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VI.
Der Seelenarzt

Seit jenem Augenblick, als vier Gynandres es ihm gegenüber an Achtung fehlen ließen, indem sie ihn in ihrer perversen Frechheit der Verirrung selbst gleichstellten; seit ihn Nergal zur erotischen Pflicht zurückgerufen; seit er zum 10. März eingeladen, hat Tammuz seinen heiteren und sanften Willen wiedergefunden.

Aber außer Stella und Rose begreift keine seine seltsamen Fragen, die tausend Erkundigungen, die er einzieht, das seltsame Programm dieses Festes!

Goulaine hat ihm Vollmacht gegeben und das Haus wimmelt von Dekorateuren.

Bei Nergal verbringt Tammuz Stunden, zwei offene Hefte vor sich, zum Beispiel fragend:

– Nennen Sie mir einen jungen blonden Mann, lymphatisch, etwas romantisch, mit trokkener Haut und roter Lippe, der noch keine Frau von Welt besessen hat, etwas poetisch und sehr eigen mit seiner Person, versteht sich.

Nergal nennt jemand.

– Sie wollen also Lesbos verheiraten?

Tammuz antwortet ernst:

– Sie haben mich zur Pflicht zurückgerufen: spotten Sie nicht, daß ich sie erfülle, sonst werden Sie, Nergal, das Genie unter den Männern, verurteilt werden, eine passive und bestimmte Rolle im Plane des Tammuz zu spielen … Oh, mein Freund, richten Sie sich nicht so auf, Sie fordern Tammuz heraus, aber heute trifft Tammuz, unpersönlich geworden, Mensch und Ereignis im Bilde einer Idee. Das ist nicht mehr der liebevolle Neugierige, den Sie aufgenommen haben, der Odysseus, der eine Weile von Circe verführt wurde: Tammuz entpersönlicht sich, um zu siegen … Wie jener Soldat, nachdem er sich tapfer geschlagen, gesteht, daß er Furcht hatte: so darf ich, nachdem ich auf ein angebotenes Festmahl verzichtet, sehen lassen, wie süß sie für die Sinne war, diese schwebende Liebkosung, die nicht drückte, die auch nicht ermüdete. Für den Geist war dieser Weihrauch von schlechter Art, aber sicher berauschend. Ich war Don Juan in Lesbos: zu dieser Stunde gibt es keine, selbst Sadinet nicht, die sich weigert, Eros zu opfern, wenn ich der Altar sein will … Nun, ich habe mit fester Hand diesen Becher zurückgestoßen; nicht aus jener Tugend des Einfältigen, der das Böse und Gute wie seine Ausgaben an den zehn Fingern berechnet; ich habe diese beispiellose Wirklichkeit geopfert, um einer Idee zu dienen! Ich habe zu viel Anteil an meinem Studium genommen; und meine Rolle habe ich mit solcher Ueberzeugung vorgetragen, daß ich sie lebte. Dann mußte ich überlegen, und Sie haben mir dabei geholfen: nachdem ich meine ganze Kraft aus einer Idee geholt, mußte ich diese Idee triumphieren lassen, nicht mein Schicksal! Darum suche ich Liebhaber für Frauen, die ich selbst begehre, die ich beinahe liebe.

– Sie würden mir Rose de Faventine ausliefern?

– Das ist keine Gynandre: noch unbefleckt, hat sie nur ihren Ruf verloren. Aber ich halte nichts für mich zurück! … Ich werde mit keinem Wort, mit keinem Schein auf Roses Willen wirken: möge sie zu Ihnen kommen, ich willige ein.

– Ich begreife Sie, Tammuz! Wenn Sie eine Gynandre wählen müssen, um sie zu entführen, welche werden Sie nehmen?

– Rose oder Stella … Rose, ja … Rose.

– Sie ziehen diese vor und Sie wollen mir erlauben, sie zu nehmen?

– Ich ziehe die vor, die mich vorzieht: die Frau, die mich verläßt, vergesse ich. Kann eine Seele, die mich nicht enthält, in meinen Augen da sein? Ich kann leiden unter einem Geist, der mir widersteht, und dagegen kämpfen; aber eine Seele? Wenn die Kirche uns sagt, daß die Seelen gleich vor Gott sind, warnt sie uns, damit wir für diese Seelen uns nicht aufopfern; denn wie hoch eine Seele über der andern steht, hängt von dem Geist ab, der sie verdirbt oder sie erhöht. Nun unterscheidet sich die Anziehung von der Wertschätzung: ich werde nur von dem Widerschein angezogen, den ich in einem Herzen erzeuge.

– Tammuz liebt Tammuz?

– Nein, Tammuz liebt die Liebe und nicht irgendeine Verliebte.


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