Stanislaw Przybyszewski
Homo Sapiens
Stanislaw Przybyszewski

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XIII.

Falk mußte noch eine halbe Stunde warten.

Die dumme Uhr ging immer zu früh.

Sein Kopf war schwer, das Morphin stak lähmend in seinen Gliedern.

Dann hatte er noch Fieber obendrein, sein Herz flog, hin und wieder mußte er sich vornüberbeugen, weil er heftige Stiche in der Brust empfand.

Er sah sich um.

Am Büffet saßen zwei Eisenbahnbeamte und spielten Karten mit dem Kellner.

Er wollte Bier haben, aber er durfte wohl den Kellner nicht stören.

Dann sah er nach der großen Glastür und las ein paar Mal: Wartesaal.

Ja, er mußte warten.

Wieder sah er nach dem Büffet hin.

Merkwürdig, daß er früher den vierten Mann nicht gesehen hatte.

Der Mann hatte einen schwarzen Schnurrbart und ein aufgedunsenes Gesicht. Er sah eine Weile dem Spiel zu, dann pflanzte er sich vor dem Spiegel auf und betrachtete sich wohlgefällig.

Ja, gewiß; du bist sehr schön – sehr schön ...

Ob er wohl auch eine Geliebte habe? Gewiß ... er mußte ja in den Geschmack der Weiber fallen. Wenn Mikita ... na ja ...

Schade, schade, daß er den Kellner doch stören mußte ... Er klopfte.

– Verzeihen Sie, Herr Kellner, aber ich habe Durst!

Der Kellner nahm das als einen Verweis hin und entschuldigte sich vielmals.

Nein, nein, er habe es nicht so gemeint, Falk behandelte den Kellner mit der ausgesuchtesten Höflichkeit.

Nun mußte er gehen. Und es war so gut da – in dem Wartezimmer.

Als er ins Coupé einstieg, empfand er ein ungewöhnliches Glücksgefühl.

Das Coupé war leer.

Welches Glück! Er könnte jetzt mit keinem Menschen zusammensitzen. Das würde ihn unerhört stören. Er würde nicht einen Gedanken denken können.

Er sah auf die Uhr. Noch fünf Minuten.

Er drückte seinen Kopf gegen das Coupéfenster.

Draußen fesselte ihn das Licht der Gaslaterne.

Das Licht sah aus wie ein spitzes Dreieck mit der Basis nach oben: sie war sehr ausgeschweift, so daß die Kanten wie züngelnde Pfeile hin und herflogen.

So, grade so mußten die feurigen Zungen aussehen, die auf die Köpfe der Apostel herniederfielen.

Er wachte auf.

Daß er dies Alles sah. Daraus würde ein Holz mindestens ein Drama gemacht haben.

Schade, daß er kein Notizbuch hatte! Schade, schade! Er müßte eigentlich auch mit dem Notizbuch arbeiten, um die Seele zu entdecken.

Der Zug setzte sich in Bewegung.

Was? Wie? Er sollte wegfahren von ihr? von ihr?

Nein, unmöglich!

Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn und ein entsetzliches Angstgefühl stieg in ihm hoch.

Von ihr!?

Etwas zwang ihn, die Tür aufzumachen und hinauszulaufen zu ihr – vor ihr hinfallen, ihre Knie umklammern und ihr sagen, daß er ohne sie nicht leben könne, daß sie ihm gehören müsse, – daß – daß ... Es würgte ihn. Er griff sich nach dem Kopfe und stöhnte laut auf.

Er hörte den Zug rasen unaufhaltsam, unaufhörlich, nichts, nichts würde ihn aufhalten können.

Ja, doch! Von der andern Seite müßte ein andrer Zug kommen, und beide müßten zusammenprallen und die Maschinen sich ineinanderkeilen und die Wagen sich bis zum Himmel auftürmen ...

Wie die Luft schlecht war in diesem abscheulichen Käfig – ganz wie in dem Café.

Er riß das Fenster auf.

Im Nu füllte sich das Coupé mit unangenehmer nasser Kälte.

Er beruhigte sich wieder und schloß das Fenster zu.

Das Eine wurde ihm klar: er konnte nicht weg, er durfte es nicht: sein Gehirn müßte auseinanderfallen – ja, wie hatte er doch zu Isa gesagt? Seine Seele müßte zerbröckeln ... ja, zerbröckeln in lauter kleine Stücke, ganz so wie der Grabbesche Gott – – Ich in Stücke zerbröckelt und jedes Stück ein Gott, ein Erlöser, ein neuer Rabbi Jeschua, der sich für Andre opfert ...

Ich will mich nicht opfern, ich will glücklich werden, schrie er.

Plötzlich besann er sich.

Was ist ihm eigentlich? Warum diese ganze, unbewußte Raserei? Sollte er Recht haben? War Liebe nur eine Krankheit, ein Fieber, um faulende Stoffe auszuscheiden – ein Genesungsprozeß – ein Blödsinn – ein – ein – Herrgott! wie der Zug raste.

Er streckte sich lang aus. Das Coupé fing an unausstehlich zu schütteln.

Ja, es sank Etwas unter ihm, er ging wie auf einem Leinentuch. Er war kühn. Er wollte den Dorfjungen zeigen, daß er, der Sohn des Gutsherrn, kühner war, als sie alle zusammen. Sie waren feig. Jetzt sollte ers Ihnen zeigen. Und er ging auf dem seit einem Tage zugefrorenen See, ging, das Eis krachte zu allen Seiten, er ging auf dem Eis, wie auf einem Morastboden und dann plötzlich ...

Falk raffte sich auf und legte sich wieder.

Und wieder fühlte er das Sinken und Sinken, daß er unwillkürlich die Hände streckte, um sich festzuhalten.

Nein! Er konnte nicht weg von ihr. Sie mußte ... Er wird sie zwingen ... Er wird sie zwingen ... Sie liebt ihn, sie ist nur feige, wie alle Weiber ... Sie verlangt nach ihm, er wußte es genau.

O Gott, Gott, wenn der Zug nur stehen bliebe.

Und er ging auf und ab in dem abscheulichen Käfig, seine Pulse flogen, und eine entsetzliche Unruhe nestelte auflösend an seinem bewußten Denken. Fortwährend ertappte er sich auf Gedanken und auf Gefühlen, die, weiß der Teufel woher, hinaufkrochen und ihn quälten.

Was wollte Mikita von ihr? Sie war doch sein, ganz sein ... Wollte Mikita ihre Seele vergewaltigen?

Plötzlich merkte er, daß der Zug verlangsamte; eine freudige Erregung lief ihm schauernd über den Rücken: Endlich! Endlich!

Da sah er, wie sie an einer Station vorüberflogen, ohne anzuhalten, und er merkte, daß der Zug nach und nach wie früher zu rasen anfing.

Nun hätte er laut aufweinen können! Was würde das nützen? Er mußte warten, geduldig sein ...

Er verfiel in eine stumpfe Resignation.

Er war doch kein Kind, er mußte warten, er mußte sich beherrschen lernen.

Er setzte sich ans Fenster und versuchte Etwas zu sehen. Aber die Nacht war so schwarz – die Nacht war so tief, oh so tief, tiefer als der Tag gedacht ... Und die Abgründe in ihm waren so tief ...

Er schloß die Augen zu.

Da sah er plötzlich eine Lichtung in dem Walde seines Vaters.

Zwei Elche sah er, die mit einander kämpften. Er sah die Tiere, wie sie mit den riesigen Geweihen auf sich losschlugen, wie sie zurückliefen, um mit einem furchtbaren Ansatz auf sich loszuspringen. Dann sah er, wie sich ihr Geweih ineinander verflocht, wie sie mit wilden Rucken sich losreißen wollten und sich in die Runde führten ... Plötzlich: ein Ruck, daß er das Krachen des Geweihs zu hören glaubte: ein Elch hat sich losgelöst und schlug dem andern das große Geweih in die Weichen. Er spießte ihn auf. Er wühlte das Geweih immer tiefer hinein, bohrte und bohrte, daß das Blut schäumend hervorspritzte, und er riß das Fleisch auseinander und zerwühlte mit gieriger Wut die Eingeweide.

Furchtbar! Furchtbar! schrie Falk auf.

Daneben stand das Weibchen, um das sie kämpften, und graste. Sie kümmerte sich nicht um den wilden Kampf der brünstigen Männchen.

Falk bemühte sich, sein Gehirn zu zerstreuen, aber in seinen Augen sah er feurige Ringe, die sich zu glühenden Riesenkreisen dehnten, immer weiter, – immer weiter, – kaum konnte er ihre Ausdehnung überschauen, und in der Mitte sah er den Sieger blutend, zitternd, aber stolz und gewaltig. Auf seinem Geweih schüttelte er die Eingeweide seines Rivalen. Dann sah er aber, wie der sieghafte Elch sich zu drehen anfing und immer schneller sich um sich selbst herumkreiste, immer schneller ... ein feuriger Wirbel hatte ihn erfaßt und riß ihn mit sich – wie einen gestürzten Planeten sah Falk ihn fallen – wohin? – wohin?

Der Wirbel – der Wirbel ... ja Gott, wo hat er das gehört, das mit dem Wirbel, der aufsaugt, der aufsaugt, der hinabzieht ...

Und wieder wurde ihm schwarz vor den Augen.

Er sah Mikita vor sich. Er stürzte auf ihn los. Er packte ihn und schleppte ihn durch den Korridor und dann stürzten sie krachend hinab. Das Geländer war gebrochen. Und sie, ein Knäuel, mit furchtbarer Wucht auf die Steinfliesen eines schwarzen Abgrunds hinab ...

Falk sah sich verständnislos um. Er hörte deutlich, daß Jemand in das Coupé eingetreten war.

Er erkannte plötzlich den Schaffner. Ein Jubelgefühl erfüllte ihn ganz.

– Wo? – wo ist die nächste Station?

– In zwei Minuten sind wir da.

Er kam völlig zur Besinnung.

Eine geschäftige Unruhe befiel ihn. Er sah auf die Uhr. Nur drei Stunden war er gefahren, also ist er in drei Stunden zurück – und dann zu Isa – zu Isa ...

Der Zug blieb stehen. Falk stieg aus.

– Wann fährt der Zug zurück?

– Morgen um 10 Uhr.

Falks Knie wankten. Er fiel ganz zusammen.

Sterns Hotel. Hotel de l'Europe, Hotel du Nord! hörte er um sich schreien.

Er gab irgend Jemand seinen Koffer und ließ sich fahren.

Als er am andern Tage spät am Mittag erwachte, sah er sich in einem Hotelzimmer.

Hm; für ein Hotelzimmer sehr komfortabel. Seine Glieder schmerzten ihn, aber er hatte deutlich ein Gefühl, daß er eine Krankheit überwunden hatte.

Ja, weil er so nervös war und seine Nervosität war seine Gesundheit. Die verehrten Herren Ärzte werden noch dahinterkommen ...

Dann stieg er aus dem Bette und läutete.

Als der Kellner kam, fragte er, wo er eigentlich sei, wünschte Kaffee ... sonderbar: er war also wirklich nicht verrückt geworden.

Er fühlte eine weite, feierliche Ruhe in sich.

Hier werd ich also bleiben. Nun, es ist ja ganz gut hier.

Er ließ sich Briefpapier bringen und schrieb einen Brief an die Mutter, in dem er ihr erklärte, warum er nicht kommen könne, wie sie die Sache mit den Kuratoren einrichten solle und daß er wahrscheinlich den ganzen Sommer im Auslande verbringen wolle ...

Er las noch einmal den Brief seiner Mutter, ob sie noch irgend welche Auskunft wünschte. Unwillkürlich fiel sein Blick auf den Namen Marit.

Ja, und so lasse er zum Schluß den Engel an Güte und Liebreiz herzlichst grüßen.

Als er den Brief beendigt hatte, trank er Kaffee und legte sich wieder schlafen.

Er schlief sofort ein.


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