Stanislaw Przybyszewski
Homo Sapiens
Stanislaw Przybyszewski

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III.

Als Falk nach Hause kam, saß Isa halbausgekleidet auf ihrem Bette und las.

– Endlich bist Du gekommen! Sie kam ihm entgegen. Oh, wie ich mich nach Dir gesehnt habe.

Falk küßte sie und setzte sich auf den Schaukelstuhl.

– O, wie ich müde bin!

– Wo warst Du denn?

– Ich war mit Iltis zusammen.

– Hast Du was Neues gehört?

– Nein, nichts von Bedeutung.

– Du bist so blaß, Erik?

– Ich habe ein wenig Kopfschmerzen.

Isa setzte sich neben ihn auf einen Stuhl, nahm seinen Kopf in beide Hände und küßte ihn auf die Stirn.

– Du bleibst jetzt immer so lange weg, Erik. Es ist so unangenehm, den ganzen Abend allein zu sitzen.

Falk sah sie an und lächelte.

– Ich muß mich jetzt allmählich von Dir emanzipieren.

– Warum?

– Nun, wenn Du mir plötzlich weglaufen solltest ...

– Oh, Du! Sie küßte ihn noch heftiger.

Falk stand auf, ging nachdenklich im Zimmer auf und ab, blieb dann vor ihr stehen und betrachtete sie lächelnd.

– Worüber denkst Du so nach?

– Du bist doch sehr schön, Isa.

– Hast Du es nicht früher gesehen?

– Ja, natürlich. Aber es ist doch seltsam, daß ich Dich nach einer vierjährigen Ehe noch immer so schön finde, wie am ersten Tage.

Isa sah ihn glücklich an.

– Du, Isa, wir haben doch sehr glücklich zusammen gelebt.

– Oh, ich war so glücklich, und ich bin so glücklich, ich habe ein so starkes, ein so frohes Bewußtsein von Glück ... Manchmal bekomme ich Angst, daß es nicht lange dauern sollte dies große Glück ... Aber das ist natürlich lächerlich, so ein Weiberaberglaube ... Ich weiß ja, daß Du mich immer lieben wirst, und dann brauch ich nichts mehr, dann kann ich mich ja nie unglücklich fühlen. Selbst wenn Du so nervös bist, wie jetzt, und ganze Tage ausbleibst, macht es nichts ... Es ist eigentlich so schön, so zu sitzen und an unsere Liebe zu denken.

Sie schwieg einen Augenblick. Falk ging herum und sah sie von Zeit zu Zeit unruhig an.

– Und Deine Liebe ist so schön, so schön ... Ich denke so oft daran, daß ich die Erste bin, die Du geliebt hast, ich weiß auch, daß kein anderes Weib für Dich existiert, und das macht mich so stolz, Du verstehst vielleicht nicht dies Gefühl ...

– Ja, ja, ich kann es mir denken.

Sie sah ihn lächelnd an.

– Nicht wahr, Erik, Du hast doch nie, seitdem Du mich getroffen hast, ein Weib so angesehen, so ...

– Wie?

Sie lachten sich beide an.

– Nun so, wie es ich glaube im Neuen Testamente steht von dem Blicke, der beredter wie Worte begehren kann ... Ha, ha, waren die Herren von dem Neuen Testament erfahren ... Aber warum frage ich Dich danach, ich weiß es ja.

– Bist Du so sicher?

Falk setzte eine geheimnisvolle Miene auf.

– Ja, nichts ist für mich so sicher.

– Hm, hm ... Du mußt doch ein unglaubliches Vertrauen zu mir haben.

– Ja, das hab ich, sonst könnt ich nicht so glücklich sein.

Falk sah sie aufmerksam an.

– Aber was würdest Du sagen, wenn ich Dich doch betrogen hätte?

Sie lachte.

– Du kannst es ja nicht.

– Aber wenn ich es doch getan hätte?

– Nein, Du hast es nicht.

– Aber setzen wir es voraus, ich hätte es unter ganz besonderen Umständen getan, unter Umständen, für die kein Mensch verantwortlich ist.

Sie wurde ein wenig unruhig und sah ihn an.

– Sonderbar, wie Du so etwas voraussetzen kannst.

Falk lachte.

– Natürlich hab ich es nicht getan. Aber wir können ja doch einen solchen Fall rein psychologisch nehmen. Ich habe heute so viel darüber nachgedacht. Es interessiert mich.

– Nun ja.

– Also siehst Du, Isa, ich kann Dich zuweilen hassen. Das hab ich Dir oft gesagt. Ich kann Dich so intensiv hassen, daß ich ganz von Sinnen bin. Ich hasse Dich, weil ich Dich so lieben muß, weil alle meine Gedanken sich auf Dich beziehen, weil ich nirgends hingehen kann, ohne Dich beständig vor den Augen zu haben.

– Aber das ist ja eben so schön! Sie küßte ihn auf die Augen.

– Nein, laß nur, Isa. Hör weiter. Ich hasse Dich zuweilen und liebe Dich gleichzeitig mit einer solchen Unruhe, daß ich davon ganz krank werden kann. Ich versuche Dich loszuwerden. Es ist kein Glück, so zu lieben ...

Falk stand auf und redete sich immer heftiger hinein.

– Nun siehst Du, man bekommt so eine rein physische Sehnsucht, diese Unruhe, diese Qual zu vergessen. Man sehnt sich nach einem Ruhekissen ... He, he – Ruhekissen, das ist das Richtige ... Er lächelte mit einer eigentümlich schiefen Grimasse. Nun kennt man ein Weib von früher her. Ein Weib, das in ihrer Liebe so aufgegangen ist, daß sie nur um dieser Liebe willen lebt. Man geht zu ihr, ohne sich etwas dabei zu denken, man geht ganz mechanisch, weil man sich plötzlich erinnert, daß das Weib doch noch existieren müsse. Ja: sie ist da und ist verrückt vor Glück ... Ha, ha, ha ... Du bekommst einen so sonderbaren Zug um den Mund, wenn Du so gespannt zuhörst, ganz wie kleine Mädchen in der Schule, wenn sie recht aufmerksam sind. Aber hör nur. Ja, richtig ... Iltis, weißt Du, der versteht sich darauf. Er sagte einmal, daß es einen Moment gibt, in dem jedes Weib schön wird. Und er hat Recht. Nun denk Dir: das Weib wird ganz verklärt, sie wird so neu, so seltsam schön, sie hat aufgehört, sie selbst zu sein, es erstrahlt in ihr etwas von der Ewigkeit des Naturzweckes ...

Falk brach plötzlich ab und sah sie forschend an.

– Na und?

– Und? Hm, Du weißt ja, was im Menschen geschehen kann, ohne daß man sich dessen recht bewußt wird ...

Er stand wieder auf und sprach sehr ernst:

– Der Mensch ist ja so wenig über das Tier hinausgegangen. Das Bißchen Bewußtsein ist ja nur dazu da, um etwas Geschehenes zu konstatieren ... Es kann so eine kleine Empfindung sein, so ein winziges Pünktchen in der Seele. Man wußte früher nichts davon, gar nichts. Aber so wird diese Empfindung, diese winzige, losgelöste Empfindung wach. Mit einem Ruck kann sie zu einer riesigen, maniakalischen Idee auswachsen ... Es ist vielleicht die Empfindung von einem Tropfen Blut, nicht wahr? Unter irgend einem Umstand kann man die Sehnsucht bekommen, Blut zu sehen, nein, nicht mehr Blut, ein Meer von Blut, eine Pfütze von zerfleischten, auseinandergerissenen Gliedern, weiß Gott was Alles ...

Er sah plötzlich Isa an und lachte auf.

– Du hast wohl Angst, Isa?

– Nein, nein, aber Du bist so ernst geworden, und wenn Du sprichst, so weiten sich Deine Augen, als ob Du selbst Angst hättest.

– Angst? ... Ja, ich habe Angst vor diesem fremden Menschen in mir ... Aber hör nur: man sieht das Weib urplötzlich in dieser verklärten Schönheit. In diesem Augenblick taucht etwas wie Neugierde auf, eine brennende Neugierde, eine Gier, das Weib in ihrem Urgründe zu fassen.

– Und?

– Ja, man vergißt Alles, man gehört sich nicht mehr. Etwas arbeitet ganz spontan in der Seele, es tut Alles auf eigene Faust. Man nimmt das Weib. Ist es nicht furchtbar? fragte er plötzlich.

– Ja, furchtbar.

– Was würdest Du nun sagen, wenn mir so etwas passiert wäre?

– Nein, Erik, sprich nicht so. Ich will nichts davon hören. Ich habe einmal darüber nachgedacht ...

Falk sah sie erstaunt an.

– Wann hast Du darüber gedacht?

– Nein, nein, ich habe eigentlich nicht gedacht. Es flog mir nur so plötzlich durch den Kopf einmal.

– Wann, wann?

– Als Du bei Deiner Mutter warst und krank wurdest. Du weißt, damals hat sich gerade das Mädchen ertränkt. Aber Du bist ja so blaß und Deine Augen werden so groß. Sonderbar, wie Deine Augen groß sind.

Falk sah sie unverwandt an.

– Was hast Du da gedacht?

– Ich bekam jetzt plötzlich einen so schmerzhaften Ruck von Angst.

Falk ermannte sich und suchte zu lächeln.

– Wir erzählen uns ja auch so schöne Schauergeschichten ... Aber was hast Du damals gedacht?

– Ich saß neben Deinem Bett, ich war so müde und schlief ein. Als ich aufwachte, waren Deine Augen weit aufgerissen und starrten mich ganz unheimlich an.

– Davon weiß ich nichts.

– Nein, natürlich nicht. Ich bin auch nicht sicher, ob das Alles nicht ein Traum war. Aber da fuhr es mir mit einem Mal wie ein Blitz durch den Kopf: Gott, wenn das Mädchen Deinetwegen ins Wasser gegangen wäre!

– Was meinst Du? Sie war ja im Bad ertrunken. Wie kamst Du auf die Idee ...?

– Ich weiß nicht, wie ich darauf kam, ich war so nervös und so übermüdet, und da erzählte Deine Mutter, daß Du sehr viel mit ihr zusammen warst.

Falk wurde unruhig.

– Sonderbar, was Du für Ideen bekommst.

– Ich konnte diese Gedanken nicht los werden. Ich habe so fürchterlich gelitten, weil ich wußte, daß ich dann gleich, sogleich von Dir gehen müßte. Nicht eine Sekunde würd ich dann bei Dir bleiben können.

Falk blickte sie starr an:

– Es wurde mir jetzt mit einem Male so unendlich klar, daß Du dann gehen würdest. Nicht wahr? Sofort ...

– Ja.

– Ja, ja, so etwas versteht man in einer Sekunde. Es lag da in der Art, wie Du sprachst, etwas so Unheimliches ...

– Was meinst Du?

– Sei nur nicht so ängstlich. Falk lächelte. Aber es kam mir so vor, als ob mein Schicksal gesprochen hätte.

– Dein Schicksal?

– Ja, verstehst Du, Du brauchst eigentlich nicht zu sagen, was Du meinst ... Ja, sieh nur: Du hast mir Anfangs nie gesagt, daß Du mich liebtest, wir waren uns auch noch ganz fremd, aber ich hörte es an Deiner Stimme. Du sprichst nämlich ganz anders wie alle anderen Menschen. Jetzt hab ich es wieder gehört, ich meine, ich weiß nun so sicher, was dann kommen würde. Ich weiß nicht, woher ich diese Sicherheit habe ... Aber, was sprechen wir darüber ... Was macht mein großer Sohn?

– Er war sehr unruhig heute. Lief und schrie, und als ich ihn fragte, warum er so schreie, antwortete er: Ich muß, ich muß!

– Sonderbar! Falk ging nachdenklich auf und ab. Das Kind ist doch ganz merkwürdig nervös. Ja, er wird sicher ein Genie werden; alle Genies haben heiße Köpfe und kalte Füße ... Ha, ha, ha. Ihm müßte wohl auch eine kleine Hirnpartie ausgeschnitten werden ... Ich glaube, jeder Mensch hat da eine Partie, die beseitigt werden müßte, ja, ja – dann würden wir Alle sicut Deus werden ... Aber sag mal, Isa: so ein Genie ist doch ein sonderbares Tier, so wie ich zum Beispiel. Sieh mich doch an: bin ich etwa nicht ein Genie? He, he, he ... Nun ist die menschliche Rasse so degeneriert, auf fünfhundert Millionen sind vierhundertneunundneunzig Cretins und Idioten. Sollte da nicht ein Genie die Verpflichtung haben, die Rasse zu verbessern?

– Wodurch?

– Nun natürlich dadurch, daß er möglichst viele Kinder mit möglichst vielen Weibern zeugte.

– Aber Du hast ja gesagt, daß die Kinder von Genies Idioten werden.

Falk lachte.

– Ja, Du hast ein fabelhaftes Gedächtnis, aber interessant wäre es für unsern Janek, später einmal an lebenden Exemplaren die Eigenschaften zu studieren, die sein großartiger Herr Papa hatte. In den eventuellen hundert Kindern, die ich an den eventuellen hundert Stellen haben könnte, müßten sich ja die hundert liebenswürdigen Eigenschaften, deren ich mich erfreue, vererben.

– Nun faselst Du, lieber Erik.

Isa kleidete sich langsam aus und machte sich das Haar auf.

– Nun gute Nacht, Isa. Ich will noch heute arbeiten.

– Erik, ich habe Angst. Geh noch nicht.

– Sei doch kein Kind ... Ich habe ja nur darüber gesprochen, weil ich es vielleicht schreiben werde. Denk an mich, dann wirst Du die Angst vergessen.

– Komm, küsse mich.

– Nein, ich will Dich nicht küssen. Du bist so verwirrend schön, und ich muß arbeiten ... Gute Nacht.


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