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VIII.
Ein Fest

– Warum hierher kommen, wo das Laster, und zwar eines, das nicht Ihr Laster ist, gehaust hat, statt das elegante Junggesellenheim des Obersten vorzuziehen? Und warum diese dringende Bitte, mich mit jenem Boulevardjournalisten und jenem kranken Herzog einzuladen?

– Weil, naiver Herr, das Sonderzimmer der ganze Reiz des Festes ist, seine wesentliche Bedingung; weil die Anwesenheit der Männer das nötige Gewürz für die lesbischen Genüsse bildet.

Und träumerisch sagte Aurine:

– Der Fehler von Lesbos ist, daß es eine männliche Galerie braucht. Wenn ein Mann nicht Zeuge unserer kleinen Liebkosungen ist, empfinden wir sie weniger lebhaft. Noch keine von uns, noch keine, hat sich von diesem Bedürfnis nach einem Kavalier freigemacht, wenn es auch zuweilen die Geheimnisse preisgibt.

– Lesbos liebt den öffentlichen Ort, die Umgebung der Dirne und wünscht, daß eine männliche Begierde seine Wollust peitscht, faßte Tammuz zusammen.

Seine Lippen verzogen sich: der erste Ekel erfaßte seinen Geist.

Jedoch bot der Tisch, als die Mahlzeit jetzt begann, den hübschen Eindruck diskreter Weiblichkeit.

Die unzertrennlichen Bulis und Aurine, in gleicher Toilette, hielten ihr ewiges Zwiegespräch durch alles hindurch aufrecht: sie sprachen zu einander mit den Augen, mit dem Ellbogen, mit dem Knie, während sie den andern zuhörten und ihnen antworteten.

Nundi, die Sprecherin von Worten im Halbschatten, immer zum Ohre von Tutine, der Spötterin, geneigt, sonderte sich auch ab.

Vilotière liebkoste mit ihrem schwarzen und unruhigen Blick die weiße Ennar, die sich unter dieser begehrlichen Betrachtung wie ein Pfau brüstete.

Tiffauges machte sich gegen Lilith von Vouivre ganz zur Schmeichlerin.

Saulce beugte ihr weit geöffnetes Mieder zu der düstern Hemera.

Zu diesen Festen, auf denen die Provinzlerin ihre Leidenschaft darin suchte, sich über alles hinwegzusetzen, kam Aril nicht; und deshalb waren weder Carmente noch Emène dabei.

Bis zum Nachtisch blieben die Gespräche gleichgültig. Der Oberst erzählte Schandtaten aus der Kaserne, der Journalist Anekdoten über Lesbos. Tammuz hörte nicht zu und beobachtete. Bald hob sich die Polarisation der weiblichen Paare ab.

Bulis, Nundi, Vilotière, Lilith und Saulce nahmen die Manieren junger Männer an, die Gebärden, die Worte, um Aurine, Tutine, Ennar, Tiffauges und Hemera den Hof zu machen, die alle fünf aufhörten burschenhaft zu sein und sich verweiblichten, empfangend, aber passiv.

Schon reichten sie sich Erdbeeren mit geöffneten Lippen, tranken aus demselben Glase und paarten sich, indem sie zwischen den Paaren einen leeren Raum ließen.

Der Journalist sagte:

– Sie sind zu zahlreich: man kann nicht brutal sein! Ich lade immer nur zwei ein, und dann vergewaltige ich die eine: oh, der Kopf der andern!

– Pah, ich bin bei Jahren, sagte der alte Herzog, und ich verlange weiter nichts, als mein Auge zu weiden.

Bei diesen unfeinen Aussprüchen verzog Tammuz sein Gesicht. Die Schamlosigkeit dieser Frauen, die der Wollust wegen zusammenkamen und sich einem lüsternen Greise, einem verdorbenen Reporter zeigten, machte ihn betroffen.

Wieweit würde dieser perverse Zynismus gehen? Die männliche Ausschweifung erschien ihm bei weitem nicht so unanständig. Der Mann bemüht sich selbst als Wüstling, unter vier Augen zu sein; die fünf Paare hatten es vorgezogen, sich zu versammeln, hatten aus Lüsternheit Zeugen für ihre Liebkosungen gewollt. Von diesem Augenblick erhob sich die Verachtung in der Seele des jungen Mannes, die Verachtung, die eine feine Seele für diesen Tiefstand des Lasters empfindet, wo der Anstand aufhört und die Sünde pöbelhaft wird.

Jedoch die Grazie, diese Verklärerin der weiblichen Unvernunft; die Grazie, dieses teuflische Recht, wie man »göttliches Recht« sagt, das die weiblichen Schandtaten vor der Verdammnis bewahrt, welche die anderen trifft: die Grazie war noch da.

Sie war noch in den geöffneten Miedern, in der frommen Bewegung Ennars, welche die Adern ihrer Haut zeigte; in den Trillern der Tutine, deren Ohr von den Bissen der Nundi gerötet war; in der erotischen Herausforderung, die Bulis und Aurine den drei Männern zuwarfen.

Die zu sehr überführten Provinzlerinnen, berauscht und begierig, hatten glänzende Augen und bebende Nasenflügel; in ihrer Bestürzung erduldeten sie die Vertraulichkeit des Oberst.

Vilotière richtete ihren Blick wieder auf Tammuz, schloß die Augen, sprang dann wie eine Feder auf und schlang ihre nackten Arme um den Hals des jungen Mannes.

– Kehren Sie nach Sodom zurück, sagte er.

Sie öffnete die Augen, ließ ihre Arme fallen und wiederholte theatralisch:

– Sodom?

Wie ein Echo wiederholten alle den abscheulichen Namen, und ein Flor von Traurigkeit legte sich auf das Fest.

– Ihr kommt nicht weiter, aber gar nicht, rief der Oberst, seine Zigarre kauend.

Der Journalist sagte zu Ennar:

– Etwas Musik, lustige!

– Aber bitte keine pariser, rief Tammuz.

– Sie wollen uns also heute abend begraben? Bitte, das Lied von der verliebten Kröte!

Und der Journalist trällerte.

Die graziöse Ennar, deren Haut unter der Seide leuchtete, blickte Tammuz an:

– In Sodom verwechselt man die höheren Wesen nicht mit den gewöhnlichen; in Sodom erweist man dem Ausnahmemenschen die Ehre, die man ihm schuldig ist: das möge Sodom angerechnet werden.

Am Klavier sitzend, das täglich durch die Infamien des Kaffeekonzertes verstimmt wurde, ließ Ennar jene glänzende Geigenstelle erklingen, während der Siegfried die schlafende, mit ihrem Schild bedeckte Brunhilde bemerkt.

Der Held nähert sich, erstaunt und wird bewegt; er berührt die lebende Statue, er löst den Panzer; ihr Busen bebt und er ruft aus:

Sehrendes Sehnen
zehrt meine Sinne;
am zagenden Herzen
zittert die Hand!
Wie ist mir Feigem?
Ist dies das Fürchten?
O Mutter! Mutter!
Dein mutiges Kind!
Im Schlafe liegt eine Frau:
die hat ihn das Fürchten gelehrt!

Er spricht zu der Schlafenden, dann, durch den lächelnden Mund angezogen, küßt er sie. Wagners Absicht, eines Eingeweihten würdig, ist: durch den zauberhaften Kuß Wotans in Schlaf versenkt, kehrt sie durch den Kuß Siegfrieds wieder ins Leben zurück.

Niemals streute die Melodie so schöne Perlen aus wie dieses Erwachen der Walküre: das Motiv der Erlösung erklingt.

Tammuz hörte noch einmal die vollen Akkorde des Erwachens, das die Harfen wieder aufnehmen. Die Verbindung der beiden Stimmen, so banal bei den Italienern, ist hier voller Charakter, und diese zweistimmige Stretta, in die das Motiv der Erlösung übergeht, erfüllte die Erinnerung des Tammuz mit Idealität.

Ennar kehrte dem Klavier den Rücken, sich mit den Ellbogen darauf stützend, und blickte Tammuz an. Die seelische Atmosphäre des Zimmers änderte sich: kein Lachen mehr, die Hände unruhig und nervös, die Küsse ernst; und schließlich diese Bitterkeit, welche die weibliche Verirrung ausströmt.

Hatten sie gehört oder begriffen? Diese Harmonien einer edlen Macht luden die Atmosphäre der Nerven mit Gegenströmungen.

Tammuz überlegte; Ennar kam zu ihm, um Vilotière auszuweichen, während der Oberst Griffe versuchte, die zurückgestoßen wurden, und idiotisch wiederholte:

– Ihr kommt nicht weiter, aber gar nicht!

– Wollen Sie, daß ich mich auf Ihre Knie setze, Tammuz? Oh, nicht als Versucherin! Warum kann man kein Begehren einflößen, ohne sich der Berührung auszusetzen? Die Frauen kommen den Männern gleich in dem albernen Bedürfnis körperlicher Liebkosungen.

Während sie dies sagte, hatte sie sich Tammuz auf den Schoß gesetzt, ohne Koketterie, freundschaftlich und träumerisch: und er hoffte offenbarende Worte zu hören.

– Ich hatte früher, es ist fünf Jahre her, eine deutsche Freundin: wir drückten uns die Hand: das war alles.

– Idealität oder Blutarmut?

– Weder das eine noch das andere! Zuweilen, plötzlich, wie eine Stecknadel, die im Sessel steckt, fühle ich einen Stachel der Begierde: solange man braucht,, um seinen Hut aufzusetzen, seine Handschuhe anzuziehen, und die Begierde hat gelebt … Wenn ich in zwei Stunden im Bett liege, werde ich mich nach Ihnen oder Vilotière sehnen; sollten Sie aber da sein, würde ich mich nicht nach Ihnen sehnen. Meine Sinne äußern sich nur, wenn ich allein bin, und nur für kurze Zeit. Ich verwirre mich selbst, und das ist alles: ich liebe es, etwas Böses in der Luft einzuatmen … und sehe gern die andern das Feld räumen … Ich habe eine häßliche Seele, nicht wahr?

– Ja, sagte Tammuz.

– Eine gute Tat: wenn Sie Rose de Faventine, dem Chevalier, wie wir sie nennen, begegnen, schützen Sie die vor uns allen … Wenn Rose zu unserer Verdammnis verdammt wäre, würde das ein Verbrechen sein.

– Und die Prinzessin Simzerla Roussalkys? fragte Tammuz.

– Oh, die Arme … ein wahrer Sündenbock! Alles, was an Tollem in unserem Kreise geschieht, schreibt man ihr zu. Aril ist ungerecht gegen sie, weil sie Rivalinnen gewesen sind.

– Ich möchte eine von diesen Rivalitäten sehen.

– Lachen Sie nicht darüber! Man tut einander in unsern Liebschaften ebenso weh wie in der Liebe. Bei uns leidet man auch: übrigens körperlich. Betrachten Sie lieber die Anwesenden: alle werden aus verschiedenen Gründen vernünftig nach Hause gehen, vielleicht außer Nundi und Tutine. Und sehen Sie, wie aufgeregt sie sind.

Sie zeigte mit einer Gebärde ihrer feinen Hand die abgesonderten Paare, erregt und düster, mit verstörten Augen, mit trockener Kehle, gierig und enttäuscht, unzufrieden und eigensinnig.

Die verschleimte Stimme des Obersten wiederholte grotesk:

– Ihr kommt nicht weiter, aber gar nicht.

Mit einer unvermuteten Gebärde machte sich Lilith de Vouivre los und kam auf Tammuz und Ennar zu mit der Reizbarkeit einer Eifersucht.

– Mein Lieber, wenn Sie wirklich Lesbos sehen wollen, bilden Sie nur Gesellschaften zu dreien: wenn Sie schweigend und ruhig bleiben, wird man Sie vergessen, und dann werden Sie sehen.

– Welchen Rat du ihm gibst!

– Solltest du deinerseits abtrünnig sein?

– Oh, Vouivre, du zischest, weil ich eines seiner Knie heimsuche: nimm das andere.

– Nein, ich bin zu groß: diese Haltung kleidet mich nicht!

– Das heißt, du bist zu männlich und findest die Haltung zu weiblich.

– Das also ist das Fest, fragte Tammuz.

Vilotière kam.

– Was fehlt ihm? Vielseitige Frauen, welche Liebe spielen und die Sekunden lang aufrichtig sind; verdorbene Frauen, die ihre Gesundheit zerstören.

– Und ihre Seele verlieren, rief Bulis.

Ein grober Scherz von Tutine lenkte das Gespräch ab.

Hemera gähnte, Lilith streckte sich, Nundi schnurrte.

– Wenn man ginge?

– O du … du denkst …

– Sag mir doch, an was ich denke?

– Das ist unsagbar.

– Wie dein eigener Gedanke.

– Die Gabe des Scharfsinns war das Erbteil des Königs Salomo.

– Spielten ihm seine Frauen lesbische Komödien vor, Tammuz?

Der schüttelte den Kopf.

Ennar hatte sich erhoben.

Ganz vertiert, wiederholte der herzogliche Oberst:

– Heute abend kommt ihr gar nicht weiter.

Man klingelte nach der Rechnung.

Die drei Provinzlerinnen waren sichtlich verzweifelt, in ihr Hotel zurückkehren zu müssen.

Vilotière versuchte eine der Orchideen zu überführen; aber die Müdigkeit allein blieb herrschend unter den Anzeichen schlimmer Erregungen.

Tammuz nahm Ennar und Lilith mit: sie schwiegen.

Als er die erste an ihrer Tür abgesetzt hatte, sprachen Lilith und der junge Mann noch immer nicht: und dieses Schweigen schärfte sich mit Empfindlichkeit. An kaum merkbaren Bewegungen des Armes fühlte er, daß eine normale Begierde in ihr keimte. Da er selbst etwas verwirrt war, panzerte er sich mit Bosheit.

– Sie erleben in diesem Augenblick ketzerische Empfindungen.

– Mein Lieber, welcher Irrtum! Ich bin entnervt, aber nicht toll: der Mann, selbst wenn es Tammuz ist, existiert nicht.

– Ist das eine Herausforderung?

– Das ist wenigstens eine Versicherung.

– Die Lippen können also die Nerven belügen?

Der Wagen hielt; sie reichte ihm die Hand.

– Auf Wiedersehen bei Aril … ohne daß sie es weiß, werde ich Sie in den nächsten Tagen zu Goulaine führen. Gute Nacht, Tammuz.

– Eine ruhige Nacht, Baronin, wünsche ich Ihnen.


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