Stanislaw Przybyszewski
Homo Sapiens
Stanislaw Przybyszewski

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XVIII.

Falk und Isa saßen am selben Abend im Coupé! Sie fuhren nach Paris.

– Liebst Du mich? fragte sie und sah ihn glücklich an.

Falk antwortete nicht. Er drückte ihr die Hand und sah ihr mit unendlicher Innigkeit in die Augen.

– Du mein ... Du! Sie saßen lange, eng aneinander gepreßt. Sie wurde müde. Er machte ihr ein Lager aus Plaids zurecht, wickelte sie ein und sah sie immer an mit derselben heißen, zärtlichen Innigkeit.

– Du mein ... mein ...

– Küß mich! Sie schloß die Augen.

Er küßte sie flüchtig, als scheute er sich, sie zu berühren.

– Jetzt schlaf, schlaf ...

– Ja.

Er setzte sich ihr gegenüber.

Nun war sie sein Weib. Nun war er glücklich.

An Mikita dachte er fast nicht. Sonderbar, wie wenig er sich um ihn kümmerte. Aber wenn ... o Gott, man geht zu Grunde, weil man keine Lebensfähigkeit hat, weil es an eigentlichen Lebensbedingungen mangelt, also, weil man zu Grunde gehen muß; daran ist doch kein Mensch schuld.

Wäre er zu Grunde gegangen? Nein! Seine Qual war etwas ganz Anderes. Das waren die Fieberparoxysmen, die den großen Willen erzeugten. Ja: er verstand es plötzlich. Wie solle er das nur sagen? Der neue Wille – der Wille, der aus den Instinkten geboren wird – der Wille ...

Hm, wie sollte er das nur sagen? Der Wille der Instinkte, der durch keine bewußten Schranken, durch keine atavistischen Gefühle gehemmt wird ... der Wille, bei dem Instinkt und Gehirn eins geworden ist.

Er mußte noch leiden, weil er ein Übergangsmensch war, er fieberte noch, weil er das Gehirn überwinden mußte. Aber er wird nicht leiden, wenn er das Stück posthumer Vergangenheit, die atavistischen Überbleibsel in sich überwunden hat.

Plötzlich lachte er leise in sich hinein.

Gott, Gott, dieses dumme, idiotische Raisonnieren. Dies blödsinnige Schwatzen von neuem Willen und dergleichen Dinge. Am Ende wird er sich noch für einen Übermenschen halten, weil er, – nun weil sein Geschlecht so rücksichtslos war, und weil sie ihm aus Liebe folgte.

Am Ende wollte er sich doch wohl nur ein Bißchen betäuben ...

Blödsinn!

Er sah sie an. Sie war sein, sie war sein, weil sie sein sein mußte ... Und sie fahren ins Glück hinein ...

Er trat ans Fenster.

Er sah Bäume und Felder und Stationsgebäude vorüberfliegen.

Das Alles wird dein sein, wenn nur dieser neue Wille da ist, der Wille der Instinkte, die durch das Gehirn geheiligt werden.

Er dachte an Napoleon.

Nein! Das war nicht das. Das war der Wille eines fanatischen Epileptikers – eines ...

Sonderbar, daß er unwillkürlich nach Beispielen ähnlicher Rücksichtslosigkeit immer von Neuem suchte ...

Das waren nur wohl die Überreste von seinen Qualen, die er durchgemacht hatte. Jetzt hat er das Glück und er wird es genießen.

Und er reckte sich hoch in dem Gefühle seines großen Glückes, das er sich durch seinen Willen errungen hatte.

Alles Übrige lag hinter ihm als ein Erlebnis, ein starkes, mit Blut gefülltes Erlebnis, ein Vorwurf, ein Stoff zu einem großen, erschütternden Seelendrama.

Sie schien zu schlafen.

Das war das Weib, das er nicht kannte. Er brauchte es aber nicht zu kennen. Wozu denn? Er hatte sie jetzt, er hatte sie einem Anderen abgerungen.

Er war der Elch ... nein! das war zu tierisch. Die Vorstellung von den Eingeweiden, die zerrissen am Geweihe hingen, war ihm peinlich.

Mit aller Macht wehrte er sich gegen eine Riesenmasse von peinlichen, unangenehmen Gefühlen ... He, he ... als hätte Jemand in ein Wespennest gestochen.

Aber er beruhigte sich wieder.

Das Alles mußte so geschehen. Sonderbar, daß er immer wieder in die alten Vorstellungen vom freien Willen verfiel, von einem Willen, der handeln kann ...

Und jetzt – jetzt ... Wo trieb es ihn nun hinein?

Ins Glück! In ein endloses Glück voll von neuen, ungekannten Freuden und Genüssen ...

Oh, wie stolz, wie glücklich, wie mächtig er sich fühlte.

Und der Zug raste und raste ... An den Fenstern flogen Häuser, Dörfer und Städte vorbei und ganz tief am Himmel glühte in trübem, violettem Licht ein Stern ...


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