Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

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Pfaff, ich weiß was!

Im nächtlichen Wald war feuchte Kühle. Die Bäume ragten finster gegen den besternten Himmel. Manchmal kraxte ein Ast, manchmal rieselte es in einem der Zweige, in kurzen, grellen Stößen jauchzte ein Käuzchen. In den Schluchten rauschten die Wasser. Das ist die Waldruhe wie sonst. Aber in dieser Ruhe war ein seltsamer Unfrieden. Im Thale wieherte das Roß, im Grase des Hanges lallte hier jemand ein deutsches Vaterunser, knirschte dort jemand einen welschen Fluch. Und doch, wenn man näher hinhorchte, war es nichts. Gegen Mitternacht ging der Mond auf. Schon fehlte ihm mehr als ein Viertel von seiner Scheibe, und doch warf er scharfe Schatten, und doch weckte er im Heidekraut manches Gefunkel, wenn er einen Säbel oder das Messingblättchen eines Gewehrkolbens beschien. Bisweilen war es, als werde einer der schwarzen Baumschatten lebendig und husche eilig über den Plan.

Vom Waldrain herab ging langsam eine dunkle Gestalt; sie stützte sich auf etwas, ob auf eine Krücke oder auf ein Schwert? Oefter stand sie still, als um zu horchen, dann schritt sie lebhaft querhin, dann wieder beugte sie sich zu Boden und rüttelte an Körpern. Sie waren leblos. Dort an der Felswand, war das nicht ein Stöhnen? Die Gestalt eilte hin, kniete nieder, hub an, mit einem Fläschchen zu laben, mit Worten zu trösten, und doch fühlte der Sterbende vielleicht nichts mehr und hörte nichts mehr. An einem Baumstamm lehnte ein welscher Soldat, der fluchte laut des Namens Napoleon. Als unser Nachtwandler hinkam, war der Mann tot. Dort am Wacholderstrauch wimmerte ein Mensch nach einem Schluck Wasser. Das war sein letztes. Als Augustin hinkam, atmete er nicht mehr.

Ja, Bruder Augustin war's, der allein das Totenfeld beging. Er kam nun auf eine Wiese, auf welcher zerstreut große, fahle Felsblöcke ragten. Hier hatte der Tod dicht gemäht. Ein sterbender Franzose that Stoßgebete zur Madonna. Als er den Mann mit der Waffe nahen sah, scharrte er mit den Zähnen: »Maudit Allemand!«

»Kann ich Euch beistehen?« fragte ihn Augustin.

»Feind! Feind!« stöhnte der Franzose, mit der Hand winkend, daß der Nahende sich entferne.

»Ich kenne jetzt keinen Feind,« sagte der Geistliche, beugte sich nieder, labte den Vergehenden mit Essig und sprach ihm zu mit milden Worten. Noch wollte er ihn ein wenig aufrichten, da entquoll ein Blutstrom dem Munde des Soldaten – dann war auch hier wieder nichts als ein Toter.

Also wandelte Augustin dahin über das Schlachtfeld. Im heißen Streite des Tages hatte er, andre verderbend, sich selbst manche Seelenwunde beigebracht, die er jetzt damit lindern wollte, daß er Trost gab allen, die noch eines Trostes bedurften. Denn das Ungeheuerliche des Menschenschlachtens war ihn angetreten . . .

Auf steinigem Boden, nahe dem Abgrunde, der niederging in die Wasserschlucht, lag ein großer, vollbärtiger Mann, ein Tiroler; dieser wälzte sich her und hin und suchte den Abgrund zu erreichen.

»Was willst denn dort?« fragte ihn der Priester, nachdem er den Mann ein Weilchen beobachtet hatte.

»Es ist verdammt, ich kann nit sterben!« knurrte der Bärtige. »Schlecht getroffen. In den Bauch. Den Stutzen hat mir der bayrische Höllsakra weggeraubt.« Er reckte die Hand auf: »Geh, Schwarzer, hilf mir hin. Du bist ja ein Pfaff, gelt?«

»Dir wird noch zu helfen sein. Ein Verband.«

»Ist schon, ist schon. Was hilft der Fetzen, es blutet in den Darm hinein. Pfui Teufel, das Sterben fürs Vaterland hätt' ich mir schöner gedacht.«

»Je schmerzhafter, desto größer.«

»Meinst?« sagte der Verwundete. »Bei mir steht der Satan anders. Sterben fürs Vaterland! Keine Rede davon. Ein Lumpensterben ist es, ich sag' es dir!«

»Bist denn nicht im Kampf gefallen?« fragte Bruder Augustin.

»Bist einer oder nit?« fragte der andre lauernd entgegen. »Ein Schwarzer, mein' ich. In der Nacht sind alle schwarz.«

»Ich bin der Feldpater.«

»Bist es? Nachher kannst auch Beicht hören.«

»Ich will's gern thun, wenn du Verlangen hast.«

»Na, nit deswegen. Verziehen wird mir ja sein. Nur was du sagst dazu, möcht' ich wissen. Hock' her. Hast was im Flaschel? Essig? Laß saufen. Wird einem ja frei übel bei dem Bauchweh.«

Der Priester reichte ihm ein paar Schluck Branntwein.

»Prrr!« machte der Verwundete sich schüttelnd. »Das ist ein Jausner. Meiner hat mehr Brand gehabt. Solltest mich nit kennen, heiliger Pfaff? Der Gauler? Der Branntweinbrenner Gauler? – Und du machst dir jetzt kein Kreuz über die Nasen? Nachher mußt von weither sein. Pfaff, ich weiß was!«

»Hast etwas auf dem Herzen, so red',« sagte der Priester und bettete das borstige Haupt auf seinen Schoß.

»Verziehen ist mir schon und der Teufel ist um den Braten betrogen,« knirschte der Gauler. »Kein Pfarrer hätt's können. Auch kein Bischof. Nichts als das Vaterland hat's gethan. Deswegen bin ich ja gegangen. Ich wollt' sonst der Narr sein und mich totschießen lassen! Da hätt' ihr lang können warten. Schlecht ist's eh nit gewesen, auch die Bayern haben mir Branntwein abgekauft, und mehr als die Tiroler. Ob bayrisch, ob österreichisch, das wär' mir Sand gewesen. Aber der Höllteufel schreckt mich. In den Himmel will ich kommen. Wer fürs Vaterland fällt, dem sind alle Sünden vergeben, alle – unbeschaut. Ist's nit so? Sagst es auch? Ja, das stimmt. Mit der Kugel im Leib kunnt ich gleich noch ein paar Schandthaten dazu thun; auf ein Abwaschen. Bin aber – nit mehr aufgelegt dazu. – Sag', Schwarzer, ist der Kronleuchter wohl auch dabei?«

»Fieber wirst du haben.«

»Und die Judengeschichte auch?«

»Nicht so viel reden sollst!« ermahnte Augustin.

»Der einzige Pfaff, der nit neugierig ist,« fuhr der Gauler fort. »Aber glaub' mir, ein andrer weiß dir das nit, was ich weiß, in den Beichtstuhl sagt's keiner hinein. Wollt' ihm's auch nit raten. – Jetzt schadet's nimmer.«

»Wenn du es so weiter machst, kann ich dich nicht verstehen,« versetzte der Priester.

»Grausen wird dir, Pfaff! Aber froh sollst sein, daß du keine haben darfst. Mit den Weibsbildern hebt's allemal an. Dasselbe kugelrunde Dirndel. Die Finzerl! In der Christmetten dazumal. Und steht der Gidel neben ihr, der Wehrschlager Gidel, von dem sie eh alleweil einen Ring hat getragen. Sie bringt ihn nit herab, sagt sie, und ich hätt' ihr am liebsten den Finger ausgerissen. Und in der Christnacht wollen sie miteinand heimgehen. Die Kirchen voller Leut', und der kecke Kerl steht neben ihr und vom eisernen Kronleuchter trauft das Wachs auf ihr rotes Halstuch. Kratzt er ihr's weg und flauschelt, sie sollt' sich auf seinen Platz stellen, er unter den Leuchter, ihm macht's nichts. – Hau, denke ich mir, wenn nur dem das heiß' Wachs ein Loch thät brennen ins falsche Herz! Wenn nur dem was thät passieren, ehevor er mit ihr kann heimgehen! Ich denk's, es kommt die Wandlung. Niederknieen, auf die Brust schlagen – macht's dir einen Kracher und der Kronleuchter liegt auf dem Kirchenpflaster. Und darunter der Gidel. Der Gidel ist fertig.«

»Ich habe vom Unglück gehört,« sagte Augustin, »es war vor Jahren in Sankt Margarethen.«

»Ja, mein Lieber, ich kann was!« fuhr der Gauler fort. »Mir ist nit zu trauen. Hätt's selber nie geglaubt, daß mir der Teufel so bereitwillig ist. Aber gefreut hat's mich, wie ich sehe, daß ich einen hab', der mir meine Wünsche erfüllt.«

Der Priester wollte aufstehen.

»Ja, Schwarzer, wenn du jetzt schon springst!« lachte der Gauler heiser, und dabei wand er sich auf dem Erdboden wie ein getretener Molch. Dann blieb er wieder ruhig und in ächzend herausgestoßenen Gurgeltönen redete er weiter: »Das hätt' ein andrer auch gethan, wenn er's kann. Was thut der Mensch nit alles wegen der Weibsbilder. Jede, die ich mir aufgegabelt, hat ja freilich keinen Kronleuchter gekostet, aber hingegen Geld, verschwefelt viel Geld. Schon ein einfaches Verheiratetsein kostet Geld, jetzt denk' dir erst ein fünffaches oder siebenfaches, was weiß ich, so viel werden ihrer gewesen sein im Durchschnitt. Bei etlichen, denen ich's versprochen, hab' ich's wohl so eingerichtet, daß sie mir selber davongelaufen sind, aber allemal geht's nicht. Die Kinder wollen essen und christlich erzogen werden. Da hat's nachher geheißen: stehlen oder den Hörndelbuben rufen. Das Stehlen ist nit schön und die Leut' sehen's nit gern, und Sünde auch. Und 's schlimmste ist noch das Erwischtwerden. Oft hab' ich's nit gethan, oder ich müßt lügen, Pfaff. Aber der Branntwein allein kann's nit bestreiten. Weißt es? Wenn's heißt: Geld bringen! Da laßt sich der höllische Schwanzkerl länger bitten, als wie zum Kronleuchterabzwicken. Wenn der Mensch Geld braucht, ist der Jud' besser wie der Teufel. In Bozen unten haben sie einen gehabt. Ein schäbiger Hebräer, aber Geld! Ob er so Kirchensachen kauft? hab' ich gefragt. – Warum denn nit, wenn's einen Wert hat! – Ich glaub's, daß es einen Wert hat, und was ich dir bring', Jud', das bringt dir kein andrer. – Auf den Ritten geh' ich und verkauf' drei Plutzer Branntwein, und bei der Nacht, dieweil sie dabeisitzen, und der Küster auch dabei, raub' ich die Kirche aus. Die heilige Hostie bring' ich dem Juden: Ich weiß, wie ihr Israeliten drauf versessen seid. Nadelstiche, Blutaussaugen! Was gebt Ihr? – Jetzt, Pfarrer, denk' dir den Hebräer: Einen Dummkopf heißt er mich – und bei der Thür hinaus. – Unsre liebe Frau!« unterbrach er sich selbst, »mir wird angst und bang. Alle Hitzen steigen mir auf. Soll das schon – sterben sein!«

Mit den krampfigen Fingern umklammerte dieser unerhörte Mensch die Hand des Geistlichen, als wollte er sagen: Bleib' noch bei mir, verlaß mich nicht, ich fürcht' mich vor mir selber! – Mit seinen Zähnen verbiß er sich in Augustins Kleider und so wimmerte er in Krämpfen und Schmerzen. Der Priester kühlte mit Essig seine Stirn und allmählich ward er wieder ruhiger. – »'s hat nachgelassen,« sagte er mit einem erleichternden Seufzer. »Ja, Pfaff, ich weiß noch was.«

»So sprich dich aus, sprich dich aus. Und Wahrheit vor Gottes Richterstuhl.«

»Heiliger Mann, ich wollt', ich wär' ein Lügner!« seufzte der Mensch auf. Dann fuhr er in seiner unheimlichen Art fort zu erzählen: »Daß dich Gott verdamm, hochmütiger Hebräer! Das Beste, was wir Christen haben, das verachtest du? Bei der Talfererbrücke in Rub, wo das Kreuz steht mit dem weißen Christus, habe ich nachher die Hostie begraben. Ich find' schon noch was, Jud', das du kaufen wirst! Ostern sind nit weit, und ich weiß ein Kalkbrennerdirndel, was ich ein Jahr früher in Brixen zur Firmung geführt hab'. Um das kümmert sich keine Menschenseel', wenn's nit der Firmgöd thut. Gern geht es mit mir nach Bozen hinab, weil ich ihm ein Blaudruckjöppel hab' verheißen. – Na, Jud', was sagst zu dieser War'? Frischer Osterbrunnen! Unter vierzig Bayrische ist keine Red'! – Dreißig! sagt der Jud', um dreißig hat doch auch der Judas euren Herrn verkauft. Die Antwort ist mir gleich verdächtig und erst gar, wie er sagt, ich sollt' ein bissel warten, er müßt' erst wechseln lassen. Dieweil schickt der falsche Fant um die Büttel; zur Not, daß ich noch ein Loch find', hinaus, und fort ins Gebirg. Seither trau' ich keinem Hebräer mehr und ich hab' gar nimmer unter die Leut' mögen. – Aber schau, Pfaff, von der Zeit an hat's bei der Nacht was gehabt. Wie ich oft just im besten Schlaf bin, macht's einen kalten Blaser über mein Gesicht. Und wenn die alte Wanduhr Mitternacht schlagen soll, hebt sie an zu rasseln: verloren, verloren, verloren! – Darauf bin ich ins Innthal hinüber und zur heiligen Beicht gegangen. Hat nichts geholfen, die Uhr schreit um Mitternacht alleweil: verloren, verloren! bis ich einmal aufspring vom Bett und sie mit der Hack' in Scherben schlag'. – Wenn 's Beichten einmal nichts mehr nutzt, Herr Pfarrer!«

»Hast damals wohl auch alles freimütig bekannt?« fragte Augustin.

»Wenn ich das will, geh' ich doch lieber gleich zum Gericht,« lachte der Gauler auf; ein wahnsinniges Lachen war's. An allen Gliedern hub er an zu beben, wie er es jetzt hinausschrie in die ruhsame Nacht: »Jesus nein! Verworfen und verloren auf der Welt und in Ewigkeit! Schlaf und keine Rast habe ich mehr mögen finden. Und da ist's einmal, daß ich nächtig Stund im Talfererthal vorbei muß an der Brücke und wo das Kreuz steht mit dem weißen Christus. Eine schöne Mondscheinnacht ist gewesen und alles so still und gottesfriedlich. Da geht mir 's Herz auf und ich denk', heut' ist eine Gnadennacht und heut' schau, daß du auf gleich kommst mit deinem Herrgott. Und knie' nieder und rutsch' auf den Knieen über den Sand hin zum Kreuzstamm. Und wie ich den Stamm mit beiden Armen umschling' und meinen Kopf aufricht', daß ich die Füße kunnt küssen, da« – die Stimme wurde hohl und stöhnend, als der Gauler das sagte – »da seh' ich, wie der Herr Jesu Christ zuerst die rechte Hand loslöst vom Kreuz, und nachher die linke, und die heiligen Füß', und herabsteigt und langsam davongeht über die Brücke und wie er drüben auf der mondblassen Wiese verschwindet.«

Stöhnend, mit beiden Händen suchte sich der Mann emporzuranken an die Brust des schaudernden Priesters: »Magst du mich denn auch nimmer, Menschenbruder, wie mich Jesus Christus nit mag?«

Augustin zog ihn sanft an seine Brust.

»O!« hauchte der Gauler. »da ist's warm. Da möcht' ich rasten.« Und es war, als wollte er schlummern. – Nach einem Weilchen hob er das Haupt und fragte wie ein Kind: »Nicht wahr, Pfarrer, ich bin gerettet? Ich bin ja in den Krieg gegangen fürs Vaterland. Da steht uns der Himmel offen. Du sagst es auch! – So tröste mich doch, Pfaff! So sage mir doch: in einer Stund', wo werd' ich sein?«

Der Priester labte ihn mit milden Worten. Da begann der Gauler sich wieder zu winden, begann zu röcheln, mit beiden Händen hielt er sich krampfhaft fest an Augustins Kleid. Plötzlich schrie er wie unter Hohnlachen auf: »O, verdammter Tod . . .!«

Während Augustin laut betete, bäumte der Sterbende sich starr auf, hoch, in die ganze Höhe des Mannes – dann knickte er ein, sank stumm hin und leblos, wie die Steine und Strünke ringsum, so lag er ausgestreckt auf dem Boden.

Unseliges Menschenwesen du! so sann Augustin an der Leiche. Hat auch dich das Blut erlöst? Gott, es wird doch nicht Vermessenheit sein, wenn der Feldpater jedem zuruft auf dem Felde: In den Himmel kembts! – Er hat wenig Böses gethan, aber viel Böses gewollt.



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