Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

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Im Namen der allerheiligsten Dreifaltigkeit – ab!

Ein bayrischer Offizier, der mit seinem Fähnlein aus den Donauländern nach Tirol gerufen worden war und sich am Brenner den Franzosen angeschlossen hatte, um mit ihnen nach dem Süden zu marschieren, hat von diesem Morgen in den Eisackschluchten einen Bericht gegeben.

Es war ein fröhlich Wandern – so erzählt er –, anfangs vom Quartiere ab fast mehr handwerksburschenartig als soldatisch. Später ließ der General etwas wie: Habt acht! kommandieren. Das verstand ich nicht. Ich fand die Tiroler gar nicht so schlimm, als sie geschildert worden waren; von Kufstein bis hierher an den Eisack hatte ich kaum einen Flintenschuß gehört. Sonst sollen sie aus dem Hinterhalt auf arglose Soldaten gefeuert haben, was ja die Grausamkeiten meiner Landsleute, wenn auch nicht entschuldigen, so doch erklären ließ. Dieses Bergvolk glaubte freilich Kaiser und Papst im Rücken zu haben; der Friedensschluß hat es eines Bessern belehrt, nun ist es ruhig und ergibt sich und wird erkennen, daß wir nicht als Feind ins Land gekommen, sondern als Freund. Wer möchte auch als Feind einrücken in dieses einzig schöne Land! – Meinen Burschen hatte ich mit dem Pferde vorausgehen lassen, ich war von dem Trupp etwas zurückgeblieben, um mich der Betrachtung dieser unbeschreiblich großartigen Gegend hinzugeben. Ich hatte so etwas bisher noch nie gesehen. Diese ungeheuern Bergmassen, dieses krystallklare tobende Wasser und diese breite, glatte, mit voller Sicherheit durch die Wildnis hinziehende Straße!

In einen stilleren Grund gekommen, wo die Schlucht sich weitete, der Fluß flacher auf braunem Sande hinwallte, hörte ich hoch über mir in dem Gewände eine Flöte spielen; eine überaus liebliche Melodie war es, daß ich hätte die Mütze lüpfen mögen, um den Aelpler, der so spielte, den ich aber nicht sah, zu grüßen. Dann stand ich still, ließ an mir noch Fußvolk und Reiter vorübertraben, bis ich der letzte war und in aller Ruhe die idyllische Stimmung so recht genießen konnte. – Und so dastehend. hörte ich oben am Berge einen Menschen ganz deutlich rufen: »Steffel! darf ich noch nit abhacken?« Und eine andere Stimme weiterhin gab Antwort: »Nein.« Da ward mir auf einmal etwas unheimlich und ich hub an zu marschieren, dem Truppe nach, der dicht aneinandergedrängt in der sich wieder verengenden Schlucht dahinzog. Plötzlich hoch oben drei Schüsse und ein gellender Schrei: »Im Namen der allerheiligsten Dreifaltigkeit – ab!« – – – Und jetzt geschah etwas, das mich bis ins Mark hinein schaudern macht, so oft ich dran denke.

Der ganze steile Berghang vor mir wurde lebendig, von unten bis oben löste sich eine ungeheure Lawine und fuhr unter unbeschreiblichem Donnern und Krachen herab. Steine, Schutt, Baumstämme, Erdreich, eine wüste, in allen ihren Theilen wirbelnde, Splitter, Trümmer emporschnellende, grausig lebendige Masse kam herab. Und dazwischen und darüber und darunter hausgroße Felsblöcke, zuerst mit der Lawine träg rutschend, dann sich überschlagend und in hohen Bogensprüngen zur Tiefe sausend. Alles das sehe ich heute noch, dann verging mir das Auge; ein unauslöschliches Prasseln, Knattern und Krachen überall, als stürzten die Berge ein – dann nichts mehr.

Als ich – so berichtet der bayrische Offizier – wieder zu mir kam, war es totenstill, nicht einmal das Wasser rauschte; es stand da wie ein langer, schwarzer Tümpel. Vor mir, wo die Lawine niedergefahren war, stieg eine Wolke von Staub auf. Als diese allmählig sich löste, sah ich mehrere Krieger händeringend, sprachlos vor Schreck zurückeilen. Die andern aber, die tausend andern! – Der ganze große Trupp war verschwunden, verschüttet, unter Trümmern begraben. Denn es war keine Straße mehr und es war kein Fluß mehr; ein ungeheuerer Schutthügel lag da in starrer Ruhe, als wäre er seit Weltschöpfung so gelegen. Aus demselben standen Felsblöcke hervor, und die weißen Spalten gebrochener Bäume. Am Rande dieser Muhre, zwischen dem Gewirr von Trümmern – zuckende Menschenglieder, stöhnende Soldaten, röchelnde Pferde, deren Beine teilweise noch zappelnd sich krumm gen Himmel reckten. Einige wenige Kameraden konnten wir herausgraben, hervorzerren, aber sie starben uns unter den Händen. Höher stieg das sich stauende Wasser und in demselben war ein Gewuste von Steinen, Baumstämmen, Aesten, verknorrten Wurzeln, und zwischen darin verklemmt und verspießt Soldatenmäntel, Stiefel, Tornister, Pferdezeug, Pferdeköpfe, losgetrennte Arme, Beine und ganze Körper, teilweise in dem Geknorre hängend, teilweise im mit Blutsträhnen durchzogenen Tümpel sachte auf und nieder gleitend. – Unser waren alte Krieger, welche in heißen Schlachten gestanden und die Zerstörung mancher Feste miterlebt – aber so etwas Gräßliches, so unerhört Gräßliches als hier hatte keiner noch geschaut.

Als wir soweit zur Fassung gekommen waren, um dem Unglücke auch nur ins Antlitz sehen zu können, wurden unter uns alsbald Vermutungen laut, dieser Bergsturz sei Menschenwerk. All die grauenhaften Tirolerthaten der vergangenen Monate standen auf in unsrem Gedächtnisse, und alle wiederholt und vereint in dieser Muhre, in diesem tausendfachen Morde. Ja, an anderthalbtausend tapferer Soldaten, die des Friedens sich endlich erfreuend, arglos dahin marschiert waren. Männer liebender Gattinnen, Söhne bekümmerter Mütter! Wie ein eherner Krampf ging es durch mein Wesen, daß die Fingernägel der Faust sich in das eigene Fleisch gruben vor Rachebegier, diesen beispiellosen Würgerbanden es würdig zu vergelten.

Ein paar scharfe Augen wollten hoch oben an den Wänden Männer dahinhuschen gesehen haben; ich sah keinen, gedachte aber der geheimnisvollen Zeichen und Rufe, die ich unmittelbar vor dem Ereignisse vernommen hatte. Im ganzen war es leicht einzusehen, daß wir Uebriggebliebenen hier nichts mehr zu thun hatten. Nicht einmal die Toten konnten begraben werden. Noch sahen wir, wie der eingedämmte Eisack sich befreite, wie er die Muhre durchbrach, so daß unter seinem Branden und Wirbeln alles noch einmal lebendig wurde, nur die Toten nicht, wie alles sich stemmend, aufbäumend, überstürzend voranbewegte – ein fahrender Friedhof, wie die Welt noch keinen gesehen.

Wir beschlossen, so rasch als möglich zur Hauptstadt zurückzueilen. Sterzing, Gossensaß, wir rasteten nicht in diesen Ortschaften, wir sahen an ihnen, wie an allen Menschenwohnungen unterwegs, nichts als Mörderhöhlen. Wo wir uns in Uebermacht fühlten, nahmen wir, was wir brauchten. Gerade zu rauben hatte ich keine Lust, aber durstig war ich geworden unten an dem Eisack, durstig nach Tirolerblut.

Hinter der Höhe des Brenners stießen wir auf französische und bayrische Truppen und drei Generäle. Wir erzählten, was in den Eisackschluchten geschehen war und daß unter den Toten viele Offiziere seien, darunter auch der Marschall Lefebvre, hier zu Lande geheißen der Löw Befer.

Also offene Rebellion! Ein großer Kriegsrat wurde gehalten auf den Almmatten unter dem freien Himmel. Einstimmig war der Schwur: Dieses Volk muß niedergeworfen werden zur gänzlichen Ohnmacht, Ein hoher Preis wird gesetzt auf die Köpfe der Häuptlinge, und alle Führer müssen sterben.

Unselige Welt! also schließt die Aufschreibung des bayrischen Offiziers. Wenn man die Erdkugel anbohren wollte auf Blutquellen, überall würden helle Bächlein hervorsprudeln, in diesem Tirol aber ein blutiger Springbrunnen bis an die Wolken! – – –

Die Freiheitskämpfer hatten kaum eine Ahnung davon, was sie mit ihrer unerhörten That in den Eisackschluchten angerichtet. Sie waren nachgerade selbst erschrocken, als der Erfolg ihres Werkes so grauenhaft herrlich vor ihren Augen lag. Viele vermochten aber kaum den Jubel zurückzudämpfen, denn sie glaubten, mit diesen vernichteten Truppen sei die Macht des Feindes gebrochen und sie selbst seien wieder Herren im Lande. Der Mahrwirt stieg ganz allein und seltsamlich in den Wänden um. Als der Griesacher ihm von weitem zurief: »Na, Peter, was sagst dazu? Das ist a Freud!« machte er mit der Hand eine abwehrende Bewegung und sagte nichts. Sein sonst dunkelgebräuntes Gesicht war blaß. »Sie sollen heimgehen!« ließ er den Leuten sagen und dann trachtete auch er fortzukommen aus dieser schauerlichen Gegend.

Fast früher, als die Kämpen zurückkehrten in das Thal von Brixen, wußten die Leute dort, was oben geschehen. Um Vormittag bei heiterem Himmel hatte man von den Eisackschluchten her ein lang anhaltendes Donnern gehört. Es war nicht wie das Krachen von Schwergeschütz, nicht wie das Platzen eines Pulverfasses, es war wie das Niederrollen einer großen »Mahr«. Um Mittag herum wurde das Wasser des Eisack seicht und dünn, so daß die Forellen auf eitel Sand herumschwänzelten und dann mit ihren weißen Bäuchen darauf liegen blieben. Plötzlich aber schwoll der Fluß wieder an, trübe schlammige Fluten kamen, Gestämme und Wurzelwerk trug es heran, und Rüstzeug und Gewandstücke und tote Bayern und Franzosen.

Die Leute schauten sich an und sagten: »Das ist dem Mahrwirt sein Tagewerk!«

Und als die Männer mit ihren Krampen und Hauen zurückkamen aus den Schluchten, bestätigten sie es und setzten bei: »Jetzt wird Ruh' sein.«

In den Dickichten aber huschten Gestalten um, die wohl Ursache hatten, den erregten Söhnen des Landes auszuweichen. Sie suchten aus der Gegend zu entkommen und wo ihrer mehrere unterwegs etwa einen einzelnen Tiroler trafen, da machten sie ihm den Garaus.

Peter war seines Weges ganz allein gegangen. Als er gegen Abend am bewaldeten Berghange hinschritt, der vom Dorfe Vahrn einem Stangenzaune entlang sich gegen die Mahr zieht, kam er zu einer Kreuzsäule. Sie stand an einem den Zaun umwuchernden Hagedornstrauch, sie trug ein Bildnis, darstellend die Krönung der Himmelskönigin. Oben schwebt die Taube des heiligen Geistes, an beiden Seiten, auf Wolken thronend, Gott Vater mit der Weltkugel und Gott Sohn mit dem Kreuze. Zwischen ihnen die heilige Jungfrau, der sie, jeder mit einer Hand, die Krone über dem Haupte halten. Das Bild der Jungfrau, welche auf dem Mondkipfel steht und demütig die Hände faltet, ist voll heiliger Anmut. – Peter blieb davor stehen, dann ließ er seine Wehr, Stutzen und Beil, zu Boden gleiten und kniete hin vor das Bildnis. Mit gerungenen Händen, mit bebender Stimme sagte er fast laut die Worte: »Maria, Maria! du schauest doch noch gütig auf mich herab. Bitte für sie. Gib ihnen die ewige Seligkeit, allen, die heute schlafen gegangen sind. Barmherzige Mutter, es hat sein müssen! Nicht zu schnödem Nutzen ist es geschehen, nicht aus Rachgier. Schreckliche Notwehr, du weißt es. Sie haben uns das Heimatland wollen nehmen und den Glauben, aber nicht aus ihrem eigenen Willen, die gestorben sind. Bitte für sie. Und für mich, du göttliche Mutter Jesu, nimm von meiner Seele diese Last. Im Namen der allerheiligsten Dreifaltigkeit, die ich hab' gerufen! So wie ich jetzt vor euch am Bildnis knie, Gott Vater, Sohn und heiliger Geist, so werde ich einst vor eurem Gerichte stehen. O heiliger, starker, ewiger Gott, thu' mich nicht verdammen!«

Nach solchem Gebete erhob der Mahrwirt sich wieder. Es war schon in der Abenddämmerung. Da, wie er sich wenden will, fällt sein Blick plötzlich auf ein Menschenhaupt, welches zwischen Kreuz und Dornstrauch auf ihn herübergrinst. Ein blasses Menschenhaupt mit schwarzem Haar und Bart und stierem Äuge.

»Kulber! rief der Mahrwirt.

Aber der Kopf bewegte sich nicht, die Züge blieben starr, und das Haupt war ohne Rumpf und stak auf einem von Blut überronnenen Zaunstecken.

So hatte Peter seinen Genossen, Werber und Dränger wiedergesehen. Stöhnend vor Schreck und Grausen taumelte er wegshin. – Später, als er schon den Fensterschein von seinem Hause sah, blieb er stehen, daß seine tobende Brust zu Atem komme, und fragte sich: Weshalb bist du denn vor diesem einen Toten so entsetzt? Du hast ja viele hundert gesehen am heutigen Tag! –

Dann trat er ins Haus, lehnte das Beil in den Winkel, hing das Gewehr an die Wand. Frau Notburga stand beklommen vor ihm und schaute ihn an.

»So!« sagte er zu ihr, »Weib, jetzt ist Feierabend. Jetzt ist's genug.«



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