Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wir Carl der fünffte von Gotes gnaden . . .

Im Wirtshause an der Mahr war Sonntagsruhe. Peter war nicht mit den andern hinaufgestiegen in das Gebirge, wo in einer versteckten Felsschlucht auf Scheiben geschossen wurde. Jung und alt wollte sich im Schießen üben, allein das war schwer verboten, die Bayern hatten alle Schießstände aufgehoben im Eisackthale und weiter um, hatten alle Schießgewehre weggenommen, die sie an den tirolischen Jägern und in den Häusern gefunden. Was sich aber in den schwer zugänglichen Gebirgswinkeln barg und vorbereitete, das sahen, hörten und ahnten sie nicht.

Peter, der Mahrwirt, brauchte sich im Schießen nicht erst zu üben. Also war er nach dem Nachmittagsgottesdienste heimgegangen in sein Haus und hatte sich dort auf die Familienstube zurückgezogen im ersten Stock. Das Wirtszimmer konnte wohl eine Kellnerin besorgen; der gewöhnliche Straßenverkehr hatte abgenommen, seit es wieder so unruhig ward im Lande.

Draußen sauste ein Gewitterregen nieder, Peter hatte ein viereckiges Kistchen hervorgeholt, stellte es auf den Tisch, setzte sich davor in seinen ledernen Lehnstuhl und sagte mit einem Tone des Behagens: »Endlich kann man wieder einmal daheim sein. In solchen Zeiten gehört der Mann kaum mehr der Familie, noch weniger sich selber.«

»Ich merke es wohl,« antwortete sein Weib, das nicht weit von ihm saß und ein Knäblein auf dem Schoß hatte. Es war ein schönes, blondes, noch jugendliches Weib; ihr rundes Gesicht neigte sie nieder auf den Kleinen, ein Menschenknösplein, das gerade im Einschlummern war. Um ihr Haupt hatte sie einen geflochtenen Haarkranz schlicht geschlungen. Das einfache Hausgewand, welches sie anhatte, gewann Licht und Blüte durch ein Busentuch aus roter Wolle, welches sie nur an Sonntagen zu tragen pflegte. Zu Füßen der Mutter saß ein kleines Mädchen, aus dessen Blauäuglein lauter Träumerei und Sanftmut schaute. Es saß ruhig da und betrachtete ein Sträußlein von blauen Blumen, die es im Händchen hatte und über welches ein braunes Käferlein lief. Weiterhin auf den weißgescheuerten Dielen hockte ein größerer Knabe, eben beschäftigt, mit Holzstücken und Schulbüchern eine Festung zu bauen. Dieser blickte auf den Vater hin, und als er sah, daß derselbe sich ein wenig in seinen Sessel zurückgelehnt, fragte er: »Willst du schlafen, Vater, so werde ich hinausgehen?«

»Bleib, Hans, und baue weiter an deiner Zwingburg,« versetzte Peter, denn er war froh, endlich wieder einmal alle beisammen zu haben. Wer weiß, wie bald es anders wird. Er lehnte sich mit geschlossenen Augen ein wenig zurück, weil sein Weib mit ihren Fingern sanft sein Haar streichelte, als wollte sie den Alten einschläfern, wie sie es dem Jungen gethan hatte.

Peter hob aber ein bißchen sein Augenlid und sagte zu seinem Weibe: »Nun, Notburga, wie denkst du über einen solchen Mann? Sollte Kugeln gießen und läßt sich das Haar strählen wie ein Frauenzimmer.«

»Gönne dir das bissel Ruhe, Peter,« antwortete sie, ohne weiter auf den Scherz einzugehen, »es ist ja ohnehin so selten, daß wir dich haben.«

»Von Samson steht zu lesen, daß seine Schwäche [Stärke?] im Haar gelegen ist,« sagte er und richtete sich auf. Dem Knaben schaute er nun zu bei seinem Festungsbau. Als Hans damit fertig war und die Bücher und Holze als Mauern zwei- und dreifach dastanden, umgeben von Schanzen und Türmen, stellte er auf die Mauern eine Reihe grauer Steinchen, das waren die Knappen; hinter diesen auf höhern Zinnen eine Reihe weißer Kiesel, das waren die Ritter. In eine Ecke der Festung that er ein glänzendes Stück Küchenruß, das vom Rauchfang herabgefallen war, solches stellte den Burgkaplan dar. Und mitten in die Burg legte der Erbauer eine Pflaume hinein.

»Was soll denn die vorstellen?« fragte der Vater.

»Das ist die Katharina,« antwortete der Knabe.

»Wohl vom Herzen kindisch ist er noch,« lachte die Mutter.

»Gottlob!« sagte Peter. »Wer lange Kind bleibt, bleibt auch lange Mann. – Nur möchte ich wissen,« wandte er sich an den Knaben, »was die Katharina in der Festung zu thun hat.«

»Die Katharina Maultasche hat ja in der Burg Tirol gewohnt,« antwortete Hans. »Und unser Lehrer hat erzählt, die Bayern hätten sich dazumal Tirol von Oesterreich mit Geld abkaufen lassen. Nachher hat sie's aber gereut und haben das Land wieder zurückhaben wollen. Aber die Katharina hat gesagt: Wer uns für Geld verkauft, der soll die Schläge umsonst haben. Dann hat sie dreingeschlagen und ist österreichisch geblieben.«

»Siehst du,« sagte Peter leise zu seinem Weibe, »im Spiel ist Wahrheit.«

»Nur wird das alte Schloß Tirol nicht mit Schulbüchern erbaut worden sein,« meinte Frau Notburga, »Ich denke, Hans, du wirst die Mauern wieder abtragen und aus den Bausteinen deine Schulaufgaben lernen.«

Der Knabe machte ein mißmutiges Gesicht. Das Auswendiglernen des Katechismus war so wenig nach seinem Sinn, wie das Sitzen in der Schulbank. Mit hilfesuchenden Augen schaute er auf den Vater hin.

»Ja, ich kann dir aber auch nicht helfen,« sagte Peter, »der Mensch ist ein Soldat und der Soldat muß exerzieren. Nicht allein mit Säbel und Gewehr, auch mit Lesen, Schreiben und Rechnen. Die Bayern und Franzosen wären uns vielleicht nie hereingekommen ins Land, wenn sie nicht besser lesen, schreiben und rechnen konnten, als wir Tiroler. »Es stimmt gar nicht so schlecht, wenn man sagt, die Festungen müssen wir mit Schulbüchern aufführen.«

Der Knabe nahm eines der Bücher und ging ans Fenster, wo er sich anschickte, seine Aufgabe zu machen. Peter öffnete sein Kästchen. Das war klein, aber aus braunem Holze fest gefügt, hatte ein Stahlschloß und war an den Ecken zierlich mit Messing beschlagen. Es waren Schriften drin, in welchen der Mahrwirt nun anhub zu kramen. Ein vergilbtes Blatt nahm er zuerst hervor, entfaltete es und begann bei sich Halblaut zu sagen: »Unter freiem Himmel ein freies Haus. Nicht Feste und doch Burg: die Dachtraufe des Hofes Wall und Graben, den kein Fremder bewaffnet überschreiten darf. . . .«

»Was liest du dort, Peter?« fragte Frau Notburga.

»Das ist der Ehehaft-Taidling-Brief von meinem Heimatshause, dem Kohlhof auf dem Ritten,« antwortete Peter. »Mein liebes Weib, in Tirol war einmal eine andre Zeit, als heute.« Er nahm einen zweiten Bogen hervor: »Hier ist der Adelsbrief derer von Mayr. Er wurde uns ausgestellt von Kaiser Karl dem Fünften, im Jahre 1555. Hans, komm einmal her, kleiner Bauerngraf du! Hier ist unser Wappen: Ein Löwe mit der Hellebarde.«

Und in der That war dem Kleinen diese Sache von größerem Interesse als sein Schulbuch, er begann den Adelsbrief zu lesen: »Wir Carl der fünffte von Gotes gnaden Römischer Kayser, zu allen Zeiten merer des Reichs, Kinig zu Germanien, zu Hispanien, baider Sicilien, Jerusalem, Hungern etc. – Bekhennen öffentlich mit diesem Brief vnd thuen khund allermeniglich: Wiewol wir aller und jeglicher unserer und des heiligen Reichs Undterthanen und getreuen Ehre, nuz und bestes, zu betrachten vnd zu fürdern genaigt, So sein wir doch mer bewegt zu denen, die sich gegen uns und dem heiligen Reiche in getreuern, willigern gehorsam hatten und beweisen, sy mit Unseren Kayserlichen gnaden zu begaben und zu fürsehen; wenn wir nun goettlich angesehen und betracht, sollich Erbarkhait, Redlichkheit, guet Sitten, tugend und vernunfft, damit unsere und des Reichs lieben getreuen Hanns, Melchior und Caspar die Mayr Gebrüder, vor unserer Kayserlichen Majestät berüembt werden, . . . . darumb so haben wir mit wohlbedachtem Muet, guetem Rath und rechtem wissen den . . . Mayrn Ihren Eelichen Leibs Erben vnd derselben Erbens Erben, für und für ewige Zeiten dies Wappen Clainot verliehen . . .«

Die Augen des kleinen Hans leuchteten, als er solches verständig las, aber auch die des Mahrwirts schauten nicht schläfrig, als er seine Hand nun auf die Achsel des Sohnes legte.

»Jetzt will ich's doch gleich in der Schule dem Lehrer sagen, daß wir von Adel sind!« rief der Kleine.

»Nein, Hans,« lachte Peter, »das brauchst du nicht zu sagen – bloß zu beweisen. Und jetzt kannst du wieder zu deinem Buche gehen.«

Der Knabe nahm sein Buch und ging hinaus.

Der Mahrwirt hob ein weiteres Blatt aus dem Kästlein. »Notburga,« sagte er, selbes seinem Weibe hinhaltend, »kennst du das? – Das ist die schwere Kette, unter der wir zwei gar so hart keuchen,« setzte er schalkhaft hinzu, denn es war der Eheschein des Peter Mahr, dazumal Besitzers des Wirtshauses zum weißen Kreuz bei Klausen, und der Notburga Fuchs, eheleiblichen Tochter des kunstreichen Herrn Franz Fuchs, Orgelmachers und Organisten zu Gries.

Als Peter das Blatt umwendete, sagte er: »Mein Gut ist dein Gut.«

»Das brauche ich ja nicht alles zu wissen,« entgegnete Frau Notburga.

»Du sollst es nicht vergessen,« versetzte Peter, weitere Papiere aus dem Kästlein hebend. »Dahier ist der Kaufbrief von unserm Mahrwirtshause. Es ist bis auf den letzten Heller bezahlt. Dahier ist eine Schuld von sechsundzwanzig Gulden an den Pferdehändler Kilian. Er ist in Welschland verstorben, seine Erben weiß ich nicht, aber wenn sie vorkommen, so gebührt ihnen das Geld. Es ist der Rest für ein gekauftes Pferd, welches den Dampf gehabt hat. Wenn der Dampf in Jahresfrist gut wird, habe ich sechsundzwanzig Gulden nachzuzahlen versprochen. Sonst ist keine Schuld.«

»Warum kommst denn auf solche Sachen, Peter?« fragte ihn Frau Notburga.

»Weil es gut ist, Weib, wenn du von allem weißt. Die Zeiten sind unsicher. Und da mußt du auch noch herschauen.« Er nahm ein flaches Ledertäschchen, schlug es auf, und da drin lag eine Tausendguldennote. »Das ist der Notpfennig. Ich will das Täschlein unter einer Dachschindel verstecken und du sollst dabei sein. Das Kästel mit den Papieren werden wir draußen an der Felswand vermauern.«

»Um Gotteswillen, Mann, steht es denn so schlimm?« fragte erschrocken Frau Notburga.

Peter legte seinen Finger an den Mund und sagte leise: »Vor dem Eheweib machen wir kein Geheimnis mehr. Wir sind bereit, warten nur noch auf einige Botschaften.«

Sie schwieg. Draußen im Bodengelasse war plötzlich ein greller, kurzgebrochener Schrei. Frau Notburga legte das schlummernde Kind in das Bett und ging hinaus. Hanai die Magd stand da und lachte. »Wie ich aber jetzt erschrocken bin!« rief sie lachend und wies mit beiden Zeigefingern gegen den dunklen Wandwinkel hin. Dort stand, auf einen langen Feuerhaken gestützt, starr und stramm eine Gestalt, welche von den scharfen Augen der Frau Notburga bald erkannt war als der Knabe.

»Was bedeutet das, Hans?« fragte sie scharf.

Hans gab zur Antwort: »Der Löwe mit der Hellebarde.«



 << zurück weiter >>