Stanislaw Przybyszewski
Homo Sapiens
Stanislaw Przybyszewski

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VII.

– Nein, nein, mein Kind, laß es Dir gesagt sein, daß alle Gelehrten Dummköpfe sind.

Iltis saß unter einer Gruppe von jungen Leuten und predigte ihnen seine Weltweisheit.

Merkwürdig, daß er seine fünfundvierzig Jahre noch nicht vorgebracht hatte.

Falk konnte ihm die zynische Bemerkung von gestern nicht vergessen.

Er hatte schon den ganzen Abend Acht gegeben, um eine Gelegenheit zu erhaschen, Iltis ein wenig bloßzustellen.

– Alle! Ich kenne wenigstens keinen vernünftigen. Seht nur: das ist bezeichnend für die Herren Professoren. Ich war einmal mit einem Privatdozenten der Geologie zusammen. Er wollte Vermessungen machen. Die Meßnadel wollte aber gar nicht in Ruhe kommen.

Aha! sagt der kluge Privatdozent; ich habe einen Magneten in der Tasche. – Gut, wirf ihn weg, sagte ich. Der Magnet flog weit weg. Aber die Meßnadel war noch immer unruhig. – Du hast wohl ein Taschenmesser bei Dir? Ja, richtig, der kluge Mann hatte ein Taschenmesser. Weit flog das Taschenmesser weg. Aber die Meßnadel war wie verhext. Du stehst wohl auf einer Eisenerzschicht, erlaubte ich mir schüchtern zu bemerken. Kannst Du die Schicht nicht wegschmeißen? Nein, das konnte der kluge Mann nicht.

Ja, so werden Vermessungen gemacht und natürlich auf die Resultate hin weiß Gott welche Theorien aufgebaut.

– Aber ist das auch sicher, daß das Eisenerz die Ursache war? fragte Falk.

Iltis sah ihn erstaunt an.

– Natürlich!

– Nun weißt Du, mit den Ursachen ist das eine heikle Geschichte. Man kann doch kaum jemals eine Ursache angeben, ohne daß sie nicht falsch wäre. Kannst Du mir, um auf dein beliebtes Thema zu kommen, Ursachen für die Inferiorität der Weiber angeben?

– Du brauchst ja nur ein physiologisches Lehrbuch aufzuschlagen.

– Die Atmung? Nun, diese Beweise sind doch einfach lächerlich. Kinder beiderlei Geschlechtes atmen bis zum zehnten Lebensjahre mit dem Bauche, und ebenfalls alle Weiber, die kein Korsett kennen, wie die Chinesinnen und Yuma-Weiber. Der kostale Atmungstypus ist künstlich erzeugt, wie man es bei den Weibern der Chikesaw-Indianer verfolgen kann ...

– Das sind die Angaben von Gelehrten, lieber Falk, die besagen grade das Gegenteil.

– Oh nein, diese Angaben sind von unbefangenen Menschen gemacht, aber auch der zweite Beweis, daß das Weib auf einer niedrigen Entwicklungsstufe stehe, weil es dem Kinde in Form und Proportionen ähnelt, ist ganz hinfällig. Er spricht im Gegenteil für das Höherstehen des Weibes. Der kindliche Typus zeigt besonders die wesentlichen Merkmale der menschlichen Spezies, wogegen der Typus des Mannes, morphologisch genommen, ein Hineinwachsen in die Senilität bedeutet.

– Das ist Metaphysik, lieber Erik. Du bist überhaupt viel zu viel Metaphysiker.

– Möglich. Aber Tatsache ist es, daß Du nur durch eine Verwirrung morphologischer Begriffe von höherer und niedrer Entwicklung zu Deinen Schlüssen gelangt bist.

Iltis sah ihn verständnislos an.

– Das versteh ich nicht.

– Das ist auch nicht nötig. Falk suchte Isa mit den Augen. Wozu spreche man überhaupt. Wenn er hergekommen sei, so doch nicht, um sich über Morphologie zu unterhalten. Er wolle tanzen ...

– Und wir wollen Frieden schließen, nicht wahr? Falk trank Iltis freundlich zu.

Jemand fing an, einen Walzer zu spielen.

Falk ging an Isa heran. Sie stand im Hintergrunde des großen Ateliers. Sie lächelte ihm zu. Nein! das konnte man nicht analysieren, dies saugende Lächeln, als hätte das Halbdunkel, in dem sie stand, geheimnisvoll gelächelt.

– Tanzen Sie, Fräulein?

Es flog wie ein Lichtstreifen über ihr Gesicht.

– Wollen wir tanzen? fragte Falk und erbebte.

Das Blut schoß ihm mit jähem Ruck zum Kopfe, als er ihren schlanken Körper an sich drückte.

Er kam wie in einen Wirbel, der ihn niederriß. Er fühlte, wie sie zusammenwuchsen, wie sie ein Stück von ihm wurde, und er um sich selbst, mit sich selbst in einen unendlichen Rausch hineinwirbelte.

Er sah sie nicht, denn sie war in ihm. Und er zog in sich den Rhythmus und die Linie und den Fluß ihrer Bewegungen und fühlte Alles als ein Hin- und Herwogen in seiner Seele, anschwellend und verebbend, leiser und stärker ...

Und dann plötzlich: ja ein Gefühl von etwas unendlich glattem, Kühlendem, einer weichen Spiegelfläche. Er fühlte sie. Sie lehnte ihre Backe an die seine.

Ein Jubel stieg in ihm auf und er preßte sie heftig an sich.

Sie war sein!

Er vergaß Alles um sich. Die Gesichter der Umstehenden verschwammen in einen fleischroten Streifen, der um ihn wie ein Sonnenring kreiste. Er fühlte nur sich und das Weib, das sein war.

Er hörte nicht die Musik, die Musik war in ihm, die ganze Welt tönte und jubelte in ihm und kreischte auf in heißem Verlangen, und er trug sie durch alle Welt, und er war groß und stolz, weil er sie so tragen konnte.

Wer war Isa, wer war Mikita?

Nur er, er allein war da und sie ein Stück von ihm, das er in den Händen trug.

Beide fielen erschöpft auf ein Sofa.

Es war laut um sie herum. Erregte, zusammenhanglose Stimmen drangen in sein Ohr, die er nicht verstand, und noch immer sah er den fleischroten Sonnenring um sich kreisen.

Er erholte sich. Der rote Nebel schwand, er sah lange, schmale Schwaden von Zigarrenrauch.

Sie lag halb auf dem Sofa, atmete heftig, ihre Augen waren geschlossen.

Er nahm leise ihre Hand. Sie saßen allein, kein Mensch konnte sie beobachten.

Sie erwiderte seinen Druck.

Und sie hielten sich fester und fester an den Händen.

Sie war ihm so nah – noch näher – noch näher; ihre Köpfe berührten sich fast.

Sie sträubte sich nicht; er fühlte sie, wie sie sich hingab, er fühlte sie, wie sie sich in sein Herz legte, in das warme Blutbett seines Herzens.

Sie löste sich plötzlich los.

– Herr Falk, sie erlauben, daß ich Ihnen den ersten, deutschen Kunstmäzen – Schermer grinste boshaft – den Mäzen deutscher Rasse von echtem Schrot und Korn vorstelle ... Herr Buchenzweig.

Herr Buchenzweig verneigte sich sehr tief.

– Herr Schermer führt mich einigermaßen mit zu viel Aplomb in Ihre werte Gesellschaft hinein, aber ich darf sagen, daß ich ein großes Interesse an der Kunst habe.

Herr Buchenzweig setzte sich hin und machte Pause.

Er sah merkwürdig aus. Bartlos, das Gesicht etwas aufgedunsen, und hatte brauenlose Augen.

– Sehen Sie, Herr Falk, Ihr Buch hat mich im höchsten Maße interessiert und entzückt.

– Das freut mich.

Ja, wissen Sie warum?

– Herr Buchenzweig interessiert sich ungemein für die Kunst – Schermer gab sich Mühe, seine Betrunkenheit zu verdecken.

– So, so ...

Herr Buchenzweig sprach melancholisch und blähte die Unterlippe auf.

– Wissen Sie, warum? Nach vielen Enttäuschungen bin ich dazu gekommen, in der Kunst Trost zu suchen ...

Der Säugling kam heran.

– Na, Herr Falk, haben Sie wieder ein neues Genie entdeckt? ...

– Nun, Sie scheinen sich noch nicht entdeckt zu haben, oder sind Sie schon entdeckt?

Isa wurde unruhig. Sie horchte zerstreut zu. Wie kam es nur so plötzlich über sie? Wie konnte sie nur das tun? Falk sich so ganz hingeben ... Es war doch lächerlich, einem fremden Menschen, den sie gestern erst kennen gelernt hatte, zu erlauben, ihr so nahe zu kommen. Sie fühlte Scham und Unruhe, weil sie fühlte, daß der Mann ihr näher stand, als sie sich eingestehen wollte.

– Wissen Sie, Herr Buchenzweig, höhnte Schermer, sind Sie wirklich der Mensch, der sich für die Kunst interessiert – ja, Sie sprechen ja ewig von deutscher Kunst und sonstigen Kisten – so tun Sie doch etwas für die deutsche Kunst! Ja tun Sie was, pumpen Sie einem armen, deutschen Künstler, wie mir zum Beispiel, zweihundert Mark. Ja, tun Sie das ...

Herr Buchenzweig blähte die Unterlippe und steckte die Zeigefinger in die Hosentaschen. Er schien alles überhört zu haben und schielte nach Isa hinüber.

Wie unangenehm war ihr der Mensch. Aber warum kommt Mikita nicht; es ist doch schon spät.

– Haben Sie überhaupt zweihundert Mark? Schermer lachte mit offenem Hohn. Auf wie viele Markstücke beläuft sich Ihr Millionenvermögen ...

Daß der Mensch nicht beleidigt wurde. Isa wurde die Gesellschaft plötzlich widerwärtig.

Warum komme er denn nicht. Was wolle er denn wieder von ihr?

Sie fühlte sich müde. Diese beständige Eifersucht ... Aber er hatte nur sie allein, er hatte Niemanden außer ihr. Selbstverständlich wird er nicht kommen. Nun sitzt er auf seinem Atelier und quält sich und rast und läuft herum ...

Sie horchte auf. Falk sprach mit einer so gereizten Betonung.

– Lassen Sie mich doch mit diesem ewigen Literaturklatsch! Wir haben doch etwas Besseres zu tun, als darüber zu streiten, wem der erste Rang in der deutschen Literatur gebührt, Hauptmann oder Sudermann.

– Na, na; der Säugling war sehr indigniert. Es ist doch ein kolossaler Unterschied zwischen den Beiden ...

– Aber es fällt mir gar nicht ein, daran zu zweifeln. Ich bin selbst ein Verehrer von Hauptmann. Ich schätze namentlich seine lyrische Produktion. Haben Sie den Prolog von ihm gelesen, den er zur Eröffnung des Deutschen Theaters geschrieben hat? Nein? Das ist die kostbarste Perle unserer zeitgenössischen Lyrik. Hören Sie nur:

Und so wie es uns, den Alten,
Doch gelang, in diesem Hause,
Wollen wir die Fahne halten
Ob der Straße Marktgebrause ...

– Das Köstlichste haben Sie vergessen, höhnte nun Schermer; wie heißt es doch nur? Das mit den neunundneunzig Zwiebelstücken und dem Schimmer von der Wunderflamme und das Dings da ... na, egal – ne Perle ist es doch ...

Der Säugling warf Schermer einen verächtlichen Blick zu und sprach dann mit bedeutungsvoller Betonung:

– Ich weiß nicht, Herr Falk, ob das Ihr Ernst oder Hohn ist, aber bedenken Sie, was dazu gehört, die »Weber« zu schreiben ...

Schermer unterbrach ihn heftig.

– Das macht keinen Eindruck mehr. An Revolten und Totschlagen sind wir – vom Lokal-Anzeiger her gewöhnt.

Der Säugling fand, daß es unangenehm sei, sich in der Gesellschaft eines betrunkenen Menschen zu befinden, worauf er eine Menge nicht grade schmeichelhafter Sachen zu hören bekam. Die Gruppe löste sich auf. Nur Isa und Falk blieben sitzen.

Er fühlte sie plötzlich so fremd, so weit weg. Er war sehr gereizt. Selbstverständlich sitzt sie wie auf Nadeln und wartet auf Mikita. Er empfand einen heftigen Schmerz.

– Nein, Herr Falk, Mikita wird heute nicht mehr kommen, sagte sie plötzlich.

– Bleiben Sie doch noch hier. Er kann jeden Augenblick kommen.

– Nein, nein! Er kommt nicht. Ich muß jetzt nach Hause. Ich bin so müde. Die Gesellschaft langweilt mich. Ich will nicht länger hier bleiben.

– Darf ich Sie begleiten?

– Wie Sie wollen ...

Falk biß sich in die Lippen. Er sah ihre unruhige Aufregung.

– Vielleicht wünschen Sie nicht, daß ich Sie begleite?

– Nein, nein ... doch, ja – aber ich muß jetzt nach Hause ...


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