Stanislaw Przybyszewski
Homo Sapiens
Stanislaw Przybyszewski

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III

Im Malstrom

Dem Dichter
Zenon Przesmycki
gewidmet

I.

Janina sah Falk nachdenklich an.

Wie er sich doch in der letzten Zeit verändert hatte. Diese Unruhe! Als erwarte er jeden Augenblick irgend ein Unglück. Dann konnte er plötzlich auf eine ganze Stunde in eine sonderbare Apathie versinken und Alles um sich herum vergessen ... Was fehlte ihm nur? Nein, er war nicht offen zu ihr. Er machte Ausflüchte. Er beruhigte sie mit leeren Redensarten ... Hin und wieder sah sie sein Gesicht nervös aufzucken, dann machte er eine heftige Handbewegung und lächelte. Dies Lächeln – dies häßliche Lächeln hatte er aus Paris mitgebracht.

Falk schien aufzuwachen. Er richtete sich im Sofa auf, nahm ein paar Stücke Zucker und warf sie in ein leeres Glas.

– Hast Du heißes Wasser?

– Du solltest nicht so viel Grog trinken, Erik, Du wirst davon noch unruhiger.

– Nein, nein, im Gegenteil. Er schien ungeduldig zu sein.

Janina beeilte sich, das Wasser zu bringen.

Falk bereitete sich bedächtig den Grog. Er sah sie an: Sie war so eifrig, als wollte sies wieder gut machen, daß sie ihm zu widersprechen wagte. Er wurde sehr freundlich:

– Nein, im Gegenteil. Das beruhigt mich. Es sind meine ruhigsten Stunden hier bei Dir ... So zu sitzen und ein Glas nach dem andern zu trinken ... Ja, hier bei Dir ...

Er schwieg plötzlich. Er schien überhaupt an etwas ganz Andres zu denken.

– Du hast Dich sehr verändert, seitdem Du aus Paris kamst.

– Findest Du?

– So warst Du früher nicht. Du bist so unruhig geworden und so nervös.

Falk sah sie an, ohne zu antworten. Er trank, sah sie wieder an und lehnte sich im Sofa zurück.

– Es ist doch sonderbar, wie gut Du bist. Er sprach mit freundlichem Lächeln. Mir ist so wohl bei Dir.

– Ist es wahr?

– Ja, ich komme ja immer zu Dir zurück.

– Ja, wenn Du müde geworden bist ... Oh, Erik, es war nicht gut, mich drei Jahre hindurch hier in dieser furchtbaren Qual zurückzulassen. Nicht ein Wort hast Du mir geschrieben.

– Ich wollte, daß Du mich vergessen solltest.

– Dich vergessen! Nein, das kann man nicht.

Er sah sie schweigend an. Es trat eine lange Pause ein.

– Sag mir nur, Jania – er wurde plötzlich sehr lebhaft – sag es nur aufrichtig: ist zwischen Dir und Czerski nichts vorgekommen? Sei ganz ehrlich, Du weißt doch, wie ich darüber denke ...

– Wir waren so gut wie verlobt ... Aber warum fragst Du danach? Ich habe Dir doch schon hundertmal dasselbe erzählt.

– Nun, die ganze Sache interessiert mich sehr, und ich bin so vergeßlich. Dein Bruder hat es gewünscht?

– Ja, sie waren die besten Freunde.

– Und Du?

– Ich hatte nichts dagegen. Dich hatte ich ganz aufgegeben. Er war sehr gut zu mir. Worauf sollte ich denn warten? Ich hatte große Achtung vor ihm ...

– Wenn er nicht eingesperrt wäre, würdest Du jetzt eine ehrbare Hausfrau sein ... Hm, hm ... Bin wirklich neugierig, wie Dich das kleiden würde ...

Janina antwortete nicht. Sie schwiegen eine Weile.

– Hast Du ihn im Gefängnis besucht?

– Ja, Anfangs ein paar Mal.

– Und Dein Bruder ist glücklich über die Grenze gekommen?

– Das weißt Du ja.

– Hm, hm ... Falk stand unruhig auf und ging ein paar Mal auf und ab.

– Haben sie jemals über mich gesprochen?

– Wer?

– Nun Dein Bruder und Czerski.

– Natürlich, sehr oft. Du hast ja an Czerski Geld geschickt. Hast Du das vergessen?

– Und wußten sie etwas über unser Verhältnis?

– Nein! Ich habe immer getan, als hält ich Dich nie gekannt. Ich hatte Angst vor den Beiden. Sie sind so fanatisch.

– Sie wußten also gar nicht, daß Du mich früher kanntest?

– Nein. Aber hast Du nie mit meinem Bruder in Paris über mich gesprochen? Er war doch öfters bei Dir.

Falk rieb sich die Stirn.

– Ja, er kam ab und zu; aber wir sprachen fast immer über die Agitation ... Ja doch: er hat mir einmal erzählt, daß er eine Schwester habe und daß sie sich bald verheiraten solle; übrigens fuhr ich ja bald von Paris weg ... Nun, lassen wir das ...

Wieder ging er unruhig herum.

– Du, Erik, hast Du Dich niemals nach mir gesehnt?

Er lächelte.

– O ja, manchmal.

– Nur manchmal?

Er lächelte wieder.

– Ich kam ja wieder zurück.

– Aber Du liebst mich nicht.

Ihre Stimme zitterte.

– Ich liebe Niemanden, aber nach Dir hab ich mich gesehnt.

Er sah sie an, ihr Gesicht zuckte. Sie würde wohl jeden Augenblick in Tränen ausbrechen.

Falk setzte sich neben sie hin.

– Hör mal, Jania, ich darf nicht lieben. Ich muß hassen, wenn ich liebe.

– Hast Du jemals geliebt?

– Ja, einmal. Und ich haßte das Weib, das ich lieben mußte. Nein, sprechen wir nicht darüber.

Er wurde ernst. Der Gedanke an seine Frau quälte ihn.

– Nein, nein. Man ist nicht frei, wenn man liebt. Das Weib drängt sich zwischen Alles hinein. Man muß tausend Rücksichten nehmen, man muß sie nehmen, man muß auch dasselbe Schlafzimmer haben – nun, das ist ja nicht gerade nötig, aber – nun, ja, Du verstehst mich ... Ich muß frei sein, jedes Gefühl, das meine Freiheit beengt, hasse ich, o, ich kann es Dir nicht sagen, wie ich es hasse.

Er nahm ihre Hand und streichelte sie mechanisch.

– Es ist doch sonderbar, Jania, daß Du mich so liebst.

– Wieso?

– Ich bin ja so kalt hier – hier ... er zeigte auf seine Stirn.

Janina schluckte die Tränen hinunter.

– Du genügst mir so. Ich will Dich nicht anders haben. Ich verlange nichts mehr von Dir.

– Das ist gut. Deswegen fühl ich mich so wohl bei Dir.

Er schwieg lange, dann richtete er sich plötzlich auf.

– Glaubst Du, daß ich lieben kann?

– Früher vielleicht.

– Aber wenn ich jetzt, jetzt, verstehst Du, Jemanden liebte, wenn ich ihn so liebte, daß dieser Mensch – dieses Weib mir zu einer Art Schicksal würde?

Janina sah ihn mißtrauisch an.

– Wenn ich dies Weib also so liebte, daß ich nicht einen Tag ohne sie leben könnte?

Sie schrak auf.

Falk sah sie lange an, besann sich plötzlich und lachte auf.

– Gott, bist Du ein Kind! Wie Du mich anstarrst!

Janina sah ihn mit wachsender Unruhe an. Was sagte er? Was wollte er?

– Erik, sag mir offen, was Dir fehlt. Glaubst Du, ich sehe nicht, daß Du leidest und daß Du es mir verbergen willst?

Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Falk wurde sehr lebhaft.

Es sei sehr dumm von ihr, daß sie sich damit quäle. Er habe gar nichts auf seinem Herzen. Er sei im Gegenteil lange nicht so froh gewesen. Er kenne jetzt kaum, was Leiden heiße. Nein, nein ... Er habe nur vielleicht ein wenig Lust, andere Menschen zu quälen. Das tue er nämlich sehr gerne, er habe ein grenzenloses Bedürfnis nach Liebe, und die empfinde er dann am intensivsten, wenn er die Menschen quäle. Oh, er könne sie noch ganz anders auf die Folterbank spannen, nur um in ihrer Qual diese heiße hingebende Liebe so ganz heftig flackern zu sehen. Er könne ihr dann das unglaublichste Zeug vorreden, daß er zum Beispiel verheiratet sei, daß er bereits ein Kind habe und daß ihr Kind als Bastard zur Welt gekommen sei. Könne sie denn diese Instinkte nicht verstehen? Im Übrigen solle sie ihn nicht gar zu ernst nehmen. Er pflege nicht immer seine fünf Sinne beisammen zu haben.

Aber Janina ließ sich nicht beruhigen.

– Nein, nein, lieber Erik, ich verstehe sehr gut, was Du meinst, aber es ist nicht so bei Dir. Ich kann es sehr gut unterscheiden ... Sie dachte eine Weile nach.

– Sag mal, macht Czerski Dich so unruhig?

Falk horchte auf.

– Czerski? Czerski? Hm ... Ja, ich werde wohl viele Unannehmlichkeiten haben.

– Wieso?

– Nein, nicht gerade Unannehmlichkeiten ... aber ... Falk brach plötzlich ab.

– Er saß wohl anderthalb Jahre im Gefängnis?

– Ja beinahe.

– Sonderbar, daß er jetzt gerade freigelassen wurde ...

Janina sah ihn fragend an.

– Warum ist das sonderbar?

Falk sah verwundert auf.

– Hab ich gesagt, daß es sonderbar ist? Ich habe an etwas ganz Anderes gedacht. Aber, was ich sagen wollte ... er sieht wohl sehr schlecht aus ... Nun, ja, natürlich ... Hm, es tut mir leid um ihn. Er ist ein äußerst tüchtiger Kerl, nur so tollkühn ... Jetzt wurde er wohl ganz und gar ein Anarchist. Das ist selbstverständlich ... Hat er geweint?

– Nein, er war sehr ruhig. Er sagte, er war darauf vorbereitet. Machte mir nur Vorwürfe, daß ich nicht mit ihm ganz ehrlich gesprochen hätte ... Dann nahm er das Kind, sah es lange an und fragte nach dem Vater.

– Du hast es ihm gesagt? Ja natürlich. Warum solltest Du es nicht. He, he ... ich brauch mich doch wohl nicht zu schämen, daß ich einem braven Bürger zum Dasein verhalf ... He, he ... siehst Du, Jania, ich muß manchmal so nervös auflachen, aber es kommt daher, weil ich so übermüdet bin ... Das Leben ist nicht so leicht, wie Du es Dir in Deinem jugendlichen Übermute denkst... Na, lach doch über den schönen Witz ...

Aber Janina lachte nicht. Sie sah grübelnd zu Boden.

Falk wurde gereizt.

Warum sei sie denn so traurig? Könne er denn wirklich nirgends hinkommen, ohne daß er traurige und betrübte Mienen präsentiert bekomme?

Janina erschrak über seine Heftigkeit.

Er bezwang sich und suchte einzulenken.

– Der kleine Erik ist doch gesund? Ja, selbstverständlich. Aber Du bist wohl noch sehr schwach ... Hm, es ist nicht leicht, ein Kind zu gebären ...

Er betrachtete ein Bild, das über dem Bette hing.

– Das Bild hast Du damals mit mir gezeichnet ... Hm ... Erinnerst Du Dich noch? Es war so furchtbar heiß: Du hattest eine ganz rote Matrosenbluse an und wenn Du so über dem Zeichenbrette lagst ... He, he, he ... Damit fing es an ...

Janina sah ihn ernst an.

– Es wäre doch besser, wenn ich Dich niemals getroffen hätte.

– So? Warum denn?

– Nein, nein ... ich weiß es nicht. Ich war ja mit Dir glücklich.

– Aber?

– Ich habe Angst vor Dir. Ich weiß nicht, wer Du bist, ich weiß nicht, was Du machst. Ich kenne Dich jetzt schon seit zehn Jahren ... Ja, zehn Jahre sind es, seit ich Dich zuerst sah ... Ich war noch nicht vierzehn, ich war eine Zeit ja fast täglich mit Dir zusammen und ich weiß nichts, nichts von Dir. Ich glaube nicht, daß Du offen zu mir bist ... Manchmal ist es mir, als kommen Deine Worte so ganz mechanisch, ohne daß Du genau weißt, was Du sprichst ... Nein, nein, Du bist nicht glücklich. Das ist das Einzige, was ich von Dir weiß. Manchmal werd ich ganz rasend vor Schmerz. Ich möchte in Dich hineinkriechen, um zu sehen, was da in Dir vorgeht ... Du liebst mich ja gar nicht, Du sagst es auch offen, und doch muß ich Alles für Dich tun, ich weiß nicht warum. Ich bin wie ein kleines Kind zu Dir, ja willenlos wie ein zweijähriges Kind ... Was ist denn an Dir?

Falk sah sie lächelnd an.

– Der stärkere Wille.

– Vielleicht würdest Du mich lieben, wenn mein Wille stark wäre?

– Nein.

– Warum?

– Weil ich neben meinem Willen keinen andern dulde.

Falk ging ans Fenster.

Die unheimliche Stille frappierte ihn.

– Ist es immer so still hier?

– Ja, in der Nacht.

Er sah auf den weiten asphaltierten Hof, vier Stockwerke von vier Seiten. Ein echter Gefängnishof. Gegenüber im zweiten Stock sah er ein Fenster hell.

Er ging an den Tisch und goß sich frisches Wasser ins Glas.

– Es ist merkwürdig, daß es Stefan gelang, über die Grenze zu kommen. Aber der arme Czerski mußte büßen. Bei Dir war wohl auch Haussuchung?

– Ja, aber man ließ mich in Ruhe.

– Hm, hm ... er tut mir sehr leid ... Er liebte Dich wohl sehr?

Janina antwortete nicht.

Falk sah sie an, trank hastig und trat wieder ans Fenster.

– Nun muß ich gehen.

Janina sah ihn flehend an.

– Geh nicht, Erik, bleib heute bei mir, bleib ...

Er wurde unruhig.

– Nein, Jania, nein, bitte mich nicht darum. Verlange nichts von mir. Es ist so schön, wenn ich zu Dir kommen und wieder gehen kann, wann ich will.

Janina seufzte schwer auf.

– Warum seufzest Du, Jania?

Sie brach plötzlich in Tränen aus.

Er wurde ungeduldig, setzte sich aber wieder hin.

Sie faßte sich mühsam.

– Du hast Recht. Geh nur, geh ... Es war im Augenblick ... Ich wurde plötzlich so unruhig. Tu immer, was Du willst ...

Ihre Stimme zitterte. Sie schwiegen lange.

– Den Kleinen kann ich wohl jetzt nicht sehen? ... Ich komme übrigens morgen oder übermorgen her.

Er stand auf.

– Schreibt Stefan Dir oft?

– Selten ...

– Merkwürdig, daß er nichts von unserem Verhältnisse wußte. Ich meine das frühere Verhältnis vor drei Jahren ...

– Er war ja damals in Amerika.

– Richtig! Gott, wie ich vergeßlich bin ... Na, auf Wiedersehen ... Ich werde vielleicht morgen wiederkommen.


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