Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

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Heut' haben wir Schützentanz.

Noch in der dunklen Nacht war Peter mit seinen Leuten hinter Mühlbach den Waldhang hinangestiegen. Die feindlichen Truppen waren nahe und schienen wohlgeordnet die Klause und die Eisackschlucht besetzen zu wollen. Als der Morgen graute, fielen die ersten Schüsse, und da war es, daß Bruder Augustin zu seinem Schwager sagte: »Peter, ich habe nur an meiner Rüstung zu ordnen, ich komme gleich nach.« Doch war es etwas andres, er konnte nicht weiter. Es zitterten ihm die Glieder und das Eingeweide seines Leibes wollte sich empören. Seine Hände waren kalt wie Lehm, auf seiner Stirn standen große Tropfen. Die Todesangst! – Feige Kanaille! rief er sich selber zu, vorwärts! ich will es! – Der Geist kommandierte wohl, aber das Fleisch wollte nicht gehorchen. Ein bebendes Grauen ging durch seine Natur. An einem Buchenstamme lehnte er wie angebunden. – Was ist denn das? fragte er sich wieder, habe ich mich je gefürchtet vor dem Sterben? Habe ich nicht willig verzichtet auf diese Welt, meinen Leib abgetötet und lebendig begraben im Kloster? Und jetzt diese verfluchte Angst! Die lebenslustigen Männer dort, sie haben Weib und Kind – heiter wie zu einem Festschießen gehen sie in die Schlacht. Bist nicht auch du ein Tiroler? Bist du nicht fast hochmüthig dahergekommen, um das Vaterland retten zu helfen?«

»Komm, Kamerad, es geht schon los!« rief ihm ein vorübereilender Bauernbursche zu; durch das Gezweige her prickelte Pulvergeruch.

»Marsch, vorwärts!« schrie Bruder Augustin laut auf und sprang mit gezückter Waffe fast wild in den Pulverdampf hinein.

Entlang der Schlucht, in deren Tiefen gischtend das Wasser grub und brauste, und an den umliegenden Berghängen entbrannte die Schlacht. Die steil den Berg hinan sich klammernde Feste bei Mühlbach war von Franzosen besetzt. Manch ein Tollkühner, der von dem stets unsichtbaren Feinde gereizt in wütender Ungeduld vordrang, purzelte in den Abgrund, der schier finster war und aus dem fortwährend tauender Nebel aufstieg von den an Felsblöcken und Stürzen zerschellten Wellen. Aus den hochgelegenen Wäldern kamen Raben niedergeflogen, welche krächzend über der Schlucht hin- und wiederflatterten, als wüßten sie es, daß zu solcher Zeit die Kugeln für andere Ziele gegossen waren, oder als ahnten sie, daß hier ein üppiger Tisch gedeckt werden würde für die Vögel des Himmels.

Von den Thälern her erhielt der Feind immer neuen Nachtrupp; aber die Reiterei und die großen Geschütze konnten nicht recht einsetzen, letztere mußten vielmehr geborgen werden hinter Felsen, damit sie von den Tirolerkugeln nicht zu sehr Schaden nahmen. Um so tapferer verhielt sich das Fußvolk; das Gewehr an der Achsel, den Säbel im Munde, so kletterten die Soldaten empor von Fels zu Fels, und wenn einer stürzte, kamen stets ihrer zwei nachgerückt. Die Stellung der Bergschützen wurde von Stunde zu Stunde umworbener, so daß auch jene Schützen, denen am Morgen bei der »staden Umbrodlerei« langweilig gewesen, nun aufzuleben begannen.

Am Vormittag hatte es auch für die Tiroler in den andern Hängen noch nicht gar viel zu thun gegeben; der Feind hatte in den Niederungen mehr für die Selbsterhaltung, als für den Angriff zu sorgen gehabt, er war über die Stärke der Gegner noch gänzlich unklar. Mancher Schütze konnte sich behaglich auf einen Stein setzen und, den Stutzen an dem Schenkel, ein Pfeiflein anzünden. Da aß einer oder der andere der bäuerlichen Streiter sein Stück Brot, das er in seinem Zegger mit sich gebracht hatte. Andern brachte man von Höfen her in Zwillingtöpfen Kraut, Specksuppe und Plenten, Speisen, die sie hastig auslöffelten oder hinter einem Busche verbargen, je nachdem knappe Zeit war. Als es auf dem Mühlbacher Turme elf schlug, sagte der Eberstaller, dessen Gehöfte nicht weit entfernt stand, jetzt wolle er heimgehen zum Mittagessen, es gäbe derweil so nichts zu thun. Und er ging auch, nahm sich aber nur Zeit für die Krautsuppe, denn eine bleierne Hummel summte zum Fenster herein. Das Stück Plenten faßte er mit den Fingern und eilte hinaus.

Feinde in Massen mit klingendem Spiele zogen heran, voll hochmütiger Siegeszuversicht. Die grünen Wiesen waren ganz blau vor lauter Franzosen und ein paarmal waren gegen die Erd- und Holzverschanzungen große Geschütze losgeknallt worden, welche die solchen Getöses noch ungewohnten Bauern mehr erschreckt als geschädigt hatten. Als der Feind nun aber begann sturmzulaufen und zwischen den Waldbäumen auf der Höhe schon Blauhosen hin- und herhuschten, und als von den Bauern einer um den andern umfiel, da rief ein Jäger aus dem Pusterthale: »Aus ist's, Leut', alle sind wir hin! Alle, wenn wir nicht höher ins Gebirg flüchten!«

»Hundsfott!« schrie ihm der Stauker von Sarns ins Ohr. »Flieh, wenn du Kurasch hast, ins Gebirg! Daß dich die Hasen beißen kunnten!«

Auf solchen Schimpf blieb der Jäger stehen, wo er stand, und schoß ruhig weiter, bis der Feind wich.

Ein arg zerflicktes rühriges Männlein war vorhanden, das wollte auch mitthun.

»Was willst denn du da, Veitel?« fuhr den der Rampesbauer an. »Du hast dem Brixner Bischof von seiner Heide die Geiß weggestohlen, dich brauchen wir nit.«

»Heut' zahl' ich sie zurück!« antwortete das Männlein und wollte auf einen Soldaten feuern. Der Hahn knackte wohl, aber das alte verrostete Zeug ging nicht los.

»Ein Dieb ist's nit wert, daß er mithalt'.«

»Deine Christenlehr' brauch' ich nit,« gab der Veitel zurück, lief den Hang hinab und wollte mit seiner Hackenbüchse, die nicht losging, einem Bayern den Schädel einschlagen. Der Bayer stach ihn nieder. Der Veitel, das war ein armer Kleinhäusler gewesen, mit vielen hungrigen Würmeln. Und die entwendete Ziege, die war nun bezahlt.

Zwischen mehreren im Haselgesträuche wohlversteckten Felsblöcken, wie in einer Burg verschanzt, hatten sich ihrer zwölf Schützen aus Bruneck festgesetzt und hatten von da aus manche Verheerung angerichtet. Sie konnten ganz gemächlich laden und sich ihren Mann bedächtig auf die Mücke nehmen. Zwischen Astwerk guckten sie hinab auf eine kahle Ausbüschung, wo Bayern auf Schutt und Stein Stellung nehmen wollten. Die Ausböschung war ein Punkt, von welchem aus vielleicht den Tirolern der Vormarsch in die Schlucht abgeschnitten werden konnte. Denn die Eisackschlucht freizuhalten, durch welche aus Sterzing Hilfstruppen kommen mußten, das war hier eine wichtige Aufgabe. Die Brunecker sahen aber da eine gute Gelegenheit, ihre neuen Gewehre einzuschießen.

»Welchen werde ich mir denn jetzt aussuchen?« sagte der eine.

»Ich gunn' mir den Lackel mit dem Geißbart,« sagte der andere. Puff!

»Ich nehm' den zerlumpten Kerl, der keine Stiefel mehr an den Füßen hat. Halt ein bissel, talketer Hiesel, auf scharfem Sand geht's nit gut barfuß; marsch in die Ewigkeit!« Puff!

Wieder ein anderer im Versteck sprach: »Dort beim Wassergrabel liegt ein Angeschossener, der windet sich wie ein Regenwurm, der erbarmt mir.«

»Lapp, der Angeschossene thut uns nichts mehr. Die Gesunden mußt schwach machen. Das Pulver ist teuer!«

»Wenn wir nit alle ausrotten,« sagte der eine, »so hätten wir lieber nit anfangen sollen. Und deswegen nehm' ich mir doch den armen Teufel und schicke ihn heim zum himmlischen Vater.« Puff!

Durchs Buschwerk her huschte der Rampesbauer. Der fragte: »Ist der Mahrwirt nit bei euch?«

»Der steht mit sechzig Mann hinter der Klausen und macht dem Feind die Hosen bledern.«

»Habt ihr keinen Anführer?«

»Wir brauchen keinen. Jeder weiß, was er zu thun hat: Boarn und Franzosen derschießen.«

»Meine lieben Leut',« sagte nun der Rampesbauer, »da oben geht's noch ein bissel anders zu, da oben bei Sterzing! Wer auf dem Kofel steht, der kann das große Geschütz recht gut hören: bum, bum, bum, bum! Schon seit einer Stunde. Es muß ein lustiger Tanz sein. Der Sandwirt ist dabei.«

»Wenn sie der Anderl herabjagt, nachher gesegne uns Gott, nachher haben wir den ganzen Krempel.«

»Wir wollen sie nit weiterjagen, denke ich. Wenn den Herren unser Tirolerbuden gar so wert ist, so wollen wir sie schon hineinstecken.«

»Mit Gottes Hilfe!« setzte der Rampesbauer dazu.

So plauderten sie in ihrer Felsenburg und inzwischen pfefferten sie einen um den andern nieder.

In der Schlucht hatte sich ein solcher Rauch entwickelt, daß man kein Schußziel mehr sah. »So, jetzt ist's wieder zum Rasten,« meinten sie, »denn der Tiroler schießt nur, wenn er etwas auf dem Korn hat.«

»Magst Branntwein, Kamerad?« fragte einer der Pusterthaler einen heraneilenden Schützen.

»Vergelt's Gott,« antwortete dieser, »aber Pulver, wenn ihr habt!«

»So viel, daß wir den Plossenberg kunnten in die Luft sprengen.«

»Juchhe, heut' haben wir Schützentanz!« rief der Bursche, »und wenn's mich gilt, so verkauft's mein G'wand, ich bin im Himmel!« Dann lud er den Doppelstutzen und ging wieder an die Arbeit. Das Knattern in der weiten Gegend währte so gleichmäßig fort, daß niemand mehr darauf achtete. »Und der Pulverdampf überall macht einen ganz rauschig!« meinte ein alter Grödenthaler.

Jetzt kam von der andern Seite herüber die Nachricht, auf der Wiese oberhalb der Klause brauche man Leute. Alsogleich machten sich Schützen auf und kletterten an wüsten Wänden gegen den benachbarten Ort hin. Einer hatte sich zwei Gräßinge (junge Fichtenbäumchen) angebunden, einen über der Brust und einen am Rücken, damit auf den kahlen Hängen, die er beschreiten mußte, ihn der Feind nicht sollte bemerken. Der wandelnde Baum kam glücklich hinüber. Ein andrer schrie unterwegs plötzlich laut auf: »Jesus Maria, aus ist's!« und taumelte auf das Gestein hin. Er wäre den felsigen Hang hinabgekollert, wenn nicht ein Kamerad in keckem Nachsprunge ihn aufgefangen hätte. Sie labten ihn mit Branntwein, fragten noch, ob was auszurichten wäre, beteten ihm einen kurzen Sterbesegen vor, und als es vorbei war, deckten sie ihn mit Reisig zu und eilten weiter.

Hinter der Klause auf der Matte ging es emsig her, dort waren auch schon Weibsleute ausgerückt. Etliche Bäuerinnen hatten eine hochgeschichtete Heufuhr herbeigezogen; dahinter verschanzte sich nun eine Anzahl Schützen mit einem größeren Pulvervorrat. Denn aus dem Thale drängte sich in immer neuen Haufen der Feind herauf und schoß nach diesem Ziele mit einer Kanone.

»Patsch!« rief allemal eine der Tirolerinnen, so oft die Kugel ins Heu schlug und darin stecken blieb. »Ja, ja, die weichen Schilder thun's immer einmal besser als die harten, wenn sie auch nicht so fürnehm glänzen.« Dabei pfiffen die Schützen neben der Heufuhr und unterhalb durch ihre Stutzen los und die Feinde kamen nicht näher. Zwei frische Dirnlein waren hinter der Heuschanze, diese jodelten mit hellen Stimmen einen Almer, und als eine Kartätsche herangesungen kam, schrie eines der Dirnlein hinunter: »Pufft's nur zu, wir fürchten uns nit vor diesen bayrischen Dampfnudeln.«

Als ihre Stellung doch ungünstiger wurde, zogen und schoben sie die Heufuhr flink weiter, und hinter derselben immer die Scharfschützen, den Pulvervorrat bergend, dabei stets ladend, zielend und treffend.

Einer vom Ritten war dabei, der sagte: »Ich brauche gar keine Heufuhr, ich habe den Lukasbrief in der Tasche!« und wollte sich unbedeckt den feindlichen Kugeln aussetzen. Die Kameraden hielten ihn zurück. Von Kapuzinern waren nämlich geweihte »Lukasbriefe« (mit Gebeten zum heiligen Lukas und mancherlei Beschwörungen) verteilt worden, welche, wie es ja auch drinnen gedruckt stand, jeden hieb- und schußfest machen sollten, der ein wahres Vertrauen zu ihnen habe.

»Ich glaube nicht daran,« sagte einer hinter der Heufuhr, »der Riedesberger Michel hat auch einen Lukasbrief in der Tasche gehabt, und hat ihm doch ein Kartätschenscherben die Hand weggerissen.«

»Wird halt kein wahres Vertrauen gehabt haben,« entgegnete der vom Ritten, »ich aber hab's und mir kann nichts geschehen.« Riß sich von den Genossen los, sprang hinaus in das freie Feld und schoß auf die Bayern hinab. Nicht eine Minute lang dauerte es und er lag hingestreckt mitsamt seinem Lukasbrief.

»Der Lukasbrief ist gut, aber die Heufuhr ist besser,« meinte ein andrer und rächte unterhalb, zwischen den Wagenrädern durch, den gefallenen Kameraden. –

Jenseits der Bergmulde auf dem Felsvorsprung stand ein Schütze, der eine arg geschwollene Wange hatte.

»Hast Zahnweh, Philipp?« redete ihn ein Nachbar an.

»Schußprügelweh!« antwortete er. »Mein alter Doppelhacken, der Sakra, haut mir allemal eine aba, so oft ich ihn losbrenne. Laß mich aber doch lieber ohrfeigen, als einen Franzosen stehen.« – Puff!

Gleich neben diesem Wackeren saß ein alter Mann und that ganz gemüthlich mit seinem Gewehr um. »Fertig bin ich,« sagte er.

»Wieviel hast denn du schon bleich gemacht, Auer Seppel?« fragte ihn ein Kamerad.

»Ich habe drei Ladknechte mitgebracht, vier Stutzen und sechsundneunzig Kugeln. Und wenn ich öfter als dreimal gefehlt habe, so will ich wohl keinen Theil haben an der himmlischen Seligkeit.«

Ein andrer beklagte sich über seine Dummheit, daß er zum »Franzosenderschießen« sein weißes Hemd angezogen habe; jetzt dürfe er die grüne Joppe nicht wegwerfen, denn das Weiße thäte ihn schnell verraten hinter dem Buschwerk. Es war aber mächtig heiß geworden und der Schweiß rieselte dem Schützen tropfenweise über das braune Gesicht. Wieder ein andrer fluchte darüber, daß eine Kartätschenkugel, die neben ihm in eine Pfütze gefahren war, ihm das Sonntagsgewand mit Morast anspritzte.

»Geschieht dir schon recht!« lachte sein Nächster, »wer mit Welschen zu thun hat, der legt nit's bessere Gewand an.«

Halberwachsene Burschen und Weiber, die kein Gewehr zum Schießen hatten, sammelten verschossene Kugeln, krauten sie aus dem Rasen, stachen sie aus den Baumstämmen und trugen sie den Schützen zu. Etliche Knaben waren beständig auf dem Wege zwischen einer Engschlucht und den Schießständen, um in Thongefäßen und Ledersäcken, selbst in Filzhüten den Kämpfenden Trinkwasser zu bringen.

Auf einmal hörte man von einem Dickicht herab rufen: »Wer Wein will, der soll herkommen!«

Einem Wirte zu Mühlbach, der an der Gicht daniederlag und nicht mitthun konnte, war es eingefallen: Durst werden sie kriegen bei dieser Brathitz! und rief die einzige Person, die noch zu Hause war, eine höckerige Magd.

»Kannst zwanzig Maß tragen?« fragte er.

»Auch vierzig!« sagte sie

»So nimm das Fassel mit vierzig! Hinauf mußt du durch den hintern Wassergraben.«

Sie legte das Faß in einen Strick, nahm es, vermittelt durch einen Holzprügel, über die Achsel und schleppte es den Berg hinan. Bald jedoch merkte sie, daß mit dem Fasse kaum durchzukommen sein würde, ohne die Aufmerksamkeit der Feinde zu erregen; daher nahm sie unterwegs in einem Grasstadl einen Futterkorb, that das Faß hinein, überdeckte es mit frischem Grase und ging dann als Almerin, die einen Korb mit Futter schleppt, hinauf. An einigen bayrischen Soldaten mußte sie vorbei, vor denen hatte sie Angst, deshalb that sie gar harmlos, rastete ab, zog aus dem Kittelsack ein kurzes Pfeiflein und eine Tabaksblase, stopfte das Zeug und bat die Soldaten um Feuer. Sie lachten das alte Moidel aus und ließen es allein. Das alte Moidel hinwiederum lachte die Bayern aus, zündete sich keine an, sondern machte sich mit ihrer Last wieder auf den steilen Weg. Sie kam glücklich hinauf und hörte schon das Jauchzen eines Schützen; es klang, als hätte er auf der Scheibe ins Schwarze getroffen. Unten auf dem Plane purzelte ein französischer Offizier vom Pferde.

Hinter dem Standplatz mehrerer Tiroler that sie ihr Faß aus dem Korbe, da summte eine Bremse an ihrem Kopf vorbei. Es war aber keine Bremse, sondern eine Kugel, und gleich auch eine zweite, und sie schlugen in das Faß, daß der Wein in einem hohen rosigen Bogen hervorsprang. Das Moidel wendete das Gefäß und stopfte alsogleich ihren Finger in ein Loch. So stand sie am Fasse, da ringsum die Kugeln sausten, und so schrie sie: »Wer Wein will, der soll herkommen!«

Etliche kamen herbei und ließen sich den seltsamen Brunnen in den Mund springen. Von der steilen Schutthalde schrie ein Bauer herab: »Möchte schon auch trinken, aber ich hab' jetzt nit Zeit.« Er war eben beschäftigt, mit einem Eisenkrampen einen Stein locker zu machen, um ihn in die Tiefe sausen zu lassen.

Mehrere eilten herbei, um zu helfen und bald rutschte der Felsblock den Sand hinab, schlug über, hub an zu rollen und zu hüpfen, machte einen gewaltigen Bogen über die Baumwipfel des Thales hinaus, fuhr mitten in den Feind hinein und stob in tausend Scherben auseinander.

Schlimm trieben es zwei andre auf der Zinne einer Felswand. Dort rang ein Holzer aus Weidbruck mit einem reckenhaften Franzosen. So enge hatten sich die beiden ineinander verschlungen, daß keiner mehr von seiner Waffe Gebrauch machen konnte. Nur die schneeweißen Zähne bleckte der Franzose gegen das finstere Gesicht des Aelplers. So fuhren sie mehrmals hin und her, aber die Füße stemmten sich fest in den Sandboden; dann hielten sie einen Augenblick still und schnauften, um bald noch wütender einzusetzen. Der Sand stob auf unter den Füßen und die Schuhnägel des Aelplers gaben Funken im Gestein. Der Franzose mit laienhafter Beweglichkeit suchte dem Gegner ein Bein zu schlagen, da nahm der Tiroler einen wuchtigen Sprung gegen den Abgrund und mit dem Ausrufe: »Im Namen der heiligen Dreifaltigkeit!« schleuderte er den Feind mit sich in die Tiefe.

Die feindlichen Mächte rückten weiter und weiter vor und der Kampf zog sich immer höher ins Gebirge hinan. Hoch oben, auf einer fast ebenen Waldblöße, wo ein Christuskreuz stand, zu welchem alljährlich am Kreuzerhöhungstage Wallfahrer zu kommen pflegten, hatten sich heute zwei halberwachsene übermütige Mädchen zusammengethan, um nach einer Trompete, die tief unten zum Marschieren blies, auf glattem Rasen ein Tänzlein zu hopsen. Sie waren sehr guter Dinge und hatten sich einander just gestanden, daß jedes bei den Schützen einen Schatz habe. Und sie wetteiferten im Aufzählen der Vorzüge ihrer Liebsten und wohl auch darin, welcher an diesem Tage die meisten Blauhosen niederlegen werde. Da sauste plötzlich eine Kugel durch die Luft und eines der Mädchen sank zu Boden. Das andre Almdirndel that einen schreckbaren Schrei zum gekreuzigten Christus empor, wollte in Verzweiflung den Heiland herabreißen, das er helfe, rette. Weil das vergebens war, so rief sie der Sterbenden zu: »Bereue deine sündige Liebschaft, daß du in den Himmel kommst!«

»Die Lüge – bereue ich,« stammelte die Verblutende, »s' ist nit wahr, ich habe keinen gehabt. Das dumme Prahlen! Thu' beten für mich, Kameradin – ich muß schlafen gehen.«

»Jesus, der Krieg! der Krieg!« jammerte das andre Mädchen. »Wenn man's auch nur sagt, daß man einen Soldaten hat, so wird man schon erschossen.«

Weinend ging sie herab zu den Schützen: »Könnts mich nit brauchen, Männer?«

»Alles können wir brauchen!« rief der Schützen einer, während sein Stutzen knallte, »eilends ein Feuer anmachen zum Kugelgießen.«

Drüben beim Dorfe Spinges hatten sich viele Landleute festgesetzt. Sie bargen sich hinter der Kirchhofsmauer und schossen herab. Der Ansturm wurde immer mächtiger; von einer Seite jagten Bayern herauf, von zwei Seiten Franzosen. Der Schmied von Volters, der mit einer Riesensense da war, rief, als er die vielen blitzenden Bajonette sah: »Das höllische Stechgras muß man mähen!« und fuhr mit seiner Sense wütend drein. Er mähte manchen »Halm«, dann fiel er selbst.

»Stehts auf und helfts uns!« rief ein alter Bauer auf die Grabhügel hin. Aber die Väter schliefen und die Söhne blieben im Streite allein. Die Franzosen kamen in einem weiten Halbkreise heran; viele kletterten schon über die Friedhofsmauer und als es sich weniger ums Schießen als ums Stechen handelte, zogen die Tiroler sich zurück, weiter ins Gehölze. Mit schmetterndem Hurra nahmen die Feinde den Kirchhof. »Argenterie!« wieherte ein Franzose, da wollte sofort ein ganzer Trupp in die Kirche dringen. Doch blieben sie stehen und stutzten. An der Kirchthür stand ein bleiches Mädchen, das hatte eine dreispießige Stallgabel in den Händen und war bereit, den ersten Nahenden niederzustechen. Alle andern ihrer Landsleute waren davon, sie allein stand da mit zusammengekniffenen Lippen und trotzig rollenden Augen. Ihr Haar flatterte im Wind. Bewegungslos aber lauernd, wie ein zum Sprunge bereiter Tiger, so stand sie mit ihrer dreispießigen Gabel und starrte auf die Krieger. Diese schauten eine Weile auf sie hin, dann wendeten sie sich kopfschüttelnd seitab.

»Une pucelle d'Orléans tyrolienne;« sagte einer von ihnen. Keiner nahte sich mehr dem Kirchenthore.

Hanai, die Magd von der Mahr – wir haben sie ja sogleich erkannt. Als die Besatzung wieder abgezogen war, um die Schützen zu verfolgen, kniete sie nieder vor dem geschlossenen Thore, betete ein stilles Vaterunser, nahm ihre Gabel auf die Achsel und trachtete den Kampfgenossen zu.

Etwas abseits von dem Platze, wo man in die Luft heute schon so viele Löcher gemacht hatte, fand sie einen guten Bekannten. Der Tonele saß am Waldrain, trommelte mit der Faust auf seine Knie und sang, aber nicht allzulaut:

»Frisch auf, frisch auf, frisch auf
Zum Streit in mutigem Lauf!
Kämpft tapfer, das Gewehr zur Hand,
Fürs Vaterland!
Für Kaiser und Vaterland!

Verdoppelt, Brüder, euren Schuß,
Und schickt dem Feind den Kugelgruß,
Er flieht, er flieht! Schnell losgebrannt,
Fürs Vaterland!
Für Kaiser und Vaterland!

Und dann zurück zu unsrem Schatz,
Der ein so süßes Goscherl hat,
Und geben ihm gleich Kuß und Hand,
Fürs Vaterland!
Für Kaiser und Vaterland!

»Ja, ja, du Held!« rief die Hanai dem Burschen zu. »Singen können auch die Spatzen. Schießen sollst!«

Stand der Tonele auf und sagte mit schreckbar entschlossener Miene: »Hab' ich nicht geschossen?«

»Den Stutzen hast wohl hingezielt, wie du hinter dem Lärchenbaum gestanden bist. Habe dir von weitem zugeschaut. Alleweil hast hingezielt auf den schwarzbraunen Bayern, der unten beim Brunnen ist gestanden. Aber losdruckt hast nit.«

Hierauf sagte treuherzig der Tonele: »Weißt, Hanele, er hat beim Brunnen just so schön getrunken. Er ist durstig, habe ich mir gedacht, und beim Trinken soll man die Leut' in Ruh' lassen. Und wie er fertig ist und ich schießen will, ist der schlechte Mensch auf einmal nicht mehr dagewest. Den, wenn ich noch einmal derwisch!« Er ballte die gehobene Faust.

»Wirst ihm doch nichts thun?« spottete die Hanai.

»Bei den Ohrwascheln nehm' ich ihn und beutl' ihn solang, bis er mir's verspricht, daß sie heimlaufen wollen.«

»Ein Tschapperl bist!« sagte die junge Magd und gab ihm mit drei Fingern ein Wangentäschl.

Er schaute sie ganz verzückt an und bettelte: »Du Hanai, das ist gut gewesen. Hast nit noch eins?«

»Verlang' dir's nit, Bübel! Das zweite möcht' ein bissel anders ausfallen!«

»Daß die Leut' gar so gern schlagen, heutzutag. Sollen zithernschlagen,« meinte der Bursche. Da zog sie ihn schon am Aermling mit sich fort: »Geh eilends mit mir, dort drüben bei den Sandbachhäusern, hörst es? Dort geht's scharf los. Sie brauchen uns.«

Als sie über den Plan eilten, bemerkte die Hanai einen Blauhosen, der aber keine Mütze und kein Gewehr bei sich hatte und der mit Hast und Mühe eine alte Kiefer hinaufkletterte, um sich oben in der dichten Krone zu verstecken. Zwei Schützen verfolgten ihn und der eine rief, auf den Baum weisend: »Da oben sitzt er! Herunterschießen, den gallischen Hahn!«

»Gehts, gehts!« sagte die herbeieilende Magd. »Der macht nichts, da oben. Aber bei den Sandbachhäusern drüben. – Tonele, geh her, das ist eine rechte Arbeit für dich. Stell' dich mit deinem Stutzen da an den Kiefernbaum und schau, daß dir der Franzos nit auskommt. Bis wir zurückkommen, nehmen wir ihn mit. Manner kommts mit mir.«

So eilte sie mit den Schützen weiter und der Tonele stand auf der Wacht unterm Baum. Da oben im dichten Astwerk hockte der Schelm und suchte sich mit Gezweige über und über einzuflechten. Dabei fiel ihm ein Lederbeutel herab. Der Tonele glaubte, es seien Dukaten drin, aber es waren nur Bleikugeln. Anfangs war dem Burschen ein wenig unheimlich, als er jedoch sah, daß der Feind auf dem Baum sich immer dichter ins Netz flocht und nur für seinen Schutz bedacht schien, ward er zutraulicher und rief hinauf: »Franzos, wo hast denn deine Büchsen?«

Der oben antwortete zwar, aber welsch. – Und wenn der Mann nicht deutsch kann, so wird das langweilig werden, bis die Hanai von den Sandbachhäusern zurückkommt. – Allmählich merkte der Tonele, daß er aus dem Welschen – in dem der Franzose fortwährend parlierte – etwelches verstand. Es war so ein bißchen Deutsch dabei und das kam beinahe so heraus, als ob der Franzose daheim in seinem Land Geld hätte, und als ob er das Geld dem jungen Tiroler schicken wollte, wenn dieser ihn jetzt entkomme ließe.

»Freunderl!« rief der Tonele hinauf, »bestechen lassen wir uns nicht. Nicht um Roß und Wagen. Aber totschießen thun wir dich auch nicht. In einen Wolfskäfig thun wir dich hinein und füttern dich mit Bayern-Pflegerspeck. Und wenn du dich totgefressen hast, thun wir dich in Weingeist und stellen dich in Sprugg (Innsbruck) auf die Schul, daß die spätern Tiroler auch wissen, wie ein Franzos ausgeschaut hat.«

Es war nur mehr des Zeitvertreibes wegen, daß der Tonele so plauderte, und zu Kriegszeiten müsse der Landjäger schon einmal so grobe Reden thun – insgeheim meinte er es nicht ganz so schlimm. Dort über den Schutt hinab liefen etliche Bayern, man wußte nicht recht, verfolgten sie jemand oder waren sie auf der Flucht. »Mein Gott,« dachte der Tonele, »da sollte man auch hinüberzünden. Pah, lassen wir's bleiben, vielleicht schießt sie ein andrer nieder. Wer mir nichts thut, dem thu' ich auch nichts. Ich stehe ja nur auf der Wacht.« Auf einmal, als er sich über die Achsel lugte, ob das Gewehr wohl ordentlich geschultert wäre, sah er, daß sein Rock blutig war.

»Bin ich angeschossen!« kreischte er auf und fast entfiel vor Schreck die Waffe seinem Arm. Endlich merkte er, daß das Blut nicht aus seinem heiligen Leibe rann, sondern vom Baum herabtropfte.

»Tröpfelst du, Franzos?« rief er hinauf. »Thut dir was weh?« Als es oben wimmerte, fuhr der Tonele fort: »Hast was, so steig' herab. Wie ein Schwein ausbluten, da oben, sollst nit!«

Im Baume oben knisterte es und kläglich ächzend kletterte der Mann herunter; als er auf den steinigen Boden kam, sank er nur so hin, und nun sah man es wohl, aus seinem linken Bein quoll das Blut heraus.

»Armer Kerl!« sagte der Tonele, »wart', wir wollen's gleich machen. Bist ja kasweiß im Gesicht. Ein Soldat und kasweiß sein! Nur nit gleich versterben, wir werden's ja verstopfen!«

Mit Emsigkeit riß er das Beinkleid auf, aus seinem Sacke ein Taschentuch und begann die Wunde zu verbinden.

»Toni, was thust denn?« rief es hinter ihm. Und stand richtig wieder die Hanai da. Der hatte etwas geschwant, diesen Menschen dürfe man mit dem Franzosen nicht allein lassen. Der Tonele war erschrocken, aber anstatt sich zu verteidigen, entschloß er sich, zum Angriff überzugehen. »Ist das auch wieder nit recht?« fragte er, »seid ihr denn lauter Bestien worden? Nit einmal ein Loch soll der Mensch mehr verstopfen dürfen!«

»Eine Schand' und ein Spott ist's, was du für ein Soldat bist,« schrie die Hanai, »nit einmal das Einfatschen kannst. Geh weg!« Mit dem Ellbogen drängte sie ihn beiseite, riß ihr Tuch vom Busen und verband mit Fleiß und Sorgfalt, aber heftig dabei über die verdammten Blauhosen schimpfend, den Fuß des französischen Soldaten.



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