichts als Musik. Der Vater konnte so wunderschön pfeifen, das hatte er auch die Mutter gelehrt, und so gingen sie nun in der weiten Welt herum und pfiffen zu zweien vor den Hausthüren allerhand Weisen. Der Kleine sammelte die Kreuzer. Zwei Gattungen Zuhörer gab es, die eine lachte sie aus und schenkte einen Kreuzer, die andre seufzte über das Elend und gab auch einen Kreuzer. Dann hatten sie einmal eine Lustreise gemacht durch das Oetzthal hinauf bis in den hintersten Winkel. Gurgl stand, wie es gestanden war. Der Ferdinand ging hinein in die Windwang und stand dort lange vor einem braungeräucherten Mäuerlein, an welchem roter Holler wuchs. Dann ging er wieder fort. Der kleine Anton trieb sich am Bache um, wo mehrere Burschen Forellen angelten, wollte mit ihnen Bekanntschaft machen und sagte, daß er eigentlich auch ein Gurglerbub sei. Sie fragten ihn, wie er heiße.

»Anton heiße ich!« antwortete er.

Darauf riefen die Burschen: »Antoni, Limoni, nix konn i, L . . . hon i!« – packten ihn und warfen ihn in den Bach.

Mit Mühe kroch er wieder ans Trockene, schüttelte sich ab wie ein nasser Pudel und lief davon. Bald wanderten die dreie wieder wegshin, und das war ihr Besuch in der Heimat gewesen. Weil der Knabe von dem heimatlichen Wasser her noch über und über feucht war, so hüllte ihn des Nachts auf dem Strohstadel der Vater mit seinem eigenen Gewände zu, denn es strich durch die Fugen eine kalte Luft. Das war aber auch gefehlt. Bei Imst war es, daß sie den Vater Ferdinand ins Spital trugen. Die Mutter, Sanna wollte ohne seiner nicht weiterziehen, sie blieb im Spitalhofe und spaltete Holz, damit man sie dulde und sie täglich einmal den kranken Mann sehen lasse. Der kleine Tonele – er wollte seit dem Wasser von Gurgl nicht mehr Anton heißen – hielt sich viel in der Stube des alten Pförtners auf. Der hatte eine Laute, verstand ein wenig darauf zu spielen und lehrte diese Kunst den aufgeweckten Knaben. Als der Junge schon besser spielte wie der Alte, sagte dieser: »Ein Kampel bist!« zwickte ihn beim Ohr und schenkte ihm das Instrument.

Als der Vater unter der Erde war, zogen sie weiter, die Mutter und der Sohn. Mit dem Pfeifen war's bei ihr aus. Zwischen dem großen wachsgelben Tuche, das sie um ihren Oberkörper gewunden hatte, sah ein abgehärmtes Gesicht hervor mit traurigen Augen und weißen Zähnen, die von Tag zu Tag mehr herauszuquellen schienen aus dem verfallenden Fleische. Der Toni spielte auf der Laute und sang dazu Lieder, wie er sie von seinem Vater gelernt hatte. So bettelten sie sich einmal über den Brenner und hinab bis ins Brixnerthal. Dort, auf der Steintreppe vor der Kirchenthür zu Sankt Jakob, thaten sie rasten.

»Tonele,« sagte die Mutter zum Knaben, »willst mir nit das Lied singen: Jetzt gang i ans Brünnele.«

Setzte sich der Kleine auf einen Birkenast, daß er dabei schaukeln konnte, und hub an mit seiner zarten Stimme die wundersame Weise zu singen:

»Jetzt gang i ans Brünnele,
Trink aber net.
Da such i mein herztausigen Schatz,
Find 'n aber net.

Da laß i meine Aeugelein
Um und um gehn,
Da seh i mein herztausigen Schatz
Bei ein' andern stehn.

Und bei ein' andern stehn sehn,
Ach, das thut weh!
Jetzt b'hüt dich Gott, herztausiger Schatz,
Dich sieh i nimmermeh –«

Und dieweilen der Knabe dieses Lied mit der wundersamen Weise gesungen hatte, war ihm seine Mutter gestorben auf den steinernen Stufen von der Kirchenthür. An ihrer Grube kein andrer Klang, als sein Saitenspiel: »Jetzt b'hüt dich Gott, herztausiger Schatz, dich sieh i nimmermeh!«

Damals war der Tonele alt gewesen an die neun Jahre. Und jetzt allein auf der weiten Welt!

Allein? Wieso? – Leute genug, nur angebettelt müssen sie werden.

Und so sang, bettelte, lungerte und hungerte er sich durch, bis heran zum keckmütigen Burschen, der nicht Krieg führen wollte, hingegen aber seinen Mut dadurch bewies, daß er um die Magd Hanai warb, und der jetzt auch die Magd Hanai im Stiche gelassen hatte, um auf die Suche zu gehen nach dem vermißten Sohn des Mahrwirtes.



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