Stanislaw Przybyszewski
Homo Sapiens
Stanislaw Przybyszewski

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XI.

Isa und Falk saßen in demselben Weinrestaurant wie am vorigen Abend. Nur daß sie jetzt ganz allein waren, in einer Chambre séparée.

Niemals hatte sie das Alleinsein mit einem Menschen so genossen.

Falk hatte Champagner bringen lassen, zahlte die Flaschen und berechnete, ob es zum Bezahlen reiche, was er bei sich hatte.

Ja, es reichte – noch für viel mehr.

Sonderbar, daß er daran denken mußte.

Sie lag halbausgestreckt auf dem Sofa und blies Ringe von Zigarettenrauch in die Luft.

Sie hatte Mikita ganz vergessen. Wenn sie hin und wieder an ihn dachte, so sah sie ihn als eine zappelnde, polternde Masse, eine Art Kobold vor sich.

Ja, wie boshaft er werden konnte! Diese versteckten Anspielungen in der Wurstgeschichte.

Falk beobachtete sie.

Manchmal wunderte er sich, daß sich ihr Gesicht mit Purpurröte übergoß, und daß sie heftig erschauerte.

Und jedesmal sah er dann, wie sie sich hastig aufsetzte und ein Glas heruntertrank.

Wie er sie liebte! Wie er diesen schlanken Körper in den seinen hineinpressen und den blonden feinen Kopf streicheln und an seiner Brust bergen möchte.

Warum tut ers nicht?

Warum?

Er fühlte, er wußte, daß sie ihn liebte; warum also nicht?

Mitleid mit Mikita? Leide er nicht ebenso wie er, und vielleicht viel mehr noch ...

Er dachte an die peinliche Szene bei Mikita. Wie sonderbar, daß er dabei Freude empfand. Was war denn für ein Teufel in ihm, der sich daran freute? Er dachte, wie er einmal den Bräutigam eines bekannten Mädchens total betrunken gemacht und eine diabolische Freude empfunden hatte, als das Mädchen sich über die unanständige Trunkenheit ihres Geliebten zu Schanden ärgerte, ja ihn sogar zu hassen begann.

Was konnte das nur sein?

Um seine Mundwinkel spielte ein nervöses, schmerzliches Lächeln.

Sie sah ihn an. Wie schön er war! So könnte sie ihn stundenlang ansehen, ja sehen, wie seine Augen groß, so funkelnd, so im Fieberglanz sie anstarrten ... und wenn er hin und wieder auf und abging: diese geschmeidigen Bewegungen einer Pantherkatze.

Und wieder fühlte sie die Schamröte ins Gesicht schießen und einen dunklen Haß in sich aufsteigen ...

Das war roh von Mikita, – brutal!

Sie trank hastig.

Sie sprachen nicht mehr.

Er hatte schon so viel gesprochen; er wollte jetzt in sich sinken und das um sich, das in sich trinken, genießen, es in jede Pore einsaugen ...

Und sie hörte seine Stimme mit dem leisen heiseren Klang ... Es war etwas Zwingendes in der Stimme, das ihren Willen einschläferte und sie hypnotisierte.

Sie dachte, wie sie einmal in der Oper »Tristan und Isolde« hörte. Das war ganz dasselbe Gefühl. Sie sah sich in der Loge, sie hatte vergessen, wo sie war ... oh, es war herrlich, dieser halbwache Zustand ... sie hörte die Musik, wie sie sich in sie ergoß mit einer Sehnsucht, mit ... ah ...

Sie sank in das Sofa zurück und schloß die Augen.

Es war so gut hier mit ihm ...

Falk erhob sich, ging ein paar Mal auf und ab, dann setzte er sich neben sie.

Er nahm ihre Hand. Er sah ihr in die Augen. Es war wie eine heiße Phosphoreszenz ringsum. Er sah einen Glanz in ihren zittern, einen heißen, lockenden Glanz ... ja, so sah sie ihn zum ersten Male an.

Sie lächelten sich an.

– Jetzt werd ich wieder sprechen.

– Aber vergessen Sie nicht.

– Was denn?

– Die Bedingung ...

– Ich habe die Bedingung vergessen.

– Sie dürfen es nicht.

– Nein, nein! Er küßte ihr die Hand.

Wie sie ihn lockte, wie sie ihn mit diesen Augen an sich zog. Wußte sie das?

– Woher sind Sie, Isa?

– Ist es nicht wichtiger, wohin ich gehe?

Sie lächelte.

– Ja, ja ... Sie beschämen mich, denn Sie haben Recht... Und Ihre Hand ist so schön, so schön; ich habe nie eine so wunderbare Hand gesehen ...

Sie sah ihn an.

Plötzlich übermannte es ihn. Er sank neben sie hin und küßte leidenschaftlich ihre Hand. Er vergrub seine Lippen in diese Hand.

Dann entzog sie ihm leise ihre feine, schmale, lange Hand.

– Tun Sie es nicht, Falk! Das tut so weh, so weh ...

Sie sprach leise, zögernd, mit verschleierter Stimme.

Falk setzte sich wieder. Er rieb sich die Stirn, trank, bebte vor Erregung und schwieg.

Lange Pause.

Dann fing er an; ruhig, still, mit traurigem Lächeln.

– Es sind zwei, drei Tage vergangen, seitdem ich Sie kenne ... Ja, ich kann es nicht begreifen, es ist auch Nichts zu begreifen, es ist eine Tatsache ... Seien Sie gut, lassen Sie mich Alles sagen, das beruhigt mich ... ich muß darüber sprechen ... Das können Sie wohl nicht verstehen, aber ich liebe zum ersten Male in meinem Leben.

Er trank hastig.

– Ja, das wissen Sie nicht, aber es ist etwas Furchtbares, zum ersten Mal in meinem Alter zu lieben. Das zerwühlt die ganze Seele, das gibt eine Wirrnis im Gehirn ... Sie wurden mein Schicksal, sie wurden mein Verhängnis ...

Er wurde erregt.

– Ich weiß, ja, ich weiß, daß ich so zu Ihnen nicht sprechen dürfte, ja ... er würgte Mikita herunter – ich weiß auch nicht, weswegen ich so zu Ihnen rede. Es ist ein furchtbares Mysterium ... ich bin heute ein Andrer, wie ich vor drei Tagen war – ich verstehe nicht, was in mir vorgegangen ist ... nun ja ... ich kann ja so sprechen: ich will ja Nichts von Ihnen, ich habe Sie in mir ... ich trug Sie mein ganzes Leben lang als eine große, schmerzhafte Sehnsucht, und so ... Ja, ich habe Ihnen schon hundert Mal dasselbe gesagt, aber – es brach plötzlich in ihm hervor – ich quäle mich so unerhört, ich gehe auseinander, ich bin so wahnsinnig unruhig ... Nein, nein – ich bin nicht verrückt, ich weiß es, ich weiß gut, was ich tue und sage, ich weiß auch, daß ich die Kraft habe, mich loszureißen ... Ja, ich werde gehen und Sie in mir haben, und diese ewige Sehnsucht mit mir schleppen und meine Seele zerbröckeln lassen ...

Wieder sank er vor sie hin. Vor seinen Augen wurde es schwarz. Er fühlte zwei Herzen, die sich aneinanderrieben.

Nur lieb mich, sag, sag, daß Du mich liebst ...

Er umschlang sie und fühlte, wie ihr Körper nachgab, er preßte sie an sich ...

– Mein, mein ...

Sie löste sich los.

Sie wußte nicht, warum sie sich wehrte; sie empfand nur plötzlich einen wilden Haß gegen Mikita, der sie beschmutzt hatte.

Falk sah sie an.

Ihre Augen waren groß und mit Tränen gefüllt. Sie sah weg und umfaßte krampfhaft die Sofalehne.

Er bezwang sich.

– Ja, Sie haben Recht! Er sprach müde und ein wenig kalt ... Ja, das war nicht schön von mir. Verzeihen Sie es. Sie sind zu müde, um lieben zu können.

Sie sah ihn lange mit einem stillen, traurigen Vorwurf an.

– Und dann ... es ist doch eigentlich so schön, so nebeneinander zu sitzen, ohne irgend Etwas zu fordern ... Ja, wir wollen Kameraden sein ... nicht wahr?

Falk wurde lustig. Aber er fühlte sich elend und krank. Er konnte seinen Schmerz nicht gut maskieren. Wozu auch? Ja, wozu? Er wurde wütend und empfand einen harten, verbissenen Trotz. Er hatte beinahe Lust, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen. Das tat er sonst nie.

Wieder stand er auf, ging um den Tisch herum und setzte sich neben Isa auf die andre Seite.

– Nein, es wäre doch zu lächerlich, wenn ich mit Ihnen Komödie spielen wollte. Das will ich nicht tun. Ich muß es Ihnen doch sagen. Ja, ich muß ... Sie könnten mein höchstes Glück werden, ja Sie ... nein Du! Du! Laß mich Dich so nennen. Ich habe ja Nichts auf der Welt. Es ist für mich schon ein unnennbares Glück, Dich mit dem Worte Du als mein zu empfinden, es ist für mich ein Glück, dies Du aus meinem Herzen herauszuschreien, dies eine Du ... Du ...

Ihn schwindelte. Er sah Nichts mehr. Und er vergrub sein Gesicht in ihren Schoß. Und sie nahm seinen Kopf in ihre Hände, und er fühlte, wie sie ihn küßte ... scheu, dann heftig, in kurzen Abständen hintereinander. Und er bebte und wühlte sich in sie hinein ...

Dann plötzlich hörte er sie reden mit erstickter Stimme, jagend, abgerissen ...

– Ich folgte ihm, ich glaubte, daß ich ihn lieben könnte, weil er mich so liebt ...

Wüßtest Du, wie ich müde bin ... Dich, Dich liebe ich schon lange – lange ... Seit er angefangen hat, von Dir zu sprechen ... Ich bestimmte ihn, hierherzukommen ... Als ich Dich sah, das erste Mal – ich zitterte, als sollte ich umsinken ... Aber ich darf nicht, ich darf nicht ... Ich will nicht von Einem zum Andren gehen ... Laß mich, laß –

Aber er hörte nichts mehr, er preßte sie an sich, er wühlte sich mit seinen Lippen in die ihren, er umfaßte ihren Kopf und preßte und preßte ihn mit irrer Leidenschaft in sein Gesicht.

Endlich riß sie sich los und schluchzte laut auf.

– Laß mich. Quäl mich nicht. Ich – ich kann nicht!

Er stand auf und eine unendliche Traurigkeit kam in seine Seele.

Dann faßte er ihre beiden Hände, sie sahen sich stumm an und hielten sich lange, lange fest.

– So gehen wir auseinander?

– Ja ...

– Und werden uns nicht mehr sehen?

Sie schwieg. Tränen liefen stumm über ihre Backen.

Nicht mehr! Falk zitterte heftig. Jetzt sollte er sein Todesurteil hören.

– Nein ...


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