Stanislaw Przybyszewski
Homo Sapiens
Stanislaw Przybyszewski

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIV.

In dem Restaurant zur »Grünen Nachtigall« ging es laut zu.

Iltis saß breit und würdig, wie es sich für einen großen Mann ziemt, und setzte Mikita auseinander, warum das Weib tief unter dem Manne stehe. Er kehrte mit großer Ostentation einem jungen Literaten, der neben ihm saß, den Rücken zu. Es war Tags zuvor zwischen Beiden zu einem unliebsamen Auftritt gekommen, weil der junge Mann sich die Bemerkung erlaubte, daß Iltissens Frauenhaß wohl auf ganz andern als nur theoretischen Gründen beruhe. Jedesmal nämlich, wenn eine Dame in ihrer Gesellschaft auftauchte, ging es bei Iltis los.

– Siehst Du, sprach Iltis, Du bist jung und Falk auch. Das könnt Ihr nicht begreifen; aber wart mal, wenn Ihr erst zehn Jahre mit einem Weibe in der Ehe zusammengeludert habt – er sprach das letzte Wort leise und zischend, aus Rücksicht auf Isa – dann werdet Ihrs sehen. Da kommt mir der liebe gute Falk mit seinen Yuma-Weibern, Chikesawa-Indianerinnen und dergleichen wissenschaftlichem Blödsinn; aber Tatsache bleibt, daß das Weib ein niedrigeres Geschöpf ist.

Der Säugling wollte Etwas einwenden, aber Iltis unterbrach ihn heftig.

– Nein, nein!... Tatsache bleibt Tatsache! Er blähte sich ordentlich auf ... Übrigens darf man mit den Beweisen nicht kleinlich sein.

Mikita hörte nicht zu. Ein Gram fraß an ihm, eine Scham, die mit würgender Wut ihm das Blut ins Gehirn peitschte.

Wozu denn noch weiter?... Es ist Alles vorbei ... Er dachte an ihre Härte – ihre ... ihre ... Ja, war das nicht direkt Haß?

Wie er sie anflehte und vor ihr kroch und sie um Verzeihung bat! Aber sie, hm ... ja, dies eisige Lächeln ... Sagte sie nicht damit: wozu bettelst du, wozu setzt du mich in Verlegenheit, was hab ich noch mit dir zu tun ...

Er seufzte schwer auf.

– Na, Dir scheints nicht leicht zu sein ... Iltis zwinkerte mit den Augen.

– Aber erlauben Sie, die Sache kann doch unmöglich stimmen; der Säugling grübelte, wie er seine Gegenbeweise am Besten vorbringen solle.

Iltis wurde sehr indigniert.

– Man darf nicht kleinlich sein. Nur nicht kleinlich sein, sonst kommen wir auf die dumme Wissenschaft. Soll ich Ihnen mal meine Erfahrungen mit den Wissenschaftlern erzählen?

Wozu bleibt Falk eigentlich weg, grübelte Mikita; das war doch gar nicht nötig ... Ha, ha, ha, um mir Gelegenheit zu geben, Isa wieder zu erobern ... Prosit, teurer Erik; ist nicht nötig, ist nicht nötig.

Aber warum quäl ich sie denn? Was will ich noch von ihr?... Liebe? Kann man das erzwingen? Lächerlich! Lächerlich! Wie konnte man auch überhaupt ihn lieben, ja, einen Mann lieben, der nur lächerlich war?

Er sah hinüber zu Isa, die wie gewöhnlich etwas abseits saß.

Aber Isa sah ihn nicht an. Sie schien sehr aufgeregt zu sein. Auf ihren Backen brannten rote Flecken, und sie ließ ihre Augen erregt und unstet umherschweifen ...

Die Tür öffnete sich, der blonde Neokatholiker trat ein.

Isa sah hastig nach der Tür, sie konnte sich augenscheinlich in diesem Moment nicht beherrschen, sie zuckte auf.

Sie lächelte dem blonden Jüngling zu, aber sie konnte den Ausdruck einer großen Enttäuschung nicht verbergen.

Ja, Enttäuschung! Zum Henker, er war doch nicht blind ... so sehen doch nur Menschen aus, die sich enttäuscht fühlen. Und dieser nervöse, bebende Zug der Erwartung – Erwartung! Wen erwartet sie? Wen? Dummer Mikita, weißt du nicht, wen sie erwartet?! Weißt du nicht, warum sie nicht eine halbe Stunde mit dir allein sein will; weißt du nicht, warum sie dich schon seit drei Tagen beständig hierherschleppt!

Er lachte verbissen.

Falk erwartet sie, heh, heh – Falk! Er wiederholte den Namen, es machte ihm doch sicher eine große Freude; Falk war doch sein Freund, mehr noch! ein Bruder; er hatte ihm doch sicher ein großes Opfer gebracht, ja, ganz sicher ... Der Bräutigam, der an Gemütsblödigkeiten leidet, soll seine Braut kriegen, sein Schäfchen ins Trockne bringen ...

– Hi! Halloh! Huh! schrie er brüllend Iltis zu – Dein Wohl!

Alle sehen sich verwundert um; das war doch ganz ungewöhnlich von Mikita.

Mikita faßte sich.

– Zum Teufel mit eurem Philosophieren ... Weib – Mann ... das ist Alles Blödsinn; Alles ist Blödsinn ... Lustig wollen wir sein! Lustig!

Isa sah müde Mikita an.

Warum schreie er denn so? Was fehlte ihm nur wieder? Auf wen war er denn jetzt eifersüchtig?

Wie der Mann ihr fremd war. Wie konnte sie ihn nur jemals geliebt haben? Nein, sie konnte es nicht mehr aushalten; jetzt müsse sie ein Ende machen. Heute noch! Wenn er sie nach Hause begleitet –ja, heute noch!

Wie werde sie es ihm nur sagen?

Ihr Herz bebte.

Wie werde sie es ihm sagen? Ganz ruhig und selbstverständlich. Sei er denn blind, könne er ihr nicht in dieser peinlichen Situation helfen? Er wisse doch nun, daß sie Falk liebe. Verstehe er es noch nicht? Sie hatte ihm ja so deutlich gezeigt, daß er ihr gleichgültig sei.

Aufdringlicher Mensch! Sie hatte Angst, das zu denken, sie wagte es nicht; aber jetzt plötzlich hatte sie es doch gedacht ... Sie wunderte sich, daß sie nichts dabei empfand ...

Aufdringlicher Mensch! Ja, sie fühlte Freude, daß sie es denken konnte, ohne daß es ihr peinlich wurde.

Wieder knarrte die Tür.

Jetzt ist er es sicher, sie wußte es ganz genau: sie zitterte.

Aber es war ein Unbekannter.

Das war doch zu gräßlich, so zu warten und warten, unter all diesen unangenehmen Menschen.

Sie fühlte Mikitas Augen starr auf sich gerichtet, aber sie vermied es ihn anzusehen.

Gott, wie gleichgültig er ihr war!

Was machte denn Falk diese furchtbaren fünf Tage lang?

Sollte sie zu ihm hinaufgehen? Aber sie wußte ja nicht, wo er wohnte. Mikita danach fragen? Nein, das ging nicht.

Sie sank in sich zusammen.

Wie könnte sie ihn nur sehen? Warum bat sie ihn, um Himmelswillen, daß er sie nie mehr sehen solle?... O Gott, sie hatte ja nicht gewußt, wie sehr sie ihn liebte, wie gleichgültig ihr Mikita war, wie ihr die ganze, ganze Welt nur Schmerz bereitete.

Sie war so sinnlos verzweifelt.

Warum schrie er denn nur wieder so? Sie sah unwillkürlich auf die leeren Flaschen, die vor Mikita standen.

– Weißt Du denn, was Liebe ist? – Mikita war außer sich geraten. Weißt Du, was Geschlechtsschmerz ist? Heh? Weißt Dus? Hast Du überhaupt jemals ein Weib geliebt?

Iltis machte eine verächtliche Handbewegung.

– Das ... das ... Mikita stotterte – das Weib hat den Mann gezeugt, daran hat sie genug! Das Weib zeugt und der Mann liebt. Das Weib liebt nie, niemals; sie hat am Zeugen genug ...

Was? Das Weib liebt auch? Was?

– Aber das Weib begehe ja Selbstmord aus Liebe, warf der Säugling ein, man könne ja jeden Tag darüber im Lokal-Anzeiger lesen.

– Was? Selbstmord? Fragen Sie ihn, fragen Sie ihn nur; er weiß es besser – Mikita zeigte auf Iltis, der ihm aufmunternd zulächelte – die Weiber begehen Selbstmord, wenn sie schwanger sind und von ihren Liebhabern im Stich gelassen werden!

Mikita schlug heftig mit der Faust auf den Tisch.

Isa sah ihn mit grenzenloser Verachtung an.

Er war wieder betrunken. Wie konnte sie nur jemals diesen Menschen geliebt haben?

Es trat eine peinliche Stille ein. Isas Anwesenheit drückte Alle. Es war das ein wenig rücksichtslos von Mikita in ihrer Gegenwart.

Mikita schwieg plötzlich.

Er sah: ja: das erste Mal sah er ihn – diesen Blick! Er sah ihn deutlich vor sich.

Er ließ den Kopf sinken.

Ganz deutlich! Der Blick bohrte sich tiefer und tiefer in ihn hinein. Er sah nun das Auge in sich, es sah ihn an ... Wie sah es ihn an?

Wenn er es malen würde?... Nun, drei Schritte zurück ... Nein! in die Ecke des Ateliers hinein – in die andere ... Und nun durch den Spiegel ... Ja, er konnte sich nicht helfen ... Es war Verachtung! Große, kalte Verachtung!

Für Isa wurde es nun unausstehlich. Sie empfand eine fiebernde Unruhe; sie fühlte, wie das Herz schnell und schwer gegen das Korsett schlug.

Sie müsse um jeden Preis Falk sehen, er muß doch endlich kommen. Jeden Tag ist er doch hier; warum kommt er denn gerade in diesen Tagen nicht?

Das Gespräch kam wieder in Gang.

– Ach, laßt mich nur mit der Literatur in Ruhe; dies ewige Geplapper über Poeten und Verleger und Verlegerpreise macht Einen wirklich ganz nervös – Iltis gähnte affektiert – Was wollt ihr vom Falk? Er ist ein guter Kerl.

Isa horchte auf.

Sie sah Mikita, wie er sich plötzlich aufrichtete.

– Was? Was? Falk?

– Na ja, dozierte der Säugling, Falk hat Talent, das will ich ja zugeben; aber es ist noch im Werden, es muß ausreifen, es muß ausgären; man weiß noch nicht, wie er sich entwickeln wird. Er sucht, er tastet noch ...

– Was? Falk tastet?... Mikita lachte mit gespielter Herzlichkeit. Sie sind kostbar ... Wissen Sie, Falk ist der Einzige, der was kann. Falk hat das Neue gefunden. Ja, Falk kann das, was Ihr Alle können möchtet – Falk – Falk ...

In diesem Momente trat Herr Buchenzweig an Isa heran.

Er setzte voraus, daß alle diese Gespräche eine Dame langweilen müßten, und so wollte er sie unterhalten.

Sie sah auf das glatte, feiste, schöne Friseurgesicht.

Was wollte nur der Mensch?

Ja, Herr Buchenzweig hatte die große Ehre gehabt, das gnädige Fräulein auf der Soirée in Gegenwart des Herrn Falk gesehen zu haben. Herr Falk sei ein ungemein interessanter Mann, eigentlich derjenige, der ihn am meisten interessierte ... Er sei auch nur hergekommen, um ihm zu begegnen ...

– Du, Isa, rief Mikita über den Tisch hinweg – weißt Du, daß Falk von Berlin weggereist ist?

Er heftete starr seine Augen auf sie.

Isa fuhr zusammen. Sie empfand einen heftigen Schmerz in ihrem Gesichte, ein Schnürgefühl in der Brust ... sie sah mit weiten Augen das wilde, boshafte, stark gerötete Gesicht von Mikita, dann wandte sie sich ganz mechanisch an Buchenzweig.

Sie wollte ein Glas Wein trinken; es war leer.

Buchenzweig lief dienstfertig nach dem Kellner.

Alles floß in ihren Augen zusammen. Sie sah nichts. Sie hörte plötzlich Jemanden sprechen; es war Buchenzweig. Aber sie verstand nicht gut, was er wollte. Sie sah ihn nur, lächelte mechanisch – der Wein wurde gebracht. Sie trank.

– Herrn Halbe kenne ich sehr genau. Ein ungemein liebenswürdiger Mensch, eine große Kraft in unserer Zeit, der es so sehr an großen Talenten mangelt.

Isa sah ihn an. Der Mensch wurde ihr plötzlich widerwärtig. Sie wußte nicht warum.

– Verzeihen Sie, Herr Buchenzweig, Ihre Gesellschaft ist mir sehr angenehm, aber ich muß nun nach Hause.

Sie ging an Mikita heran.

– Ich muß jetzt nach Hause gehen.

– So, so? – wirklich? Langweilst Du Dich hier?

Sie hörte nicht auf ihn und kleidete sich an.

Wieder sah sie das widerwärtige Friseurgesicht des Herrn Buchenzweig.

An wen erinnerte er sie nur? Ja, richtig, an den Friseur, bei dem sie sich ihr Haar shampoonieren ließ.

Als sie sich in die Droschke setzten, wobei Iltis sehr galant Isa behilflich war, schrie ihm Mikita zu:

– Wartet nur, bis ich zurückkomme! Wir sollen eine lustige Nacht haben.

Isa zuckte mit den Achseln.

Beide sprachen kein Wort.

Sie war gelähmt, sie konnte nicht denken. Sie war so müde.

Hin und wieder empfand sie eine trostlose Verzweiflung, die dann wieder in diese schlaffe Müdigkeit umkippte.

– Du, Isa, morgen wird meine Ausstellung in München eröffnet.

– So, so ...

Der Wagen blieb stehen.

– Gute Nacht! Mikita zuckte es in allen Gliedern.

– Gute Nacht.

– Jetzt fahren Sie mich aber schnell zurück, brüllte er den Kutscher an.

Der Kutscher schlug auf den Gaul los, die Droschke flog nur so über die Asphaltstraße.

Inzwischen krümmte und wand sich Mikita in einem heftigen Anfall von Weinkrampf.

Als er in die »grüne Nachtigall« zurückkam, war er ruhig und gefaßt.

Er wurde mit einem kräftigen Gejohle begrüßt.

Ja, Isa hat uns Alle gedrückt, dachte er.

– Du, er setzte sich neben Iltis – wenn ich heute stark betrunken werde, so setze mich morgen früh in den Zug, der nach München geht. Sieben Uhr dreißig, merke es Dir ...

– Weiß schon, weiß schon; habe hundert Mal die Strecke befahren.


 << zurück weiter >>