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II.
Der Androgyn

Die erste Nacht schlief Tammuz lange: das Meer wirkte. Er kleidete sich wieder in sein sogenanntes Gynandre-Kostüm und stieg gegen elf Uhr auf Deck, in seidenen Strümpfen und Kniehosen, kurzer Jacke aus violettem Sammet, in der Hand ein Spitzentaschentuch haltend.

In ihrer Matrosenbluse aus weichem Flanell hielt sich Frau Admiral ihm gegenüber für wenig verführerisch.

Er wollte ihr die Hand küssen: sie wehrte sich dagegen.

– Zu fein, Tammuz, Sie sind ja verweiblicht! Lächelnd warf er sich in eine Hängematte und sagte zu der Fliegenden Gräfin, die stehen blieb, die Hände an den Hüften.

– Warum sollte der Mann, dessen Funktion das Denken ist, seine Muskeln üben, indem er schwere Schuhe und grobe Wäsche trägt? Frauenhaft, beherrsche ich die widerspenstigsten Frauen: ich ergreife einfach die Vorteile, auf die man um mich herum verzichtet … Danke! Sie haben mir soeben die Aufmerksamkeit eines Mannes für eine Frau erwiesen, indem Sie mir Feuer anboten, bevor ich darum gebeten hatte. Je mehr sich die Frau vermännlicht, um so mehr verweibliche ich mich, um mich ihr zu nähern und das geschlechtliche Verhältnis wiederherzustellen. Man hat den Androgyn verleumdet: ideal ist es der reine Jüngling, praktisch ist es der Mann der Idee, der Kunst oder des Gefühls, der aber in einer dieser Sphären bewußt ist und nach der Selbstergänzung strebt.

– Was, Sie schulmeistern?

– Nein! Das Leben ist ein Suchen! Für die Einfältigen heißt der Gral Ehrenlegion, Abgeordneter, Schadenfreude, Brunst, Fraß, Lärm. Für den Auserwählten, für das Wesen, das andern Gärungstoff als die Triebe enthält, ist der Gral das höchste eines Verlangens. Kennen Sie das Rheingold, diese wunderbare Malerei der Menschheit unter skandinavischen Namen: mutwillige Nixen, arglistige Zwerge, rohe Riesen, entartete Götter. Wotan, das ist das Haupt des Gesindels, der Bonaparte! Alberich, das ist das gemeine Gesindel, der Spitzbube. Es gibt nur ein reines Wesen, das ist Freia, die Liebesschönheit, die, wenn nicht die Norne Erda wäre, Fafner und Fasolt, den Erbauern von Walhall, preisgegeben würde. Aber Freia ist ein Prinzip, und um sie zu verdienen, muß man sie in sich verwirklichen. Was kann der Denker sich noch hinzufügen? Die Anmut! Darum mache ich, der Verehrer Freias, mich so freiamäßig wie möglich!

– Und ich scheine Ihnen eher ein Nibelung als eine Floßhilde zu sein, mehr ein Gnom als eine Nixe.

– Sie würden beinahe die Walküre sein, wenn Sie rein wären.

– Tammuz, Sie beschuldigen eine Frau, gebräunt und gekleidet wie ich, Sie beschuldigen einen Matrosen.

– Sie werfen mir vor, daß ich die Anmut der Frau pflege, ihre Koketterie, die sie vor dem Häßlichen bewahrt; und ich beschuldige Sie, bis in die Seele Matrose geworden zu sein, mit ihrer Eleganz etwas von Ihrem Reiz vergessen zu haben; um alles zu sagen, die Tugend eines Matrosen zu besitzen. Für eine Frau bedeutet das, sich verhäßlichen und die edlen Begierden absperren, die zu Ihnen wollen.

– Tammuz, Ihre Kühnheit ist so hoch wie die Spitze meines Mastes.

– Und meine Hellsicht geht tiefer als die Kette Ihres Ankers.


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