Stanislaw Przybyszewski
Homo Sapiens
Stanislaw Przybyszewski

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI.

Falk hörte mit nervöser Unruhe Olga zu.

Sie erzählte ihm trocken, beinahe geschäftsmäßig von ihrem Besuch bei Czerski.

– Czerski ist ein Phantast, sagte er endlich. In seinem Kopfe wirbelt Alles durcheinander. Ich glaube, er will gar Fouriersche Phalansterien errichten ... He, he, he ... Bakunin hat ihm ganz und gar den Kopf verdreht...

– Ich glaube nicht, daß er ein Utopist ist, sprach Olga trocken und kalt. – Sein Ideengang ist ein wenig konfus, aber originell, und, wie ich denke, nicht ohne Aussicht auf Erfolg.

Falk sah sie von der Seite an.

– So, so ... Glaubst Du das wirklich? Meinetwegen ... Mir ist es ja außerordentlich sympathisch, daß er mit dem bürgerlichen Gesetzbuche kollidiert ... Aber sag mal, was ist denn zwischen ihm und Kunicki?

– Kunicki hat vor zwei Jahren in Zürich einen Russen im Duell erschossen.

– Im Duell?

– Ja. Sonderbar genug. Daraufhin hat Czerski ihn in einer Versammlung geohrfeigt.

– Warum denn?

– Czerski sagte, er ohrfeige nicht Kunicki, sondern seinen Verstoß gegen das oberste Prinzip der Partei.

Falk lachte höhnisch.

– Wunderbar! Und was hat Kunicki gesagt?

– Was sollte er tun? Er konnte doch Czerski nicht ermorden.

– Sonderbarer Fanatiker! Aber jetzt will er nichts mehr von der Partei wissen?

– Nein.

Falk sann lange nach.

– Meine Tat ist mein Sein – nicht wahr? so hat er gesagt. Hm, hm ...

Olga sah ihn forschend an.

– Du, Falk, sag mal, ist es Dir wirklich ernst mit unserer Sache?

– Warum fragst Du danach?

– Weil ich es wissen will.

Olga schien ungewöhnlich gereizt und erregt zu sein.

– Weil Du es wissen willst? Nun, meinetwegen. Ich meine gar nichts mit Eurer Sache. Was hab ich mit einer Sache zu tun? Menschheit?! Wer ist Menschheit, was ist Menschheit? Ich weiß nur, wer Du bist und meine Frau, und mein Freund, und noch einer, aber Menschheit, Menschheit: das kenn ich nicht. Damit hab ich nie etwas zu tun gehabt.

– Was meinst Du denn damit, daß Du fast alle Proklamationen und Flugschriften selbst geschrieben hast, daß Du Dein Geld für die Agitation gibst, daß Du ...

Er unterbrach sie heftig.

– Aber das tu ich doch nicht der Menschheit wegen. O, wie Du naiv bist ... Verstehst Du nicht, daß es mir ein wahnsinniges Vergnügen macht, den Menschen da unten ein bißchen die Augen aufzumachen? Ist das nicht ein unerhörtes Vergnügen, zu beobachten, wie der arme Lohnsklave plötzlich sehend wird? ... Nun, Dir brauch ich wohl nicht aufzuzählen, was Alles der arme Sklave da unten zu wissen bekommt... He, he, he ... Ist das nicht herrlich anzusehen, wie sich so ein Sklave unter dem Einfluß von so viel Licht entwickelt? Und dies göttliche Schauspiel, wie die Herrschenden vor Wut und Angst den Himmel um Rache anschreien und Umsturzgesetze machen! ... Ha, ha, ha ... Sieh mal hier – hier hab ich eine wunderbare Liste von den enormen Verlusten, welche die Gruben bei dem letzten Streik gehabt haben. Ich habe mein ganzes Vermögen, oder besser, das Vermögen meiner Frau ruiniert bei diesem Streik, aber dafür diese unerhörte Satisfaktion! Die Theodosius-Grube hatte Bankerott gemacht, die Etruria kann sich kaum mehr halten ... ich kenne ihn, den Besitzer, er ist ganz grau geworden vor Sorgen, dieser ekelhafte Arbeitskraft-Wucherer ... He, he ... Nie hab ich ein so intensives Gefühl der Befriedigung gehabt, als wie ich ihn da sitzen sah ... Ich habe ihn ruiniert, nicht, weil er mich etwas angeht oder weil ich an Euere Sache glaube, nur, lediglich nur aus persönlichem Interesse an diesem grandiosen Schauspiel ... He, he, der arme Kerl schrie nach Militär, er wollte alle Arbeiter wie Hunde niederschießen lassen, er drohte, daß er die Regierung stürzen würde, oh, das war unendlich großartig anzusehen. Und um dies zu sehen, sollt ich nicht den letzten Pfennig geben?

Er wurde ganz heiser vor Aufregung.

Olga sah ihn lange, lange an und lächelte schmerzhaft.

– Wie Du Dich belügst! Denn mich willst Du doch nicht belügen?

Er blieb erstaunt stehen, lachte plötzlich auf, blieb aber mit einem Male sehr ernst.

– Du glaubst also an edlere Motive bei mir?

Sie antwortete nicht.

– Glaubst Du das? fragte er heftig.

Aber sie schwieg.

– Du mußt es mir sagen! Er stampfte mit dem Fuß, beherrschte sich aber augenblicklich.

– Nein, ich glaube nicht, sagte sie endlich ruhig, daß Du in einer so kleinlichen, boshaften Rache Genugtuung finden solltest. Du lügst vollkommen zwecklos. Ich weiß sehr gut, daß Du das Geld zum Streik gabst, weil das Konsortium fünfundzwanzig Prozent Dividende austeilte und gleichzeitig unter den Grubenarbeitern der Hungertyphus ausgebrochen war.

– Das waren sekundäre Gründe.

– Nein, nein, das ist nicht wahr. Du findest seit einiger Zeit ein Vergnügen darin, Dich selbst zu verleumden und schlecht zu machen: Czerski sagte sehr gut, daß Du mit Freude ins Gefängnis gehen würdest, wenn Du nur darin eine Sühne für Deine Sünden finden könntest.

– Ha, ha, ha ... Ihr seid ja ganz ungewöhnlich scharfsinnige Psychologen. Er lachte mit einem gezwungenen häßlichen Lachen.

– Du glaubst also an hochherzige Motive bei mir? Ha, ha, ha ... Weißt Du, weswegen ich Czerski das Geld geschickt habe?

Er stutzte plötzlich.

Sie sah ihn bleich und verwirrt an.

– Du lügst!

– Weißt Du, weswegen?

Sie wurde ungewöhnlich erregt und sprang auf.

– Sag, daß Du lügst!

Falk setzte sich hin und starrte sie an.

– Ist es wahr? fragte sie heiser.

Sie beugte sich über ihn nieder und sah ihn unverwandt mit weit aufgerissenen Augen an.

– Wolltest Du ihn wirklich los werden?

– Nein! schrie er plötzlich auf.

– Du bist nicht feig.

– Nein!

Sie atmete tief auf und setzte sich wieder hin.

Sie schwiegen lange.

– Was willst Du nun mit Janina machen?

Falk wurde sehr blaß und sah sie erschrocken an.

– Hat Czerski Dir das auch erzählt?

– Ja.

Er ließ den Kopf sinken und starrte auf den Boden.

– Ich werde das Kind adoptieren, sagte er nach langer Pause.

– Es ist furchtbar, was Du für einen Dämon in Dir hast. Warum mußt Du Dich und Andere unglücklich machen? Warum? Du bist ein sehr unglücklicher Mensch, Falk.

– Meinst Du es?

Er warf es zerstreut hin, ging ein paar Mal auf und ab und blieb vor ihr stehen.

– Hast Du auch nicht eine Sekunde geglaubt, daß Ich Czerski aus Feigheit los werden wollte?

– Nein!

Er faßte ihre Hand und küßte sie.

– Ich danke Dir, sagte er trocken.

Er fing wieder an auf- und abzugehen. Es entstand eine lange Pause.

– Wann wird Czerski fahren?

– Heute Nacht.

Er blieb vor ihr stehen.

– Ich glaube an Deine Liebe, sagte er langsam. Ich liebe Deine Liebe. Du bist das einzige Wesen, in dessen Gegenwart ich gut bin ...

Sie stand verwirrt auf.

– Sprich nicht davon, warum denn darüber sprechen? ... Dir stehen jetzt schlimme Dinge bevor ... Wenn Du mich nötig hast ...

– Ja, ja, ich komme zu Dir, wenn das Gewitter vorüber ist.

– Komm, wenn nichts Anderes für Dich bleibt.

– Ja.

Sie ging.

Plötzlich lief Falk ihr nach.

– Wo wohnt Czerski?

Sie gab ihm die Adresse.

– Willst Du zu ihm gehen?

– Ja.


 << zurück weiter >>