Stanislaw Przybyszewski
Homo Sapiens
Stanislaw Przybyszewski

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VIII.

Als sie beide vor die Tür traten, wurde Falk ein wenig unruhig.

– Er habe den Kutscher nach Hause geschickt. Die Nacht sei so herrlich; er möchte sie so gern zu Fuß nach Hause begleiten. Für sie werde es auch gut sein, wenn sie sich ein wenig von der stupiden Gesellschaft in freier Luft erhole.

Falks Stimme zitterte ein wenig.

Marit sprach kein Wort; eine dunkle Beklommenheit benahm ihr fast den Atem.

Sie traten aufs freie Feld; beide nachdenklich, schweigend.

Nun war der Augenblick gekommen, wo man in die Seele des Wesens, das man liebt, hineinschauen kann wie in die eigene. Falk fühlte ihre Seele wie eine Roulettekugel von einer Grenzwand seiner Suggestionen zur andern hin- und herrollen:

– Ob sie nicht seinen Arm nehmen wolle?

Der Weg sei sehr schlecht; er habe viele Löcher, man könne sich sehr leicht den Fuß verstauchen.

Sie nahm stumm seinen Arm. Er preßte ihn sehr fest an seine Brust und fühlte, wie sie bebte.

Falk wußte, daß er jetzt nicht sprechen könne; seine Stimme würde umkippen.

Er kämpfte gegen diese Aufregung; aber seine Unruhe wuchs und wuchs.

Nein, er raffte sich auf. Nein, jetzt nicht!

Das erinnerte ihn an die Art der Bauern, die gleich mit beiden Händen täppisch zugreifen.

Der Mond goß fahle Ströme Licht auf die Wiesen; in der Ferne sah man hoch aufgeschichtete schwarze Haufen Torf.

Falk versuchte sich zu bemeistern. Er wollte das Glück, das er jetzt genießen konnte, weiter hinausschieben; er wollte es langsam genießen.

Sie blieben stehen und betrachteten die Landschaft.

Dann gingen sie wieder, sahen sich aber nicht an; es war, als ob sie eine Art Scham vor einander empfänden.

Jetzt blieb Falk wieder stehen.

– Merkwürdig: jedesmal, wenn ich die Torfhaufen sehe, muß ich immer an einen sonderbaren Mann aus meinem Heimatsdorf denken.

Er war Torfstecher bei meinem Vater; selbstverständlich trank er, wie fast alle unsre Knechte, und hatte eine große fixe Idee.

Falk suchte instinktiv die geschlechtliche Konzentration durch Erzählungen zu lockern und zu zerstreuen; dann würde er das Mädchen desto sicherer nachher überrumpeln können.

– Sie wissen, aus dem Torfmoor steigen zu Zeiten Irrlichter auf, die sich mit fabelhafter Geschwindigkeit hin- und herbewegen.

Der Mann setzte sich nun in den Kopf, daß die Irrlichter Seelen von verstorbenen Freimaurern seien; damals erschien auch die berühmte päpstliche Enzyklika, in der geschrieben steht, daß die Freimaurer vom Bösen besessen seien.

Nun lief der Mann die ganze Nacht herum und schoß nach den Irrlichtern aus einer alten Pistole. Mit somnambuler Sicherheit sprang er über die breitesten Torfgräben, kroch durch den Modder und das dichteste Gestrüpp wie ein Sumpftier, versank manchmal bis zum Halse in den Morast, arbeitete sich wieder heraus und schoß unaufhörlich.

Es lag darin eine furchtbare Tragik. Ich habe ihn einmal nach einer solchen Nacht gesehen. Seine Augen waren herausgequollen und mit Blut unterlaufen, der Kot saß fingerdick auf seinen Kleidern, er war ganz durchnäßt, das dicke Sumpfwasser troff von ihm herab; seine Haare waren zu Strähnen durch den Kot zusammengeklebt, aber er war glücklich.

Er schwang die Pistole hin und her und sprang und schrie vor Glück. Er hatte nämlich in dieser Nacht eine Freimaurerseele mit einem Zwanzigpfennigstück geschossen; als er zusah, war von dem Irrlicht nur ein Häufchen Teer übrig.

Die Pistole war seitdem sein Heiligtum. Aber einmal wurde er ins Gefängnis eingesperrt, weil er seinen Sohn nicht in die Schule schickte. Der Junge blieb zu Hause allein – die Mutter nämlich war längst weggelaufen – und hütete auf den Torfwiesen die Ziege, den einzigen Reichtum des Torfstechers.

Ja; nun fiel dem Jungen ein, die Pistole zu holen, um das Kind des Nachbarn, das er auch behüten sollte, in Angst zu setzen. Er drehte die Pistole mit der Mündung nach seinem Munde zu und hielt ein brennendes Streichholz in die Nähe der Pfanne.

– Paß auf, jetzt schieß ich tot! – Er hielt das Streichholz immer näher.

Das Kind bekommt Angst, fängt an zu schreien, und in dem Augenblick entlädt sich die Pistole: der Junge bekommt die ganze Ladung in den Mund.

Ich kam grade aus der Schule und war Zeuge der Szene, die ich in meinem Leben nicht vergessen werde.

Der Junge lief in wahnsinniger Angst herum, das Blut quoll ihm aus Nase und Mund, und bei jedem Todesschrei schoß und gurgelte der Gischt in dunklem Strome hervor.

Das Kind verstand nichts und lachte herzlich über die tollen Sprünge.

Nur die Ziege schien es verstanden zu haben. In wilder Angst hatte sie sich von dem Pflock, an dem sie angebunden war, losgerissen; sie sprang – nein, wissen Sie, das können Sie sich wirklich nicht vorstellen – sie sprang über den langen, schmächtigen Jungen weg, und dann über einen weiten Graben, und wieder zurück ... es war furchtbar.

Marit war ganz aufgeregt.

– Das muß gräßlich gewesen sein! Ist der Junge gestorben?

– Ja, er starb.

Wieder gingen sie stillschweigend neben einander her; sie waren sich ganz, ganz nahe.

– Herrgott, sahn Sie heute wunderbar aus! Sie hatten im Gesicht einen Ausdruck, wissen Sie, einen Ausdruck, den ich erst einmal bei Ihnen gesehen habe; ja, einmal vor einem Jahre. Wir waren so froh wie Kinder und so glücklich; weiß Gott, es war schön. Und dann standen wir Abends auf der Veranda. In der Ferne hörten wir die Klosterglocken zum Ave Maria läuten, und Sie standen da und sahen vor sich hin mit dem Ausdruck einer unaussprechlichen Innigkeit und Seligkeit; es war wie ein Meer von lichtem Golde um Sie her – und heute sah ich es wieder.

Falk bebte.

– Ich sah sie heut den ganzen Abend an, ich bewunderte Sie und war glücklich und fühlte Sie ganz nah bei mir ... bei mir.

Er preßte sie noch fester an sich, seine Stimme keuchte fast.

– Marit, ich liebe dich; ich ...

Seine Hand umschlang die ihre. Sie fühlte, wie heiße Ströme in sie übertraten.

– Ich bin nur deinetwegen hergekommen; ich lag da in Paris und sehnte mich wie verrückt nach dir; ich mußte kommen. Und jetzt weißt du; jetzt habe ich eine krankhafte Lust, dich auf meine Hände zu nehmen und an mein Herz so wild, so wild zu pressen und deine Brust an meiner atmen, dein Herz an meinem klopfen zu hören.

Sieh, Marit, mein Gold, mein alles; ich werde alles, alles für dich tun; du darfst dich nicht sträuben; du gibst mir ein unnennbares Glück; du gibst mir alles dadurch; sieh, ich habe so gelitten; mein süßes Mädchen, meine Sonne, gib mir das Glück!

Um sie beide herum flocht sich enger und enger die heiße, geschlechtliche Atmosphäre. Sie konnte kaum atmen.

– Ich war so maßlos unglücklich die ganze Zeit, weil ich dich so endlos liebe; niemals hab ich ein Wesen vor dir so geliebt.

Sie fühlte über sich zwei abgründige Augen wie zwei Sterne leuchten; in ihrem Kopf wurde es wirr, sie konnte nicht denken, verstand nur seine heißen, keuchenden Worte, die wie heiße Bluttropfen in ihre Seele niederfielen und über sich sah sie zwei abgründige Sterne, die sie lenkten und zogen und an ihr zerrten.

Sie fühlte, wie er sie umschlang, wie er ihren Mund suchte, und fühlte seine heißen, fiebernden Lippen, wie sie sich in ihre Lippen saugten.

Sie sträubte sich nicht mehr; ihre ganze Seele warf sich in den einen Kuß, sie umschlang ihn. Es war wie ein Jauchzen, das mit wilden Sprüngen über einem Abgrund tanzt. Sie küßte ihn.

Falk hatte diese wilde Leidenschaft nicht bei ihr vermutet. Eine heiße Dankbarkeit stieg in ihm auf.

– Du wirst mein sein, Marit; du wirst es ... wirst ...

Ja, das mußte wohl sein ... sie fühlte es, das mußte sein ... die Augen, die furchtbaren Augen über ihr ... und die Stimme ... es klang wie ein Befehl.

Nur laß mich –jetzt – laß mich – zur Besinnung – laß ...

Sie gingen wieder schweigend neben einander, zitternd, mit verhaltenem Atem.

– Du wirst mein sein?

– Wie, wie? Was?

Falk schwieg.

Den Rest des Weges sprachen sie kein Wort.

An der Gartentür reichten sie sich stumm die Hände.


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