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II.
Lady Bedforest

– Herr …? fragte der Diener in Wadenstrümpfen, die Tür öffnend.

– Tammuz! erwiderte der junge Mann.

Der Diener nahm ihm den Ueberzieher ab und verschwand, auf den offenen Salon zeigend:

– Lady bittet den Herrn, auf sie zu warten.

Geräumig und durch Nebenzimmer, deren Türen entfernt sind, noch vergrößert, bildet diese Stätte des Empfanges eine Flucht von Boudoirs. Statuen und Treibhausgewächse beschäftigen zuerst das Auge, das bald durch Diwanecken eingeladen wird. An einem Ende der Flügel, mit Brokat bedeckt; am andern kaum geraffte Vorhänge über dem fliehenden Halbschatten.

Durch eine Glastür sieht Tammuz den Triumphbogen wieder: davon angezogen, lehnt er sich über den Balkon.

Es schlägt siebeneinhalb in einer alten Wanduhr. Ein schönes Schweigen herrscht in dem eleganten Viertel. Paris speist oder rüstet sich; Paris entschließt sich für seinen Abend und seine Nacht. Ein warmer Staub zittert in der lauen Luft und der Bogen verdunkelt sich, während sich in der Ferne der Himmel violett färbt: das natürliche Licht scheidet, das künstliche kommt.

Durch die vor ihm ausgebreitete Seele von Ninive verführt, träumt Tammuz, ohne sich um die ersten Gasflammen zu kümmern, die den Purpur der Abenddämmerung mit Gelb betupfen. Er hat Lady Bedforest und die Wirklichkeit vergessen: er träumt, dieser schlanke und elegante junge Mann mit der zitronenfarbigen und matten Haut, mit den rötlichen Haaren, schön von Gestalt und ohne Eitelkeit gekleidet. Seine Haltung läßt an eine weibliche Anmut denken, und doch verwerfen seine gerade und schlanke Nase, sein sanfter aber milder Blick den Gedanken an Verweichlichung.

Ist er fünfundzwanzig oder dreißig Jahre alt? Nicht eine Falte zeigt auf seinem Gesicht die Zeit oder den erlebten Kummer. Er begeisterte sich so, daß sein Kutscher lächelte; er gab sich der starken Ausströmung des wollüstigen Paris hin; gestand sofort und offen eine augenblickliche Zärtlichkeit für eine Passantin. Wer ist er? Ein schwacher Nachtfalter, bestimmt, sich an den Kerzen des Festes zu verbrennen? Nein, seine Hände mit den langen Fingern sind sehr eigenwillig, seine hohe Stirn denkt und prüft. Ein Kämpfer des Lebens, ein Abenteurer des Schicksals? Auch nicht: seine stahlblauen Augen bleiben sanft, obschon klar, und sein Lächeln zeigt das Gesicht eines, der sich nicht anführen läßt.

Was ihn trifft, was sich in ihm spiegelt, das ist die Neuheit von dem, was er sieht, von dem, was er lebt: eine völlige Harmlosigkeit des Eindrucks.

Beim leichten Rauschen eines Gewandes dreht er sich um: eine Frau in einem Kleide aus schwarzen Spitzen, die auf der Brust und an den Armen durchsichtig sind, wird von der Glastür gerahmt.

– Mylady, ich habe Ihre Einladung im Grand Hotel gefunden, als ich ankam; und ich würde Ihnen danken, wenn es nicht Lady Bedforest wäre, die in meiner Person Lady Sommerset verpflichtet.

– Ich bin Lady Kenmore und warte wie Sie auf Katharina: sie kleidet sich um.

Sie traten wieder in den Salon.

– Sie erregen meine Neugier, Herr; ich war hier, als Sie eintraten und geradeaus auf den Balkon drangen, ohne mich zu sehen; ich habe Ihre poetische Träumerei nicht gestört; aber jetzt sind Sie aus der Region der Sterne herabgestiegen, und ich wäre begierig, Ihre Beichte zu hören.

– Weiter nichts als meine Beichte! Können Sie hebräisch? Nein! Sie könnten ebensogut den biblischen Text öffnen, wie die Seele des Tammuz zu lesen versuchen.

– Ja, Lady Sommerset Peladan, Irrende Seele (deutsch in Vorbereitung). hat berichtet, daß Sie die Seltsamkeit in Person sind: die kennt Sie gut!

– Wenn sie mich nicht kennen würde, wäre ich hier?

Die Engländerin stieß diesen Kehllaut aus, der ihrer Rasse dazu dient, zu gleicher Zeit alles und nichts auszudrücken.

In weißem Kleide mit langer Schleppe, Schultern und Arme entblößt, erschien Lady Bedforest und reichte ihre Hand zum Kuß.

Tammuz betrachtete sie mit Bewunderung: trotz der Ueppigkeit strahlte die Haut bei dieser Slawin, die aus Indien zurückkehrte.

– Lord Bedforest ist in London … Peladan, Einweihung des Weibes (deutsch erschienen).

– Ich bin nur Ihnen vorgestellt, bemerkte Tammuz.

– Aber, um Sie nicht auf die Gesellschaft zweier Frauen zu beschränken, habe ich Nergal gebeten, der gegen zehn Uhr einem langweiligen Essen entwischen wird.

– Es wird mir Freude machen, ihm meine Bewunderung auszusprechen.

Lady Kenmore vorangehen lassend, nahm Lady Bedforest den Arm des Tammuz und flüsterte leise:

– Ihr gegenüber hat es nie etwas zwischen Lady Sommerset und mir gegeben.

Tammuz senkte den Kopf.

– Sie wüßten nichts? Ich bin also ein Schaf!

– Aber ich weiß noch immer nichts, protestierte er aufrichtig.

Die Mahlzeit, mit herbem Champagner belebt, zeichnete sich durch seltsame Mischungen aus: chauds-froids und salés-sucrés.

Tammuz erregte Anstoß, als er Wasser verlangte.

– Von diesem Augenblick an mißtraue ich Ihnen, sagte Kenmore.

– Ist es nicht zu spät? fragte Bedforest mit einem Lachen.

In peinliche Untersuchung genommen, gelangte Tammuz bis zum Nachtisch, indem er den Fragen auswich.

– Woher kommen Sie? Was wollen Sie in Paris?

– Das ist mein Geheimnis.

– Um so schlimmer also für die vornehmen und ehrbaren Damen …

– Kennen Sie eine Frau, die selbst ihren Wagen lenkt, sicher Russin ist und doch einem Antoniuskopfe gleicht, wie ein Jüngling gekleidet, traurig und stolz dreinschauend?

– Das kann nur die Prinzessin Simzerla Roussalkys sein!

– Sie ist schön und traurig. Kommt ihre Traurigkeit von einem allgemein bekannten Unglück?

– O ja, das ist bekannt!

– Erzählen Sie es mir!

– Jeder weiß, daß die Prinzessin Simzerla eine Leidenschaft für Frauen hat, und daß sie diese Leidenschaft bis zu einem Punkte treibt …

– Ist das Ihr Gefühl oder die Ansicht von Paris?

– Die Ansicht von Paris …

Paris ist also unwissend! Erstens ist die Leidenschaft von Frauen für Frauen eine Erfindung der Journalisten …

Die beiden Ladies sahen sich ironisch an.

– Zweitens ist die Prinzessin Roussalkys nach ihren Zügen ein unkörperliches Wesen, neben dem Sie, Myladies, Temperamente von Messalinen sind.

– Das Paradoxon belustigt; bei dieser Hyperbel empfindet man Mitleid.

Ruhig zählte Tammuz auf:

– Die geschlossene Nüster, die dünne Lippe, der fast fehlende Kiefer, das lange Oval, die vortretende Stirn, der dunkle und starre Blick, der hohe und etwas starke Busen, die geraden Lenden: bezeichnen für die ganze menschliche Gattung die Unfähigkeit zur Ausschweifung.

– Aber ganz Paris würde lachen, wenn es Sie hörte.

– Als Vertreter der ganzen Vergangenheit ließe ich ganz Paris lachen. Die Prinzessin Simzerla Roussalkys empfindet keine Begierde, hat keine Wollust genossen: das ist eine Frau ohne Sinnlichkeit.

– Sie haben sich verliebt und sind davon blind geworden …

– Ich glaube an die Güte ihres Herzens, das beständig ist, wie es die Melancholischen sind.

Die beiden Frauen lachten.

– Sie haben leider Ihren Schwank mit einer … Dummheit angefangen … verzeihen Sie das Wort! Sie haben die Liebe zwischen Frauen geleugnet.

Lady Bedforest erhob sich, mit dem Auge auf die Dienstboten deutend:

– Im Salon können wir darüber sprechen.

Als die beiden Frauen es sich auf dem Diwan bequem gemacht hatten, eine brennende Zigarette zwischen den Lippen, begann Tammuz wieder:

– Ich habe die Liebe zwischen Frauen geleugnet, kraft des Grundsatzes, daß die Geschichte in ihren Prozeßberichten alle Möglichkeiten der Leidenschaft enthält. Wenn ich aber finde, daß die Knabenschändung in allen Ländern des Orients geblüht hat, entdecke ich nirgends eine Urkunde über die weibliche Sodomie …

– Oh, welches scheußliche Wort! Sie sind grob und unerträglich …

– Und Sappho?

– Die von Eresos hat nur Phaon geliebt Bestätigt von Grillparzer in seinem Drama.! Das andere, die lesbische Legende, ist aus demselben Element gemacht wie die »Nonne« von Diderot: die Internierung sehr sinnlicher Geschöpfe erzeugt Verirrungen. Aber, wie die meisten Schüler nur deshalb Sodomiten werden, weil sie die normale Wollust nicht ausüben können, so geben sich die Pensionärinnen, welche die Pubertät erregt, untereinander jene Küsse, die Cherubin den Bäumen gibt. Das ist nur der unterdrückte Trieb, der vom rechten Wege abweicht: eine Sünde, keine Leidenschaft.

Man meldete Nergal.

Der Romancier küßte den Damen die Hand. Man stellte ihm Tammuz vor.

– Wir sind Landsleute: Ihr Name bedeutet Adonis, meiner Ares, Mars.

– Ja, von der gleichen Rasse, aber nicht von der gleichen Höhe! Sie sind ein Genie und haben geschaffen; ich bin nur empfangend, aber Ihr eifriger Bewunderer …

– Und mein nächster Freund, nicht wahr?

– Ein Wort, köstlich zu hören!

– Und auszusprechen!

– Katharina, die beiden loben einander wie Trissotin und Vadius Molière, Die gelehrten Frauen: Trissotin. Kein andrer feilt die Verse so wie Ihr. Vadius. Die Grazien selbst und Venus stehn Euch bei..

– Das ist die Frau, rief Nergal; sie versteht den Blitz nur, wenn er unterhalb des Herzens einschlägt.

– Das Herz der Frau ist so mit ihren Sinnen verbunden, daß sie nichts empfindet, wenn nicht ihre Nerven mitsprechen.

– Sind die unverschämt: sie gratulieren einander und verachten uns …

Und Lady Bedforest:

– Nergal, der Ihnen schon teure Tammuz sagte uns, als Sie eintraten …

– Katharina, unterbrach sie Lady Kenmore, auf diesem Gebiet werden die beiden schrecklich.

Sehr schnell piepsten sie diese englische Sprache, die auf den Lippen gebildeter Mistresses einem Vogelgezwitscher gleicht.

– Lieben Sie die Musik, Herr Tammuz? fragte Lady Bedforest.

– Ja, gewiß, die echte.

– Die man schon erlebt hat, nicht wahr, die Musik der Erinnerungen?

Sie stellte vor Lady Kenmore, die sich an den Flügel gesetzt hatte, ein offenes Album auf und sang:

Bleicher Bruder meines bleichen Herzens,
von sanftem, wechselndem Reize,
segne mit deinen weißen Strahlen
meine zarte und träge Liebe,
wie dein silbernes Lächeln
unter den verliebten Wolken.

Beim ersten Akkord zitterte Tammuz wie ein Medium, das in den magnetischen Schlaf eintritt, und schloß die Augen, um ein Bild zu beschwören.

Ueberschütte uns mit Freuden,
Mond, und mit schmachtendem Kosen.
Ich will sanft und süß lieben,
nur das Streifen des Herzens
wie der Lippen fühlen Peladan, Irrende Seele. (Dort sind diese reimlosen Verse als Prosa gedruckt.).

Die Düfte und die Melodien beschwören das vergangene Gefühl mit einer an Wunder grenzenden Macht der Illusion.

Tammuz sieht sich wieder an der normannischen Küste, wie er Lady Sommerset so seltsam liebt, so seltsam von ihr geliebt wird; diese Romanze an den Mond hörte er oft, während er in den Sommernächten über den ruhigen Ozean ruderte; er trällerte sogar oft dieses Leitmotiv der verdorbenen und reizenden Engländerin, die ihm den Kontrapunkt der Wollust und die erotische Technik der Entartung enthüllt hatte.

Es war eine schöne Zeit für seine Sinne, dieser Monat der Normandie, den er in träumerischer Wollust, in entnervender Liebe verlebt hatte: die erste Prüfung durch einen sehr kultivierten Körper, aus der er mehr als siegreich hervorging, belehrt und widerstandsfähig, gestählt und nicht verweichlicht.

Die Mondfrau, die er in Bordighera getroffen hatte, die aber in diesem sonnigen Winkel des Südens nicht lieben wollte, am Ufer der orientalischen Fluten des Mittelmeers, die ihn nach dem Norden und dem Nebel entführte, als habe sie diesen Antäus besiegen wollen, indem sie ihn der warmen Kybele entriß – die Mondfrau hatte diesen Willen aus reinem Gold nicht bleichen können. Der Gedanke des Tammuz, ähnlich dem Schwert, das Jason nicht fortlegte, wenn Medea ihn umarmte, schärfte sich, statt in den Wollüsten stumpf zu werden: er verließ sie mit einer Melancholie, die kaum schmerzte. Er beschwört sie jetzt mit einer lächelnden Melancholie, die mitten im Vermissen ein Danke sagt.

Lady Sommerset war nur eine Station auf dem Marsche der Leidenschaft! Eine andere Erinnerung ist lebhafter, ist geheimnisvoll: als er eines Abends über das nächtliche Meer nach der unbekannten Geliebten ruft, antwortet die Stimme des Schattens Peladan, Irrende Seele..

Während er träumt, singen die beiden Damen zusammen:

Geh zu den Töchtern des Südens,
wähle die braune Alltäglichkeit,
Dein Herz lebt von der Sonne!
– Ich will die Wollust des Mondes.

Die seltsame Melodie von Cadenet Peladan, Das höchste Laster (deutsch erschienen). isoliert jeden der Zuhörer.

Die Ladies öffnen jetzt die »Tamara« von Balakirew. Während Bedforest mühsam die schwierige Partitur entziffert, umschlingt Kenmore mit ihrem Arm die Taille ihrer Freundin und haucht auf die flaumigen Haare ihres Halses.

Nergal macht Tammuz ein Zeichen: der erhebt sich leise und folgt dem Romancier hinter eine Statue von Pradier, die von Palmen umgeben ist.

Von dort schauen die beiden jungen Leute; Tammuz freut sich über die hübsche Gruppe, in der Kenmore die Seiten wendet, schmeichelnd, fast kosend; Nergal lächelt das eigensinnige Lächeln eines Mannes, der etwas Verborgenes sieht.

Die beiden Frauen scheinen allein zu sein, so mit Balakirew beschäftigt, daß sie die Anwesenheit der Beobachter vergessen. Nehmen sie vor der Einbildungskraft eine Pose ein, sicher des hübschen Gemäldes, das sie darstellen? Sollten sie wünschen, daß man sie allein läßt?

Küßt Kenmore nicht im Fluge den nackten Arm ihrer Freundin? Nergals Lächeln schärft sich und Tammuz findet bereits, daß die Haltung des Paares das Benehmen von Verlobten oder Verliebten annimmt.

In dem weiten Salon, den auf einander folgende Boudoirs noch vergrößern, atmet eine friedliche Wollust.

Ohne ein Geräusch zu machen, bringt ein Diener das Tablett mit dem traditionellen Whisky.

Lady Bedforest schließt die russische Partitur.

– Verzeihen Sie, meine Herren, wir haben uns vergessen.

Verborgener Spott klingt in diesen Worten an das Ohr von Tammuz: sein Blick geht von der einen zur andern, so deutlich fragend, daß Kenmore mit einer bejahenden Bewegung die Augenlider senkt.

Derartig war die Wirkung dieses Ja der Augen auf die von den Augen gestellte Frage, daß Tammuz ungestüm zu Nergal sagte:

– Haben Sie Ihre Nacht der Wollust oder der Ruhe bestimmt, oder können Sie Ihre Nacht mir widmen?

– Ich kann sie Ihnen widmen.

Eine seltsame Situation: die Frauen scheinen zwei Männer von hohem Interesse geringzuschätzen, von denen der eine überraschend und neu ist, während diese Männer selbst zusammen zu sprechen wünschen, um einander zu fragen und zu antworten, statt ihr Gespräch mit bezaubernden Frauen zu verlängern.

– Wir haben uns nur erblickt, sagte Lady Bedforest zu Tammuz; ich hoffe, wir werden uns sehen, besonders wenn ich Ihnen einen Dienst erweisen und Lady Sommerset gefällig sein kann.

Nach dem Handkuß gingen die beiden Männer.


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