Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

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Foppen, foppen, Bayern foppen!

In der Nikolainacht wurden die Leute im Wirtshaus an der Mahr unhold aus dem Schlafe geweckt. Unter dröhnendem Pochen ans Thor begehrte man Einlaß. Der gartenseitige, wie der hofseitige Eingang war mit Soldaten besetzt. Den Einlaßheischenden wurde das Thor sogleich geöffnet, sie drangen in die Gaststube, in die Küche, in die oberen Zimmer und Kammern, in die Keller und in die Bodenräume, sie drangen mit qualmenden Lunten in alle Stallgelasse, durchstöberten Truhen und Kästen, stachen mit ihren Spießen in den Futtervorräten umher, rissen im Hofraume die Brennholzstöße auseinander, daß die Scheiter auf dem gefrornen Boden weithin kollerten, kurz, sie kehrten das Unterste zu oberst. Alle Räume waren voller Rauch von den Fackeln. Die Hausbewohner waren in die Gerätekammer neben der Küche zusammengesperrt und dort bewacht worden. Die Kinder schrieen und weinten, die Magd Hanai rief in einemfort, wenn sie nur ihre Stallgabel hätte, sie würde den Schelmen schon an den Bauch schreiben, daß man friedsame Menschen nächtiger Weil' in Ruhe läßt! Bruder Augustin suchte zu beruhigen; es sei ja ganz natürlich, sagte er laut, daß man es draußen hören konnte, es sei ganz selbstverständlich, daß auch das Mahrwirtshaus durchstöbert werde; für diese unseligen Empörer müsse nun ja leider jedes Haus büßen in Tirol, und wenn man die Uebelthäter doch endlich nur einmal hätte, damit Ruhe wäre! – Frau Notburga war gefaßt; sie saß auf einem Schemel, im Schoß den kleinen wimmernden Peter, und im Herzen hatte sie ein Dankgebet, weil der, dem sie so wüst nachstellten, in Sicherheit war.

Nach einer Stunde, als die Eindringlinge die Erfolglosigkeit ihres Ueberfalls eingesehen hatten, zerrten ihrer drei bayrische Häscher die Magd Hanai hervor und fragten sie scharf: »Wo ist der Wirt?«

»Ja, just so!« gab die Magd keck zur Antwort.

»Du weißt es, wo er ist!«

»Na, freilich weiß ich's.«

»Wo ist der Wirt?«

»In seiner Haut.«

»Erstochen wirst auf der Stell', wenn du nicht sagst, wo er ist!«

»Narren!« lachte die Magd, »wenn's schon die lebendige Hanai nit sagt, die tote sagt's noch weniger.«

»Dumme Trull!« knurrten sie, gaben ihr einen Stoß, daß sie an die Wand taumelte, und gingen polternd und fluchend davon.

»Einfältige Leut',« lachte die Magd nun auf, »ich werde den Wirt verraten! Ein Schimpf ist's. Am liebsten wollt' ich ihnen jetzt noch nachlaufen mit der Gabel!«

Die Bewohner des Hauses hatten bis am Morgen über und über zu thun, um den angerichteten Wirrwarr zur Not zu schlichten. Die Magd durchsuchte alle Futterräume, ob nicht irgend ein Abfall der Lunten weiter glose und Unheil bringen könne.

Und an dem darauffolgenden Sonntagnachmittage saß die Hanai in ihrer dunkelnden Futterkammer und nähte. Es war da etwas frostig, Frau Notburga hatte ihr auch sagen lassen, sie solle mit ihrem Nähkorb doch in die warme Stube herankommen. Die Magd aber blieb draußen. Mannskleider waren es, an denen sie herumflickte, und das Fragen, für welchen Bruder sie nur so fürsorglich thätig sei, konnte erspart bleiben. Zudem war in der Futterkammer der Tonele vorhanden. Bloß sein keckes Haupt mit dem wirren Haare sah man, alles andre stak tief im Heu, und blieb drin auch noch stecken, als auf dem Beinkleide die Flicken längst festsaßen.

»Jetzt wirst mir acht geben darauf, jetzt ist's wieder neu!« sagte die Hanai und warf ihm die allerseits verbesserte Hose hin.

Heute sang der Spielmann nicht, er war ganz kleinlaut, fast betrübt, so daß die Magd dachte: Heut' ist ihm was, heut' muß ich schon gut mit ihm umgehen. Dann suchte sie aus ihrem Korb Schere und Kamm hervor und sagte: »Jetzt hab' ich just Zeit zum Schafscheren. Auf die Weihnachtszeit muß man dir doch deinen Schauber stutzen.«

»Oha!« entgegnete der Bursche, »meine Königskron', die laß ich mir nit wegnehmen. Oder kaufst mir eine andre Pelzhauben, jetzt für den Winter?«

»Das ist wahr,« antwortete sie, »es kunnt dir dein Hirn einfrieren, das wär' ein Jammer! Na, halt' her, ausstrählen will ich dir's wenigstens einmal, dein rabenfarbenes Haar.«

»Warum willst mir's denn ausstrählen, mein rabenfarbenes Haar?«

»Weil es, mein schöner Knab', so viel vermudelt ist, dein rabenfarbenes Haar. Und wenn du jetzt ein neues Gewand anhast und eine weiß gewaschene Pfaid, so mußt auch sauber gestrählt sein. Nachher kannst schon unter die Leut' gehen.«

»Damit ich halt die schönen Dirndln leichter krieg', gelt?« entgegnete er so nebenhin.

»Freilich deswegen, du Falot, du schlechter!«

»Thu' mit den Fingern nur so herum im Haar, das hab' ich gern,« sagte der Tonele und schloß vor lauter Wohlbehagen die Augen, während sie in seinen Locken wühlte und in schwere Versuchung kam, die Finger zu krümmen und anzureißen. Anstatt dessen sagte sie ihm den Spott: »Aber den Schnurrbart muß man dir doch stutzen!« Denn er hatte noch gar keinen.

Auf das Haarwerk ließ er sich aber heute weiter nicht ein, hingegen that er plötzlich die Frage: »Du Hanai, ist's wahr, daß ich im Schlaf reden thu'?«

»Im Schlaf reden? Lapp, wie soll ich denn das wissen?«

»Ja so, freilich nit. Du hast mich nie schlafen gesehen. Und ich hab' mich auch nie schlafen gesehen. Aber andre sagen es. Laut reden thät ich im Schlaf, sagen sie, und allerhand Sachen fürbringen, und es wär' oft ein Spaß, sagen sie, was ich thät ausschwatzen. Und das dümmste ist, ich weiß nichts davon.«

»Wird halt nit mehr alles Platz haben, drin,« meinte die Hanai. »Weil du beim Tag deine Falschheiten verschweigst, so müssen sie halt bei der Nacht heraus.«

»Das ist's ja!« setzte der Bursche rasch ein, »und jetzt getrau' ich mir nit mehr zu schlafen. Allein schon gar nit mehr.«

»Ich bitt' dich gar schön, Toni, laß dein Dummreden jetzt einmal sein. Allemal ist man nit aufgelegt dazu.«

»Dasmal nit so wie du meinst, Hanai,« sagte der Tonele fast herb, »zum Dummreden bin ich auch nit aufgelegt und dein Frotzeln alleweil, das brauch' ich nit. Laß mich ausreden einmal! Was weißt denn du! Auf den Stadlen und Strohtennen, wo ich herumschlaf'! Wie leicht ist's geschehen, daß mir wer zuhört!«

Als er schwieg, fragte sie ihn: »Hast jetzt ausgeredet? Na, das war der Müh' wert.«

Ohne auf ihren Spott zu achten, lag er mit halbgeschlossenen Augen da und gab sich scheinbar dem Wohlgefühle des Strählens hin. Auf einmal sagte er: »Was sagst du zu dem großen roten Brief, der draußen an der Hausthür hängt?«

»Wo die zweitausend goldenen Gulden darauf stehen?«

Sachte setzte Tonele bei: »Die goldenen Gulden kunnt ich mir verdienen.«

Der Kopf, der auf ihrem Schoße gelegen war, flog jetzt aufs Heu hin, so heftig hatte sie ihn von sich geschleudert. Ganz starr war sie vor Entsetzen. Er blieb ruhig liegen auf dem Heu und redete leise weiter: »Dazumal, wie der Wirt fort ist, hat ihm's der geistliche Herr gesagt, wohin er gehen und wo er sich verstecken soll, daß sie ihn nit finden, und ich bin hinter der Thür im Dachwinkel gestanden, weil es so viel gestürmt hat –«

»Gehorcht hast?« schrie sie auf.

»Aber Jesses, ich kann ja nichts dafür, daß ich die paar Wort gehört hab', mit einem Stoppelzieher wollt' ich sie mir aus den Ohren ziehen lassen.«

Jetzt erst reimte sich's die Magd.

»Du weißt, wo der Wirt sich versteckt hat?« fragte sie.

»Hanai, ich kann nichts dafür!«

»Und du thust im Schlaf reden?«

»Da kann ich auch nichts dafür!«

»Nachher muß man dich totschlagen.«

Dagegen schien der Spielmann keine Einwendung zu haben, erst nach einer Weile that er ganz bescheidentlich die Bemerkung: »Ich wüßt' wohl noch ein andres Mittel.«

»Daß du auf der Stell' ins Amerika auswanderst, wo dich kein Mensch versteht.«

»Das thu' ich nit.«

»Oder gar nimmer schlafst!«

»Hanai, das will ich probieren,« sprach er bereitwillig. »Solang' es geht, will ich's aushalten. Wenn's auf Zeit und Weil' aber nit sollt' gehen, und wenn ich's halt nimmer sollt' aushalten können, schon gar nimmer und um Gottes willen nimmer, nachher –«

»Mein Gott, was wirst nachher machen?«

»Nachher – gelt, nachher kann ich herkommen da in den Stall und mich ein bissel hinlegen aufs Heu und schlafen. Und wenn ich alsdann anheb' zu schwatzen, gibst mir geschwind eins auf die Pappen.«

Sie dachte eine Weile nach, zauste an einem Büschel Heu und dachte nach, langte dann nach dem hingeworfenen Beinkleid, wendete es über und über, als wollte sie sich noch einmal überzeugen, daß kein Schaden mehr dran sei, that endlich einen Seufzer und sagte: »Es ist wohl ein rechtes Kreuz! Was mit euch Mannsleuten für ein Kreuz ist, das kann man gar nit sagen. – Natürlich, wenn kein andres Mittel ist, daß du da im Stall wirst schlafen.«

»Es wird wohl das gescheiteste sein,« meinte er. »Und daß du bei den unsicheren Zeiten ein Mannsbild in der Nahend hast.«

»Das laß nur gut sein, Tonele. Es wird dir nichts geschehen. Komm halt, wenn du rechtschaffen schläfrig bist. Ich sperr' dich gut in den Stall, geh' zu der Wirtin hinein, dort auf der Bank lieg' ich, und morgens, wenn du dich bei der Kuh ausgeschlafen und ausgeschwatzt hast, laß ich dich wieder laufen.«

»Ich werd' halt kommen,« meinte der Bursche, »wir werden's nachher schon sehen.« –

An einem der nächsten Tage schritt der schöne Spielmann, seine Klampfen am grünen Bande über der Achsel, die Straße entlang. Herlebig war er, stramm, aufrecht stapfte er hin. So prächtig war er schon lange nicht mehr aufgebaut gewesen, vom Fuß bis zum Kopf, wie jetzt. Sogar Schuhe hatte er an den Pfoten; daß es Weiberschuhe waren, spürte niemand, als seine Zehen, die, der Freiheit gewohnt, sich diesen drückenden Verhältnissen sofort wieder entwunden hätten, wenn nicht der Schnee so höllisch kalt gewesen wäre. Die säuberlich geflickte Joppe, es war eine schon vor Jahr und Tag erklimperte, hatte nun auch einen sicher gegründeten Sack bekommen, in welchem ein Stück Brot stak. Hinten hatte diese Joppe zwei Schößeln, die bei jedem Schritte die Rundung streichelten, welche mit ihren verschiedenfarbigen Flicken zu schauen war, wie die östliche Halbkugel auf dem Globus im Brixner Bischofspalaste. In der schwarzen Pelzmütze – es war richtig die dem Spielmann angeborene Königskrone – stak eine Rabenfeder kühn gegen den Himmel stehend, und das winterlich gerötete Gesicht war fast bis zur Nase mit dem aufgestülpten Joppenkragen bedeckt. Das hatte die im Mahrwirtshause so angeordnet: »Nur fein den Mund zudecken, Tonele! Es ist jetzt eine ungesunde Luft!«

Der junge Spielmann wollte ins Alfersthal hinein zu einem Vetter, dem die Franzosen das Haus niedergebrannt hatten; ein Liedel vom »Gottvertrauen und Selberbauen« hatte er im Kopfe, vielleicht wollte es der Vetter freundlich aufnehmen; eine andre Brandsteuer konnte der Tonele nicht geben.

Als er, schon ein wenig hinkend, hinan gegen das Dorf Albeins kam, das so gemütlich drüben am Berghange liegt und vor den Brandschätzern noch großenteils verschont geblieben war, ging bei der obern Schenke, links am Weg, ein Fensterflügel auf und der rote Wirtskopf rief heraus: »Wohin, Musikant? Nit ein bissel rasten und uns eins aufspielen?«

Das ließ der lustige Bursche sich nicht zweimal sagen; ein Krügel Roter wird auch nicht schaden für den weiten Weg. Er trampelte an der Thürschwelle den Schnee von den Schuhen und trat in die Zechstube. Da gab's fröhliches Volk und beißenden Tabaksrauch. Der Spielmann hatte noch die Thürklinke in der Hand, als er schon wieder umkehren wollte, denn in der Stube saßen ihm zu viele Bayern; Amtsleute und sogar Soldaten. Aber der Wirt war schon mit dem Kruge da und ein lustiger Rotbart zog ihn hin zum nächsten Tisch. Ein Spielmann! Und einer, der so allerlei Schelmenliedeln weiß! Man kannte ihn ja schon und der Wirt mochte denken: Wenn sie ein süßes Gesangel hören, trinken sie mir auch den sauren Wein. Der Tonele lehnte seine Klampfen mit fast zärtlicher Fürsorglichkeit an die Wandbank neben dem Ofen und setzte sich ohne weiteres hin. Trinken, das wollte er ja, aber spielen und singen, das wollt er solchen Gästen nicht.

Als er jedoch getrunken hatte, einmal, zweimal und in Spielmannszügen, und als sie gar so zuthunlich waren und ihn umschmeichelten, etwas zum besten zu geben, da besann er sich, langte nach seinem Instrument, zupfte und schraubte die Saiten stimmend eine Weile herum, räusperte sich und hub in einer Kindermelodie an folgendes zu singen:

»Finster, finster, füritappen,
Bei der Nacht hat d'Sonn' a Kappen,
Und beim Tag a Nebelhaub'n,
Weil sie mag kein Bayern schau'n,
Kein Bayern.«

Die Bayern klatschten in die Hände und meinten, er solle jetzt frisch eins dreingeben über die Tiroler. Der Sänger fuhr fort:

»Windel, Windel aussiblasen,
Kommt der Mai, wird grün der Wasen,
Und kein Grashalm wachst nit auf,
Wo ein Bayer g'standen drauf,
Ein Bayer!«

Dem Wirt mochte um die Gemütlichkeit bangen, denn er war einer von denen, die zum bösen Spiel eine gute Miene machen, was nicht allein weise, sondern auch klug ist; er machte daher den Spielmann aufmerksam, daß dieser etwas heiser sei und doch lieber trinken möge, als singen.

Der Tonele blieb richtig sitzen und als es zu dämmern begann, zogen sich die Gäste in das Extrastübchen hinein. Einer der bayrischen Amtmänner machte sich in der Nähe des Musikanten zu schaffen, legte ihm seinen Arm ungelenk um den Nacken, rieb ihm seinen Bartwisch in die Wange und sagte rülpsend: »Herzbrüderl, du bleibst bei uns, du mußt uns was singen von deinem Schatz.«

»Hat er einen?« fragte ein andrer drein, ein zwinkerndes Einäugel, seinen kleinen, kurzgeschorenen Blondkopf herüberreckend gegen den Spielmann.

Der eine streckte seinen Arm mit der flachen Hand aus gleichsam als wollte er den bildhübschen Burschen aufzeigen: »Und so was soll keinen Schatz haben!«

»Vielleicht ist er ihm erfroren, der Schatz, weil er so frostig dreinschaut.«

»Glaub' nit,« wieder ein andrer, »auf der Mahr drüben scheint die Sonne wärmer, als herüben auf der Schattseite.«

»Laß sie plauschen,« lachte nun ein dicker blondbärtiger Herr in wohlwollendem Tone; der war auch schon leicht angestochen und lud den Tonele ein, neben seiner am warmen Ofen hinzusitzen. »Was soll denn 's Reden, wird wohl jeder seinen Schatz haben dürfen, nicht?«

»Denk's wohl auch,« antwortete der Tonele und setzte sich zum freundlichen Herrn. Es ging ihm, wie manch andrem auch, wenn er einmal beim Schöppel saß. Es trug sich auch selten genug zu.

»Du hast dir ja ein extra braves und resches Mädchen ausgesucht, weiß es wohl,« sagte der Blondbärtige, ihm nahe rückend. »Hab' mir's erzählen lassen, wie sie bei Spinges oben mit der Stallgabel gestanden ist. Alle Achtung! Sapperment, das ist eine Schneidige, die sollten wir rekrutiren, gleich zum Korporal, oder gar zum Feldweibel. Alle Achtung! Eine, die so zum Heimatland steht! Da fait sich nix! Vor jedem tapfern Tiroler Respekt, und erst vor so einer Tirolerin! Alle Achtung! Jeder Held ist mir heilig, da kenne ich keinen Unterschied, ob er nun Andreas Hofer heißt oder Josef Speckbacher oder anders, da mach' ich keinen Unterschied. – Eintrocknen sollst nicht lassen, Spielmann!« So redete der bärtige Bayer und schob ihm den Krug unter die Nase. »Trinken sollst! Auf ihre Gesundheit! Auf meine auch, wenn du willst. Du kennst mich doch? Der neue Stadtrichter zu Brixen! Alle Achtung! Nicht so schlimm, wie sein Amt. Wenn ihr mich auf Eure Hochzeit wollet laden, ich schau' mir die sauberen Bräutlein gern an. Da mach' ich keinen Unterschied.«

»Heiraten thun wir nit,« entgegnete der Tonele.

»Au! Französischer Brauch in Tirol! Alle Achtung! Da sait sich nix.«

»Sonst schon,« verbesserte der Spielmann rasch, »aber der Mahrwirt sagt halt alleweil: Zum Kriegführen und zum Heiraten gehört Geld dazu.«

Der Stadtrichter, wie er sich nannte, lachte hell auf, hieb dem Burschen die Hand auf's Knie und rief: »Du bist ein Mordskerl!«

»Und ich sag' halt doch,« setzte der Tonele jetzt munter bei, »wir haben ohne Geld Krieg geführt und wir können ohne Geld heiraten. Leicht wag ich's!«

»Na freilich,« sprach der Stadtrichter und seine Art war wieder ernsthaft und recht wohlwollend. »Was kann denn ein Mensch dafür, daß er kein Geld hat! Soll er deswegen auch keine Freude haben? Wär' zu dumm. Soll er sich deswegen vom erstbesten Lümmel das Mädel wegfischen lassen? Wär' zu dumm. Leben sollst, junger Mann!«

Er hob den Krug. Der Tonele hob auch den seinen, aber gar nicht hoch, denn schier verzagt war das Wort, welches er jetzt sprach: »Sie will halt nit ohne Geld.«

Die beiden stießen an und tranken sehr gründlich. Als der Stadtrichter den Krug weggestellt hatte und mit beiden Händen seinen Schnurrbart trocknete, rief er schnarrend aus: »Das wär' nicht schlecht! So ein Kapitalbursch' da, und kein Geld! Greif zu! Geld genug, auf der Straße liegt's! Da fait sich nix!«

»Es ist wahr, für mich liegt's auf der Straßen.«

»Ganz im Ernst auch!«

Mehrere Zecher hatten mit gröhlenden Stimmen ein Loblied auf Tirol angestimmt, »aufs neue Vaterland!« und wurden dabei ganz begeistert.

»Siehst du,« sagte der Stadtrichter zum Tonele, »schau dir diese Bayern just einmal an, ob sie so schlimm sind!«

»Und ich sing' wieder lieber das Lied vom alten Vaterland,« entgegnete der Bursche treuherzig. »Gott, was sind dabei oft die Kreuzer geflogen auf der Straßen.«

Für dieses sinnige Wort hatte er des Richters breite Hand auf der Achsel: »Mordsjunge, du gefällst mir! Wie? Toni heißt du? Hörst, Toni, wenn ich der Mahrwirt wäre, dich wollte ich glücklich machen. Dich und sie, dieselbige! Gelt, daß ich's weiß, bei wem sie steht! Da fait sich nix! Soll euch ausstatten, der Mahrwirt; geh' ihn nur an drum, wenn er vom Weinkaufen heimkommt.«

»Vom Weinkaufen der Mahrwirt?« fragte der Bursche rasch, zuckte aber ein und sagte: »Ei, wohl, wohl. Weinkaufen.«

Jetzt faßte der bärtige Bayer mit schier krampfigen Fingern den Burschen am Arm und sagte ihm die Worte ins Ohr: »Nein, mein Freund, weinkaufen ist der Mahrwirt nicht gegangen.«

»Ich weiß es nit,« antwortete der Tonele.

Der Stadtrichter drohte schallend mit dem Finger: »Spitzbub, du weißt es wohl!«

»Was geht mich der Mahrwirt an!«

»Du gehst in seinem Hause aus und ein.«

»Weil's ein Wirtshaus ist.«

»Ist hinterwärts in der Strohkammer auch eins?« fragte der Bayer. »Geh, Schlaucherl, stelle dich nicht so dumm und sei gescheit. Was sollst du das schöne Geld einen andern einstecken lassen! Auf kommt's doch. Und wenn die Mahrwirtsleute und du mit ihnen eure Mäuler mit sieben Siegeln verpetschiert, in drei Tagen ist's laut, da fait sich nix! Aber der arme Mensch kann bis dahin in seinem Versteckwinkel erfroren sein. Geh' Spielmann, denk auf deinen Vorteil und sei gescheit.«

»Ich bin eh gescheit!« versetzte der Tonele und machte ein einfältiges Gesicht.

»Also nimm die zweitausend goldenen Gulden und laß den Mahrwirt nicht erfrieren.«

»Gescheiter erfrieren, als wie ersticken,« meinte der Tonele und deutete mit einer Handbewegung den Strick um den Hals an.

»Wieso?« fuhr der Stadtrichter auf, »wer sagt das? – Du scheinst nicht zu wissen, daß nach dem neuesten Dekret aus München der König die Tirolerhelden auszeichnen will. Und hat recht. Waren sie dem Kaiser treu und tapfer, werden sie's auch dem König sein. Hat ganz recht, Held ist Held. Alle Achtung! Da fait sich nix. Und so gut der Andreas Hofer, der sich selber gestellt, heute bayrischer Major ist, so gut wird der Mahrwirt in etlichen Tagen Oberst oder Oberstlieutenant sein.«

»Der Hofer hätt' sich selber gestellt?« fragte der Spielmann.

»Kameraden!« rief der neue Stadtrichter von Brixen gegen die andern Zecher hin. »Major Hofer steht wohl gegenwärtig in Innsbruck?«

»Nein,« schrie der Einäugige herüber, »Major Hofer rückt mit zwei Kompagnien den Eisack herab, um den Mahrwirt zu fangen.«

»Hörst du's!« pfauchte der Stadtrichter dem Burschen zu und rückte ihm womöglich noch näher. »Gescheit sei, Tonele, und schau mich an. Schau mich einmal ordentlich an, daß du auch weißt, wie dein bester Freund aussieht.«

Der Spielmann machte seine großen Augen sehr weit auf, schaute den bärtigen, verschmitzt schmunzelnden Dickwanst an und sagte dann ganz gelassen: »Dank schön, jetzt weiß ich's.«

»Heb's auf! Heb's auf!« fuhr der Bayer am Ohre des Burschen leise und lebhaft fort. »Der König hat ohnehin Geld genug, laß ihn's nicht wieder einstecken. Wär' zu dumm! Du kannst es besser brauchen, heb's auf! – Der Mahrwirt, der Peter Mayr! Seinetwegen, deinetwegen, Toni, sei ein braver Tiroler und sag's, wo er ist.«

Der schlaue Tonele hatte sich schon lange ergötzt an der Komödie, die sie ihm da vorspielten. Aber daß sie ihn für gar so dumm hielten, das verdroß ihn. Freilich hatten sie getrunken, aber getrunken hatte auch er und nun wollte er doch einmal sehen, wo es liegt, im Wein oder im Kopf. Anlaufen wollte er sie lassen, über und über blau anlaufen. Dem Mahrwirt fragen sie nach. Dank der Nachfrag', der Mahrwirt ist im hohen Birg. – Der heilige Schutzengel soll ihn hüten unterm Schrotthorn in der Steinwänd! Und die Herren Bayern sollen derweil in der entgegengesetzten Richtung einen Gebirgsmarsch machen, sollen ein bissel hinter den Hochkofel hinübergucken. – So dachte insgeheim der Tonele.

»Besinne dich nicht lange und sei gescheit!« sagte der Bayer, die breite Hand hinhaltend.

»Meinetwegen!« stieß der Spielmann hervor und schupfte seine Klampfen verächtlich über die Bank hin, gleichsam, als ob er solchen Bettelzeugs nun überdrüssig sei. »Wenn heutzutag schon jeder auf seinen Vortheil schaut, was soll ich allein der Narr sein. Ich sag's.«

»Ein Bussel kriegst, Prachtmensch, lieber Kerl!« rief der Stadtrichter und umschlang ihn mit beiden Armen. Und wie des dicken Bayern Ohr so ganz nahe an des jungen Tirolers Mund war, flüsterte dieser in jenes: »Der Mahrwirt ist drüben hinter dem Hochkofel, in der Roßhöhl'.«

Der Bayer zog den Kopf zurück und fragte auf einmal fast streng: »Kannst uns weisen?«

»Den Weg weiß ich selber nit,« antwortete der Spielmann mit verdammt ernsthafter Gelassenheit. »Ich glaub', unten bei Rasen hinein und über St. Magdalena. Mehr kann ich nit sagen, weil ich nie dort gewesen bin. Ich weiß nur, daß er sich in der Roßhöhle aufhält, hinter dem Hochkofel.«

»Du wirst mit uns gehen, Spielmann!«

»Warum denn nit?« versetzte der Tonele, »Wenns mich tragen wollts! Weil ich die Gicht im Fuß hab', schon seit einer Woche. Habt's ja gesehen, wie ich hinken muß!« Und bei sich: Vergelt's Gott, Hanai, daß mich dein Schuh so viel zwickt! Wie kunnt der Mensch sonst auf eine so schöne Lug kommen!

Der dicke Bayer stand auf, fast gelenkiger, als man es ihm zugetraut hätte, knöpfte seinen Mantel zusammen, und die übrigen Gäste machten es ihm hastig nach. In wenigen Minuten war die Wirtsstube leer, nur der arme, gichtische Spielmann saß noch im Ofenwinkel und hielt sich die Hand vor das schmunzelnde Gesicht. Vor ihm stand der Wirt, ein kleiner dicker Mann mit rotem glattrasiertem Rundgesicht und einem ganz kleinen Näschen drin. Graue Aeuglein hatte er, mit diesen starrte er jetzt schreckbar wild auf den Burschen und dabei ballte er die dicken Fäuste.

»Spielmann!« sagte er endlich in seiner dünnen Fistelstimme, und dabei wackelte er mit dem Kopf, »Spielmann! Was hast du jetzt angestellt? – Wenn du jetzt was angestellt hättest, lebendig kämest du mir nit aus dieser Stuben!«

Griff der Tonele sachte zu seiner Klampfen, hub an zu klimpern und sang:

»Foppen, foppen, Bayern foppen,
Faß anbeulen, Hühner schoppen.
Kraxeln auf dem Kofel um,
Stoßen sich die Schädel dumm,
Die Bayern!«

Jetzt begriff der Wirt, und wer draußen vorübergegangen wäre in diesem Augenblick, der hätte im Wirtshaus das heftige Gegacker einer Henne hören können. Es war jedoch das Gelächter des Wirtes.

»Was aber du!« stieß er zwischen dem Lachen heraus, »was aber du für ein Feiner bist, Toni! Dir hätt' ich's nit angesehen, dir! Gar nit wahr ist's, was du ihnen auf die Nasen gebunden hast? Hauptspitzbub, der du bist! Magst noch ein' Wein, Spielmann? Dableiben kannst heut', wenn du willst, und essen und trinken, so viel du magst. Aber gewiß nit, Toni? Ist er gewiß nit droben in der Roßhöhl?«

»Fallt ihm nit ein.«

»Herentgegen?«

»Ja, schmeck's!«

»Mir möchtest es just anvertrauen!«

»Nit ums Kopfabschneiden.«

»Recht hast, Spielmann.«

»Was zu essen, wenn du hast, Wirt, das mag ich.«

»Kommt gleich, kommt gleich. Gut werden wir uns unterhalten, heut' miteinand. Heben uns nachher ein feines Tröpfel aus dem Faß.«

»Aber dableiben mag ich nit.«

»Der Tausendsapper, warum denn nit?«

»Ja, ich dank' recht schön,« sprach der junge Spielmann. »Ins Alfersthal thu' ich heut' freilich nimmer. Heim geh' ich. Mußt wissen, ich hab' jetzt meine eigene Schlafstatt.« Sagte es und klimperte auf der Klampfen.



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